Günter Bischof / Wolfgang Krieger (Hgg.): Die Invasion in der Normandie 1944. Internationale Perspektiven (= Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte; Bd. 16), Innsbruck: StudienVerlag 2002, 204 S., 12 S. Bildteil, ISBN 978-3-7065-1505-4, EUR 21,50
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Dieses Buch ist im Rahmen einer Ringvorlesung entstanden, die an der Ludwig-Maximilians-Universität München im Sommersemester 1994 veranstaltete wurde. Sie sollte eine internationale Perspektive auf ein Ereignis vermitteln, das im Sommer 1994 nicht ohne politische Brisanz war, nämlich den von den alliierten Siegermächten des Zweiten Weltkrieges mit großem Pomp gefeierten 50. Jahrestag der Landung in der Normandie. Schon aus diesem Grund ist es bedauerlich, dass die Veröffentlichung acht Jahre gedauert hat.
Der Sammelband ist in drei Teile gegliedert. Er beginnt mit vier Beiträgen über "die deutsche Seite", gefolgt von sechs Beiträgen über "die alliierte Seite", die den Schwerpunkt des Buches darstellt. Der Band schließt mit einer Diskussion über die Nachwirkungen des 6. Juni 1944 in Deutschland und bei den Alliierten.
Die ersten zwei Beiträge versuchen die Invasion im größeren Zusammenhang der deutschen Weltkriegsgeschichte zu verorten. In seinem Aufsatz begründet Norbert Frei seine Behandlung des kompletten Krieges an der deutschen Heimatfront mit der Bemerkung, "Wer die Lage an der 'Heimatfront' im Zeichen der alliierten Landung an der Atlantikküste verstehen will, muss zurückgehen bis zum Sommer 1939"(18). Als Einstimmung auf die folgenden Diskussionen mag dies im Kontext einer Ringvorlesung sinnvoll gewesen sein, für ein Buch über die Landung in der Normandie und ihre internationale Dimension wäre allerdings vielleicht eine schärfere Fokussierung auf das Jahr 1944 geeigneter gewesen. Dieses Problem wiederholt sich im Beitrag von Hermann Graml über "Das Kriegsgeschehen 1944", der mehr oder weniger eine Gesamtdarstellung des militärischen Verlaufs des Zweiten Weltkriegs aus deutscher Sicht bietet. Zu der eigentlichen Thematik gelangt man erst mit den Beiträgen über die "Deutsche Vorbereitung auf eine alliierte Invasion im Westen" (Detlef Vogel) und "Die Invasion aus der Sicht von Zeitzeugen" (Günter Bischoff/Rolf Steininger).
Detlef Vogel skizziert die deutschen Verteidigungsmaßnahmen im Westen und hebt dabei die Kompetenzprobleme der Kommandostruktur hervor. Er geht auch mit interessanten Beispielen auf die Schwierigkeiten der Wehrmacht ein, die Moral ihrer Truppen aufrechtzuerhalten, und schließt mit der wichtigen Beobachtung, dass die fehlende Koordination in der deutschen Analyse der alliierten Absichten erheblich zum Erfolg der Landung beitrug.
Der Aufsatz Günter Bischoffs und Rolf Steiningers über die Frage, wie Zeitzeugen die Invasion erlebten, bietet eine weite Perspektive, die die politische Führung (Hitler und Goebbels), die deutsche Bevölkerung und die deutschen Soldaten einschließt. Auffallend ist dabei die anfängliche Euphorie der Bevölkerung, die mit der Landung eine kriegsentscheidende Wende erwartete, um nur einige Wochen später enttäuscht in Resignation zu verfallen und sich allmählich mit der drohenden Niederlage innerlich zu arrangieren. Die Abhandlung über die Sicht der Soldaten, die sich häufig über die erdrückende alliierte Überlegenheit an Material äußerten, ist ebenfalls anregend und hätte ein Kapitel für sich verdient.
Im zweiten Teil untersuchen überwiegend ausländische Historiker folgende Aspekte der Invasion: "Die militärische Planung der Alliierten für die Invasion" (Gerhard L. Weinberg); "Die Kontroverse unter den Alliierten um die 'zweite Front'" (Günter Bischof); "Großbritannien am Vorabend der Invasion" (David Reynolds); "Die Situation in Frankreich im Mai 1944" (Jean Delmas); "Die Kanadier auf dem Weg in die Normandie" (Brian Loring Villa). Günter Bischof diskutiert konzis das Zusammenspiel von militärischer Planung und diplomatischem Tauziehen im Vorfeld der Invasion. David Reynolds unterstreicht die sozialgeschichtliche Bedeutung der Schlacht in der Normandie, besonders die Präsenz der amerikanischen Truppen in Südengland und das Durchsickern von Informationen in die Tagespresse, lässt aber die militärischen Vorbereitungen nicht außer Acht. Jean Delmas behandelt die politische Situation und die Verhältnisse in Frankreich und die Lage de Gaulles am Vorabend der Invasion. Hierbei ist besonders die recht widersprüchliche Einstellung der französischen Bevölkerung interessant, die beispielsweise in der Hauptstadt zu beobachten war: Noch im April 1944 empfingen die Pariser Pétain überaus herzlich, um vier Monate später de Gaulle enthusiastisch zuzujubeln. Brian Loring Villa zeigt nicht nur die kanadische Kriegspolitik während des Zweiten Weltkrieges, sondern verdeutlicht, wie zentral die ersehnte Landung in der Normandie in diesen Überlegungen war und geht darüber hinaus auf die strategische Bedeutung der kanadischen Einheiten am 6. Juni 1944 und in den Wochen danach ein.
Alle diese Aufsätze bieten einen komprimierten, aber trotzdem facettenreichen Einblick in politische, strategische und militärische Aspekte des "längsten Tages". Lediglich das Kapitel von Steven E. Ambrose, dessen offenbar nicht überarbeitetes, holzschnittartig wirkendes Vortragsmanuskript über die "USA und D-Day" wenig zum Thema beizutragen hat, fällt aus dem Rahmen.
Stil und Form der Beiträge sind sehr unterschiedlich, was dem Buch einen etwas uneinheitlichen Charakter verleiht. Manche haben keine oder nur ein paar Anmerkungen (Graml, Weinberg, Ambrose, Delmas, Villa), während andere entweder auf eine adäquate Auswahl an Sekundärliteratur oder zusätzliche Primärquellen (Frei, Vogel, Bischoff/Steininger, Bischof, Reynolds) verweisen.
Etwas irritierend ist die Behauptung in der Einleitung der Herausgeber: "Da das Fach Militärgeschichte von 'modernen' Historikern noch immer als altmodisch abgekanzelt wird, sollten unsere Studenten die Gelegenheit erhalten, den neuesten Stand der Forschung zur Normandie-Invasion 1944 kennenzulernen" (12). Irritierend nicht nur, weil manche Beiträge nicht gerade den neuesten Forschungsstand widerspiegeln (was sicherlich teilweise das Resultat des langen Abstandes zwischen Vortrag und Veröffentlichung ist), sondern auch weil die Mehrheit der Abhandlungen zwischen Kriegszielen, Außenpolitik und "grand strategy" schwankt, die rein militärischen Aspekte dagegen eher unterrepräsentiert bleiben. Mit Blick auf die neuesten Veröffentlichungen in englischer Sprache hätten die Kämpfe auf dem Boden, aber besonders die Einwirkung der alliierten Luftstreitkräfte eine ausführlichere Behandlung verdient.
Nachdem in der Einleitung die Frage nach der Bedeutung der Normandie-Landung für die deutsche Politik gestreift wird, versucht Wolfgang Krieger in seinem abschließenden Beitrag über den "6. Juni 1944 im politischen Denken in Deutschland und bei den Alliierten" das Ereignis im Kontext der internationalen Nachkriegsordnung zu verorten. Aber da seine Argumente stark aus Debatten der Politikwissenschaft hervorgehen, hat der Leser den Eindruck, dass resümierende Bemerkungen über die jeweiligen deutschen und alliierten Forschungspositionen, Interessenfelder und die allgemeinen Bewertungen der Landung in der öffentlichen Wahrnehmung fehlen.
Dennoch versammelt der Band genug interessante Beiträge, um ihn als guten Einstieg in das Sujet empfehlen zu können. Trotz einiger Schönheitsfehler sei das Buch daher vor allem denjenigen empfohlen, die sich mit Hilfe von knappen Beiträgen über die Landung in der Normandie schnell informieren wollen.
Alaric Searle