Jens Kremb: Bemalte Tischplatten des Spätmittelalters (= 34), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2016, 298 S., 75 Farb-, 42 s/w-Abb., ISBN 978-3-412-50172-3, EUR 45,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
Tische gehören zu den am häufigsten und für verschiedenste Tätigkeiten genutzten Möbeln. Dieser regelmäßige Gebrauch setzt die Platten einer starken Belastung aus, sodass sehr oft ihre originalen Blätter nicht erhalten sind. Demgegenüber sind verhältnismäßig viele aufwendig gestaltete Tischplatten überkommen. Nördlich der Alpen sind vor allem aus der Frühen Neuzeit zahlreiche variable Schmuckformen zu nennen: die im Barock am häufigsten auftretende reine Holzmarketerie, deren Aufwertung durch Schildpatt- und Metalleinlagen, die aus der Braunschweiger Stobwasser-Manufaktur bekannten Glasperlenbilder oder Dekorationen mit dem im frühen 19. Jahrhundert durch den Münchner Johann Georg Hiltl eingeführten Umdruckverfahren. Auch Scagliola- und Pietra Dura-Tafeln sowie geätzte Platten aus Solnhofer Kalkstein zählen dazu, ebenso die von Jens Kremb vorgestellten bemalten Tischplatten. All diese eint eine ausgesprochen große Empfindlichkeit der Oberflächen, was ihre Nutzbarkeit stark einschränkt und Fragen zu ihrer Funktion aufwirft.
Trotz der Allgegenwärtigkeit von Tischen im historischen wie zeitgenössischen Haushalt wurden sie in der Forschung bislang wenig beachtet und nur vereinzelt in Bestandskatalogen vorgestellt, während die darauf zelebrierte Tischkultur in jüngster Zeit wiederholt im Fokus von Tagungen und Ausstellungen lag. [1] Jens Kremb setzt mit seiner Bonner Dissertation einen Fuß in diese große Lücke, indem er die heterogene Gruppe der spätmittelalterlichen bemalten Tischplatten in einer anregenden Monografie vorstellt. Der Autor zählt 23 bemalte Tischplatten von zum Teil namhaften Künstlern aus dem Zeitraum zwischen 1330 und 1550 auf, von denen neun allerdings lediglich durch schriftliche Überlieferung bekannt sind. Darum fanden 14 bemalte Platten Eingang in seinen Hauptkatalog, fünf weitere werden im Kapitel "Sonderfälle" am Ende des Buchs vorgestellt.
Auf den etwa zwei Drittel des Buchs umfassenden Katalogteil folgen vier Kapitel, in denen sich der Autor aus unterschiedlichen Blickwinkeln den Tischen und ihren bemalten Platten nähert. Dass er sich hier großenteils auf Überblicksliteratur stützt, ist nicht etwa als Versäumnis Krembs, sondern als Folge eines erheblichen Forschungsdesiderats in dieser Möbelgattung anzusehen. Während er im fünften Kapitel die Ikonografie der Tischplatten schlüssig in den zeitlichen Kontext einzuordnen weiß (167-180), stehen die anderen drei Kapitel weitgehend bezuglos neben den im Katalog beschriebenen Tafeln. In den Abschnitten zur Tradition der bildlichen Gestaltung (143-152), zu den gängigen Typen (154-158) und zum Bedeutungswandel des Tischs im Spätmittelalter (158-160) hat der Autor eine beeindruckende Anzahl bildlich gestalteter Tischblätter aus der Spätantike sowie dem Früh- und Hochmittelalter zusammengetragen. Er gibt einen reichen Überblick zu den spätmittelalterlichen Typen und Einblicke in die Entwicklung der damaligen Tischkultur.
Auch ohne den erweiternden Blick in die Frühe Neuzeit wird schnell deutlich, dass die bildliche Gestaltung von Tischplatten keine vorrübergehende Mode war, wie von Dresken-Weiland (1991) für die Spätantike sowie von Kinkel (1876) und Kohlhaussen (1936/39) für das ausgehende Mittelalter postuliert.
Krembs Einschätzung, dass "die Tische mit bemalten Tischplatten im Grunde keine Besonderheit darstellen" (158), ist in Bezug auf ihre Funktion problematisch. Wären die Tische mit ihrer extrem kontakt- und staubempfindlichen Tempera- bzw. Ölmalerei tatsächlich regelmäßig benutzt worden, dürften die Schäden an der Malerei erheblich größer sein, als sie sind. Und auch bei der Annahme, dass es sich um reine Repräsentationsstücke gehandelt hat, stellt sich die Frage, ob die Tische mit Ausnahme der Klapptische, deren Malschicht durch einfaches Zuklappen geschützt werden konnte, immer offen standen oder zum Schutz der Malerei abgedeckt wurden. Nimmt man jedoch besondere Maßnahmen zum Erhalt der Malereien seitens der Erstbesitzer an, würde allein dadurch die besondere Stellung der bemalten Tischplatten im Haushalt und eine Abgrenzung zu bloßen "Nutz"-Tischen deutlich.
Dem Kapitel zur Stellung der Tische innerhalb profaner Raumausstattungen mangelt es leider an Überlegungen, die den theoretisch geführten Diskurs mit den erhaltenen Objekten verbindet. Zwar betont Kremb zu Recht, dass "ein Rückschluss von der Ikonographie auf die Funktion eine gewisse Gefahr der Fehlinterpretation bergen kann" (188). Doch sind die unterschiedlich komplexen Bildprogramme hinsichtlich der Wahl wiederkehrender (z.B. Weiberlisten, Affen rauben einen Krämer aus) oder ausgesprochen individueller Themen (z.B. Ursula-Legende) Indikatoren dafür, wer als Rezipient in Frage kam, und damit auch, in welchen Bereichen des Haushalts die Tische zu suchen sind.
Aufgrund der eigentlich klaren Zweiteilung des Buchs in einen "Katalog" (26-142) und Themenkapitel (143-190) ist die Entscheidung des Autors, die "Sonderfälle" (191-207) ans Ende des Buches zu setzen, nicht verständlich: Zwar datieren drei der fünf hier untersuchten Tafeln nach dem zeitlichen Rahmen der Arbeit. Und es leuchtet auch ein, dass der Kalendertisch aus Stift Quakenbrück dort seinen Platz findet, da er als einziger der behandelten Werke keine narrative Gestaltung besitzt. Doch kann Kremb die Argumente von Daniel Hess, der die Altdorferplatte als Tafelbild erkannte und ihr die Funktion als Tischplatte absprach [2], überzeugend entkräften (194-197), sodass es keinen Anlass gibt, das Schlachtenbild nicht wieder in den Kreis der bemalten Tischplatten aufzunehmen. Ein anderes Tischblatt aus dem Germanischen Nationalmuseum hätte sich aufgrund seines Programms gut in den von Kremb beschriebenen Bestand eingefügt: Die Szenen auf der um 1500 entstandenen Platte aus Solnhofer Kalkstein (Inv.Nr. HG22) sind zwar nicht gemalt, sondern in den Stein geritzt und von einer ehemaligen Farbfassung ist nichts bekannt. Doch böten die gezeigten Weiberlisten eine passende ikonografische Ergänzung zur Tischplatte von Hans Sebald Beham mit Darstellungen von David und Bathseba aus dem Besitz Kardinal Albrechts von Brandenburg (133-134).
Die Stärke des Buchs liegt eindeutig in der gründlichen Betrachtung der einzelnen Tischplatten und den damit verbundenen neuen Erkenntnissen. Diese betreffen etwa die Neudatierung der Tafel für den "edeln Maxlrainer" ins ausgehende 18. Jahrhundert (202-207), die überzeugende Auseinandersetzung mit der Altdorfertafel, die nun wieder zu den bemalten Tischplatten gezählt werden muss, oder die Verortung der Schwäbischen Platte in den Ulmer Kunstkreis, wenngleich die knappe Diskussion zum Auftraggeber Raum für weitere Überlegungen lässt (53-55). Trotz ausführlicher Beschreibungen fehlen leider oftmals detaillierte Ausführungen zu Konstruktion und Technik sowie teilweise des Zustands, was sicher in manchem Fall Rückschlüsse auf Gebrauch und Funktion zugelassen hätte, wie Kremb etwa bei der in Straßburg verwahrten Tafel plausibel darstellen konnte (77). Ein gravierender, den insgesamt positiven Gesamteindruck des Buchs aber nicht trübender Fehler darf nicht unerwähnt bleiben: Der in der Literatur als Kriegsverlust geltende Tisch der Anna von Kronberg wurde bis 2018 im Museum auf der böhmischen Burg in Horšovský Týn (ehem. Bischofteinitz) verwahrt und befindet sich nun im Museum des Klosters Plasy (Inv.Nr. PY01971). [3] Entgegen der auch von Kremb wiedergegebenen Annahme, er sei mit anderen Gegenständen der Metternich'schen Sammlung auf Burg Johannisberg im Rheingau 1945 verbrannt (135), wurden nach dem Brand unversehrte Kunstschätze auf die böhmischen Güter der Familie gebracht. [4] Nach Kriegsende wurde deutscher (Adels-)Besitz enteignet, und die Tafel gelangte ins Museum.
Jens Kremb hat in seiner Dissertation eine künstlerisch ausgesprochen heterogene Objektgruppe größtenteils überzeugend in ihren malerischen wie kulturhistorischen Kontext eingeordnet. Wichtige neue Ergebnisse erbrachten seine Untersuchungen an den einzelnen Tafeln im ersten Teil. Die zahlreichen, teilweise kontrovers zu diskutierenden Überlegungen zur Bedeutung des Tischs im Spätmittelalter und zu seinem Verhältnis zur Raumkunst geben wichtige Impulse für die zukünftige Erforschung dieser bislang unterschätzten Möbelgattung. Dabei ist der Frage nach dem alltäglichen Gebrauch und der repräsentativen Funktion von Möbeln mindestens so viel Bedeutung beizumessen wie der Stilfrage.
Anmerkungen:
[1] So etwa Christine Sauer (Hg.): Festlich tafeln in Nürnberg. Tischkultur und Kochkunst, Ausst. Kat. Stadtbibliothek Nürnberg, Nürnberg 2018; Leen Beyers / Ilja Van Damme (Red.): Antwerpen à la carte. Eten en de stad, van de middeleeuwen tot vandaag, Ausst. Kat. Museum aan de Stroom, Antwerpen 2016; Agnes Zelck: Bei Tisch. Essen und Trinken in der frühen Neuzeit, Ausst. Kat. Museen Burg Altena / Deutsches Drahtmuseum Altena, Düsseldorf 2016; Marcia Reed: The Edible Monument. The Art of Food for Festivals, Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung, Los Angeles 2015; Sabine Haag / Thomas Kuster (Hgg.): Fürstlich Tafeln, Ausst. Kat. Schloss Ambras Innsbruck, Wien 2015; Sandra Abderhalden (Hg.): Schöne Kunst und reiche Tafel. Über die Bilder der Speisen in Literatur und Kunst, Bern u.a. 2015.
[2] Daniel Hess: Altdorfers Weg zur Alexanderschlacht. Eine Neubewertung seiner "Tischplatte" im Germanischen Nationalmuseum, in: Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums (2005), 77-96.
[3] Freundliche Auskunft von Radim Žáček, Státní hrad a zámek Horšovský Týn.
[4] Herbert Bäcker: Der "Cronberger Disch". Ein wiederentdecktes Familienbild der Herren von Kronberg, in: Rad und Sparren. Zeitschrift des Historischen Vereins Rhein-Main-Taunus e.V. 42 (2012), 1-12.
Almuth Klein