Maria Teresa Gigliozzi / Mariella Nuzzo (a cura di): Terracina nel Medioevo. La cattedrale e la città. Atti del Convegno internazionale di studi (Terracina, 9-10 febbraio 2018) (= I libri di Viella. Arte), Roma: Viella 2020, 286 S., zahlr. Abb., ISBN 978-88-3313-230-3, EUR 48,00
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Die Kathedrale San Cesareo in Terracina im südlichen Latium ist nicht nur eine der wichtigsten Sehenswürdigkeiten der 45.000-Einwohner-Stadt, sondern auch bau- und kunstgeschichtlich von großem Interesse. Erbaut auf den Resten eines antiken Tempels, wurde das bereits im 6. Jahrhundert erwähnte Kirchengebäude zwischen dem 11. und 13. Jahrhundert grundlegend umgebaut und erweitert. Besondere Aufmerksamkeit erregte seit jeher der außergewöhnliche Mosaikfries auf dem Architrav des Portikus, dessen Bild- und Inschriftenprogramm sich einer eindeutigen Interpretation entzieht. Die Geschichte der Kathedrale und ihre Einbindung in die mittelalterliche Stadt stehen im Zentrum des zu besprechenden Tagungsbandes, der vornehmlich kunst- und architekturgeschichtliche Beiträge enthält. Convegno und Publikation resultieren aus den langjährigen Bemühungen, in losem Verbund und in verschiedenen Etappen Arbeiten und Forschungen aus den Bereichen Kunst- und Architekturgeschichte, Archäologie, Epigraphik, Geschichte und Restauration zusammenzuführen, wie Maria Teresa Gigliozzi und Mariella Nuzzo in ihrer kurzen Einleitung (5-6) darlegen.
Teil dieser Initiative war die Vermessung des gesamten Kirchengebäudes und des Kirchenvorplatzes durch einen terrestrischen 3D-Laserscanner, deren Ergebnisse im Beitrag von Corrado Alvaro, Valeria Danesi und Enrico Pizzoli präsentiert werden (19-33). Flankiert werden diese durch einen Artikel von Pietro Longo zu den Bauphasen des römischen capitolium und der ersten christlichen Überbauung (8-18). Die folgenden vier Beiträge konzentrieren sich dann aus verschiedenen, teils unerwarteten Perspektiven auf die Hauptattraktion der Kathedrale, die Vorhalle mit ihrem Mosaikfries. Maria Teresa Gigliozzi versucht sich an einer Neubewertung der Baugeschichte mittels der Analyse unedierter Zeichnungen des französischen Architekten Charles Percier, die um 1790 gefertigt wurden, und der Materialien zu den Restaurierungsarbeiten, die in den 1920er und 30er Jahren durchgeführt wurden (35-46). Peter Cornelius Claussen vergleicht das Bauwerk mit Cosmaten-Arbeiten in Rom und in Latium und stellt dabei überzeugend das oft beschworene Modell "Zentrum - Peripherie" in Frage (47-53). Carlo Tedeschi widmet sich erneut den vieldiskutierten Inschriften des Mosaik-Frieses (55-61), Davide Angelucci hingegen der wohl im 18. Jahrhundert herabgestürzten linken Seite desselben, die aufgrund eines archivalischen Neufundes, bestehend aus einer Beschreibung und einer Nachzeichnung des Frieses aus dem Jahr 1733, nun rekonstruierbar ist (63-71).
Der Untersuchung des äußeren Baubestandes schließen sich fünf Beiträge zu den architektonischen und dekorativen Merkmalen im Inneren der Kathedrale und zur liturgischen Ausstattung an. Im Mittelpunkt stehen die Überreste karolingischer Skulpturen und der Bodenbelag in opus-sectile-Technik (Fabio Betti, 73-82; Manuela Gianandrea / Ruggero Longo, 83-103), die Wand- und Tafelmalereien des 13. und 14. Jahrhunderts mit neuen Hypothesen zur möglichen Urheberschaft und zum Wirkungskreis von Werkstätten und Stilen zwischen Neapel und Rom (Alessandro Tomei, 113-119; Pierluigi Leone de Castris, 121-128), sowie eine ungewöhnliche, reich mit Schnitzereiarbeiten dekorierte Zypressenholztruhe. Der mutmaßliche Reliquienschrein ist auf das ausgehende 11. oder beginnende 12. Jahrhundert zu datieren und fällt damit in die Zeit, in der Stadt und Kathedrale zunehmend in den Einflussbereich der Abtei Montecassino integriert wurden (Gaetano Curzi, 105-112). Die Rückbindung der kunst- und architekturhistorischen Untersuchungen an die Geschichte der Stadt ist ein roter Faden, der sich durch fast alle Artikel des ersten Teils des Sammelbandes ("I. La cattedrale") zieht und diesen damit eng verzahnt mit dem zweiten großen Teil der Publikation ("II. La città e il territorio").
In diesem stehen zunächst prägende historische Ereignisse und Konstellationen im Mittelpunkt: So untersucht Clemente Ciammaruconi das Verhältnis Terracinas zum Kloster Montecassino und die benediktinische Präsenz in der Stadt in der langen Zeitspanne zwischen dem 6. und dem 12. Jahrhundert (131-139). Maria Teresa Caciorgna konzentriert sich parallel dazu auf das Verhältnis zwischen Stadt und Bischof im 12. und 13. Jahrhundert (141-151). Alle weiteren Beiträge widmen sich geistlichen und weltlichen Baukomplexen innerhalb und außerhalb Terracinas, die in vielen Fällen ebenfalls auf antiken Bauschichten aufbauen: Daniela Esposito und Susanna Passigli untersuchen anhand der architektonischen Überreste und der urkundlichen Überlieferung mittelalterliche Bautechniken und fragen insbesondere nach der Herkunft der verwendeten Rohstoffe (153-170). Christian Barbisan, Giacomo D'Andrea, Pio Francesco Pistilli und Flavia Ricci erleuchten in ihrem gemeinsamen Beitrag anhand von Inschriften und tomographischen Verfahren die Geschichte des Kastells Rocca Traversa, auch Castello Frangipane genannt, das die Stadt überragt (171-186). Antonino Tranchina widmet sich dem sogenannten "Piccolo Tempio", einem Bauwerk aus dem 3. bis 2. Jahrhundert vor Christus, das im Mittelalter durch monastische Gemeinschaften genutzt wurde, und dem mittelalterlichen Bildprogramm der zugehörigen Kirche Sant'Angeletto (187-195). Im Mittelpunkt des umfangreichen Aufsatzes von Davide Angelucci, Giulia Bordi und Rosario Malizia stehen Baugeschichte, Entstehung und Nutzung des Leprosoriums der Kirche S. Maria Maddalena, erbaut auf einer antiken Thermenanlage, und die erhaltenen Fresken der Kirche (197-216). Die urkundlich nur schlecht belegte Annunziata-Kirche (Marco D'Attanasio, 217-223), das auf spätantike Ursprünge zurückgehende Santuario di S. Silvano (Alessandra Acconci, 225-233) und das Santuario della Madonna della Delibera (Mariella Nuzzo, 235-244), alle außerhalb der mittelalterlichen Stadtmauern gelegen, sind ebenfalls mit jeweils einem eigenen Beitrag vertreten.
Eine Zusammenfassung von Nino Zchomelidse (245-249) schließt den Sammelband ab. Er hebt in seiner Synthese die auffallende Kontinuität zwischen antiken Kultorten und mittelalterlichen Bauten in Terracina hervor sowie das in vielen Beiträgen sichtbare Zusammentreffen römischer und süditalienischer Kultureinflüsse im südlichen Latium, das eine Neubewertung individueller und kultureller Mobilität erlaube. Diese Ergebnisse - dies der Eindruck aus der Lektüre der einzelnen Beiträge - resultieren primär aus einer Reihe von Neudatierungen und -interpretationen, die erst durch die in der Einleitung geschilderten Restaurierungs- und Forschungsaktivitäten wie auch durch den Einsatz neuer bildgebender Verfahren möglich wurden.
"Terracina nel Medioevo" besticht - wie viele Viella-Publikationen - durch seine Ausstattung: Alle Beiträge sind reich mit monochromen Abbildungen versehen. Ein mehr als 30 Seiten langer Block mit Farbabbildungen ergänzt die beitragsinterne Bebilderung. Ein bandübergreifendes Quellen- und Literaturverzeichnis, ein Orts- und Personenregister und die Beigabe englischsprachiger Summaries erleichtern die Benutzung. Die aus der Initiative einer interdisziplinär arbeitenden Gruppe von Forschenden entstandene Zusammenführung neuer Interpretationsansätze zu Terracinas bekanntestem Bauwerk, die Vernetzung der kunst- und architekturgeschichtlichen Fragestellungen mit dem historischen und baulichen Umfeld der Kathedrale und die glückliche Wahl der Publikationsreihe machen den Sammelband damit auch für die Geschichtswissenschaften interessant: Insbesondere die Ergebnisse zur Verflechtung neapolitanischer und römischer Einflüsse im südlichen Latium und der einhergehenden Mobilität von Personen und Ideen, zum möglicherweise zu modellhaft gedachten Verhältnis von Zentrum und Peripherie und zur Interaktion der verschiedenen geistlichen und weltlichen Akteure und Institutionen machen den kunstgeschichtlich ausgerichteten Band anschlussfähig auch für historische Forschungen zur Region.
Christina Abel