Rezension über:

Klaus Garber: Der Reformator und Aufklärer Martin Opitz (1597-1639). Ein Humanist im Zeitalter der Krisis, Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2018, XXI + 846 S., ISBN 978-3-11-055004-7, EUR 79,95
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Rezension von:
Klaus Conermann
Herzog August Bibliothek, Wolfenbüttel
Redaktionelle Betreuung:
Sebastian Becker
Empfohlene Zitierweise:
Klaus Conermann: Rezension von: Klaus Garber: Der Reformator und Aufklärer Martin Opitz (1597-1639). Ein Humanist im Zeitalter der Krisis, Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2018, in: sehepunkte 19 (2019), Nr. 3 [15.03.2019], URL: https://www.sehepunkte.de
/2019/03/31540.html


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Klaus Garber: Der Reformator und Aufklärer Martin Opitz (1597-1639)

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Der schlesische Fleischersohn Martin Opitz, vom Kaiser geadelt (Opitz von Boberfeld) und unter dem Gesellschaftsnamen 'Der Gekrönte' in die Fruchtbringende Gesellschaft aufgenommen, fand schon im deutschen 17. Jahrhundert allgemein Anerkennung als Wegbereiter und Vorbild einer volksprachlichen Dichtung, welche im Wettbewerb mit den großen Nationalliteraturen Süd- und Westeuropas bestehen konnte. Da in der Folgezeit einzelne Aspekte wie sein europäischer Renaissance-Klassizismus oder sein Schlesiertum besondere Aufmerksamkeit erregten, verschwand das Interesse an dem Sprachreformer und Dichterfürsten Opitz zwar nicht, nahm jedoch allmählich unter dem Eindruck der Weimarer Klassik und altdeutschen Romantik ab. Nur Einzelnes wie Prosodie und Metrik, Poetik und Annoliedausgabe verdienten noch Lob.

Erst im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts nahm die Opitz-Forschung durch reprografische Drucke und vor allem durch George Schulz-Behrends Ausgabe der früheren Dichtungen und Übersetzungen [1], die leider nur bis zu den bis 1630 erschienenen Werken gedieh, den nötigen Aufschwung. Inzwischen haben Marian Szyrocki und viele andere, darunter namentlich Klaus Garber durch ideen- und literaturhistorische, auch bibliografische und bibliotheksgeschichtliche Studien [2] Grundlagen für weitergreifende Opitz- und Frühneuzeitforschungen geschaffen. Wenn Jörg Roberts Hybrid-Ausgabe der noch fehlenden Dichtungen und Übersetzungen die schon vorliegenden kritischen Editionen des 'Opitius latinus' und des Briefwechsels und der anderen Lebenszeugnisse ergänzt [3], wird die Forschung auf breiter Quellenbasis an die von Garber schon seit 1976 aufgezeigten wissenschaftsgeschichtlichen Perspektiven [4] anschließen können.

Das neue Buch knüpft in seinem "Eingangs-Essay" über Opitz als "Vater der deutschen Dichtung" (1-40) und in seiner "Kommentierten Literaturkunde" (779-828) daran an. Garbers Ziele sind nicht die Abfassung einer faktenreichen Biografie oder die Deutung aller wichtigen Dichtungen, Übertragungen und wissenschaftlichen Arbeiten des 'Boberschwans' (wie ihn die Zeitgenossen nach seinem Heimatfluss nannten). Nach dem erwähnten Essay, der die Stellung Opitzens in der Literaturgeschichte zwischen Conrad Celtis und der Forschung der Gegenwart, auch der eigenen, einordnet, zeichnet der Verfasser "Epochale Signaturen um 1600" (41-80) nach, vor allem die "Religiöse Polyphonie" dieser Epoche, in der Opitz vom Luthertum, den Diensten für einen katholischen Herrn und für reformierte Piasten, über die Kontakte mit europäischen Calvinisten, Polnischen Brüdern, Rosenkreuzern, Paracelsisten und Arminianern seinen Weg zu einem aufgeklärten Irenismus bahnte. Garber folgt in den 17 weiteren Kapiteln den Stationen von Opitz' Leben, immer wieder an Beziehungen zu Zeitgenossen anknüpfend und in den Interpretationen von Werken die ideengeschichtlichen Einflüsse belegend. Der Titel des Buchs meint also nicht nur den Sprach- und Literaturreformer und dessen Aktivitäten im regionalen wie im gesamteuropäischen macht- und kulturpolitischen Kontext, er versteht vielmehr Opitz im Sinne des Titels als Reformator und Aufklärer. Deshalb schreitet Garber von der engen schlesischen Patria zur Nation und zur europäischen Renaissance voran, schenkt nicht nur dem Poeta, sondern auch dem Sekretär und Pariser Kundschafter Karl Hannibals zu Dohna, dem Unterhändler schlesischer Stände mit den Schweden und dem Danziger Agenten des polnischen Königs Aufmerksamkeit. Wenn historische Quellen dies nicht zulassen, treten - wie im Falle der durch Opitz auf dem Sterbebett zerstörten politischen Briefschaften - ein Freundesschreiben und ein Panegyrikum ins Mittel (706-709). Tatsächlich bahnte eine lateinische und deutsche Lobschrift auf den König Opitz den Weg zu seiner Danziger Residenz und damit auch zu neuen europaweiten Kontakten, u.a. zum Dichterkollegen und königlich britischen Sekretär Georg Rodolf Weckherlin.

Garbers umfang- und beispielreiche Studie führt uns somit von Opitz' Breslauer und Liegnitzer Mäzenen (Dohna, Herzog Georg Rudolf) über kurpfälzische Sekretäre und Räte (die Humanisten Zincgref, Lingelsheim), den Pariser Kreis um Hugo Grotius und die Brüder Dupuy bis zu den polnischen Großen. Sie stellt uns Opitz von Boberfeld eindrucksvoll als Exempel eines späthumanistischen, alteuropäischen Dichter-Politikers vor Augen, wie sie auch unter den Genannten und häufig in der Fruchtbringenden Gesellschaft anzutreffen waren.


Anmerkungen:

[1] Martin Opitz: Gesammelte Werke. Kritische Ausgabe, hg. von George Schulz-Behrend, Bd. I, Bd. II (Tl. 1-2), Bd. III (Tl. 1-2), Bd. IV (Tl. 1-2), Stuttgart 1968-1989 (Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart 295, 300-301, 296-297, 312-313). - Jörg Robert plant in Zusammenarbeit mit der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, diese Ausgabe (als Retrodigitalisat) durch den Druck und die Digitalisierung der fehlenden deutschen Opitz-Werke zu vervollständigen.

[2] Marian Szyrocki: Martin Opitz, Berlin 1956 (= Neue Beiträge zur Literaturwissenschaft; Bd. 4); 2., gekürzte Ausgabe München 1974. Klaus Garbers Sammelbände zur "Kulturgeschichte Schlesiens in der Frühen Neuzeit" (2005), zur "Kulturgeschichte Preußens königlich polnischen Anteils" (2005) und über "Siebenbürgen. ...Kulturlandschaft ... im Spiegel ihrer Literatur" (2017), besonders seine gesammelten eigenen Studien "Literatur und Kultur im Europa der Frühen Neuzeit" (2009), "Literatur und Kultur im Deutschland der Frühen Neuzeit" (2017) sowie die Bände "Das alte Breslau" (2016) und "Martin Opitz - Paul Fleming - Simon Dach" (2013) weisen ihn als den wohl profiliertesten Kultur- und Literaturhistoriker des osteuropäischen deutschen Siedlungsraums aus. Dieses Urteil wird auch durch das von Garber herausgegebene "Handbuch des personalen Gelegenheitsschrifttum in europäischen Bibliotheken und Archiven" (2001ff.) unterstrichen.

[3] Martin Opitz: Lateinische Werke. In Zusammenarbeit mit Wilhelm Kühlmann, Hans-Gert Roloff u. zahlreichen Fachgelehrten, hgg. u. komm. von Veronika Marschall / Robert Seidel, 3 Bde., Berlin / New York 2009, 2011 u. 2015 (Ausgaben deutscher Literatur des XV. bis XVIII. Jahrhunderts). - Martin Opitz: Briefwechsel und Lebenszeugnisse. Kritische Edition mit Übersetzung. An der Herzog August Bibliothek zu Wolfenbüttel, hg. von Klaus Conermann unter Mitarb. von Harald Bollbuck, 3 Bde., Berlin / New York 2009.

[4] Klaus Garber: Martin Opitz - "der Vater der deutschen Dichtung". Eine kritische Studie zur Wissenschaftsgeschichte der Germanistik, Stuttgart 1976.

Klaus Conermann