Klaus Ecker / Franz Michael Grünweis / Andreas Müllner: Projektgruppe Umweltgeschichte: Kulturlandschaftsforschung: Historische Entwicklung von Wechselwirkungen zwischen Gesellschaft und Natur (= Schriftenreihe Forschungsschwerpunkt Kulturlandschaft; Bd. 7), Wien: Bundesministerium für Wissenschaft und Verkehr 2000, CD-ROM: Systemvoraussetzungen: PC 486, Windows 95, Windows NT 4.0, 32 MB RAM, ohne ISBN, kostenlos über: koordination@klf.at
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Horst Johannes Tümmers: Der Rhein. Ein europäischer Fluss und seine Geschichte, 2., überarb. u. akt. Aufl., München: C.H.Beck 1999
Uwe Lübken: Die Natur der Gefahr. Überschwemmungen am Ohio River im 19. und 20. Jahrhundert, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2014
Christian Zumbrägel: "Viele Wenige machen ein Viel". Eine Technik- und Umweltgeschichte der Kleinwasserkraft (1880-1930), Paderborn: Ferdinand Schöningh 2018
Jan Ulrich Büttner: Asbest in der Vormoderne. Vom Mythos zur Wissenschaft, Münster: Waxmann 2004
Thomas Knopf (Hg.): Umweltverhalten in Geschichte und Gegenwart. Vergleichende Ansätze, Tübingen: Attempo Verlag 2008
Das Projekt "Historische Entwicklung von Wechselwirkungen zwischen Gesellschaft und Natur" bildet einen Teilaspekt des Forschungsschwerpunktes "Nachhaltige Entwicklung österreichischer Kulturlandschaften"; ihn rief das österreichische Wissenschaftsministerium 1992 im Umfeld des Umweltgipfels von Rio und vor dem Hintergrund der Diskussionen um eine ökologisch nachhaltige Weltwirtschaft ins Leben. Ein Leitgedanke des Forschungsprogramms war es, Wesen und Prinzipien nachhaltiger Entwicklung aus der Geschichte abzuleiten, indem Natur-, Geistes- und Sozialwissenschaftler mit ihren eigenen Methoden in interdisziplinären Projekten gemeinsam forschten. Ihr besonderes Augenmerk galt dabei (1) Indikatoren der Nachhaltigkeit, (2) Grundlagen der Sicherung von Biodiversität und Lebensqualität, (3) Entstehung, Veränderung und Wahrnehmung von Kulturlandschaft, (4) Multifunktionalität und Nutzungskonflikten sowie (5) schließlich regionaler und überregionaler Umsetzung nachhaltiger Entwicklung.
Das Umweltforschungsprogramm umfasste Grundlagenforschung ebenso wie anwendungsorientierte Problemlösungen für ökologische Missstände. Alle Forschungen sollten dazu beitragen, 'Nachhaltigkeit' politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich umzusetzen. Drei fundamentale Ziele standen dabei im Vordergrund: Zunächst sollen von Menschen verursachte Stoffflüsse signifikant reduziert werden, sodann müsse das Verhältnis zwischen Biodiversität und Lebensqualität optimiert werden und schließlich seien die Existenz- und Entwicklungsoptionen in sich wandelnden Landschaften zu fördern.
Der Abschlussbericht des hier vorgestellten Teilprojekts wartet zunächst mit einem Systemmodell auf. Darin wird skizziert, wie die für die Untersuchungseinheit 'Dorf' bedeutsamen Daten erschlossen werden konnten. Mithilfe der Daten wird ein "operationalisierbares Modell" der Kulturlandschaftsentwicklung erarbeitet. Dazu untersuchen Historiker, Landschaftsökologen und historische Demographen die Entwicklung der vom Menschen geprägten Umwelt in den Gebieten Theyern, Voitsau und Großarl/Ellmautal, die sie repräsentativ für die drei österreichischen Großlandschaften Alpen, Alpenvorland sowie Granit- und Gneishochland des Waldviertels auswählten. Die Verfasser informieren in ihren Beiträgen dabei immer wieder über den Forschungsprozess selbst und legen offen, wo Kommunikationsprobleme auftraten, wie Informationsflüsse verliefen und welche Zufälle oder äußeren Zwänge die Arbeit bestimmten. Mustergültig demonstrieren sie diese Offenheit, wenn sie beschreiben, wie aufwändig, zeit- und nervenraubend sich die Auswahl der Untersuchungsorte gestaltete. Hier wird die Erzählung lebendig, sodass der Leser zeitweilig regelrecht mitfiebert.
Nach dem einleitend formulierten Bekenntnis zur Annales-Tradition verwundert es nicht, dass die 'lange Dauer' vom Hochmittelalter bis zur eigentlichen Kernphase, der Entstehungszeit des franziszeischen Katasters um 1820, untersucht wird. In der Praxis ergeben sich jedoch sehr unterschiedliche Analyseschwerpunkte, weil man sich pragmatisch an der jeweils günstigen Überlieferungssituation orientieren musste. Jedem Gebiet ist eine Mikrostudie gewidmet, zu der die drei wissenschaftlichen Disziplinen ihre spezifischen Fragen und Informationen beisteuern: Wie entwickelten sich die Bevölkerungen, welche quantitativen Aussagen lassen sich über die Entwicklung der Landnutzung ermitteln und welche materiellen Hinweise in der heutigen Landschaft gestatten Rückschlüsse auf historische Zustände? Den Großteil nehmen dann Kapitel ein, in denen die Forscher getrennt voneinander Aspekte ihrer Forschungsanteile an den Mikrostudien beschreiben.
Die Historiker prüfen etwa, wie aussagekräftig Rechtsquellen sein können, um Landnutzungen zu rekonstruieren; sie kommen etwa zu dem Ergebnis, dass es die Quellen nicht erlauben, den Arbeitsaufwand für Anlage und Pflege von Wegen, Gräben und Zäunen exakter zu quantifizieren, wohl aber kann man Informationen gewinnen, zu welchen Jahreszeiten die Arbeiten ausgeführt wurden und auch über die Zahl der benötigten Arbeitskräfte. Einzelne Quellenpassagen dokumentieren eindringlich, dass sich im Hochmittelalter soziale Strukturen vor allem herausbildeten, um Landschaften zu kolonisieren. Daneben skizzieren die Historiker, wie sich die Untersuchungsregionen wirtschaftlich und politisch entwickelten, sie vergleichen die Strukturen bäuerlichen Besitzes, zeichnen exemplarisch nach, wie die Kulturlandschaft einer Region im hohen Mittelalter entstand und sich bis zum Beginn der Neuzeit wandelte, und sie prüfen den Aussagewert von Karten für die Umweltgeschichte.
Die Demographen präsentieren Material, das es ihnen nachzuzeichnen gestattet, wie sich die Bevölkerungsverhältnisse (Wachstum, Sterblichkeit, Lebenserwartung) über einen Zeitraum von 150 Jahren bis zur Zeit um 1850 gestalteten und welche Trends seit 1870 dazu führten, dass die Einwohnerzahl eines Dorfes im Waldviertel langfristig stagnierte, während in einer Alpengemeinde im gleichen Zeitraum die Bevölkerungszahl um 50% anwuchs. Sie weisen nach, wie die Ertragskraft der Höfe Familiengrößen, materielle Lebensumstände und die Sterblichkeit ihrer Bewohner beeinflusste und vergleichen Höfe mit ihren verschiedenen natürlichen Ausstattungen im Hinblick auf die Stabilität von Besitzverhältnissen.
Eine der wichtigsten Quellen, aus denen die beteiligten Landschaftsökologen ihre Daten beziehen, sind langlebige Bestandteile der Kulturlandschaft wie Heckenanlagen oder Ackerraine, so genannte persistente Landschaftselemente. Diese Elemente zeigen, wie Kulturlandschaften früher genutzt wurden und stützen die Hypothese, dass die Formen und Gliederungen von Landschaften als konservierte Vorgänge historischer Landnutzung gedeutet werden können. Daneben typisieren die Landschaftsökologen die unterschiedlichen Produktionsverhältnisse der Höfe und Dörfer und belegen den Einfluss der natürlichen Umwelt auf diese zu Anfang des 19. Jahrhunderts. Sie skizzieren schließlich, wie die Bevölkerung dazu überging, ihr Land anders zu nutzen und die Landschaft umzuwandeln. Mit Luftbildaufnahmen, einer jungen Quellengattung, belegen sie eindrucksvoll, dass traditionelle Agrarlandschaften sich wieder bewalden, weil immer mehr Höfe aufgegeben werden.
Obwohl die Einzelkapitel sehr unterschiedlich sind und zum Teil unverbunden nebeneinander stehen, entsteht beim Lesen allmählich eine Art Gesamteindruck davon, wie sich historische Kulturlandschaften in der 'langen Dauer' entwickelten. Dies wäre nicht so effektiv erreicht worden, wenn ein homogenes Team von Landschaftsökologen, Historikern oder Demographen mit je eigenen Methoden versucht hätte, Landschaftsentwicklungen zu rekonstruieren. Mit gewissen Einschränkungen kann man der These der Autoren zustimmen, dass eine Kulturlandschaft gesellschaftlich aufgewertet werden kann, wenn erforscht wird, wie sie sich auf lokaler Ebene gewandelt hat. Ihre Bezüge zum Menschen können dabei deutlicher hervortreten und vielleicht wird Landschaft dann künftig auch in stärkerem Maße "als Speicher der ortsspezifischen kulturellen Entwicklung des Gesellschaft-Natur-Verhältnisses" wahrgenommen werden.
Dass der Abschlussbericht des Projektes als interaktiv nutzbare Text- und Abbildungsdatei auf CD-ROM publiziert wurde, ist vorteilhaft. Wer sonst zu blättern gewohnt ist nach Inhaltsverzeichnis, Einleitung, Resümee oder Bibliografie, muss hier freilich erst navigieren lernen. Auf der Navigationsebene werden grundlegende Begriffe wie Landschaft, Vorgänge wie gesellschaftlicher Metabolismus und methodische Prinzipien wie die Konzentration auf Dorf und Hof als Untersuchungseinheit und der Primat konkreter, das heißt landparzellenbezogener Daten erläutert. Der Leser wird hier zu einem Rundgang durch die Forschungsergebnisse eingeladen, bevor der konkrete Nutzen interdisziplinärer Umweltgeschichte für eine nachhaltige Entwicklung von Kulturlandschaften formuliert wird: "Unsere Art ortsbezogener Nutzungsgeschichte(n) könnte(n) ein Weg sein, nachhaltigere Zukunft kulturell konstruierbar, schlichter gesagt, denkbar zu machen." Der Weg zu den Forschungsergebnissen wird auf der Ebene der Kurzfassungen komprimiert, abstrahiert und ohne genauere Belege dargestellt. Diese Texte haben die Funktion von Abstracts, die den Kapiteln vorangestellt sind. Von jeder dieser Zusammenfassungen gelangt man zu den Volltexten mit Bildern, Diagrammen und Belegen. Zusätzliche Texte, die auch über die Forschungsergebnisse hinausführen, sind auf der Ebene der so genannten Addenda zugänglich.
Die CD-ROM ist vorbildlich strukturiert. Die Wege von einem Textteil zum nächsten sind leicht nachvollziehbar, der Nutzer versteht, nach welchen Prinzipien alle Bestandteile vernetzt wurden. Das Angebot der Kurztexte nimmt man gerne an, um sich einen Überblick zu verschaffen. Die Möglichkeiten, Text- und Bildressourcen interaktiv zu nutzen, sind jedoch recht bescheiden; so haben die Autoren mit Links gespart. Dieser Mangel wird aber durch ein vorzügliches Glossar abgemildert, in dem nicht nur Begriffe wie "Tobel" oder "Großvieheinheit" erklärt werden, sondern auch Terminologie mit Mut zu Theorie und Ausführlichkeit angeboten wird. Zwei schwerwiegende Nachteile des Mediums sind allerdings wesensbedingt und auch künftig kaum überwindbar: Wen der Inhalt interessiert, der braucht einen eigenen Rechner und ist weit über das gewöhnliche Pensum hinaus an den Bildschirm gebunden. So bleibt zu hoffen, dass auch in Zukunft nur dann darauf verzichtet wird, Forschung im Buch zu dokumentieren, wenn die alternative Form wie im vorliegenden Fall deutlichen Mehrwert verspricht.
Gerd Modert