Caroline Norma: The Japanese Comfort Women and Sexual Slavery During the China and Pacific Wars (= War, Culture and Society), London: Bloomsbury 2016, XI + 247 S., ISBN 978-1-4725-1247-5, GBP 70,00
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Caroline Norma legt eine Studie vor, die das seit den 1990er Jahren wissenschaftlich und öffentlich debattierte Problem der "Trostfrauen" von einem neuen Standpunkt aus untersuchen will. In der öffentlichen Wahrnehmung sowohl in Ostasien als auch im Rest der Welt (wobei die Vereinten Nationen ebenso eine Rolle spielen wie eine stattliche Anzahl von nationalen Parlamenten und Stadtverwaltungen westlicher Staaten) hat sich die Debatte dank der nicht nachlassenden Aktivitäten südkoreanischer Aktivistinnen und ihrer Unterstützergruppen im westlichen Ausland mittlerweile weitgehend auf die Frage der sexuellen Versklavung koreanischer Frauen durch das japanische Militär während des Zweiten Weltkriegs verengt. Diese Engführung geht jedoch, wie Norma überzeugend darlegt, zu Lasten der anderen Opfergruppen, die im Falle chinesischer Frauen zahlenmäßig die Gruppe der Koreanerinnen sogar noch übertreffen könnten (freilich sind genaue Zahlen nicht ermittelt worden und vermutlich auch nie mehr ermittelbar) und die in früheren Phasen der Debatte mehr Aufmerksamkeit besaßen (wie etwa die im heutigen Indonesien zur Prostitution gezwungenen Niederländerinnen). Doch auch um diese Gruppen geht es Norma nicht. Vielmehr beschäftigt sie sich mit jener Gruppe, die zwar einerseits die ersten Opfer stellte, aber andererseits im bisherigen Diskurs nahezu völlig unberücksichtigt blieb: mit japanischen Frauen. Während das Schicksal der Niederländerinnen sehr rasch in einem Kriegsverbrecherprozess aufgearbeitet wurde, die Stimmen der Koreanerinnen seit den 1990er Jahren vielfach dokumentiert wurden und etliche überlebende nichtjapanische Opfer entweder von japanischer Seite oder von ihren Herkunftsländern eine wie auch immer geartete materielle Entschädigung (und, sofern sie es annehmen wollten, auch ein Schuldbekenntnis von japanischer Seite) erhielten, wurden die betroffenen japanischen Frauen nicht berücksichtigt. Auch die Berichte der UN-Menschenrechtskommission, die hohe Wellen schlugen, erwähnten sie mit keinem Wort. Als im Jahr 2000 die Kommunistische Partei Japans einen (nie verabschiedeten) Gesetzentwurf ins Parlament einbrachte, welcher eine Entschädigung der "Trostfrauen" regeln sollte, fehlten die japanischen Frauen auch hier.
Norma hält diese Auslassung für einen fundamentalen Fehler. Denn sie vertritt die These, dass die militärischen "Trostfrauen" eine Konsequenz aus dem zivilen, seit dem Ende des 19. Jahrhunderts in Japan und seinen Kolonien etablierten System ziviler Prostitution, der Sex-Industrie, waren. Sie vertritt im Sinne des feministischen Abolitionismus die Auffassung, dass letztlich jede Form von Prostitution zu sexueller Sklaverei führt. Die "Trostfrauen"-Frage ist demnach weit mehr als ein Kapitel der Kriegsgeschichte und lässt sich mit dem Stichwort "Vergangenheitsbewältigung" nicht abtun. Denn nach dem Zweiten Weltkrieg hat das Grundproblem sich nicht erledigt. Noch heute arbeiten etwa geschätzt 50.000 Koreanerinnen in Japans Sex-Industrie (24). Sex-Arbeit ist für Norma Sklaverei, wobei sie sich auf eine Definition von Kelly Askin beruft, die (unter Verweis auf die "Trostfrauen") 2001 festgestellt hat: "Der Begriff 'Sklaverei' ist zutreffend angewendet, wenn die Opfer effektiv die gesamte oder teilweise Verfügungsgewalt über ihre eigenen Körper verlieren und als persönliches Eigentum der Täter oder anderer schuldiger Parteien behandelt werden." (Zit. 11) Deshalb betrachtet Norma "Prostitution in Friedenszeiten als ein System 'ziviler sexueller Sklaverei'" (13) und als Menschenrechtsverletzung (18). Mit dieser Argumentation unterläuft Norma die apologetischen Versuche (insbesondere, aber nicht nur) japanischer Historiker, die argumentieren, die meisten "Trostfrauen" seien tatsächlich professionelle Prostituierte gewesen und deshalb nicht zur Sex-Arbeit gezwungen gewesen.
Normas Untersuchung beruht auf der Auswertung von Sekundärliteratur; sie liest sich wie ein langer, wohl durchdachter Literaturbericht. Norma nähert sich ihrem Gegenstand dabei in sechs Kapiteln.
Das erste behandelt die innerjapanischen Diskurse über japanische "Trostfrauen". Sie gelten als besser behandelt und vor allem als professionelle Prostituierte, denen verhältnismäßig wenig Unrecht und Schaden angetan wurde und die (implizit) ihr Schicksal selbst gewählt hatten. Selbst die Frauenrechtsbewegung der 1970er Jahre und die damaligen japanischen Medien, aber insbesondere die nationalistischen Publizisten sahen dies so; im Gegensatz zu den koreanischen Opfern, die als "Jungfrauen" beschrieben wurden, wurden die japanischen Frauen als mit Geschlechtskrankheiten verdorbene Professionelle abgetan; auch für linke Darstellungen überwiegt das Verständnis für die sexuellen Bedürfnisse der Männer (Soldaten) gegenüber der sexuellen Ausbeutung aller Frauen (einschließlich der Prostituierten). Auch in der internationalen Forschung sieht Norma die Tendenz, die Opfer zu kategorisieren und das Schicksal der Japanerinnen für jedenfalls erträglicher und privilegierter als das der übrigen zu betrachten. Es werde sogar insinuiert, dass die japanischen Frauen an der Versklavung nichtjapanischer Frauen gleichsam schuld seien. Norma nennt dies im Anschluss an Andrea Dworkin "Sündenbock-Macherei" (scapegoating). Kritik daran ist bereits früher erhoben worden, so von der einflussreichen Soziologin Ueno Chizuko, und sie wird von der jüngsten Generation japanischer Forscherinnen expliziert. Sie fordern (und Norma mit ihnen), das System der Prostitution insgesamt als sexuelle Sklaverei zu verstehen und damit endlich allen ihren Opfern gerecht zu werden.
Das zweite Kapitel stellt das positive Bild in Frage, das die bisherige Forschung von der Lage japanischer Frauen während der 1920er Jahre zeichnet. In der Figur der "Neuen Frau", die als emanzipiert und libertär dargestellt wird, sei weibliche, "befreite" Sexualität als Mittel zum Widerstand gegen autoritäre Tendenzen in Staat und Gesellschaft glorifiziert worden. Dadurch habe die traditionelle Sex-Industrie einen neuen Charakter gewonnen. Zweifellos blühte die Sex-Industrie in dieser Zeit auf, entwickelten sich Bordelle (einschließlich den neuen Kaffeehäusern und Bars) zu treuen Steuerzahlern und zu einem Bestandteil des "kommerziellen Mainstreams" (64). Doch Norma stellt in Abrede, dass sich die Lage der Frauen, die hierin verwickelt waren, signifikant verbessert habe. Mädchen- und Frauenhandel war weitverbreitet, insbesondere in den wirtschaftlich unterentwickelten Teilen des Landes. Die Opfer (die meisten von ihnen minderjährig) wurden in langjährige Schuldknechtschaft gepresst. Viele von ihnen wurden später in die militärische Prostitution integriert. Armut, Patriarchalismus und die Legalisierung der Prostitution durch den Staat bildeten die Grundpfeiler für diesen Menschenhandel. Die überlieferten Selbstzeugnisse der Frauen verdeutlichen, dass sie in vielfacher Hinsicht Opfer von Gewalt wurden.
Als nächstes untersucht Norma die Militarisierung der zivilen Prostitution in den 1930er Jahren, als Japan in China und später im gesamten westpazifischen Raum Krieg führte. Das militärische System der Zwangsprostitution, so ihre Annahme, baute nahtlos auf dem zivilen auf. Dies verwundert nicht, da die Gesellschaft insgesamt immer stärker militarisiert wurde. Japanische Städte konkurrierten geradezu danach, militärische Standorte zu werden, was unweigerlich auch den Ausbau der örtlichen Prostitution mit sich führte. Was japanische Soldaten im Militärdienst erlebten, unterschied sich schließlich nicht grundlegend von ihrem zivilen Alltag. Die Soldaten waren demnach bereits für die sexuelle Gewalt, die sie den "Trostfrauen" antaten, konditioniert. Eine wichtige Rolle hierbei spielte die pornografische Industrie; durch sie lernten junge Männer sexuelle Verhaltensmuster kennen. Das Militär sah es als wichtigen Teil seiner Menschenführung an, den Soldaten Gelegenheit zum "Trost" (jap. ian) zu verschaffen, was der Ursprung des Euphemismus "Trostfrauen" ist.
Im vierten Kapitel behandelt Norma die "militärische Demokratisierung" der Prostitution. Darunter versteht sie einerseits, dass die zahlenmäßig bereits beachtliche Wanderprostitution und andere Formen von Zwangsarbeit japanischer Frauen vor dem Zweiten Weltkrieg während der Kriegsjahre durch noch erheblich größere Mengen an nichtjapanischen Frauen erweitert wurden; andererseits, dass auf Betreiben und im Interesse der männlichen Eliten Prostitution (die in Friedenszeiten vorwiegend ihren Bedürfnissen diente) und andere Formen sexueller Gewalt unter allen Männern als normales Verhalten etabliert wurden. Um den Anschein der Normalität zu erreichen, wurden nichtjapanische Frauen (da die Zahl der verfügbaren Japanerinnen nicht ausreichte) als japanische maskiert. "Die Sex-Industrie im Heimatland war Blaupause und Standard, welche die Prostitutionsaktivitäten japanischer Männer im Ausland leitete" (109). Das Militär machte sie einer größeren Zahl japanischer Männer zugänglich, als in Friedenszeiten je möglich war. Zugleich prägte es damit die Muster sexueller Gewalt in den Ländern, in welchen es operierte. Für die rangniederen Soldaten (welche oftmals ohne sexuelle Erfahrung in den Krieg zogen) stellte das Verhalten ihrer Vorgesetzten ein wichtiges Verhaltensmodell dar (124).
Das fünfte Kapitel beschäftigt sich mit den Strukturen des Frauenhandels. Was Norma hier vorträgt, enthält argumentativen Sprengstoff. Besondere Beachtung hat im bisherigen Diskurs der Handel mit koreanischen Frauen gefunden; die japanische Präferenz für Koreanerinnen wurde bislang mit Rassismus oder Kolonialismus erklärt, der sich berechnend an koreanischen Jungfrauen vergriffen habe (um die japanischen Frauen zu schonen oder um die koreanischen Männer zu demütigen). Norma bezweifelt dies; sie hält zahlenmäßig nämlich insbesondere koreanische Prostituierte für Opfer des Systems und führt dies darauf zurück, dass während der Kolonialzeit in Korea eine Prostitutionsindustrie nach japanischem Vorbild aufgebaut worden war (überwiegend von japanischen Männern), die in der Kriegszeit umstandslos zum Lieferanten der Militärprostitution werden konnte. Dies widerspricht dem in Korea offiziell gepflegten Bild, wonach die koreanischen Opfer überwiegend entführt und geraubt, aber nicht aus den Reihen der bereits Prostituierten rekrutiert wurden. Auch die japanischen Nationalisten schreiben die Verantwortung hierfür koreanischen Zuhältern zu, welche auf eigene Faust der japanischen Armee Frauen zugeführt hätten. Falsch, schreibt Norma: Ein Großteil der "Trostfrauen" aus Korea (und wahrscheinlich auch der anderen japanischen Kolonie Taiwan) waren tatsächlich zuvor zivile Prostituierte. "Ihre Erfahrung sexuelle Sklaverei wurde von der Entwicklung der kolonialen Sex-Industrie entscheidend bestimmt." (138) Die Tatsache, dass in dieser Industrie auch Koreaner aktiv waren (und dass die Prostitution in Südkorea noch heute auf diesen Strukturen beruht), ändert nichts an der japanischen Gesamtverantwortung für das System. Die Kolonialverwaltung legalisierte diese Sex-Industrie 1916 zunächst für japanische Siedlungen und 1919 fürs ganze Land (140). Und auch hier waren die ersten Opfer japanische Frauen aus den ärmsten Region des Mutterlandes. Je mehr japanische Soldaten jedoch in Korea stationiert waren und je mehr japanische Männer als Touristen und Geschäftsleute hierher kamen, desto stärker stieg die Zahl auch der koreanischen Prostituierten an. Zudem wurde das einheimische Prostitutionswesen in das neue japanische Modell integriert. Zudem wurden koreanische Frauen von Anfang an nach Japan und auch nach Taiwan geholt, um dort als Fabrikarbeiterinnen oder in der Unterhaltungs- und Sex-Industrie zu arbeiten.
Im letzten Kapitel ihres Hauptteils behandelt Norma die Versklavung von Frauen aus Okinawa in der Endphase des Zweiten Weltkrieges, die in der Forschung nach ihrer Auffassung bislang weitgehend ignoriert oder falsch interpretiert wurde. Tatsächlich wurden hier neben Koreanerinnen lokale Frauen und Japanerinnen (darunter zahlreiche Prostituierte) von Soldaten in Militärbordelle gepresst; es wurden sogar zivile Wohnhäuser als Bordelle requiriert. Als Okinawa zum Kriegsschauplatz wurde, wurden diese Frauen an die Front verbracht und mussten dort mit den Soldaten zusammenleben. Auch hier war das Zusammenspiel von Militär und ziviler Sex-Industrie essentiell.
Im Schlusskapitel betont Norma, dass die sexuelle Sklaverei in Japan nicht mit dem Krieg endete. Prostitution ist bis heute unter japanischen Männern verhältnismäßig (im Vergleich zu anderen Industrienationen) weit verbreitet. Fast jeder zweite japanische Mann hat in seinem Leben daran teilgehabt. In der Gegenwart erlauben Internet und Soziale Medien einen noch leichteren Zugriff auf Pornografie und Prostitution einschließlich Kinderprostitution. Die Opfer sind häufig Schülerinnen. Sexuelle Gewalt gegen Frauen wird "zunehmend normalisiert" (172). Die Politik sei hierbei stillschweigender Komplize. Unvermittelt schreibt Norma jedoch: "Dies bedeutet nicht, dass ich irgendeine direkte historische Linie zwischen der Prostitution des militärischen Systems in der Kriegszeit und der Sex-Industrie des gegenwärtigen Japans ziehe ... Tatsächlich sehe ich keine Notwendigkeit, solch ein historisches Muster über den Verlauf der modernen japanischen Geschichte zu beweisen" (174).
Dieses Fazit überrascht dann doch. Man kann die Geschichte der "Trostfrauen" mit Norma durchaus als Teilaspekt der Geschichte sexueller Gewalt in Japan erzählen und dadurch der Engführung durch nationalistische Diskurse, die sie für ihre eigenen Zwecke zurechtgebogen haben, entgehen. Für Normas Argumentation habe ich große Sympathie, weil es ihr gelingt, Selbsttäuschungen zu entlarven und die Muster der "Sündenbock-Macherei" zu identifizieren. Dann aber vor dem Transfer in die Gegenwart zurückzuschrecken, ist wenig mutig. Vielleicht fehlten der Verfasserin hier aber auch Raum und Zeit, um die Linien der Kontinuität, die sie nicht sehen will, doch noch zu finden und darzustellen.
An einer wichtigen Stelle ihres Buches unterliegt Norma übrigens einem signifikanten Irrtum. Sie behauptet nämlich, es gebe in Japan "keine Gedenkstätten oder Gedenkrituale zu Ehren japanischer Überlebender" (5). Das ist falsch. Im Gegenteil ist der weltweit erste Gedächtnisort für die "Militär-Trostfrauen" (so die Inschrift des Gedenksteins) 1985 in Tateyama errichtet worden, ganz in der Nähe der Hauptstadt Tokyo. Denn dort existierte seit der Nachkriegszeit ein Wohnheim für ehemalige japanische Prostituierte, welches von der evangelischen Kirche eingerichtet und betreut wurde. Diese Frauen baten darum, für sie einen Gedenkstein zu errichten, damit ihre Geschichte nicht in Vergessenheit geriet. In der Krypta der Kirche sind Bilder der Frauen ausgestellt, mit ihrem vollen Namen. Die lokalen Historiker pflegen diese Gedenkstätte, die lokalen Schulen schicken ihre Schüler zu Besuchen dorthin. Auch zu koreanischen "Trostfrauen" bestanden seit den 1990er Jahren gute Beziehungen. Freilich ist die Existenz dieser Gedenkstätte in der japanischen Öffentlichkeit so gut wie unbekannt. Dennoch ist es wichtig, davon zu wissen.
Reinhard Zöllner