Jonas Flöter: Beust und die Reform des Deutschen Bundes 1850-1866. Sächsisch-mittelstaatliche Koalitionspolitik im Kontext der deutschen Frage (= Geschichte und Politik in Sachsen; Bd. 16), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2001, 565 S., 1 s/w-Abb., ISBN 978-3-412-08901-6, EUR 61,00
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Die Leipziger Dissertation von Jonas Flöter widmet sich mit dem sächsischen und später österreichischen Außenminister Friedrich Ferdinand Freiherr von Beust und den mit seinem Namen verbundenen Reformprojekten des Deutschen Bundes nach der Revolution einem lange vernachlässigten Kapitel deutscher Innenpolitik. Dabei geht es dem Autor weniger um eine politische Biografie des "geheimen Ministerpräsidenten des Dritten Deutschland", vielmehr interessiert Beust als Hauptakteur mittelstaatlicher Politik, die es auf eine gemäßigt-konservative Reform bei gleichzeitiger Erhaltung des föderalen Charakters des Deutschen Bundes abgesehen hatte. So fügt sich Flöters Arbeit in die seit ungefähr einem Jahrzehnt intensiver betriebene Bundesforschung ein und kommt speziell dem Anliegen entgegen, die Konzentration auf die Großmächte Österreich und Preußen zu überwinden und den Fokus auf die Mittel- und Kleinstaaten zu verschieben.
Beust war auch deshalb lange kein Thema, weil er in der kleindeutsch-preußisch orientierten Forschung lange Zeit in keinem guten Ruf stand. Als er nach dem Krieg von 1866 an die Spitze des österreichischen Außenministeriums berufen wurde, spottete der Berliner "Kladderadatsch", dass die Habsburgermonarchie nunmehr "zur Versteinerung ihrer Feinde das Medusenhaupt" [1] auf ihrem Schild führe. Seinen Anfang nahm Beusts Negativimage zu Beginn der 1850er-Jahre, als sein künftiger Hauptwidersacher Otto von Bismarck "politische Munition" gegen den sächsischen Staatsmann zu sammeln begann und das "Beustsche Sündenarchiv" (120) eröffnete. Rasch etablierte sich diese Sichtweise in der preußischen Presse, fasste anschließend auch in der kleindeutschen Historiographie Fuß und belastete Beusts Person langfristig mit dem Vorwurf der "Sonderbündelei", die als ein "Schachzug gegen die deutsche Einheit" gedeutet wurde (263). In den Bemühungen, eine mittelstaatliche Koalition im Rahmen des Bundes zu schaffen, sieht Flöter den zentralen Ansatz von Beusts Politik. Sein politisches Handeln drehte sich um zwei Konstanten: Zum einen sollten preußische und österreichische Versuche, den Bund in Einflusssphären zu teilen, verhindert werden, zum anderen galt es, Tendenzen zu blockieren, welche die föderative Grundlage des Bundes durch eine nationalstaatliche Struktur zu ersetzen versuchten (28).
Flöter hatte bei der Umsetzung seines Projektes eine äußerst schwierige Quellenlage zu bewältigen. Er sah sich vor allen Dingen mit der Unzahl an Berichten, Notizen und Bestimmungen eines Mannes konfrontiert, der in dreierlei Handschriften zu schreiben wusste: der ersten, die nur sein Sekretär, der zweiten, die nur er selbst, und schließlich der dritten, die nicht einmal er selbst habe lesen können (45, Anm. 165). Ausgewertet wurden Archivalien in Wien und Berlin sowie in den Archiven sämtlicher Mittelstaaten, mit denen Sachsen ständige diplomatische Beziehungen unterhielt. Diese diplomatischen Akten ergänzten Privatkorrespondenz und einschlägige Memoirenliteratur. Zeitungen wurden nur dann berücksichtigt, wenn sie als direktes Instrument mittelstaatlicher Pressepolitik dienten, eine Einschränkung, die sich aus der überwiegend politischen und diplomatiegeschichtlichen Fragestellung erklärt. Dem Verfasser gelingt es jederzeit, sein Quellenmaterial plausibel und aufschlussreich zu verknüpfen.
In den einzelnen Kapiteln setzt sich Flöter mit den zahlreichen Reformprojekten auseinander, die den Zeitraum zwischen 1848/49 und dem Ende des Bundes prägten. Besondere Aufmerksamkeit werden der Dresdener Konferenz von 1850/51, den Reformentwürfen im Gefolge von Krimkrieg und Italienischem Einigungskrieg und nicht zuletzt den bekannten Beustschen Denkschriften von 1856, 1857 und 1861 gewidmet.
Aus der Darstellung lassen sich Leitmotive und programmatische Konstanten der Bundesreformpolitik klar herauslesen: Der sächsische Außenminister war in erster Linie darum bemüht, neue Bundesstrukturen zu bilden und den Bund institutionell auszubauen. Hierher gehört sein Engagement, die exekutiven und judikativen Kompetenzen des Bundes zu stärken, wozu eine Volksvertretung beim Bund sowie ein Bundesgericht geschaffen werden sollte. Beständig setzte er sich dafür ein, regelmäßige Konferenzen der Mittel- und Kleinstaaten zu etablieren, ebenso versuchte er Instrumente zur Unterstützung dieser Pläne zu bilden und zu fördern, was die Absicht dokumentiert, ein offiziöses, bundesfreundliches Presseorgan zu gründen.
Man wird dem Autor Recht geben können, dass trotz der scheinbar übermächtigen und "zwangsläufigen" Entwicklung zum Nationalstaat Beusts umtriebige Reformbemühungen keineswegs belanglos waren. Umstrittener scheint allerdings die Antwort auf die gewiss wichtige Frage nach den Motiven seiner Reformpolitik. Flöter glaubt hier zwischen den "pragmatischen" (Stärkung der mittelstaatlichen und somit auch der sächsischen Position innerhalb des Bundes, Revolutionsprävention und Erhaltung der Souveränität des Dritten Deutschland) und "ideellen" (Ausbau der föderalen Struktur, Interessenausgleich mit liberalen und nationalen Bewegungen) Beweggründen unterscheiden zu können, wobei die Darstellung den ideellen Motiven größeres Gewicht beimisst (73, 108, 124). Eine überzeugende Begründung der These, der Deutsche Bund sei "der Urgrund und der Ursprung des politischen Denkens Beusts" (29) gewesen, dem tagespolitische Zwänge deutlich nachgeordnet gewesen seien, findet sich im Text allerdings nirgends. Auch hinsichtlich Flöters Würdigung des mittel- und gesamteuropäischen Denkens Beusts sind Bedenken anzumelden. Zumindest mit Blick auf die österreichische Monarchie, seinem zweiten Wirkungsort, erwies sich Beusts Denken als wenig "mittel-europäisch": sein Beharren auf einer deutschen Mission Österreichs und die aus dieser Denkweise resultierende Weichenstellung von 1867 hatten für den österreichischen Vielvölkerstaat fatale Folgen. Er mag daher als guter Sachse, vielleicht als guter Deutscher gelten, ein "guter Österreicher", als den ihn Flöter im Anschluss an den Nachruf in der Neuen Freien Presse bezeichnet, war er allerdings nicht.
Trotz dieser Vorbehalte ist Flöters Buch eine fundierte und abgewogen argumentierende Arbeit, die ein wichtiges Kapitel der Geschichte des Deutschen Bundes erschließt und der Forschung erhebliche Impulse zu verleihen vermag.
Anmerkung:
[1] Kladderadatsch 1866, Nr. 50, S. 200.
Josef Boçek