Rezension über:

Frederick Valletta: Witchcraft, Magic and Superstition in England, 1640-70, Aldershot: Ashgate 2000, 272 S., 13 s/w-Abb., ISBN 978-0-7546-0244-6, GBP 42,50
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Rezension von:
Johannes Dillinger
Fachbereich III, Universität Trier
Redaktionelle Betreuung:
Gudrun Gersmann
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Dillinger: Rezension von: Frederick Valletta: Witchcraft, Magic and Superstition in England, 1640-70, Aldershot: Ashgate 2000, in: sehepunkte 2 (2002), Nr. 10 [15.10.2002], URL: https://www.sehepunkte.de
/2002/10/3544.html


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Diese Rezension erscheint auch in PERFORM.

Frederick Valletta: Witchcraft, Magic and Superstition in England, 1640-70

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Vallettas Fragestellung ist von großem Interesse nicht nur für die historische Hexenforschung: Wie hängt das Wiederaufflackern der Hexenprozesse in England zwischen 1640 und 1670 mit den radikalen politischen Umbrüchen dieser Zeit, der Abfolge von Stuart-Monarchie, Bürgerkrieg, Cromwell-Regime und Restauration zusammen? Welchen Wandlungen unterlagen die gelehrte dämonologische Debatte und der volkstümliche Magieglauben in dieser Zeit? Welche Rolle spielte dabei die politische Propaganda, die sich der Bildersprache von Volksmagie und Hexenlehre bediente? Valletta versucht also nicht nur, im Gefolge von Keith Thomas die Trennung von Hexenangst und magischer Folklore zu überwinden. Indem er Stuart Clarks Anregungen auf die spezifische Situation der Revolutionszeit anwendet, fragt er weiter nach der Relevanz der politischen Kultur für die magische und vice versa.

Das einleitende erste Kapitel bietet einen sehr kurzen Überblick über die wichtigsten Arbeiten zu den englischen Hexenverfolgungen. Es umreißt die politischen und sozialen Folgen von Bürgerkrieg und Revolution, wobei der Autor besonders auf den entstehenden Freiraum für die Bildung religiöser Gemeinschaften und das neue Interesse an dämonologischer Literatur eingeht. Die Folgen, welche die politischen Umwälzungen für die Justizpflege hatten, werden nicht ausreichend dargestellt. Das zweite Kapitel schildert als Hintergrund der Magiediskussion religiös motivierte Sozialdisziplinierung und die konfessionelle Propaganda, die den jeweiligen Gegner buchstäblich verteufelte. Bereits hier weist Valletta auf die dämonologische Debatte in England hin, die stark dazu tendierte, die Macht des Teufels als Möglichkeit zur Sinnestäuschung zu akzentuieren. Kapitel drei geht dieser Debatte detailliert nach. Bei den englischen Dämonologen und in ihrem Gefolge - sogar bei den Hexenjägern Hopkins und Stearne - findet sich eine sehr differenzierte Argumentation: Der Satan bemüht sich, Unschuldige in Hexereiverdacht zu bringen. Dämonen und Hexen haben keinerlei reale Macht. Alle scheinbar magischen Effekte beruhen auf Betrug und Sinnestäuschungen, mit denen der Teufel nicht nur seine Anhänger, sondern auch deren vermeintliche Opfer täuscht. Das Verbrechen der Hexen besteht in Wahrheit lediglich darin, aus freiem Willen einen Pakt mit dem Teufel eingegangen zu sein. Ähnliche Gedankengänge finden sich in der dämonologischen Diskussion auf dem Kontinent auch.

Leider werden etwaige Wechselwirkungen zwischen der britischen und der übrigen europäischen Hexenlehre jedoch weitgehend ausgeblendet, obwohl man sich gewünscht hätte, insbesondere etwas über die Rezeption Weyers zu erfahren. Valletta weist nach, dass der Teufel nach 1640 häufig in politischen Pamphleten firmierte. Hier muss die künftige Forschung ansetzen und weiter differenzieren: Sollte man, auch wenn hier Einzelpersonen direkter Kontakt zu Dämonen unterstellt wird, diese Texte als Anklagen im Sinn der Hexenverfolgung lesen oder eher als Satiren? Wie viel haben dämonologische Metaphern in politischen Texten tatsächlich mit der Verfolgungspraxis zu tun? Den Beweis dafür, dass die Dämonenmotive aus der Pamphletistik das populäre Hexenbild geprägt haben oder dämonologische Metaphern der politischen Sprache dazu beitrugen, Hexenverfolgungen zu legitimieren, bleibt Valletta letztlich schuldig. Möglicherweise ist dieser Beweis gar nicht zu erbringen. Schritte hin zu fundierten Aussagen zu diesem Problembereich wären jedoch möglich gewesen - etwa ein Vergleich der dämonologischen Motivik der in einer bestimmten Region verfügbaren politischen Literatur mit dem Dämonen- und Hexenbild der Hexenprozesse derselben Region oder auch nur eine Chronologie der Entwicklung bestimmter Gedanken und Motive in politischen Texten und Prozessunterlagen. Die Tatsache, dass politisches Schrifttum und populärer Hexenglaube weniger differenziert als die wissenschaftliche Dämonenkunde waren, bedeutet keineswegs, dass dieser Hexenglaube von jener politischen Propaganda geprägt wurde.

Kapitel vier verlässt den engeren Hexereidiskurs und fragt nach den Deutungen von Spuk, Himmelserscheinungen und Missbildungen bei Neugeborenen als Omina. Die Volkskultur tendierte dazu, all diese vermeintlichen oder wirklichen Phänomene als von Gott gesandte Zeichen zu verstehen. Die politisch-konfessionelle Propaganda der Bürgerkriegszeit schlachtete die Wunderzeichenmotivik aus. Angesichts des Autoritätsverlustes der Kirchen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts fanden sich theologische Autoritäten zunehmend bereit, den Charakter dieser Erscheinungen als göttliche Omina zu verteidigen. Zweifel an ihrer Realität oder ihrer Bedeutung schienen nämlich einen Zweifel an der Realität Gottes zu implizieren.

In Kapitel fünf untersucht Valletta, unter welchen Umständen Volksheiler in Hexereiverdacht geraten konnten. Er kommt hier zu dem Ergebnis, dass eine schematische Trennung in Heilerin und Hexe dem Magieverständnis der bäuerlichen Kultur nicht entsprechen. Dieselben magischen Expertinnen konnten je nach den Gegebenheiten des sozialen Nahraums und der spezifischen Situation als Heilerinnen respektiert oder als Hexen verurteilt werden. Valletta stellt weiter fest, dass, ähnlich wie der Geisterglaube durch Theologen, die Sympathiemedizin durch gelehrte Ärzte aufgewertet wurde.

Die Schwierigkeiten bei der Überführung konkreter Verdächtiger diskutiert Valletta im sechsten Kapitel, wobei er sich auf die Darstellung von Hexenproben konzentriert. Es gelingt ihm nachzuweisen, dass die dörfliche Bevölkerung über die Prozesskosten und das Jurywesen nachhaltigen Einfluss auf Hexenverfolgungen gewinnen konnte. Ein Vergleich der Einflussmöglichkeiten verschiedener sozialer Gruppen auf Hexenprozesse vor und während der Krisenphase nach 1642 unterbleibt.

Im siebten Kapitel stellt Valletta eine Reihe von Fallstudien zu Prozessen aus Norfolk, Suffolk, Cambridgeshire und Somerset vor. Zur Illustration der Argumentation der übrigen Kapitel, die ihrerseits bereits ausreichend mit detaillierten Beispielen versehen sind, trägt dieser Teil des Buches nicht bei. Obwohl Valletta mit so geringen absoluten Fallzahlen arbeitet, dass eine Auswertung im statistischen Überblick keinen Sinn macht, stattet er Kapitel sieben mit einer Vielzahl von Tabellen aus.

Im achten Kapitel diskutiert Valletta schließlich die Entstehung von Hexereiverdächtigungen an konkreten Beispielen. Überzeugend zeigt er die sozialen und kulturellen Bedingungen der Anklageerhebung, wobei er zu Recht als Grundkonditionen des alltäglichen Umgangs mit Magie den festen Glauben an ihre Wirksamkeit und ihre moralische Ambivalenz herausstreicht. Fragwürdig wird seine Argumentation dann, wenn er Ergebnisse der modernen Psychologie und Beispiele auffälligen Verhaltens aus dem 19. und 20. Jahrhundert dazu heranzieht, Hexereivorwürfe des 17. Jahrhunderts zu deuten. Dass hier Verweise auf oberflächliche Ähnlichkeiten als "psychological" und "inter-discplinary approach" (201) etikettiert werden, ist zweifelhaft. Die Behauptung, dass die politische Krise zwischen 1640 und 1670 "hysterics and psychopaths" (216) produziert habe, die dann als Hexenverfolger aufgetreten seien, erscheint entsprechend fragwürdig. Weiter behauptet Valletta in interessanter, von ihm selbst aber nicht kommentierter Übereinstimmung mit Weyer, dass einige Hexenprozessopfer unter psychischen Erkrankungen gelitten hätten.

Valletta stellt dem Text ein Glossar dämonologischer Fachbegriffe voran, dessen Definitionen den Leser jedoch gelegentlich irreführen. Appendix 1 listet, gegliedert nach Counties, alle Hexenprozesse auf, die Valletta in zeitgenössischen Pamphleten, edierten und ungedruckten Quellen sowie der älteren Sekundärliteratur finden konnte. Dass innerhalb der Counties die Prozessopfer alphabetisch statt chronologisch geordnet werden und Angaben über absolute Zahlen fehlen, ist der Benutzbarkeit dieser Liste für den Leser abträglich.

Die Appendices 2 und 3 bieten einfache Grafiken mit kurzen Erläuterungen, die die Konzepte von Sympathiemagie und Humoralmedizin verdeutlichen sollen. Das Verzeichnis der gedruckten und ungedruckten Quellen und verwendeten Sekundärliteratur ist sehr umfangreich. Abgesehen von einigen lateinisch verfassten Prozessunterlagen verzeichnet es aber nur englische oder ins Englische übersetzte Texte. Diese Beschränkung führt zu Fehlern: So wird etwa als erster Beleg für die Wasserprobe in der dämonologischen Literatur das Werk James' I. angeführt und behauptet, bei Bodin - dessen Arbeit Valletta nur in einer alten Übersetzung bekannt ist - werde dieses Thema gar nicht erwähnt. Ein Blick in das vierte Kapitel des vierten Buches von Bodins 'Démonomanie' hätte diesem Fehler vorbeugen können. Ebenso hätte Valletta hier durch eine Auseinandersetzung mit deutschsprachiger Forschung - etwa der Wolfgang Schilds, selbst wenn dieses Thema erst durch die zu erwartende Arbeit von Gudrun Gersmann umfassend dargestellt werden wird - oder auch mit Midelforts englischer Übersetzung von Weyer einen ärgerlichen Schnitzer vermeiden können.

Ein zuverlässiges Register verzeichnet Personen, Orte und Sachlemma. Die Abbildungen sind zahlreich und gut ausgewählt.

Valletta gelingt es nicht, seine Vertrautheit mit einer großen Zahl von Quellen produktiv umzusetzen: Die aufsummierte Vielzahl von narrativen Episoden und interessanten Einzelheiten schwächt die Struktur seiner Argumentation. Die Kapitel sind leider nicht klar genug aufeinander bezogen. Dass darüber hinaus auch innerhalb desselben Kapitels immer wieder überleitungslos von Thema zu Thema gesprungen wird, erschwert die Lektüre. Der Leser gewinnt insgesamt den Eindruck, als sei Vallettas Werk zu früh gedruckt worden: Eine letzte kritische Korrektur, welche die vielen interessanten Details, mutigen Schlussfolgerungen und guten Ideen hätte strukturieren und integrieren können, ist unterblieben.


Johannes Dillinger