Heinz Duchhardt / Gerhard May (Hgg.): Union - Konversion - Toleranz. Dimensionen der Annäherung zwischen den christlichen Konfessionen im 17. und 18. Jahrhundert (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Abt. für Universalgeschichte; Beiheft 50), Mainz: Philipp von Zabern 2000, IX + 365 S., ISBN 978-3-8053-2638-4, EUR 29,80
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2000 beging das Mainzer Institut für Europäische Geschichte das 50jährige Jubiläum seiner Gründung. Als "Jubiläumsgabe" konnten Heinz Duchhardt und Gerhard May, die Direktoren der Abteilungen für Universalgeschichte und für Abendländische Religionsgeschichte, den 50. Band der Beihefte zur Buchreihe "Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte" vorlegen. Der Sammelband vereinigt 17 Vorträge, die im Rahmen zweier Colloquia gehalten wurden. Diese fanden am 10./11. April 1997 und vom 24. bis 27. Februar 1999 statt und präsentierten die Ergebnisse eines interdisziplinären Forschungsprojekts zu den interkonfessionellen Unionsbemühungen im Zeitraum von 1650 bis 1800. Die Besprechung sämtlicher Aufsätze würde den Rahmen dieser Rezension sprengen. Aus diesem Grund sollen hier nur einige Beiträge fokussiert werden, ohne damit den Wert der anderen Abhandlungen relativieren zu wollen.
Einen Versuch, die Einigung zu erreichen, stellte die altkatholische Irenik dar, die sich an der Theologie und äußeren Gestalt der alten Kirche orientierte und auf die Fürsten als Wegbereiter setzte. Der Beitrag Andreas Merks über den Typus der sogenannten altkatholischen Irenik stellt die wesentlichen Repräsentanten dieser Bewegung vor. Bezeichnenderweise führte die Erkenntnis, dass die als Autorität befragte alte Kirche keineswegs eine dogmatische Uniformität besaß, im Zeitalter der Aufklärung zu einem Transformationsprozess: An die Stelle des "consensus antiquitatis" als Unionsprinzip trat der "dissensus antiquitatis" als Argument für Toleranz. Mit dem bedeutendsten lutheranischen Vertreter der altkatholischen Irenik, Georg Calixt, beschäftigt sich Johannes Wallmann, der die Einigungsbestrebungen Calixts und ihre Rezeption in der katholischen und protestantischen Theologie des 17. Jahrhunderts untersucht. Bemerkenswert ist, dass Calixt für die Parität unterschiedlicher Konfessionen in einem Staatsverband plädierte - am Ideal einer (lutheranisch) geprägten Union hielt freilich auch der "große Ökumeniker des älteren Luthertums" (23) fest. Die Mehrheit der Theologen hingegen hatte eine äußerst skeptische Einstellung zum Unionsgedanken. Zu diesen gehörte Johannes Musäus (1613-1681), der wichtigste Theologe an der Jenaer Universität in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Harry Mathias Albrecht zeigt in seinem Beitrag, dass Musäus' Bemühungen um eine Verdeutlichung der Verbindung von kirchlichem Wesens- und Einheitsbegriff insofern langfristig zu einer Einigung führten, als die Lehre von der Unsichtbarkeit der Kirche eine wesentliche Voraussetzung für die Union zwischen Lutheranern und Reformierten im 19. Jahrhundert bilden sollte.
Mit der Irenik als Kommunikationsform setzt sich Hans-Joachim Müller auseinander, der am Beispiel des Thorner "Colloquium Charitativum" von 1645 die Grenzen des Religionsgesprächs aufzeigt - der irenische Versuch, mittels der akademischen Disputation eine "Ordnung des Streites" im Sinne einer Milderung der konfessionellen Gegensätze herbeizuführen, scheiterte völlig. Eine Transformation der Disputation vom konfessionstrennenden zum konfessionsüberwindenden Medium war offensichtlich nicht möglich.
Dass Toleranz und Irenik auch im England der 1650er-Jahre enge Grenzen gesetzt waren, verdeutlicht der Aufsatz von Sebastian Barteleit. Faktisch handelte es sich nicht um Toleranz gegenüber Katholiken, Juden oder Muslimen, sondern vielmehr um Versuche, die Spannungen zwischen den verschiedenen protestantischen "Denominationen", den Anglikanern, Kongregationalisten, Presbyterianern und Baptisten zu überwinden. Von nachhaltiger Wirkung war die Identifizierung Englands mit dem Protestantismus und die Wahrnehmung des Katholizismus als permanente Bedrohung; zugleich überlagerte die nationale Identifikation die "internationale" protestantische Identität - Sendungsbewusstsein und Führungsanspruch resultierten hieraus.
Die folgenden Beiträge beschäftigen sich wieder mit irenischen Bestrebungen innerhalb des Reiches. So skizziert Hans Peterse die irenische Prägung Johann Christians von Boineburg, des zeitweiligen Günstlings Johann Philipps von Schönborn, und die Mainzer Irenik im 17. Jahrhundert. Ein überaus interessantes und weit über die Grenzen der Region hinaus weisendes Beispiel für interkonfessionellen und interreligiösen Dialog stellt Volker Wappmanns Beitrag vor, der sich mit der Irenik des Sulzbacher Kreises (1651-1708) befasst. Unter der Regierung des Pfalzgrafen Christian August, der von 1645 bis 1708 regierte, wurde in Sulzbach, der einzigen altbayerischen Region mit einem nennenswerten protestantischen Bevölkerungsanteil, Lutheranern und Katholiken Parität gewährt; außerdem rief der Pfalzgraf die vom Fürsten Lobkowitz vertriebenen Juden in sein Territorium, wo eine jüdische Druckerei eingerichtet wurde. Diese bestand bis 1841 und machte Sulzbach zum drittgrößten jüdischen Druckort in Europa. Zur Tafelrunde des Pfalzgrafen gehörten illustre Persönlichkeiten wie der unstete Philosoph Franciscus Mercurius van Helmont (1614-1698), der später in die Hände der römischen Inquisition geriet und jahrelang in Rom inhaftiert war. Den Quäkern nahe stand der 1669 nach England ausgewanderte Doktor Tobias Ludwig Kohlhans (1624-1705). Christian Knorr von Rosenroth (1636-1689), sulzbachischer Kanzleirat und Prinzenerzieher, zeigte starkes Interesse an der Kabbala, das sich in der 1677 und 1682 erschienenen zweibändigen "Kabbala denudata" niederschlug, wohl der besten Darstellung der Kabbala seitens eines christlichen Gelehrten bis ins 19. Jahrhundert hinein. Freilich intendierte auch Knorr, der das Liebesgebot uneingeschränkt praktiziert wissen wollte, die Konversion der Juden mittels des interreligiösen Dialogs.
Einem der bedeutendsten Streiter für eine Kirchenunion, dem Franziskanermönch Cristòbal de Rojas y Spinola (um 1626-1695) und dessen Verhältnis zu Kaiser Leopold I., geht Matthias Schnettger nach. Es zeigt sich, dass der Kaiser nicht nur als "advocatus Ecclesiae" handelte, sondern die Reunionsbemühungen im Sinne einer Einigung des durch Türken und Franzosen bedrohten Reiches instrumentalisierte. Faktisch hätte dies eine Rückkehr der Protestanten in die römisch-katholische Kirche bedeutet, deren Struktur keine substanzielle Änderung erfahren hätte. Eine protestantische "offiziöse" Reaktion auf Rojas' Einigungsbemühungen aus dem Jahr 1683 stellt der Beitrag von Martin Ohst vor. Gerard Walter Molan, Abt von Loccum und Kirchendirektor des Herzogtums Calenberg, wird hier als konservativer, jeglicher Innovation abgeneigter und von Helmstedter Traditionen geprägter Theologe gezeichnet. Ob Ohsts deutliche Kritik an Molans Reunionsvorschlägen, die er als "inkonsistent und unpraktikabel" (197) bezeichnet, nicht etwas zu scharf ausgefallen ist, sei dahingestellt - letztlich erwiesen sich alle Reunionsbemühungen als unpraktikabel, und Molan, dessen Testament ein Beitrag Jean Meyers analysiert, befand sich hier in bester Gesellschaft. Dies gilt auch für den Philosophen Leibniz, dessen Reunionskonzept Hartmut Rudolph behandelt. Ergänzt wird der Beitrag durch Susanne Edels Abhandlung über Leibniz als Philosoph der Kirchenunion.
Ins 18. Jahrhundert führt Thilo Daniel, der die Bedeutung des biografischen Umfeldes für Zinzendorfs Dresdener Unionspläne in der Zeit von 1716 bis 1723 thematisiert. Einen Schweizer Akzent setzt Rudolf Dellspergers Artikel über den Beitrag der "vernünftigen Orthodoxie" zur innerprotestantischen Ökumene. Welche ungewöhnlichen interkonfessionellen und internationalen Koalitionen im Zusammenhang mit den Reunionsbemühungen entstehen konnten, zeigt Wolf-Friedrich Schäufele auf. So unterhielt Erzbischof William Wake von Canterbury (1657-1737) ab 1718 einen irenischen Briefwechsel mit den gallikanisch gesonnenen katholischen Theologen der Sorbonne, die durch eine Union mit der englischen Kirche ihre Position gegenüber der römischen Kurie im Jansenismusstreit stärken wollten. Letztlich scheiterte das Projekt an der Forderung Wakes nach einer Lösung der französischen Kirche von Rom und deren Umgestaltung nach anglikanischem Vorbild. Mit dem Ringen um die Wertheimer Bibelübersetzung (1735) des Johann Lorenz Schmidt als Frage der Toleranz beschäftigt sich Marie M. Baxter. Der letzte Beitrag des Sammelbandes geht der Debatte um die religiöse Einheit in den Niederlanden während des 18. Jahrhunderts nach. Joris von Eijnatten arbeitet den Einfluss der Strömungen des deutschen Protestantismus auf das Nachbarland heraus. Um 1800 hatten die Erziehungsideale der Herrnhuter die nationale Identität der Niederlande maßgeblich geformt - der gebildete Bürger musste über elementare Kenntnisse der christlichen (das heißt protestantischen) Wahrheit verfügen, wollte er als zivilisiert gelten.
Letztlich scheiterten alle frühneuzeitlichen Bemühungen um eine Union der christlichen Kirchen - eine ernüchternde Bilanz. Da eine Konversion die Aufgabe der eigenen Konfession bedeutete, kann man diese wohl kaum als Annäherung bezeichnen. Die Zukunft gehörte der Toleranz - nicht die Einheit, sondern die Trennung der Konfessionen ermöglichte die moderne pluralistische Gesellschaft.
Stefan W. Römmelt