Rezension über:

Matthias Weber (Hg.): Deutschlands Osten - Polens Westen. Vergleichende Studien zur geschichtlichen Landeskunde (= Mitteleuropa - Osteuropa. Oldenburger Beiträge zur Kultur und Geschichte Ostmitteleuropas; Bd. 2), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2001, 389 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-631-37648-5, EUR 50,10
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Rezension von:
Rüdiger Ritter
Bremerhaven
Redaktionelle Betreuung:
Winfried Irgang
Empfohlene Zitierweise:
Rüdiger Ritter: Rezension von: Matthias Weber (Hg.): Deutschlands Osten - Polens Westen. Vergleichende Studien zur geschichtlichen Landeskunde, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2001, in: sehepunkte 2 (2002), Nr. 9 [15.09.2002], URL: https://www.sehepunkte.de
/2002/09/3258.html


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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.

Matthias Weber (Hg.): Deutschlands Osten - Polens Westen

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"Deutschlands Osten - Polens Westen" - mit der Wahl dieses Titels für seine "Vergleichenden Studien zur geschichtlichen Landeskunde" stellt sich der Herausgeber Matthias Weber bewusst in eine Tradition, die mit einer Filmdokumentation gleichen Titels von Hansjakob Stehle im Jahre 1964 begann. Erstmals wurde seinerzeit einer breiten westdeutschen Öffentlichkeit eine Beschäftigung mit Gebieten wie Schlesien und Pommern präsentiert, die nicht mehr primär an deutschen Interessen ausgerichtet war, sondern pragmatisch und nüchtern den Aufbau einer neuen polnischen Gesellschaft in diesen Gebieten beschrieb.

Zwei Jahrzehnte später, im Jahr 1985, formulierte Christian Graf von Krockow seine Vision einer deutsch-polnischen Kooperation "in der Pflege eines nicht länger trennenden, sondern verbindenden Kulturerbes". [1] Zum damaligen Zeitpunkt war nicht abzusehen, dass schon wenige Jahre später die Voraussetzungen für die Verwirklichung dieser Vision eintreten würden. Die Ringvorlesung unter dem Titel "Deutschlands Osten - Polens Westen" an der Universität Oldenburg im Wintersemester 1998/99 und im Sommersemester 1999, auf die die Beiträge im vorliegenden Sammelband zurückgehen, liefert gleichsam eine Momentaufnahme des bisher Erreichten.

Als wesentliches Ziel sollen "methodisch komparatistische Aspekte" betont werden, wie der Herausgeber schreibt. Dabei geht es sowohl um einen Vergleich der jeweiligen Geschichtsbilder als auch der jeweiligen Forschungstraditionen. Auch wenn der Band nicht darauf Bezug nimmt, stellt er sich doch damit in die Nachfolge des durch Klaus Zernack schon in den 1970er-Jahren angeregten Gedankens, die Beziehungsgeschichte selbst als Wirkungsfaktor für den gegenseitigen Umgang miteinander zu untersuchen. [2]

Allerdings ist die hier vorliegende Momentaufnahme keineswegs vollständig - das kann man von einer Dokumentation einer Ringvorlesung sicherlich auch kaum erwarten, vielmehr werden einzelne Aspekte schlaglichtartig beleuchtet. Welche das sind, hängt im Wesentlichen von den Spezialgebieten der einzelnen Beiträger ab. Die Vielzahl der vertretenen Disziplinen wirkt sich sehr positiv aus. So findet man sehr lesenswerte sprachwissenschaftliche Überlegungen zum Schlesischen von Gerd Hentschel neben architekturgeschichtlichen Betrachtungen Beate Störtkuhls (Architektur der Zwischenkriegszeit in Schlesien) oder literaturwissenschaftlichen Erkenntnissen Eckhard Grunewalds über die Eichendorff-Rezeption.

Die überwiegende Mehrzahl der Beiträge stammt jedoch von Historikern. Leider kommt es hier des öfteren zu Redundanzen und Überschneidungen wie etwa bei den Aufsätzen zur Geschichtsschreibung von Wolfgang Kessler und Jörg Hackmann, die jeweils für sich genommen gut in die Problematik einführen: Beide Autoren stellen die Spiegelbildlichkeit der "Deutschen Ostforschung" und der "Polnischen Westforschung" eindringlich dar, um im Sinne von Krockows mögliche Gemeinsamkeiten aufzuzeigen. Einer solchen kritischen Reflexion eigener Denkmuster ist der zweite Teil der Beiträge gewidmet, der unter dem Titel "Traditionskritik" steht. Mangels eines polnischen Autors geht es hier vor allem um deutsche Traditionskritik und nicht um polnische Selbstreflexion, auch wenn einige Autoren die andere Seite miteinbeziehen - so zeigt Rex Rexheuser am Beispiel des tausendjährigen Jubiläums in Danzig von 1997 auf, wie "Deutsche Geschichte als polnisches Problem" fungierte; Kurt Dröge diagnostiziert einen "Perspektivenwechsel" in der Kulturwissenschaft im polnischen Pommern, und Detlef Hoffmann vergleicht die nationalen Denkmalskulturen in Polen und Deutschland am Beispiel der Grunwald/Tannenberg-Monumente.

Im ersten Teil, der "kulturellen und historischen Wechselwirkungen" gewidmet ist, steht Schlesien im Mittelpunkt. Joachim Bahlcke und Matthias Weber loten den polnischen Charakter der Piastenherzöge Schlesiens aus - ein Thema, das im 19. und 20. Jahrhundert immer wieder in interessierten Kreisen beider Seiten zur Legitimierung des jeweiligen nationalen Standpunkts herangezogen wurde und daher beileibe nicht nur der Frühen Neuzeit zuzurechnen ist. Sie illustrieren eine Grundthese, die sich wie ein roter Faden durch den Band zieht: die Dekonstruktion nationalistischer, gegeneinander gerichteter Anschauungen und Mythen zu Gunsten der Suche nach verbindenden Elementen.

Um so bemerkenswerter ist es jedoch, dass die eigentlichen Problemzonen nur gestreift werden. Die nationalistischen Auswüchse des 19. und 20. Jahrhunderts erscheinen nur am Rande, auch die Zeit des Nationalsozialismus erfährt nur marginale Beachtung (etwa in Jens Stübens Beitrag über die "Ostdeutschen Monatshefte" der Jahre 1920 bis 1939), und die aktuellen Probleme wie die Umsiedlungen nach 1945 und die damit verbundenen Folgen spielen eher eine Nebenrolle. Immerhin weist Anna Wolff-Powęska auf die "doppelte Identität in den West- und Nordgebieten Polens" hin und erweitert dadurch die historische Betrachtungsweise um politikwissenschaftliche und psychologische Aspekte. Insgesamt zeigt sich, wie heiß die Eisen der jüngsten Vergangenheit immer noch sind, zumal weder in der deutschen noch in der polnischen aktuellen öffentlichen Diskussion Einigkeit hinsichtlich der Bewertung gerade dieses Zeitraums herrscht.

Der vorliegende Band weist auf die Kontinuität der wechselseitigen Beziehungen, aber auch auf mitunter verblüffend ähnliche Probleme im jeweils eigenen Geschichtsbild hin und eröffnet damit die Chance, sich auch der jüngsten Vergangenheit im Geiste konstruktiver Zusammenarbeit weiter anzunähern. Über den Inhalt der einzelnen Beiträge hinaus ist der eigentliche Nutzen des Sammelbands im Aufzeigen dieser Perspektive zu sehen.

Anmerkungen:

[1] Christian Graf von Krockow: Deutschlands Osten - Polens Westen: Rückblick und Ausblick, in: Die Neue Gesellschaft - Frankfurter Hefte 32 (1985), S. 336-343, hier S. 343.

[2] Klaus Zernack: Das Jahrtausend deutsch-polnischer Beziehungsgeschichte als geschichtswissenschaftliches Problemfeld und Forschungsaufgabe, in: ders.: Preußen - Deutschland - Polen. Aufsätze zur Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen, hrsg. von Wolfram Rieder und Michael G. Müller, Berlin 1991 (Historische Forschungen, 44), S. 3-42, hier S. 20.


Rüdiger Ritter