Cyriel Stroo / Pascale Syfer-d'Olne / Anne Dubois et al.: The Flemish Primitives III. The Hiëronymus Bosch, Albrecht Bouts, Gerard David, Colijn de Coter, Goossen van der Weyden Groups (= Catalogue of Early Netherlandish Painting: Royal Museums of Fine Arts of Belgium; Vol. 3), Turnhout: Brepols 2001, 392 S., 140 Farb-, 223 s/w-Abb., ISBN 978-2-503-51229-7, EUR 125,00
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Das vorliegende Buch setzt das ambitionierte Katalogisierungsprojekt der altniederländischen Malerei im Königlichen Museum in Brüssel fort, das 1996 mit einem ähnlich ausgestatteten Band zu den Werkgruppen Meister von Flémalle und Rogier van der Weyden begonnen und 1999 mit einem weiteren zu den Gruppen Dirk Bouts, Petrus Christus, Hans Memling und Hugo van der Goes weitergeführt worden ist. Zwei noch geplante Bände sollen das Unternehmen abschließen, wobei einer von ihnen den "anonymen" Malern gewidmet sein wird.
Die Gliederung des gesamten Materials nach Werkgruppen, die jeweils an einer mehr oder weniger greifbaren Künstlerpersönlichkeit festgemacht werden, ist dem Korpuswerk der "Primitifs Flamands" entlehnt worden, das seit Jahrzehnten vom Brüssler "Centre international d'étude de la peinture médiévale des bassins de l'Escaut et de la Meuse" in immer ausführlicher werdenden Bänden herausgegeben wird. Im Katalog des Königlichen Museums umfassen die Gruppen sowohl Werke, die durch Signatur oder Quellen für einen Künstler gesichert oder aber ihm stilkritisch zugeschrieben sind, als auch Werkstattarbeiten sowie Stücke aus dem "Umkreis" des betreffenden Malers und schließlich Kopien nach demselben. Letztere werden der jeweiligen Gruppe indes nur dann eingefügt, wenn sie nicht das Werk eines anderen, klar zu isolierenden Malers sind - so wird etwa eine freie Kopie nach Dirk Bouts nicht in dessen Gruppe, sondern in der eigenen Werkgruppe ihres Urhebers, Albrecht Bouts, geführt. Es kann dabei natürlich zu gewissen Schwierigkeiten kommen: Beispielsweise ist im ersten Band eine mutmaßliche Kopie nach Rogier van der Weyden unter dessen Namen aufgenommen und führt folglich nicht zur Begründung einer eigenen Gruppe des immerhin halbwegs definierten "Meisters der Heiligblutkapelle", dem sie zugeschrieben wird. Insgesamt erscheit mir das gewählte Aufteilungsverfahren indes vernünftig, verhindert es doch unter anderem ein unübersichtliches Aufsplittern.
Die einzelnen Werkgruppen wiederum sind nach ihrer chronologischen Abfolge auf die einzelnen Teilbände des Katalogs verteilt und auch innerhalb derselben ungefähr gemäß ihrer Zeitstellung angeordnet. Der vorliegende dritte Band umfasst dabei in etwa das, was man die dritte Generation altniederländischer Maler nennen könnte: Alle behandelten Künstler sind in oder nach der Mitte des 15. Jahrhunderts geboren, ihr Schaffen erstreckt sich teilweise bis weit ins 16. Jahrhundert hinein. Die gewählte chronologische Anordnung führt zwar dazu, dass beispielsweise Albrecht Bouts (Band 3) von seinem Vater und großen Vorbild Dirk Bouts (Band 2) getrennt wird, sie erscheint dem Rezensenten aber ebenfalls sinnvoll: Zum einen erleichtert sie die Orientierung des Lesers, zum anderen ermöglicht sie den Vergleich von zeitnahen Werken und generell den Nachvollzug der künstlerischen Entwicklung altniederländischer Malerei.
Die einzelnen Einträge sind ziemlich umfangreich; glücklicherweise verzichten sie auf allerlei Ballast und extreme Ausführlichkeit, wie sie die oben erwähnten Korpusbände kaum mehr benutzbar machen. Man hat hier gleichsam eine Folge kleinerer und größerer Aufsätze vor sich, die durchweg gut lesbar geschrieben sind. Die fast 400 Seiten des Bandes behandeln insgesamt nicht mehr als 17 Werke, die alle auf guten, dem Textteil vorangestellten Farbtafeln wiedergegeben werden. Sehr nützlich sind die mehr als 100 farbigen, im Maßstab unterschiedlichen Detailaufnahmen auf weiteren 19 Tafeln. Ergänzend enthalten die einzelnen Katalogtexte in Schwarz-Weiß Schemazeichnungen der Tafel- und Rahmenkonstruktionen, technische Aufnahmen, vor allem Infrarotreflektographien und Röntgenbilder, Details aus den besprochenen Werken sowie Vergleichsabbildungen. Den Argumentationen zu folgen, wird gerade durch letztere erheblich erleichtert; das mühsame Zusammensuchen von Vergleichsmaterial ist kaum noch nötig.
Alle Katalogeinträge folgen einem festen Schema. Am Anfang stehen Angaben zur physischen Beschaffenheit der Tafeln, der Provenienz, Ausstellungen und Restaurierungen. In den anschließenden "Technical Notes", die oft recht ausführlich ausfallen, werden Untersuchungsergebnisse zum Bildträger - im wesentlichen dessen Konstruktion und dendrochronologische Daten - ebenso mitgeteilt wie die Befunde zu Unterzeichnung, Maltechnik und Abänderungen während des Entstehungsprozesses. Offensichtlich wurden die Gemälde sehr sorgfältigen materiellen Untersuchungen unterzogen, die nicht losgelöst von der übrigen Betrachtung bleiben, sondern von den Autoren oftmals für die Diskussion der Werke fruchtbar gemacht werden können. Es schließt sich der "Status Quaestionis", die mehr referierende Forschungsgeschichte, an, gefolgt von einer ikonographischen Analyse, die gegebenenfalls recht ausführlich wird. Am Ende des jeweiligen Eintrags stehen die "Comments", die Einschätzung der Autoren, die im wesentlichen aus der kunsthistorischen Einordnung des Werkes besteht.
Der Umgang mit dem Material wie auch mit der älteren Forschung ist durchweg sehr sorgfältig und genau. Die Autoren bemühen sich in erfreulicher Weise um Klarheit und Nachvollziehbarkeit ihrer Einschätzung. Sie argumentieren möglichst breit unter Heranziehung verschiedenster Daten, ob diese Komposition und Motive, Malweise oder Unterzeichnung, Ikonographie oder Quellen betreffen. Eine dogmatische Ausrichtung mit Bevorzugung nur eines Ansatzes wurde vermieden. Dem Material entsprechend spielt natürlich das stilkritische Vorgehen eine größere Rolle. Die Vorschläge in der Literatur werden jeweils kritisch überprüft, abweichende Ansichten werden begründet, statt - wie auf diesem Forschungsgebiet ja nicht ganz unbekannt - apodiktisch behauptet. Die Beurteilungen der Autoren erscheinen denn auch zumeist überzeugend, wobei allerdings zu bemerken ist, dass der vorliegende Band kein wirklich umstrittenes oder besonders problematisches Werk enthält.
Obwohl das Brüssler Museum gleichsam die Nationalgalerie Belgiens darstellt, sind seine Bestände an Malerei des 15. und frühen 16. Jahrhunderts nicht durchweg von überragender Qualität und Bedeutung - im Lande selbst etwa kommen sie nicht an die Brügger Sammlungen heran. Die im vorliegenden Teil des Katalogs behandelten Werke gehören überwiegend nicht zu den Zimelien der altniederländischen Malerei, wenn auch mit der Hieronymus Bosch zugeschriebenen, leider nicht gut erhaltenen Kreuzigung und Gerard Davids Königsanbetung beachtliche Stücke darunter sind.
Die größte Werkgruppe des Bandes, mit acht fast die Hälfte aller Nummern umfassend, stammt von Albrecht Bouts und seiner Werkstatt. Bouts zehrte noch bis in die 1530er-Jahre hinein vom künstlerischen Erbe seines 1475 gestorbenen Vaters Dirk. Gerade die Detailaufnahmen der Gesichter in seinen Bildern (etwa Tafel 35d) machen indes deutlich, dass Albrecht sich daneben auch Anregungen bei den Werken des 1482 verstorbenen Hugo van der Goes geholt zu haben scheint. Der moderne Betrachter wird in Albrecht nur schwer einen fesselnden Künstler sehen. Doch ist der Meister, der allem Anschein nach beinahe 100 Jahre alt wurde, wegen seiner erfolgreichen Karriere und umfangreichen, über vermutlich sieben Jahrzehnte anhaltenden Produktion interessant im Hinblick auf den zeitgenössischen Kunstbedarf. Grundlage aller Zuschreibungen an Albrecht Bouts ist ein hier behandeltes Triptychon mit der Himmelfahrt Mariens (134-155), das vermutlich vom Maler selbst gestiftet wurde und sein mutmaßliches Wappen zeigt. Diese alte Zuordnung kann der neue Katalog erfreulicherweise weiter erhärten, indem das Wappen eines weiteren dargestellten Stifters mit großer Wahrscheinlichkeit als das von Albrechts zweitem Schwiegervater, Christiaan de Nausnydere, identifiziert wird (150).
Problematisch erscheinen dem Rezensenten nur wenige der im Katalog gemachten Vorschläge, und zudem eher Kleinigkeiten. Im Falle eines weiteren Werkes von Albrecht Bouts, Jesus im Haus des Simon, ist in meinen Augen die Beifigur eines stehenden, modisch, doch mit fantastischen Einsprengseln gekleideten Jünglings als Stifterdarstellung falsch gedeutet (171f.). Das Bild ist im wesentlichen eine seitenverkehrte Kopie eines Gemäldes von Dirks Bouts (Berlin, Gemäldegalerie). Dieses Vorbild zeigt einen knienden Stifter, der bei Albrecht durch den Jüngling ersetzt wurde. Der Stehende, der nicht betet, sondern seine Hände auf Gewand und Dolch abstützt, dürfte einen Bedienten darstellen, den Albrecht hier - mit erheblichen Schwierigkeiten hinsichtlich des Figurenmaßstabs - eingefügt hat, damit die linke Seite des Bildes nicht leer bleibt und sich der vom Vorbild übernommene Johannes Ev., der im Original zum Stifter gedreht ist, nicht ins Leere wendet.
Bei der Gerard David zugeschriebenen Anbetung der Könige erscheint mir die von Stroo und Syfer d'Olne auf stilkritischer Basis gewonnene Datierung um 1500 durchaus überzeugender als die zuletzt von Ainsworth wie auch von Van Miegroet vertretene Ansetzung um 1490. Des ungeachtet ist in dem Werk jedoch der von den Brüssler Autoren geleugnete Bezug (255) auf die Kunst Jan van Eycks deutlich spürbar. Dies führen vor allem die farbigen Detailabbildungen, insbesondere des Hintergrundes (Tafel 40c, d) vor Augen: Hier versucht David eine atmosphärische, kleinteilige Gestaltung "à la Eyck", angewendet auf Motive, die letztlich gleichfalls auf den alten Brügger Meister zurückgehen. So sieht man einige schöne, sehr eyckisch wirkende Pferdeköpfe. Auch einige Figuren- und Gesichtstypen sind von Erfindungen van Eycks angeregt, wobei die Reiter verraten, dass David hinsichtlich einer organischen, anatomisch plausiblen Gestaltung der Figuren kaum über seinen Vorgänger 70 Jahre früher hinausgekommen ist.
Solche Anmerkungen betreffen aber, wie gesagt, Details. Wie überall im Bereich der altniederländischen Malerei, wo viele Dinge gemutmaßt werden, aber nur wenige wirklich feststehen, mag man im Einzelnen über manche Einschätzungen im vorliegenden Band anders urteilen können. Das schmälert jedoch das Verdienst der Autoren in keiner Weise. Sie liefern auf der Grundlage von nachvollziehbaren Argumentationen sachliche, solide Einschätzungen der jeweiligen Stücke, die auch mit einigen neuen Erkenntnissen aufwarten können. Für die weitere Forschung zu den betreffenden Künstlern oder den fraglichen Werken wird der Band eine unverzichtbare Basis darstellen.
Stephan Kemperdick