Gottfried Korff: Museumsdinge. deponieren - exponieren. Hrsg. von Martina Eberspächer, Gudrun Marlene König, Bernhard Tschofen, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2002, XIV + 394 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-412-04202-8, EUR 39,90
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Auf den ersten Blick erscheint nicht ganz klar, was man mit dem vorliegenden Buch in den Händen hält. Eine Anthologie? Eine Festschrift gar? Versammelt sind auf knapp 400 Seiten 21 Aufsätze des Kulturwissenschaftlers Gottfried Korff aus den Jahren 1980 bis 2000 zur Geschichte und Theorie kulturhistorischer Museen und Ausstellungen. Sie widmen sich vornehmlich den zentralen Fragen und Problemen des Sammelns und Ausstellens, konzentrieren sich - so könnte man meinen - also vor allem auf zwei der vier kanonisierten Aufgabenbereiche des Museums. Indes macht der Autor die Funktionen des Museums im Kraftfeld von Vergangenheit und Gegenwart dualistisch als "sammelnd-bewahrende (= deponierende)" und "interpretierend-aktualisierende (= exponierende)" aus.
Es ist aber nicht nur Korff, Professor für Kulturwissenschaften an der Universität Tübingen, der sich hier eindringlich zu Wort meldet. Versammelt sind auch Texte von 15 GastautorInnen, die sich vor allem aus der Kulturwissenschaft und der Museumspraxis rekrutieren und in knappen, selten mehr als drei Seiten umfassenden Texten die Ausstellungstätigkeit des Kollegen und praktizierenden Museologen Korff wohlgesonnen kommentieren.
Die HerausgeberInnen dieser Aufsatzsammlung haben die Fülle des heterogenen Materials in insgesamt vier Kapiteln geschickt untergliedert. Werden im ersten Teil die Grundlagen des Ausstellens verhandelt (quasi von den Konjekturen zwischen frühneuzeitlichen Wunderkammern und ersten Sammlungsreisen bis zur Freizeitkultur der Gegenwart), bildet das zweite Kapitel gleichsam das theoretische Rückgrat des Buches. Hier entfaltet sich in sechs Aufsätzen aus den Jahren 1984 bis 2000 Korffs erfrischender, selten weitschweifiger Blick auf die "Sinnagenturen der Moderne" (IX): Museen als Orte der Repräsentation und Konstruktion von Kulturen. Im folgenden Kapitel "Experiment und Praxis: Ausstellungen 1975 bis 2000" replizieren die GastautorInnen auf Texte, die Korff im Zusammenhang mit eigenen Ausstellungsprojekten publiziert hat. Das Kapitel "Einmischungen: Kritik und Kontroverse" schließt den Band mit acht Beiträgen zur Ausstellungspraxis der späten Achtziger- und Neunzigerjahre ab. Auch sie trotz des Einzelfallcharakters von grundlegender Natur. Ohne das Ausstellungswesen in institutionsgeschichtlicher Perspektive zu beleuchten, nähert sich der Band seinem Gegenstand also nicht nur von der theoretischen Seite, sondern auch in exemplarischen Einzelfallstudien vor dem Hintergrund der umfangreichen Ausstellungspraxis des Hauptautors. Eine insgesamt homogene Sichtung der soziokulturellen Grundbedingungen des Ausstellungswesens.
Nun ist es nicht jedes Lesers Sache, sich in etlichen Aufsätzen eingehend mit Verlebendigungsstrategien in Freilichtmuseen, der Dokumentationspraxis der Alltagskultur oder den Präsentationsabsichten von Heimatmuseen auseinander zu setzen. Gleichwohl kreist jeder einzelne der Aufsätze, und sei er auch der "Errichtung eines Donauschwäbischen Zentralmuseums" (360 ff.) gewidmet, um die freilich theoretische, wiewohl höchst spannende Frage nach der gesellschaftlichen Funktion kulturgeschichtlicher Museen und Ausstellungen. Dabei nehmen Korffs Gedanken fast nie Reißaus aus dem selbst eingefriedeten Gedankengehege des Kulturhistorischen. Die von ihm als besondere erkannte Situation der Kunstmuseen wird folglich nicht reflektiert - aus der Perspektive des Kunsthistorikers zunächst ein bedauerlicher Umstand. Indes kann gerade hierin, in der Konzentration auf kulturhistorische Museen, der Gewinn der Lektüre für den Kunsthistoriker liegen, lässt sich doch vieles auf die Situation der Kunst im Kunstmuseum (wenngleich unter anderen Vorzeichen) übertragen. Zumindest regen die Texte zu einem solchen Gedankengang an.
So misst Korff beispielsweise den Dingen im Museum in hohem Maße eine "Erinnerungsveranlassungsleistung" (143) zu. Was nicht weniger meinen will, als dass gerade Fragmente (und in dieser Annahme nähert sich Korff Malraux Konzeption des Musée Imaginaire) "Lehrmeister der Fiktion" seien: "Das Museum hat es eigentlich nicht mit Visualisierung zu tun, sondern das Museum stellt aus, arrangiert anschaubare Objekte im Raum. Visuell sind seine Bauelemente eo ipso - und nicht nur seine didaktische Strategie. Das Museum bebildert nicht; es ist Bild." (143 f.) Damit wendet der Autor ein museologisches Problem ins Positive: Die immer wieder von Fachvertretern als bisweilen kontrafaktisch bemängelte Konstruktion von Geschichte im Museum. Das Exponat nämlich kann, so die Kritiker, als fragmentarischer Partikel eines vergangenen sozialen Kontexts diesen zwar symbolisieren, letztlich aber die ursprüngliche Vielfalt seiner Kontextbezüge nicht mehr vollends ausdrücken.
Korff hingegen begreift (weniger in der Tradition der akademischen Museologie stehend, als einer interdisziplinären Museumsforschung verpflichtet) die Dinge im Museum als materialisierte Geschichte und deren Exponierung als "verfügbar gemachten Sinn" (142). Das Museum sei der spezifische Ort ihrer Zeugenschaft, der Ort konkret gewordener Erinnerung zwischen gegenwärtiger Nähe und historischer Ferne. Natürlich meint man hier einen Anklang an den Benjaminschen Aurabegriff zu vernehmen. Und natürlich bezieht sich Korff unverhohlen auf diesen, etwa wenn er im Aufsatz "Fremde (der, die, das) und das Museum" von 1997 im Spannungsverhältnis von Fremdem und Eigenem eine der Grundkonstellationen des Museums ausmacht. Das Fremde sei der Gegenstand des Museums. Es ist ein Zeichenträger, ein Semiphor, wie es Krysztof Pomian in seinem Buch "Der Ursprung des Museums" 1988 genannt hat. Doch erst der Museumsbesucher, der Betrachter des Museumsdings erschließe in seiner räumlichen Bewegung und in der Erfahrung der sinnlichen Präsenz des Exponats dessen kulturellen Sinn: "Die physische Nähe des Objekts ist ebenso gegeben wie die psychische Fremdheit, als die Erscheinung einer Ferne, so nah sie sein mag. Der Betrachter rückt dicht an den musealen Gegenstand - trotz einer mentalen, psychischen, kulturellen oder wie auch immer qualifizierenden Differenz. Aus diesem Spannungsverhältnis, das im räumlich nahen, aber mental fernen Ding seinen Grund hat, leiten sich Staunen und Neugierde her [...]." (147). Es ist hier ein Schlüsselmotiv im Denken Korffs formuliert: Die Beschreibung des Exponats als sich zwischen Schauraum und Rezipient auffaltend erlaubt dem Autor, Museen (mit Foucault) als Heterotypien, als Orte, an denen sich das Imaginäre des Dings verwirkliche, aufzufassen - als Sinnagenturen der Moderne eben.
Lars Blunck