Rezension über:

Walter Schmitz / Jens Stüben / Matthias Weber (Hgg.): Adel in Schlesien. Band 3: Adel in Schlesien und Mitteleuropa. Literatur und Kultur von der frühen Neuzeit bis zur Gegenwart (= Schriften des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa; Bd. 48), München: Oldenbourg 2013, 714 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-486-71854-6, EUR 79,80
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Rezension von:
Maria Rhode
Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte, Georg-August-Universität, Göttingen
Redaktionelle Betreuung:
Sebastian Becker
Empfohlene Zitierweise:
Maria Rhode: Rezension von: Walter Schmitz / Jens Stüben / Matthias Weber (Hgg.): Adel in Schlesien. Band 3: Adel in Schlesien und Mitteleuropa. Literatur und Kultur von der frühen Neuzeit bis zur Gegenwart, München: Oldenbourg 2013, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 4 [15.04.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/04/23514.html


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Walter Schmitz / Jens Stüben / Matthias Weber (Hgg.): Adel in Schlesien

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Mit über 700 Seiten, zahlreichen hochqualitativen Abbildungen und insgesamt 30 Beiträgen liegt nun der letzte Band mit den Erträgen des vom Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa geförderten und 2009 abgeschlossenen Kooperationsprojektes zum Adel in Schlesien vor. Er versammelt die Ergebnisse von drei zum Teil internationalen und disziplinübergreifenden Konferenzen, die zwischen 2005 und 2007 in Dresden stattgefunden haben. Anders als bei den vorausgegangenen Bänden [1] wird der geographische Raum über Schlesien hinaus auf Mitteleuropa ausgeweitet. Thematisch kreisen die Beiträge um das Feld der Identität sowie Repräsentation und ihrer Medien und machen Literatur, Architektur, Musik, Malerei und Fotografie zum Gegenstand der Untersuchung. In einer Mischung aus Chronologie und Systematik ist der Band durch die Blöcke Frühe Neuzeit, Achsenzeit, 19./20. Jahrhundert und Adel sowie kulturelle Moderne untergliedert. Einige Aufsätze liegen in überarbeiteter oder erstmalig deutscher Fassung vor, bei den meisten handelt es sich um Erstveröffentlichungen. Gemeinsames Kennzeichen ist neben dem Gegenstand (schlesischer, böhmischer, polnischer) Adel, wie die Herausgeber betonen, eine kulturwissenschaftlich orientierte Perspektive (10).

Der mit Landschaft und sozialer Raum überschriebene Block zur Frühen Neuzeit versammelt Untersuchungen zur schlesischen Literatur des 17. Jahrhunderts, zu mährischen Renaissanceschlössern, sächsischer Repräsentationskultur sowie sächsischen und schlesischen Bibliotheken im 17. und 18. Jahrhundert. Den zu zwei Dritteln bürgerlichen Dresdener Pränumeranten und mehrheitlich weiblichen adeligen Rezipienten der Musik von Carl Philipp Emanuel Bach ist der Beitrag von Hans-Günther Ottenberg gewidmet. Mirosława Czarnecka zeigt in ihrer Untersuchung, mit welchen Strategien der Adel seine distinkte Position in der Literatur festzuschreiben versuchte. Alexander Klein widmet sich dem Thron des Großmoguls, einem 1709 von Johann Melchior Dinglinger für das Schatzkabinett (Friedrich) August (III) II. geschaffenen Kunstwerk und deutet es überzeugend als Programm des Absolutismus, als Spiegel und Generator von Unendlichkeit und verweist auf Parallelen zu Leibniz' Monadenlehre. Die Gleichzeitigkeit fraktaler Denkansätze in Kunst, Architektur und Philosophie wird auf diese Weise fassbar. Dass es höchst produktiv sein kann, die Grenzen der Disziplinen zu überschreiten, wird in diesem Beitrag auf eindrucksvolle Weise deutlich.

Der Achsenzeit sind Beiträge zugeordnet, die sich mit der Garten- und Memorialkultur in Schlesien und Polen sowie mit dem Mäzenatentum adeliger Akteure um 1800 befassen. Versteht man Achsenzeit als einen Übergang zu neuen Deutungsrahmen bzw. Repräsentationsstrategien, so zeigt sich, dass die Untersuchungen nur bedingt auf einen solchen Fluchtpunkt zulaufen. Zieht man diese Fluchtgerade nachträglich ein, so ergeben sich folgende Befunde: Mit seiner Analyse der Schloss- und Gartengestaltungen in Schlesien ermittelt Jerzy Kos, dass mit Minister von Hoym nur einer der landfremden Beamten, die nach der Annexion Schlesiens dort ihren Amts- und Wohnsitz fanden, mit seinem Schloss mehr als ein feudales Selbstverständnis zum Ausdruck brachte. Der Komplex habe ebenso die Staatsgewalt als souveräne Macht repräsentiert (233). Auch die (Garten)architekturgestaltung der dem Hochadel angehörenden Izabela Czartoryska im masowischen Puławy diente, so Ina Mittelsädt, nicht nur, aber vor allem der Repräsentation des eigenen Familiengeschlechts. Sie verfolgte sowohl national-patriotische als auch standesinterne Ziele und wurde auch in dieser doppelten Bedeutung entziffert (204, 216). Und auch die Memorialkultur der Raczyński erweist sich laut Jarosław Jarzewicz als ein zur Ehre der Familie und der Namenspatrone errichtetes, weitgehend privates Ensemble, dessen Programm nur für die lesbar war, die auch die Familiengeschichte näher kannten.

Eine knappe, prägnante Einführung in die kulturwissenschaftliche Adelsforschung, die den Bereichen des Symbolischen, des Rituals, der Mythisierung und Normierung mehr Erklärungspotential zubilligt als den Konzepten von Schicht und Klasse, bietet der Beitrag von Silke Marburg und Josef Matzerath (299-313). Er stellt die Überleitung zum dritten thematischen Block des Bandes dar. Adel und Bürgertum, Adliges und Bürgerliches sind demnach nicht als völlig getrennte Gruppen oder Konzepte zu betrachten, auf beiden Seiten lassen sich neben Tendenzen zur Abschottung auch Übergänge, Vermischungen, mehr oder weniger subtile Anleihen und Überschneidungen finden.

Den Bemühungen des Adels, unter dem Druck von Konstitutionalismus und Bürgertum oben zu bleiben sowie dem Verhältnis von Bürgertum und Adel widmen sich die Beiträge von Gunter Heinickel und Jürgen Joachimsthaler. Die Ambivalenz von bürgerlicher Lust und Abscheu an adliger Grenzüberschreitung, wie sie exemplarisch in Wollzogens Kommentaren zu Hans von Schweinichens Lebensbeschreibung zum Ausdruck kommt, zeigt sich auch in der Semantik des oberschlesischen Adels, die sich in der deutschen Literatur vom Übergang in den Hohenzollernstaat bis 1914 manifestiert. Adliges kann dort aus bürgerlicher Perspektive, wie Joachimsthaler in einem weiten Überblick ausführt, zum Objekt ästhetischer Projektion, Stilisierung, Überhöhung, aber auch Perhorreszierung werden. Der Beitrag lässt sich auch als eine exzellente Einführung in eine sozialhistorisch fundierte Kulturgeschichte des Adels lesen, die preußisch-bürgerliche Adligkeitsdiskurse ebenso berücksichtigt wie die adlige Modernisierungsliteratur und den polnisch-nationalen Diskurs. Auch in der Untersuchung von Katja Hofmann wird der kulturhistorische Ansatz des Bandes mit großem Erkenntnisgewinn umgesetzt. Bei der Analyse bürgerlicher Fotoalben verknüpft sie Methoden der Medien- und Alltagsgeschichte und zeigt, wie in dieser, die alten Ahnengalerien ablösenden bzw. mit ihr konkurrierenden Darstellungsform sowohl Elemente von Aristokratisierung Bürgerlicher umgesetzt als auch die Erinnerung des Adels an vergangenen Status inszeniert werden konnte.

Der vierte Block Adel und kulturelle "Moderne" umfasst die Bereiche Adel im Nationalsozialismus sowie Adel und kommunistische Diktatur. Am Beginn steht Ludger Udolphs Beitrag, der über biographische Skizzen das Engagement von Adel und Bürgertum als Mäzenaten in Böhmen vom 18. bis zum 20. Jahrhundert auffächert. Udolph nennt Namen und beschreibt kulturelle Projekte, unter anderem auch die Tätigkeit des aus kleinbürgerlichen Verhältnissen stammenden Sammlers, Publizisten und Dandys Jiří Karásek, der sich erfolgreich als Adliger inszenierte. Offen bleibt allerdings, wie dieser individuelle Fall wie auch die Tätigkeit der anderen beschriebenen Mäzene für das Verhältnis von Adligem und Bürgerlichem in Böhmen insgesamt zu deuten ist. Welche Rolle dem Adel in der Moderne zukommen soll und wie neue Elitenkonzepte gedacht werden, ist Thema der Beiträge von Jan Andres und Helmut Mottel zu Neuadelsdiskursen in Philosophie,Literatur und Film.

Die diskursiven Schnittstellen zwischen dem traditionellen Adelsdiskurs, dem Neuadelsdiskurs rechter Provenienz und den lebensreformerisch und existentialistisch inspirierten linken Diskursen verdeutlichen Frank Almai und Ulrich Fröschle mit ihrer Analyse von Heinar Schillings Weg vom Expressionismus ins Dritte Reich. An die Studie von Stephan Malinowski anknüpfend befragen die Autoren das umfangreiche belletristische Material auf adlige Selbstverständigung.

Eine Kontinuität über Systembrüche hinaus weist Radmila Švařičková-Slabáková mit ihrer Analyse der Imaginationen des Adligen in Böhmen vom 19. Jahrhundert bis heute nach. Die negativen Zuschreibungen von Ausbeutung, Bereicherung, Diebstahl, Verrat und Kollaboration erweisen sich dabei als erstaunlich resistent gegenüber der tatsächlich jeweils stark differierenden Position des Adels in der Gesellschaft der k.u.k Monarchie, der 1. Republik, der Protektoratszeit und der kommunistischen Diktatur. Mit seiner Darstellung der tragischen Lebensgeschichten der Brüder František, Antonín und Zdeněk Bořek-Dohalský huldigt Zdeněk Hazdra dem Engagement tschechischer adliger Demokraten während der nationalsozialistischen Besatzung. Wie sich diese Familiengeschichte über das Fallbeispiel hinaus in ein Gesamtbild des adeligen, besonders des klerikalen Widerstandes bzw. der Kollaboration in der Protektoratszeit einfügt, lässt sich aufgrund noch fehlender Gesamtuntersuchungen zu diesem Thema nicht beurteilen. Hier wären weitere Analysen also in hohem Maße notwendig.

Das Thema Adel, Emigrationsliteratur und Diktatur verbindet die letzten drei Beiträge. Genannt seien hier nur Walter Schmitz und Ludger Udolph, die die Stellung des Adels im literarischen Werk Ota Filips sowie sein Engagement für die deutsch-tschechische Aussöhnung nach der Samtenen Revolution untersuchen. Ihre Analyse zeigt den Weg von Filips Café Slavia (1985), in dem der Adel als Antithese zur kommunistischen Ideologie ins Zentrum der Darstellung gelangt, über seine Bemühungen, den (deutschen) Adel in die böhmische Geschichte zu integrieren bis zu seiner späteren, durch den Skandal um seine vermeintliche Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit ausgelösten Abrechnung mit dem deutschen Adel.

Insgesamt bietet der Band über Schlesien hinaus einen tiefen Einblick in die Vielfalt der mitteleuropäischen Adelskonzepte und -diskurse und löst das Versprechen einer kulturwissenschaftlich orientierten Perspektive weitgehend ein. Auf die angekündigte Fortsetzung darf man daher gespannt sein.


Anmerkung:

[1] Zu den ersten beiden Bänden siehe Maria Rhode: Adel in Schlesien (Rezension), in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 6 [15.06.2011], URL: http://www.sehepunkte.de/2011/06/15305.html (04.03.2014).

Maria Rhode