Rezension über:

Marietta Frensemeier: Studien zu Adriaen van de Velde (1636-1672) (= Berichte aus der Kunstgeschichte), Aachen: Shaker Verlag 2001, 291 S., 148 Abb., ISBN 978-3-8265-8832-7, EUR 49,00
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Rezension von:
Nils Büttner
Institut für Kunst und ihre Didaktik, Universität Dortmund
Redaktionelle Betreuung:
Dagmar Hirschfelder
Empfohlene Zitierweise:
Nils Büttner: Rezension von: Marietta Frensemeier: Studien zu Adriaen van de Velde (1636-1672), Aachen: Shaker Verlag 2001, in: sehepunkte 3 (2003), Nr. 2 [15.02.2003], URL: https://www.sehepunkte.de
/2003/02/3200.html


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Marietta Frensemeier: Studien zu Adriaen van de Velde (1636-1672)

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"Von Jugend auf durch ererbtes Talent zur Zeichenkunst und Malerei getrieben, verstand er es, sich noch in der Kinderschule heimlich der Zeichenstifte, Pinsel und Farben seines Bruders Willem zu bedienen, bezeichnete und bekleckste alles, was er finden konnte, mit Farben, selbst die Bretter seines Bettes, auf welche er eine Milchbäuerin, für seine Jahre und in Anbetracht des Mangels an Unterricht so staunenswert gemalt hatte, daß diese Jugendarbeit noch lange nachher bewahrt wurde." [1] Arnold Houbrakens (1660-1719) Schilderung aus den Jugendjahren eines Genies zählt zu den frühesten biografischen Berichten über den vielseitigen holländischen Landschafts- und Tiermaler Adriaen van de Velde (1636-1672), dessen Bilder seinerzeit "die ersten Kabinette der Kunstfreunde in den Niederlanden und anderwärts" schmückten.

Mit Marietta Frensemeiers Bonner Dissertation aus dem Jahr 1998 liegt nun erstmals eine Monografie zu diesem so vielseitigen Maler vor, der neben pastoralen Szenen mit Hirten und Herden auch einige Historien, Genrebilder und Porträts schuf. Die "Studien zu Adriaen van de Velde" sind als Künstlermonografie klassischen Zuschnitts angelegt, die auf eine möglichst vollständige Dokumentation des malerischen Œuvres abzielt. Den Auftakt der Untersuchung bildet eine "biographische Skizze" (7-16), die alle bisher bekannten Fakten zum Leben van de Veldes zusammenfasst. Frensemeier hat zwar keine neuen Quellen aufgefunden, dafür aber den bislang unveröffentlichten Nachlass Bredius im "Rijksbureau voor Kunsthistorische Dokumentatie" in Den Haag durchgesehen. So liegt ein Verdienst ihrer Arbeit darin, erstmals die Ergebnisse der Archivforschungen von Abraham Bredius († 1946) publiziert zu haben. Leider hat Frensemeier dessen Angaben nicht anhand der Originaldokumente überprüft und vervollständigt, doch war die Sichtung der schriftlichen Zeugnisse zur irdischen Existenz Adriaen van de Veldes nicht ihr wichtigstes Anliegen.

Frensemeier ging es darum, "auf der Grundlage der älteren Forschung die künstlerische Entwicklung van de Veldes und die Einwirkung anderer Meister auf Themenwahl und Stilbildung präziser zu fassen" (6). Das Fundament derartiger Überlegungen ist das möglichst vollständig rekonstruierte Œuvre. Frensemeier beschränkt sich dabei auf die Gemälde, wobei sie "Radierungen und Zeichnungen [...] berücksichtigt, sofern sie Erkenntnisse zu den Gemälden oder zu van de Veldes künstlerischem Werdegang bringen". Ihr Hauptanliegen ist "die Aussonderung seines gesicherten [malerischen] Werkes aus der Fülle der bisherigen Zuschreibungen" (6). Sie geht dabei von dem 1911 durch Cornelis Hofstede de Groot vorgelegten Verzeichnis der Gemälde Adriaen van de Veldes aus, in dem mehr als 387 Arbeiten beschrieben werden [2]. Nur knapp die Hälfte dieser Bilder hatte Hofstede de Groot selbst in Augenschein genommen. Die restlichen, teils sehr ungenauen Beschreibungen waren der Literatur entnommen, zum Teil alten Auktionskatalogen, die nur Maler und Titel nannten, was zahlreiche Doppelnennungen und Fehlzuschreibungen zur Folge hatte.

Das malerische Werk eines produktiven Künstlers wie Adriaen van de Velde in vollem Umfang zu sichten, zu prüfen, zu ordnen und in einem "Catalogue raisonné" zugänglich zu machen, ist im Rahmen eines Dissertationsprojektes eine kaum zu lösende Aufgabe. Doch Frensemeier hat sich weder durch das umfangreiche Œuvre, noch durch die große Zahl von Spezialuntersuchungen zu einzelnen Werken oder Werkkomplexen und die damit verbundenen, teils interdisziplinären Fragestellungen und neueren methodischen Überlegungen schrecken lassen. Fehler konnten da nicht ausbleiben. So ist der Autorin beispielsweise die signierte und 1662 datierte Winterlandschaft im Antwerpener "Koninklijk Museum voor Schone Kunsten" (HdG 368) entgangen [3]. Auch das von Hofstede de Groot als "hervorragendes Werk" beschriebene Gemälde im Musée des Beaux-Arts in Nimes (HdG 53) und die Bilder in den Museen von Besançon (HdG 181) und Montpellier (HdG 359) fehlen in Frensemeiers Katalog.

Die Dokumentation von van de Veldes Œuvre bildet die Grundlage für eine "beschreibende und analysierende Darstellung des größten Teils seiner Werke" (19-123), die den Hauptteil von Frensemeiers Arbeit ausmacht. Hier widmet sich die Autorin ausführlich und mit einiger Kennerschaft stilkritischen Überlegungen, wobei der Text einen Kompromiss zwischen einer chronologischen Abfolge der Werke und einer Gruppierung nach Bildthemen anstrebt. Der Erörterung des Frühwerkes folgen Überlegungen zu den Fluss-, Strand- und Winterlandschaften, zur Weiterentwicklung von Themen, zu Formensprache und Koloristik, zu den arkadischen Motiven, zu Historien, Allegorien und Porträts, sowie zur Zusammenarbeit mit anderen Künstlern.

Durchgehend macht Frensemeier für "Themenwahl und Stilbildung" van de Veldes die Beeinflussung durch die Arbeiten anderer Künstler verantwortlich. Dass die Motivwahl zu nicht geringen Teilen durch die Forderungen des Kunstmarktes diktiert war, klingt bei Frensemeier nur am Rande an. Einzig im Rahmen einiger "Schlußbemerkungen" wird "nach der Position Adriaen van de Veldes im Geschmack des Publikums und in der Amsterdamer Malerei seiner Zeit" gefragt (124-133). Leider finden dabei frühe Dokumente wie Gerard Hoets "Catalogus of Naamlyst van Schilderijen" (2 Bände, Den Haag 1752) genauso wenig Berücksichtigung wie wichtige neuere Untersuchungen zum niederländischen Kunstmarkt des "Goldenen Zeitalters". So fehlen zum Beispiel Verweise auf die einschlägigen Arbeiten von Michael North oder Marten Jan Bok, um nur einige zu nennen [4].

Abschließend bleibt jedoch festzuhalten, dass Frensemeiers Bemühungen um die Erschließung des Œuvres von Adriaen van de Velde jenseits aller kleinlichen Kritik verdienstvoll bleiben. Es wäre der Autorin zu wünschen, dass sie die Kraft für eine überarbeitete Neuausgabe und einen Verleger findet, der mithilfe ihres reichlichen Bildmaterials einen ansehnlichen Band gestaltet. Die 148 (!) grob gerasterten Abbildungen des vorliegenden Dissertationsdruckes taugen nämlich kaum für stilistische Vergleiche. Man würde sich dann auch ein Register und eine Indexierung des Katalogteils wünschen, die der Benutzbarkeit zuträglich wären.

Anmerkungen:

[1] Arnold Houbraken's große Schouburgh der niederländischen Maler und Malerinnen, übersetzt und mit Einleitung, Anmerkungen und Inhalts-Verzeichnis versehen von Alfred von Wurzbach, Wien 1880, S. 333. Das folgende Zitat ebd.

[2] Cornelis Hofstede de Groot: Beschreibendes und kritisches Verzeichnis der Werke der hervorragendsten holländischen Maler des XVII. Jahrhunderts, Bd. 4, Esslingen / Paris 1911, S. 475-608. Im Folgenden unter Angabe der Nummer zitiert als "HdG".

[3] Koninklijk Museum voor Schone Kunsten - Antwerpen, Departement Oude Meesters: Catalogus Schilderkunst, Antwerpen 1988, 385, Nr. 733.

[4] Michael North: Das Goldene Zeitalter: Kunst und Kommerz in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts, Köln [u.a.] 1992, 2. erweiterte Auflage, ebd. 2001; Marten Jan Bok: Vraag en aanbod op de Nederlandse Kunstmarkt, 1580-1700, Utrecht 1994.


Nils Büttner