Tomasz Szarota (ed.): Komunizm. Ideologia, system, ludzie. [Kommunismus. Die Ideologie, das System, die Menschen.], Warszawa: Wydawnictwo Neriton 2001, 382 S., ISBN 978-83-86842-87-2
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
Jerzy Kłoczowski: Historia Europy Środkowo-Wschodniej. [Geschichte Ostmitteleuropas], Lublin: Instytut Europy Srodkowo-Wschodniej 2000
Christoph Motsch: Grenzgesellschaft und frühmoderner Staat. Die Starostei Draheim zwischen Hinterpommern, der Neumark und Großpolen (1575-1805), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2001
Die Beschäftigung mit der Zeitgeschichte der Volksrepublik ist in Polen eine relativ junge Teildisziplin. Vor 1989 nur eingeschränkt möglich, stehen die Forschungen seitdem nicht selten im Kreuzfeuer von politischer und juristischer Vergangenheitsbewältigung und publizistischem Interesse an Sensationen. Zugleich wächst jedoch in Polen - zumeist an außeruniversitären Einrichtungen wie der Akademie der Wissenschaften und dem Institut für Nationales Gedenken (Instytut Pamięci Narodowej) - eine Generation von Wissenschaftlern heran, deren zentraler Arbeitsgegenstand die Geschichte der Volksrepublik zwischen 1944 und 1989 ist.
Mehr als ein Jahrzehnt nach der Demokratisierung ist jetzt vielleicht der Moment gekommen, eine erste Zwischenbilanz zu ziehen. Anlass dafür bietet ein Sammelband mit 25 Beiträgen, der zu Ehren des 70. Geburtstages von Krystyna Kersten erschienen ist. Über die Jubilarin bietet der Band neben einem Schriftenverzeichnis leider keine biografische Skizze, sondern lediglich versteckt zwischen anderen Aufsätzen einen von Zbigniew Romek verfassten Beitrag, in dem dieser den Weg Kerstens von der vom Kommunismus begeisterten Historikerin der 1950er-Jahre zu der kritischen Dissidentin der 1980er-Jahre nachzeichnet. Die Biografie Kerstens böte darüber hinaus zahlreiche Materialien zur Reflexion über die Entstehung einer Zeitgeschichte der kommunistischen Epoche in Polen.
Es ist an dieser Stelle nicht möglich, alle Beiträge einzeln vorzustellen. Gefragt werden soll stattdessen, welche Themenschwerpunkte und Herangehensweisen verfolgt werden, um Stärken und Defizite der polnischen Zeitgeschichte herauszuarbeiten. Erstens beschäftigen sich einige Autoren mit den politischen und gesellschaftlichen Folgen des Zweiten Weltkriegs als konstituierenden Faktoren für die Verfasstheit der Volksrepublik. Programmatisch geht dem Jan Tomasz Gross nach, der bereits seit längerem die These vertritt, die materiellen und geistigen Verwüstungen des Zweiten Weltkriegs hätten die Strukturen der Volksrepublik begünstigt. In dieser Forschungstradition steht Rafał Wnuk, der Elemente eines Banditenwesens im antikommunistischen Untergrund 1945-1947 herausarbeitet: Teile des Untergrunds seien durch die Realität des Krieges so deformiert worden, dass sie nach 1945 kriminelle Verhaltensweisen wie Plünderungen und Erpressungen bis hin zum Mord fortsetzten. In diesem Paradigma stehen auch die Beiträge von Jun Yoshioka, der die nationalen Aspekte der Bodenreformen untersucht, und Tadeusz Wolsza, der die Zwangsarbeiterlager 1945-1956 in Polen erforscht.
Zweitens untersuchen mehrere Beiträge die Basis der PZPR in der Arbeiterschaft, deren Mobilisierungspotenzial und prosopographisch die kommunistischen Eliten. So beschreibt Henryk Słabek Karrieren, die aus der Arbeiterschaft heraus bis in Führungspositionen führten, Marcin Zaremba die Mobilisierungsstrategien des Systems und Piotr Osęka die 5. Weltjugendfestspiele in Warschau 1955. Prosopographische Ansätze verfolgen Antoni Dudek mit einer Beschreibung der Nomenklatur der Wojewodschaft Krakau 1948-1980 und Beata Bińko, die den ersten Jahrgang des Instituts für wissenschaftliche Kader beim Zentralkomitee der PZPR, eine intendierte kommunistische Kaderschmiede, betrachtet. Bemerkenswert, dass die Absolventen später diametral unterschiedliche Entwürfe lebten, die vom loyalen Parteifunktionär über den angesehenen Geisteswissenschaftler bis zum Oppositionellen reichen konnten.
Ein dritter Ansatz beschäftigt sich mit resistenten, oppositionellen und widerständigen Milieus in der Volksrepublik und der Frage, bis zu welchem Grade diese von kommunistischen Infiltrationsversuchen erfasst wurden und welche Widerstandsstrategien entwickelt wurden. So beschreibt Jan Żaryn die Einstellungen des katholischen Klerus gegenüber der Staatsgewalt 1944-1956, die von entschiedenem Widerstand bis zu einer positiven oder staatsbejahenden Gesinnung reichen konnten. Sichtbar wird die Rolle "patriotischer" (das heißt vor allem antideutscher) Einstellungen im Klerus, die politisch instrumentalisiert werden konnten. Marcin Kula beschreibt am Beispiel seines Vaters Witold die Taktiken, die polnische Hochschullehrer zur Verteidigung oppositioneller und von der Relegation bedrohter Studenten nach 1968 entwickelten.
Ein vierter Schwerpunkt liegt in den Beziehungen zwischen Staatsmacht und jüdischen Verbänden und den verschiedenen "antizionistischen" (antisemitischen) Campagnen in Polen. Natalia Aleksiun zeichnet die Kontakte zwischen zionistischer Bewegung und Staatsmacht 1944-1949 nach, Bożena Szaynok die aus der Sowjetunion induzierte "antizionistische" Campagne 1948-1953 und Dariusz Libionka die propagandistischen Verbindungen zwischen sowjetischem und polnischem "Antizionismus" 1968-1970. Einem in der polnischen Öffentlichkeit immer wieder sensationell aufgebauschten Thema, nämlich dem Anteil von Personen jüdischer Herkunft im Sicherheitsdienst 1944-1956 sucht sich Andrzej Paczkowski wissenschaftlich zu nähern, indem er die Ursachen, Gründe und Ausmaße dieses Engagements anhand verfügbarer seriöser Quellen beleuchtet. Der hier nur angedeutete Schwerpunkt bildet eine Besonderheit der polnischen Forschung, ermöglicht jedoch methodische Aussagen über den Grad an Fremdenfeindlichkeit und Rassismus, den das kommunistische Regime instrumentell zur Steuerung der Öffentlichkeit einzusetzen bereit war.
Die skizzierten Schwerpunkte lassen deutlich die Fortschritte in der Erforschung der kommunistischen Vergangenheit erkennen: Trotz einer unvergleichlich schlechteren Archivsituation als sie die DDR-Forschung in Deutschland nutzen kann, entstehen zur Politikgeschichte und zur klassischen Gesellschaftsgeschichte weiterführende Studien, die in der Regel ereignis- und strukturgeschichtliche beziehungsweise prosopographische Zugänge wählen. Der hier vorherrschende Positivismus bildet im Guten wie im Schlechten das Kapital einer Wissenschaft, deren beste Vertreter sich über Jahrzehnte einem ideologischen Anspruch gerade durch den positivistischen Zugriff entzogen. Sichtbar werden jedoch zugleich die breiten Lücken, die einem solchen - über weite Strecken zufälligen - Zugriff geschuldet sind: Alltagsgeschichte und moderne Kultur- und Mentalitätsgeschichte sind in der modernen polnischen zeitgeschichtlichen Forschungspraxis kaum vertreten.
Hans-Jürgen Bömelburg