Friso Lammertse / Alejandro Vergara (eds.): Peter Paul Rubens: The Life of Achilles. Ausstellungskatalog Museum Boijmans Van Beuningen, Rotterdam 2003 / Museo Nacional del Prado, Madrid 2003/04, Rotterdam: NAi Uitgevers 2003, 150 S., 46 Farb-, 38 s/w-Abb., ISBN 978-90-5662-327-2, EUR 33,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
Im Jahre 1621 besichtigte Otto Sperling (1602-1681), der aus Hamburg stammende Leibarzt des dänischen Königs, die Stadt Antwerpen und ihre Sehenswürdigkeiten. Dazu zählte auch das Haus des Malers Peter Paul Rubens (1577-1640), von dessen Besuch Sperling in seinem Tagebuch berichtet. Nach einer kurzen Visite ließ Rubens den ausländischen Gast von einem Diener durch das Haus führen und die "Antiquitäten und die griechischen und römischen Statuen zeigen, die er in grosser Menge besaß. [...] Wir sahen dort auch einen grossen Saal, der keine Fenster hatte, sondern sein Licht durch eine grosse Oeffnung mitten in der Decke erhielt. In diesem Saale sassen viele junge Maler, die alle an verschiedenen Stücken malten, welche mit Kreide von Hrn. Rubbens vorgezeichnet worden waren und auf denen er hier und da einen Farbfleck angebracht hatte. Diese Bilder mussten die jungen Leute ganz in Farben ausführen, bis zuletzt Hr. Rubbens selbst das Ganze durch Striche und Farben zur Vollendung brachte. Da hiess es denn, das alles sei Rubbens' Werk, wodurch sich dieser Mann einen ungeheuren Reichthum gesammelt hat." [1]
Sperlings nicht ohne Bewunderung vorgetragener Bericht über die Arbeitsorganisation der Rubens-Werkstatt wird nicht allein durch die Berichte anderer Zeitgenossen bestätigt, sondern auf faszinierende Weise auch durch eine Reihe erhaltener Entwürfe für eine Serie von acht Tapisserien dokumentiert, die dem Leben Achills gewidmet ist. Insgesamt hat Rubens im Laufe seines Lebens vier Teppichserien entworfen, deren erste, 1616 bis 1618 im Auftrag eines unbekannten genuesischen Adeligen entstanden, dem Leben des römischen Konsuls Decius Mus gewidmet war. Eine zweite Serie, die das Leben Constantins zum Thema hatte, wurde um 1622 vermutlich für Ludwig XIII. von Frankreich angefertigt. Ungefähr vier Jahre später entwarf Rubens im Auftrag der niederländischen Regentin, Erzherzogin Isabella, eine Folge zum Triumph der Eucharistie. Über die näheren Umstände seines letzten derartigen Auftrages, der Achilles-Serie, ist nur wenig bekannt. Dafür sind jedoch die zwischen 1630 und 1635 entstandenen malerischen Vorstufen der Serie lückenlos dokumentiert. Die ersten Entwürfe bildeten acht Ölskizzen, die zum Besten gehören, was Rubens auf diesem Gebiet geschaffen hat. Nach den ersten Skizzen, von denen sich gleich sieben in Rotterdam erhalten haben und eine in Detroit, entstanden farbig ausgeführte Modelli, von denen sich drei heute in Madrid befinden, zwei in Pau, eine in Sarasota und zwei weitere in der Londoner Courtauld Institute Gallery. Diese im Durchschnitt anderthalb Quadratmeter messenden Bilder dienten dann als direkte Vorlage für Kartons in der vierfachen Größe, entsprechend dem Format der Tapisserien. Zwar sind die originalen Webvorlagen verloren, doch haben sich zumindest einzelne Teppiche aus verschiedenen Editionen der Serie erhalten. Diesen Bestand mit größtmöglicher Vollständigkeit zusammenzubringen und im direkten Nebeneinander den Prozess vom Entwurf bis zur fertigen Tapisserie zu dokumentieren, ist das besondere Verdienst der Ausstellung und des wissenschaftlichen Kataloges.
Seinen Anfang nahm das ehrgeizige Projekt in der Kooperation zwischen Alejandro Vergara vom Madrider Prado und Friso Lammertse vom Rotterdamer Museum Boijmans van Beuningen, der mit seinem Beitrag zum Katalog die Reihe der wissenschaftlichen Essays eröffnet. Ausgehend von den Forschungen Egbert Haverkamp Begemanns, der 1975 den Band des 'Corpus Rubenianum' zur Achilles-Serie verfasste, widmet Lammertse sich ausführlich den Entstehungsbedingungen und dem Prozess der Herstellung. [2] Dabei erlaubt zum Beispiel die Analyse der vom damaligen Standardformat abweichenden Tafeln der Ölskizzen Rückschlüsse darauf, dass Rubens sich schon bei den ersten Entwürfen an bestimmte Formatvorgaben hielt, die sich nur aus der genauen Kenntnis des späteren Bestimmungsortes erklären lassen. Die im Rahmen einer Restaurierung der Rotterdamer Ölskizzen vorgenommene genaue technologische Untersuchung brachte in einigen Fällen die Unterzeichnung zum Vorschein und erwies zugleich, dass die Skizzen für die Übertragung auf das Format der Modelli quadriert wurden. Die Modelli farbig umzusetzen lag dann zu weiten Teilen in der Hand von Werkstattgehilfen. Die technologische Analyse dieser Bilder erbrachte jedoch den Beleg, dass auch in den Modelli Details, manchmal gar große Partien von Rubens selbst ausgeführt wurden. So war die architektonische Rahmung in dicken Farblagen ausgeführt, während die Figuren in einem ersten Arbeitsgang ausgespart blieben und dann zu einem späteren Zeitpunkt, vermutlich durch Rubens selbst, in einer sehr dünnen Farbschicht angelegt wurden. Im Anschluss an die bis heute grundlegenden Überlegungen von Julius Held zu Rubens' Ölskizzen erbringt die auch fotografisch dicht belegte Untersuchung der Achilles-Serie zahlreiche wertvolle neue Einsichten in Rubens' Arbeitsweise. [3]
Der detaillierten Analyse von Ölskizzen und Modelli folgen Überlegungen zu den Tapisserien und ihren unmittelbaren Vorstufen, den Kartons. Für diesen Teil des Kataloges konnte als ausgewiesener Experte auf diesem Gebiet Guy Delmarcel gewonnen werden. So informativ wie anschaulich legt er die komplizierte Editionsgeschichte der verschiedenen bekannten Teppichserien dar. Darüber hinaus ist Delmarcel die Wiederentdeckung zweier bislang unbekannter Exemplare aus der 'editio princeps' zu danken. In einem weiteren profunden Essay widmet sich Fiona Healy dem ungewöhnlichen Thema der Serie und ihren Motiven. Was sie vorlegt, ist eine mustergültige ikonographische Studie, die allein schon durch die Dichte der angeführten visuellen und textlichen Quellen beeindruckt. Die hier vorgetragene spannende These, dass die Serie mit ihrem bemerkenswerten Programm möglicherweise für eine Frau konzipiert wurde, verdient Beachtung.
Den Schluss des Bandes bildet ein synoptischer Katalog, in dem alle Werke detailliert vorgestellt werden. Insgesamt werden die Forschungsergebnisse in einer so ansprechenden wie lesbaren Form präsentiert, die das spannende Thema einem breiten Leserkreis zugänglich macht. Der großformatige Band überzeugt darüber hinaus auch durch seine gelungene grafische Gestaltung und die in bestechender Qualität gedruckten Abbildungen. Sowohl inhaltlich als auch ästhetisch ein rundherum gelungenes Buch, das für jede Bibliothek eine Bereicherung bedeutet.
Anmerkungen:
[1] Wilhelm von Seidlitz: Bericht eines Zeitgenossen über einen Besuch bei Rubens, in: Repertorium für Kunstwissenschaft 10 (1887), 111.
[2] Egbert Haverkamp Begemann: The Achilles series (= Corpus Rubenianum Ludwig Burchard, Bd. 10), London [u.a.] 1975.
[3] Julius Held: The oil sketches of Peter Paul Rubens: a critical catalogue (= Kress Foundation studies in the history of European art, Bd. 7), 2 Bde., Princeton, NJ 1980.
Nils Büttner