Walter Angelelli / Serena Romano (a cura di): La linea d'ombra. Roma 1378-1420 (= Études lausannoises d'histoire de l'art; 28), Roma: Viella 2019, 471 S., 17 Farb-, 119 s/w-Abb., ISBN 978-88-3313-091-0, EUR 58,00
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Der Band geht auf eine Doppeltagung zurück und enthält 20 Aufsätze, von denen zwei englisch, einer französisch, der Rest auf Italienisch geschrieben sind. Die Namen der Beiträger lesen sich wie ein Who's Who der Forschung zur römischen Stadtgeschichte des Spätmittelalters, insbesondere der Forschung zur italienischen, ja römischen Kunst des Spätmittelalters; aus deutscher Perspektive möchte man fast nur das Fehlen von Arnold Esch bedauern, der aber durch seine Arbeiten häufig indirekt präsent ist. Eine Zusammenfassung gibt es nicht, die konzeptionelle Orientierung wird in der Einleitung von den Herausgebern geleistet (7-19). Ein Namens- und ein Ortsindex beschließen diesen reichlich mit hochwertigen Schwarz-Weiß-Abbildungen ausgestatteten Band.
Ausgangspunkt der Tagung und somit auch des Bandes ist die verschiedentlich festgestellte Diskrepanz zwischen den Ergebnissen rezenter historischer Studien zur Geschichte der Stadt Rom im 14. Jahrhundert und dem Topos über das Rom vor der Renaissance: Die Studien zeigen eine überaus lebhafte Stadt; Rom in Ruinen ist der bekannte literarische Topos, der seit längerer Zeit und auch im beginnenden 15. Jahrhundert beschworen wird. Aus Sicht der Geschichtswissenschaft kommt noch der Fokus der Forscher und Forscherinnen hinzu, worauf Joëlle Rollo-Koster verweist: Zwar wird das Spätmittelalter in der Forschung zur Stadtgeschichte regelmäßig behandelt und gerade die jüngere Forschung hat hier große Fortschritte gemacht, aber gerade die Phase, der der Band gewidmet ist, werde eher rasch abgehandelt, wenn es denn überhaupt zu einer Behandlung komme (41).
Gerade der Topos des Ruinösen in der besonders ruinösen Zeit des Schismas ist also der Angriffspunkt dieses Bandes, der den Schwerpunkt auf die kulturhistorischen Aspekte dieses Verfalls legt. 'Kulturhistorisch' ist hier im weiteren Sinne zu verstehen: Sowohl die Kulturgeschichte des Politischen ist vertreten wie auch Beiträge zu Baugeschichte, Kultgeschichte mit ihren entsprechenden künstlerischen Emanationen, vielfach kommen die mit Stein arbeitenden Künste zum Tragen, aber auch die Malerei und die Goldschmiedekunst.
Die ersten beiden Beiträge gehen von einem Ansatz aus, der als Kulturgeschichte des Politischen bezeichnet werden kann. Armand Jamme (Prendre Rome aux temps du Grand Schisme. Méthodes et chimères, 21-39) arbeitet in dieser Hinsicht überaus kenntnisreich und überzeugend das Tagebuch des Antonio dello Schiavo auf, eine der wenigen Quellen, die für diese Zeit zur Verfügung stehen. Die Rolle Roms, die man reflexhaft als überaus wichtig für Päpste und weltliche Potentaten der Zeit einschätzen möchte, wird hier stark relativiert. Angelehnt an das von Michail Bachtin entlehnte Verständnis des Karnevals als einer Verkehrung von Oben und Unten, mithin einer Umkehrung des dominanten Diskurses, spricht Joëlle Rollo-Koster (Rome during the Schism: The Long Carnival, 41-52) drei Komplexe an (42): Einzüge, Reliquienweisungen der Apostelfürsten und der Veronika. Dabei wird immer wieder deutlich, welche herrschaftlichen Praxen von Invasoren usurpiert worden sind und welche Beweggründe dahinter gestanden haben mögen.
Themen, die im Übergangsfeld von Geschichte und Kunstgeschichte liegen, greifen Dario Internullo (Nobiltà romana e cultura allepoca del Grande Scisma. Consumi, produzioni e committenze in casa Orsini, 53-73) und Andreas Rehberg (Le ricadute del Grande Scisma per la vita culturale del baronato romano: il caso dei Colonna, 75-88) auf, die noch dazu parallel arbeiten: Beide nehmen die Kulturgeschichte Roms in Abhängigkeit von den Baronialfamilien in den Blick. Ersterer lenkt das Augenmerk auf die Orsini, Letzterer auf die Colonna. Gegenstand bei beiden ist die kulturhistorische Bedeutung der beiden Baronialfamilien, also künstlerische (literarische) Eigenproduktion, Produktion aus ihrem Umfeld, Buchbesitz, Mäzenatentum. Dabei besteht ein deutliches Gefälle: Die Quellenlage privilegiert eindeutig die Orsini. Einen Buchbesitz thematisiert auch Antonio Manfredi (Nella linea d'ombra: Gregorio XII, i suoi studi e i suoi libri, 115-132), der aus dem bekannten Bestand von 'Gregoriana' der Apostolischen Bibliothek Verbindungslinien zum Curriculum Vitae Angelo Corrers zieht.
Rom war bekanntermaßen ein Sujet auch der Humanisten, von denen einige thematisiert werden, auch wenn sich der Fokus (naturgemäß) wandelt: Große Namen wie Leonardo Bruni, Filippo Brunelleschi und Donato di Niccolò di Betto Bardi, kurz Donatello, haben zumindest zeitweise in Rom gelebt; ihr Œuvre unterscheidet sich freilich. Zu Leonardo Bruni und der Rolle Roms in seiner brieflichen Hinterlassenschaft äußert sich Ilaria Morresi ("In ista navicula fluctuanti". Leonardo Bruni e Roma: riflessioni sull'Epistolario, 133-149). Die beiden nicht oder deutlich weniger an die klassischen Musen gebundenen Künstler, Brunelleschi und Donatello, werden für Maria Beltramini und Laura Cavazzini (Il viaggio a Roma di Brunelleschi e Donatello nel racconto delle fonti, 425-435) zum Untersuchungsgegenstand. Wo gerade Individuen, berühmte Individuen, berührt sind: Beatrice Cirulli (Maestri, pittori e venditori d'immagini nella documentazione d'archivio (1347-1417), 201-226) versucht in einer breit angelegten Recherche, die Künstler zu identifizieren, die im vom Band behandelten Zeitraum in Rom tätig waren. Dabei ist aber festzustellen, dass sich kaum Verträge über ihre Tätigkeit erhalten haben; die meisten Informationen über Künstler finden sich in Dokumenten, die nichts mit ihrer Berufsausübung zu tun haben.
In vielen Beiträgen wird die Bedeutung Bonifaz' IX. auch im Reich der Künste deutlich, war er doch der römische Schismenpapst, der die meiste Zeit und vergleichsweise wenig angefochten in der Stadt residierte. Besonders deutlich wird die Rolle des Tomacelli-Papstes aber in den Beiträgen von Pio F. Pistilli ("Se tu vuoi mantenere lo Stato di Roma, acconzia Castellio S. Angelo" [...], 177-200), Nicolas Bock (Artisti anonimi romani. Monumenti funebri e scultura all'epoca di Bonifacio IX, 305-326) und vor allem Claudia Bolgia (Strategie di riaffermazione dell'autorità papale: Bonifacio IX e il tabernacolo per l'icona di Santa Maria del Popolo, 327-356). Bolgia führt vor, wie Bonifaz die Marien-Ikone von S. Maria del Popolo zu Lasten derjenigen von S. Maria in Araceli förderte. Der Grund für diese Präferenz war die republikanische Konnotation der Letzteren, die durch eine Marienikone mit guelfisch-antikaiserlicher Stoßrichtung, die besonders die päpstliche Herrschaft legitimierte, ersetzt wurde.
Manche Beiträge sind nicht frei von Zugangshürden, da die Autoren sich relativ sparsam zu Erkenntnisziel und Aufbau ihrer Aufsätze äußern. Viele Beiträge werden eher in der kunsthistorischen Forschung ihre Wirkung entfalten. Für diese jedoch, aber auch für die kulturgeschichtlichen Aspekte einer historischen Stadtgeschichte, wird dieser Band sicherlich ein Eckstein kommender Monografien sein.
Andreas Kistner