Rezension über:

Maria Andaloro / Serena Romano (Hgg.): Römisches Mittelalter. Kunst und Kultur in Rom von der Spätantike bis Giotto, Regensburg: Schnell & Steiner 2002, 224 S., 189 Abb., ISBN 978-3-7954-1471-9, EUR 89,00
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Rezension von:
Friederike Wille
SFB "Medien und kulturelle Kommunikation", Universität zu Köln
Redaktionelle Betreuung:
Ulrich Fürst
Empfohlene Zitierweise:
Friederike Wille: Rezension von: Maria Andaloro / Serena Romano (Hgg.): Römisches Mittelalter. Kunst und Kultur in Rom von der Spätantike bis Giotto, Regensburg: Schnell & Steiner 2002, in: sehepunkte 3 (2003), Nr. 7/8 [15.07.2003], URL: https://www.sehepunkte.de
/2003/07/1274.html


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Maria Andaloro / Serena Romano (Hgg.): Römisches Mittelalter

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Der vorliegende Band ist die deutsche Übersetzung einer italienischen Sammelpublikation, die bei Jaca Book (Mailand) bereits im Jahr 2000 erstmals erschien. Das damals in der Reihe 'Di fronte e attraverso' in Paperback, mit Schwarz/Weiß-Abbildungen und unter dem Titel "Arte e iconografia a Roma da Costantino a Cola di Rienzo" publizierte Buch wurde 2002 noch einmal in größerem Format, Hardcover und mit zahlreichen farbigen Abbildungen aufgelegt, jetzt mit dem Untertitel "Dal tardoantico alla fine del medioevo". Die gleichzeitig bei Schnell und Steiner erschienene, reich bebilderte und hier zu besprechende deutsche Übersetzung trägt den Untertitel "Kunst und Kultur in Rom von der Spätantike bis Giotto". Es sind die altbekannten Zäsuren, die ein christliches "Römisches Mittelalter" apostrophieren, von dem der deutsche Titel spricht. Giotto ist im Untertitel offenbar nur als zugkräftiges Synonym für das beginnende 14. Jahrhundert gewählt - im Buch spielt er keine Rolle.

Die Herausgeberinnen wollen ihr "Römisches Mittelalter" im Sinne Freuds verstanden wissen, dessen berühmtes Zitat aus "Das Unbehagen in der Kultur" von 1929 sie dem Buch voranstellen: Rom sei "ein psychisches Wesen von ähnlich langer und reichhaltiger Vergangenheit, in dem also nichts, was einmal zustande gekommen war, untergegangen ist, in dem neben der letzten Entwicklungsphase auch alle früheren noch fortbestehen" (7). "Die Kunstproduktion Roms, die unauflöslich mit dem hier ansässigen Papsttum verknüpft ist", soll demnach in den einzelnen Beiträgen auf "Grundzüge, konstante Elemente, lang anhaltende Ausrichtungen und Veränderungsachsen" (7) befragt werden - ein nicht gerade ganz neuer Ansatz innerhalb der abundanten Romforschung.

Jedes Buch, das mit dem Anspruch auftritt, die zehn Jahrhunderte von Konstantin bis in die Zeit des Avignoneser Exils der Päpste zu untersuchen, muss sich dem Vergleich mit Richard Krautheimers Standardwerk von 1980 stellen. Krautheimer entwarf ein Profil der mittelalterlichen Stadt in einer groß angelegten Erzählung der Geschichte Roms, wie sie sich im Stadtplan, in den Bauten und in den Ausstattungsprogrammen konkretisiert. Krautheimers "Profile of a city. 312 - 1308" wird durch vorliegendes Buch - das sei vorweggenommen - nicht umgezeichnet.

In den acht chronologisch geordneten Beiträgen wird der Bogen von der konstantinischen Zeit bis in das Trecento gespannt, nun aber bis zu Cola di Rienzo, dem Volkstribun und Bewunderer Petrarcas. Auf dem Kapitol rief Cola 1343 ein republikanisches Regime aus und ließ zur Durchsetzung seiner politischen Ziele am Senatorenpalast eine weltliche "navicella" aufmalen, in der die personifizierte Roma die Hauptrolle spielte. Das Kapitol als Ort politischer Repräsentation und Propaganda erhielt sein Gewicht zurück, obwohl gleichzeitig Sankt Peter und die dortige "navicella" insinuiert wurden. Im ersten Beitrag des Buches wird der Verlust dieser symbolischen, "staatstragenden" Bedeutung des Kapitols in konstantinischer Zeit beschrieben. Das Grab des Apostelfürsten Petrus und die darüber errichtete Basilika außerhalb der antiken Stadt hatten die entsprechenden Funktionen übernommen.

In diesen Eckmarkierungen zu Beginn und Ende des Buches wird die übergreifende Fragestellung nach päpstlicher, kirchlicher Repräsentation in den Ausstattungen des römisch-christlichen Kultraums im Verhältnis zu den antiken Traditionen umrissen. Die sechs Autoren (Maria Andaloro und Enrico Parlato von der Universität in Viterbo, Augusto Fraschetti und Francesco Gandolfo von den römischen Universitäten, Serena Romano, Universität Lausanne, sowie Peter Cornelius Claussen, Universität Zürich) erproben an unterschiedlichem Material das Modell der "longue durée" antiker Traditionen in der mittelalterlichen Kunst Roms in ihrer unlösbaren Verknüpfung mit der Idee des Papsttums.

Maria Andaloro behandelt die frühen römischen Marienikonen im Horizont der profanen, antik-römischen Porträtkunst. Über die Papstporträts in Sankt Paul vor den Mauern gelangt sie in ihrer Argumentation zur psychologischen Suggestionskraft der Marienbilder. Nicht von der Wirkung, sondern von der Funktion der gleichen Bilder, den Prozessionsikonen, handelt Enrico Parlato. Er rückt in seinem Artikel die performative Liturgie außerhalb geschlossener Kulträume (ab dem 8. Jahrhundert dokumentiert) ins Bewusstsein des Lesers. Rom als Ganzes ist liturgische Bühne. Die wandernde Liturgie semantisiert die Stadtlandschaft und akzentuiert die "forma urbis". Von hier lohnt der Blick zurück auf den ersten Beitrag von Augusto Fraschetti, der die Ummarkierung der spätantiken, konstantinischen Stadtlandschaft Roms, weg vom Kapitol und hin zu Sankt Peter, durch die veränderten Routen der Prozessionen und adventus-Zeremonien beschrieben hatte.

Serena Romano und Maria Andaloro bieten in ihrem gemeinsamen Beitrag dann eine Geschichte der spezifisch römischen, monumentalen Apsisdekoration vom 5. bis ins 13. Jahrhundert. Francesco Gandolfo stellt das Auftraggeberporträt innerhalb dieser großen Apsiskompositionen vor. Serena Romano wiederum beschreibt in einem weiteren Kapitel die erzählenden Zyklen an den Langhauswänden und komplettiert damit das Bild des römischen "Sakralbaus als Organismus, in dem die Aufgaben der unterschiedlichen Räumlichkeiten und die entsprechende Dekoration ganz eng miteinander verbunden sind" (8-9).

Peter C. Claussen, der bereits 1987 sein Buch über die römischen Marmorkünstler des Mittelalters vorgelegt hat, resümiert unter der Überschrift "Marmor und Glanz. Liturgische Räume und ihre Ausstattung" die Relevanz des Materials und des liturgischen Mobiliars schlechthin (etwa für die Proportionierung der Architektur). Er beschreibt den Weg von der "restauratio" / "conservatio" des 11. Jahrhunderts, über die "renovatio" des frühen 12. Jahrhunderts (gregorianische Reform) hin zum neuen Konzept der ostentativ imperialen Zeichensetzung im Dienst des kirchlichen Triumphs. Er handelt dabei auch vom Selbstbewusstsein der römischen "marmorarii" im 12. und 13. Jahrhundert, die beginnen, ihre Werke zu signieren. Claussen möchte zu Recht zum einen den Begriff der "Spolie" in Rom als quasi Bodenschatz, "materia prima" relativiert wissen, zum anderen apostrophiert er den ubiquitären Antikenbezug als Teil einer Geschichte des Imaginären. Die Romidee als variables imaginäres Bild ist "als das eigentliche Phänomen langer Dauer zu identifizieren" (152).

Der Band schließt mit einem Aufsatz Serena Romanos zur Romidee und Bildpraxis Cola di Rienzos. 1995 erstmals publiziert, werden hier Colas Propagandastrategien mithilfe der "Cronica" des sogenannten Anonymus Romanus rekonstruiert. Roma erscheint darin personifiziert und beklagt ihre Witwenschaft in allegorischen Bildern, welche die neue komplexe Bildsprache der toskanischen und oberitalienischen, unabhängigen Stadtstaaten imitieren. Nun wird auch in Rom, das seiner mittelalterlichen Legitimierung durch das Papsttum verlustig ging, ein Bruch mit der Antike festgestellt: Petrarca betrauert die verlorene Vergangenheit. Ein neues archäologisch-antiquarisches und literarisches Interesse an der Antike tritt an die Stelle der bislang beschworenen Kontinuität. In dem Moment, in dem die Funktion der Stadt als monumentaler Aktionsraum päpstlicher Repräsentation entfällt, wird Rom in höherem Maß als je zuvor zum Thema der Rhetorik von Texten und Bildern. Cola verdichtet Spolien, lateinische Inschriften und Figurenreliefs mit Bildern und Leseanweisungen im 'volgare' zu neuen Sinnzusammenhängen. Er geriert sich als Interpret einer nicht mehr verständlichen antiken Kultur.

Das Buch richtet den Fokus auf die Ausstattung des christlichen Kultraums, auf Mosaike, Wandmalereien, Ikonen sowie die marmornen Ausstattungsstücke und auch auf die Performativität der Liturgie, die außerhalb der Kulträume die Stadt dynamisch semantisiert. Das umfangreiche Material wird übersichtlich und in guten Abbildungen präsentiert. In den meisten Fällen ist die relevante neuere Forschung, die zum Jubiläumsjahr 2000 allerdings noch einmal beträchtlich anschwoll, berücksichtigt. Fulminant neue wissenschaftliche Erkenntnisse ergeben sich aus der Zusammenschau nicht. Doch könnte das Buch sehr gut als profunde propädeutische Überblickslektüre zum Thema empfohlen werden, wäre nicht - und diese Kritik richtet sich an den Verlag - die ärgerliche, weil häufig sinnentstellende, mitunter sachlich falsche deutsche Übersetzung. Man muss das Buch streckenweise gegen die Widerstände dieser Übersetzung lesen. Und das macht wenig Freude.

Friederike Wille