Rezension über:

Eric Böhme: Die Außenbeziehungen des Königreiches Jerusalem im 12. Jahrhundert. Kontinuität und Wandel im Herrscherwechsel zwischen König Amalrich und Balduin IV. (= Europa im Mittelalter; Bd. 33), Berlin: De Gruyter 2019, XV + 697 S., 6 Abb., ISBN 978-3-11-063860-8, 123,95
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Rezension von:
Wolf Zöller
Historisches Seminar, Ruprecht-Karls-Universität, Heidelberg
Redaktionelle Betreuung:
Étienne Doublier
Empfohlene Zitierweise:
Wolf Zöller: Rezension von: Eric Böhme: Die Außenbeziehungen des Königreiches Jerusalem im 12. Jahrhundert. Kontinuität und Wandel im Herrscherwechsel zwischen König Amalrich und Balduin IV., Berlin: De Gruyter 2019, in: sehepunkte 22 (2022), Nr. 3 [15.03.2022], URL: https://www.sehepunkte.de
/2022/03/35639.html


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Eric Böhme: Die Außenbeziehungen des Königreiches Jerusalem im 12. Jahrhundert

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Unter der Rubrik Kreuzzugsforschung lassen sich in eher losem Zusammenhalt verschiedene Themengebiete und Zugangsweisen subsumieren, darunter auch jener Bereich, der sich vielleicht am ehesten als Landesgeschichte der von den Lateinern gegründeten Territorien im östlichen Mittelmeerraum begreifen lässt. Zu diesem, gerade in der deutschsprachigen akademischen Landschaft weitaus weniger gut beackerten Feld leistet Eric Böhme mit seiner bei Wolfgang Huschner in Leipzig entstandenen Doktorarbeit zu den Außenbeziehungen des Königreichs Jerusalem im 12. Jahrhundert einen willkommenen Beitrag. Dieser profitiert von einer fundierten Auseinandersetzung mit der Sekundärliteratur und den Sprachkenntnissen des Autors, die ihn zu einer konsequenten Einbeziehung arabisch-muslimischer Quellen befähigen. Jüngeren Diskursen um Internationalität und transkulturell-globale Verflechtungen im Mittelalter scheint die Arbeit - trotz anderslautender Beteuerungen - hingegen eher nominell verpflichtet. Denn die Perspektivierung der Kreuzfahrerherrschaften im Kontext eines freilich "überaus komplexen und heterogenen" (3), von der Kreuzzugsforschung allerdings nur vermeintlich verkannten euromediterranen Machtgefüges greift hierfür methodisch zu kurz.

Das Werk ist transparent, ja linear strukturiert: nach einer recht knappen Klärung konzeptioneller Fragen und Prämissen (1-9), zweier Überblicke zu Quellenlage (10-21) und Forschungsstand (22-27) sowie einer im Wesentlichen verfassungs- und ereignisgeschichtlichen Standortbestimmung zum jerusalemitanischen Königtum in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts werden in vier Hauptkapiteln auf über 600 Seiten die Beziehungen des Reiches sowohl zu benachbarten als auch weiter entfernten Herrschaftskomplexen minutiös und umsichtig durchdrungen, dabei aber meist klassisch die dem außenpolitischen Agieren zugrundeliegenden "Maßnahmen und Entscheidungen" (3) beurteilt.

Dies geschieht nach gründlicher Reflexion herrschaftlicher Aushandlungsprozesse und monarchischer Handlungsspielräume (28-38) vornehmlich aus der Perspektive der Könige (und der Großen in ihrer Umgebung), speziell aus derjenigen Amalrichs I. (1163-1174) und Balduins IV. (1174-1185), deren Regierungszeiten unter Verweis auf die Methode der historischen Komparatistik (2) synchron wie diachron miteinander verglichen werden sollen, und zwar - wie im Untertitel angedeutet - unter besonderer Berücksichtigung der Faktoren Kontinuität und Wandel. Damit begibt sich der Verfasser, wie er selbst einräumt, keineswegs in unbekanntes Fahrwasser. Gerade die 1160er- und 1170er-Jahre zählen mit den durch Konnubien verfestigten Annäherungen zwischen Jerusalem und Konstantinopel und mit dem militärischen Kampf um die Vorherrschaft in Ägypten zu den Hochzeiten eines jerusalemitanischen Aktivwerdens auf außenpolitischem Terrain. Einschlägige Monographien zu den Kontakten und Kommunikationskanälen in den lateinischen Westen [1], zum Verhältnis zu Byzanz [2] und den muslimischen Anreinern [3], vor allem auch zur prekären Herrschaft des leprosen Königs Balduin IV. [4] liegen allesamt seit längerer Zeit vor und haben als Messlatte zu dienen.

Den Außenbeziehungen, definiert als "Interaktionsmöglichkeiten zwischen [...] Herrschaftsgebilden" (6), nähert sich die Untersuchung analytisch dadurch, dass sie der Anwendung eines Instrumentariums an Praktiken nachspürt, das die Pflege sozialer Bindungen ebenso inkludiert wie die Einfindung in institutionell-administrative Strukturen oder die Entwicklung von Herrschaftsstrategien. Die Protagonisten sehen sich in dieser Konzeptionierung mit vielfältigen Herausforderungen konfrontiert, der Leser mit einer in traditionellen Bahnen verlaufenden, streckenweise allzu deskriptiven Erörterung eines Standardrepertoires an eingeübten Verhaltensmustern und mehr oder weniger raffinierten Mechanismen mittelalterlicher Königsherrschaft. Die Operation mit solchen Kategorien wie Geschick oder Vermögen wirkt dabei ein wenig aus der Zeit gefallen, die Bewertung von Problemlösungen als "besser oder schlechter" (4), "falsch" (401 und öfter) und "kriegslüstern" (588) bisweilen etwas deplatziert.

Der geplante Vergleich zweier aufeinanderfolgender Regentschaften und ihrer außenpolitischen Maxime trägt nicht in allen Belangen Früchte. Im Unterkapitel zu den Beziehungen zum Papsttum (400-442) übernehmen die römischen Bischöfe merklich die Initiative, so dass die Konturen eines von jerusalemitanischen Akteuren gestalteten Programms transmediterraner Beziehungen schwer auszumachen sind. Auch ist anhand der Quellen häufig nicht zu eruieren, wie die Entscheidungsfindungen im Vorlauf einer Gesandtschaft vonstatten - oder auf wessen Ansinnen diplomatische Offerten zurückgingen - jenseits anzunehmender Absprachen und Debatten in der haute cour.

Zu Beginn des Fazits wird als wichtigstes Ergebnis der Studie die Erkenntnis verbucht, "dass die Außenbeziehungen des Königreichs Jerusalem [...] zwischen 1163 und 1185 vielfältige Wandlungsprozesse durchliefen" (581), wenig später mit quasi identischem Wortlaut noch einmal darauf hingewiesen, "dass die Außenbeziehungen des Königreichs Jerusalem [...] 1163-1185 vielfältige und vielschichtige Wandlungsprozesse durchliefen". (600) Ein noch stärkerer Eindruck von Redundanz drängt sich auf, wenn zum Abschluss des Buches auf einer einzigen Seite (601) in sich wiederholenden Formulierungen zunächst resümiert wird, dass die politischen Führungen im Umfeld Amalrichs I. und Balduins IV. "in Anpassung an die politischen Entwicklungen in Europa, im östlichen Mittelmeerraum und im Nahen Osten" "neue [...] Taktiken und Strategien entwickelten, bisweilen aber auch auf frühere Ideen und Konzepte zurückgriffen und diese weiterentwickelten", woraufhin die Feststellungen folgen, "dass die innen- und außenpolitische Entwicklung der lateinischen Herrschaften in der Levante [...] nicht isoliert betrachtet werden darf, sondern stets im Spannungsfeld der politischen Entwicklungen in Lateineuropa, im östlichen Mittelmeerraum und im Nahen Osten verortet werden muss" und "die Außenpolitik des Königreichs Jerusalem daher stets im konfliktreichen Spannungsfeld zwischen dem lateinischen, dem griechischen und dem arabisch-islamisch geprägten Kulturraum stand". Wer es böse meint, würde hier von Gemeinplätzen reden; der Rezensent unterdessen zeigt sich lediglich irritiert.

Dieser Schwächen ungeachtet, liegt hier eine aktuelle Zusammenschau vor, die sehr viele Dimensionen und Facetten der Einbindung Outremers in die geopolitischen Netzwerke des 12. Jahrhunderts abdeckt. Wer sich für Fragen des überregionalen Austauschs auf höchster gesellschaftlicher und mit Abstrichen auch auf wirtschaftlicher und kirchlicher Ebene interessiert, wird nicht um dieses Kompendium herumkommen.


Anmerkungen:

[1] Jonathan Phillips: Defenders of the Holy Land. Relations between the Latin East and the West, 1119-1187, Oxford 1996.

[2] Ralph-Johannes Lilie: Byzanz und die Kreuzfahrerstaaten. Studien zur Politik des byzantinischen Reiches gegenüber den Staaten der Kreuzfahrer in Syrien und Palästina bis zum 4. Kreuzzug 1096-1204 (Poikila Byzantina; 1), München 1981.

[3] Michael Köhler: Allianzen und Verträge zwischen fränkischen und islamischen Herrschern im Vorderen Orient: eine Studie über das zwischenstaatliche Zusammenleben vom 12. bis ins 13. Jahrhundert (Studien zur Sprache, Geschichte und Kultur des islamischen Orients; N.F. 12), Berlin 1991.

[4] Bernard Hamilton: The Leper King and his Heirs: Baldwin IV and the Crusader Kingdom of Jerusalem, Cambridge 2000.

Wolf Zöller