Nataliia Ivanusa: Frauen im sächsisch-magdeburgischen Recht. Die Rechtspraxis in kleinpolnischen Städten im 16. Jahrhundert (= Studien zur Ostmitteleuropaforschung; 38), Marburg: Herder-Institut 2017, 312 S., ISBN 978-3-87969-412-9, EUR 57,50
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
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Einige Studien haben bereits festgestellt, dass Frauen im späten Mittelalter und in der Frühen Neuzeit eine bessere Rechtsstellung zu kam, als es normative Befunde nahelegen. Allerdings galt dies bisher lediglich für Westeuropa und das Heilige Römische Reich. Nun liegt mit der Gießener Dissertation von Nataliia Ivanusa endlich eine Arbeit vor, die sich mit dem reichen Quellenmaterial des Krakauer Oberhofes beschäftigt. Dieser war für die deutschrechtlich organisierten Städte in Kleinpolen zuständig und urteilte auf Basis des sächsisch-magdeburgischen Rechts.
Die Autorin hat sich im Wesentlichen zwei Hauptaspekten gewidmet: Zum einen untersucht sie die normative Seite (Kapitel 2) und zum anderen die Umsetzung des Rechts (Kapitel 3). Die Arbeit ist gut gegliedert und erlaubt deshalb auch ein Nachschlagen unter bestimmten Gesichtspunkten. Gleichwohl ergeben sich aus dieser Struktur auch Schwierigkeiten, denn bei der breiten Schilderung der Rechtsgrundlagen zu Beginn hätte man doch in den meisten Fällen auch gern gleich gelesen, wie sich diese Vorgaben denn nun in die Praxis umsetzten. Ivanusa beschränkt sich außerdem auf das Bürgertum in den kleinpolnischen Städten, das heißt adlige, geistliche und nicht-christliche Gruppen fallen als Vergleichsgruppe heraus (4). Für die Interpretation derjenigen Ergebnisse, die ins Allgemeine gezogen werden - was die Autorin an vielen Stellen vornimmt - ist das nicht ganz unproblematisch, wenn etwa von "den Frauen" generell gesprochen wird. Zudem ergeben sich aus den Quellen selbst naturgemäß Überschneidungen, wenn etwa eine Adlige mit einem Bürger verheiratet ist (156) oder wenn auf mehreren Seiten die Rede von jüdischen Händlerinnen ist (204-207). Gerade für die deutschrechtlich neugegründeten ostmitteleuropäischen Städte sind die ethnische und sprachliche Pluralität und die daraus folgenden unterschiedliche Quellensprachen ein Kennzeichen: Das zu Beginn des 16. Jahrhunderts noch als Geschäfts- und Kanzleisprachen übliche Deutsch und Latein wurde zunehmend durch das in der mündlichen Kommunikation verwendete Polnisch ersetzt (26).
Die Studie hat den Anspruch, quantitative Methoden und Einzelfalluntersuchungen zu verbinden, und ist dadurch eine Fundgrube für Alltags- und Lebenswelten im 16. Jahrhundert. Ihr reichhaltiges Quellenmaterial, das die Autorin auch aus mehreren Perspektiven beleuchtet, ähnelt dabei im besten Sinne der Analyse von Ego-Dokumenten, besonders der Fall der alleinerziehenden Witwe Felicia Szlothnik aus dem Jahre 1545, deren Testament und Schuldenlisten in drei Tabellen im Anhang aufgeführt sind. Die polnische Originalquelle ist außerdem im Wortlaut transkribiert. Felicia war eine von vielen Frauen in den kleinpol-nischen Städten, die sich selbst versorgten und unternehmerisch tätig waren. Auch in Krakau treffen wir auf das Phänomen, dass Witwen, denen in der Regel de jure der Zugang zu Handwerk und Zünften versagt war, de facto durchaus Geschäfte führten. Die Witwe des in der Studie nur kurz erwähnten Druckers Wietor (Vietor) druckte ihren eigenen Namen auf Titelblätter ihrer Druckerzeugnisse (195). Nicht nur Witwen, sondern auch Ehefrauen konnten die Geschäfte ihrer auf Handelsreisen befindlichen Männer führen; ein bekanntes Beispiel hierfür ist das Nürnberger Ehepaar Magdalena und Balthasar Paumgartner.
Zeitgenössisch hervorragend visualisiert wird das Krakauer Gewerbeleben im berühmten Balthasar-Behem-Kodex vom 1505, auf den Ivanusa auch Bezug nimmt (193f.) und aus dem einige Abbildungen im Anhang der Arbeit abgedruckt sind, allerdings in so miserabler Qualität, dass man die Bildinterpretation nicht nachvollziehen kann. Dies fällt besonders als Gegensatz zu den wunderbaren und farbenprächtigen Originalen auf, die zum Glück online verfügbar sind, man hätte also auf ihren Abdruck - ebenso wie auf denjenigen der vier Karten - verzichten können.
Bei dieser soliden und quellengesättigten Arbeit fallen nur wenige - vermeidbare - kleine Schönheitsfehler auf, wie zum Beispiel die falsche Beschriftung eines Diagramms (257), oder dass bei den Quellenangaben manche Standorte weggelassen wurden - die Bayerische Staatsbibliothek" vermutet sicher jeder in München, aber die "Schlesische Bibliothek"? Einige Sätze haben sich der etwas geschraubten und umständlichen Quellensprache angepasst oder konstatieren Selbstverständlichkeiten wie etwa: "Eine Ehe konnte aus zwei Gründen enden, nämlich infolge einer Scheidung oder nach dem Tod eines der Ehegatten" (57). Bei der ansonsten breiten und sorgfältigen Literaturauswahl kommt die angelsächsische Forschung etwas zu kurz. So zeigen etwa die Arbeiten von Lawrence Stone, der mit seinen case studies ein prominenter Vertreter der Mentalitätsgeschichte war, interessante Beispiele von Einzelfallstudien, die zu generellen Entwicklungen in Beziehung gesetzt werden. Hiermit ließe sich die von Ivanusa postulierte Darstellung der Frauengeschichte als eine stetige Modernisierungs- und Fortschrittsgeschichte stärker differenzieren.
Neben den wichtigen Belegen, dass auch in den kleinpolnischen Städten das Recht weniger als gesetztes Recht, sondern eher als Gewohnheit angewandt und an lokale Verhältnisse (218) angepasst wurde, ist ein quantitatives Ergebnis der Arbeit, dass die Zahl der Frauen, die vor Gericht erscheinen, im Untersuchungszeitraum von etwa einem Viertel auf die Hälfte zunimmt. Dies wäre mehr, als Untersuchungen zum westlichen Reich gezeigt haben (115), und lässt sich dadurch erklären, dass die Zahlen aus Kleinpolen eben nur Bürgerinnen, nicht die Vertreterinnen aller Stände wie in den Gerichtsprozessen des Heiligen Römischen Reiches erfassen. Ob im Laufe dieser Jahrzehnte besonders der kleinpolnische Gerichtsraum "geschlechtsneutraler und frauenfreundlicher" wurde, wie die Autorin behauptet (116), muss in dieser Allgemeinheit stark bezweifelt werden; ebenso wie die in diesem Zusammenhang nicht weiter aus den Gerichtsquellen belegte Aussage: "Diese steigende Aktivität hing wohl mit der Diversifizierung des Frauenbildes seit der Reformationszeit [...] zusammen, als humanistische Ideen ihre Verbreitung in Kleinpolen fanden" (115f.). Das vorgegebene Frauenbild und die gesellschaftliche und moralische Verhaltensnorm (fromm, gut und sittsam) parallelisiert Ivanusa an anderer Stelle recht eindeutig mit den idealisierenden Bildern einer "guten" Jungfrau nach einem Text von 1530 und in Bezug zur deutschsprachigen Spiegelliteratur wie dem Witwenspiegel von 1613 (134). Seit Heide Wunders Konzept des "Arbeitspaars" in der Frühen Neuzeit wissen wir, dass sich die Geschichte der Frauen seit dem Mittelalter nicht geradlinig entwickelt, sondern vermutlich räumlich und zeitlich differenziert werden muss. Die zu besprechende Arbeit ist dennoch sicher ein Meilenstein für die Geschichte des Alltagslebens von Frauen in der Umbruchszeit des 16. Jahrhunderts sowie für die Geschichte der praktischen Anwendung von Recht.
Anmerkung:
[1] Heide Wunder: "Er ist die Sonn', sie ist der Mond". Frauen in der Frühen Neuzeit, München 1992.
Karen Lambrecht