Ralf Zerback (Bearb.): Reformpläne und Repressionspolitik 1830-1834 (= Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes. Abt. II: 1830-1848; Bd. 1), München: Oldenbourg 2003, LXVIII + 806 S. S., ISBN 978-3-486-56658-1, EUR 99,80
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Dieser Band ist Teil des groß angelegten Editionsvorhabens "Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes", das die Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften vor mittlerweile fünfzehn Jahren initiiert hat. Ziel des von Lothar Gall geleiteten Projekts ist es, einschlägiges Quellenmaterial zu erschließen, um die Forschung zur Geschichte des Deutschen Bundes auf eine neue Grundlage zu stellen. [1] Gemäß der programmatischen Einführung des Herausgebers (V-VIII) stehen dabei inhaltlich die Verfassungsordnung und die innere Organisation des Bundes im Vordergrund, darüber hinaus geht es aber unter anderem auch um Ansätze zur Reform des Bundes, um seine Auseinandersetzung mit der liberalen und nationalen Bewegung sowie um seine Rolle bei der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung Deutschlands.
Zerbacks Edition bildet den ersten von insgesamt drei Teilbänden, die den Vormärzjahren 1830 bis 1848 gewidmet sind. Zeitliche Eckpunkte des Bandes sind einerseits die französische Julirevolution von 1830, die in Deutschland eine Phase gesteigerter politischer Unruhe einleitete, sowie andererseits die Gründung des Deutschen Zollvereins 1834, mit der sich das organisatorische Ringen um die wirtschaftspolitische Dominanz zu Gunsten Preußens entschied. Der Band umfasst 107 Dokumente in sieben systematisch-chronologisch geordneten Kapiteln von sehr unterschiedlichem Umfang: I. Grundcharakter und Entwicklungspotenzial (13 Dokumente), II. Wirtschaftseinheit (6 Dokumente), III. Frühe Repressionspolitik (10 Dokumente), IV. Die Sechs Artikel (33 Dokumente), V. Wachensturm und Bundeszentralbehörde (9 Dokumente), VI. Die Wiener Kabinettskonferenz von 1834 (24 Dokumente) und VII. Reformpläne in Parlament und Publizistik (9 Dokumente). Ein umfangreiches Quellen- und Literaturverzeichnis sowie ein präzises Register (Personen, Länder/Orte, Sachen) beschließen den Band.
Wie bei allen Projekten dieser Art lässt sich über die Auswahl der abgedruckten Dokumente trefflich streiten. Ziel ist nach den Worten des Bearbeiters, eine "Edition der Blicke" zu liefern: "des Blicks der Bundespolitik auf die Nation und des Blicks der Nationalbewegung auf den Bund" (LI). Der Akzent der ausgewählten Akten liegt indes sehr deutlich auf den Aktivitäten des Bundes. Stärker noch als bei den bisher erschienenen Bänden wurde hier das spannungsreiche - und deswegen nicht unproblematische - Editionsprinzip der gesamten Reihe zu Gunsten der Bundesperspektive aufgelöst. Allein mehr als die Hälfte der abgedruckten Dokumente sind dem Entstehen und dem Umfeld der Sechs Artikel vom Juni 1832 und der zu den 60 Artikeln führenden Wiener Kabinettskonferenz von 1834 gewidmet. Darin spiegelt sich die umfassende Repressionspolitik des Bundes gewiss treffend wider, gleichwohl bleiben so die auslösenden Faktoren jener Unterdrückungsmaßnahmen und auch die Reaktion darauf in der liberalen Bewegung recht blass. Die der französischen Julirevolution folgenden Unruhen in einzelnen deutschen Bundesstaaten sind allenfalls indirekt greifbar. Dazu zählen beispielsweise die jeweils unterschiedlich akzentuierten Konflikte in Sachsen, Kurhessen und Hannover sowie das Hambacher Fest. Und auch dass es in Braunschweig 1830/32 zum einzigen revolutionären Herrschersturz in Deutschland im 19. Jahrhundert kam - der Bund unterließ eine mögliche Intervention - sucht man in dem Band erstaunlicherweise vergeblich. Der Frankfurter Wachensturm, der gewiss eines der historiographisch am schwächsten ausgeleuchteten Problemfelder jener Zeit darstellt, ist nur knapp berücksichtigt, obgleich doch die Edition die Forschung eigentlich anstoßen will. Da die Außen- und Militärpolitik eigenen Bänden vorbehalten ist, bleibt dieser im Kontext der Julirevolution außerordentlich bedeutsame Komplex naturgemäß ebenfalls ausgeblendet. Umgekehrt sind - wie in den anderen Bänden der Reihe - einige der abgedruckten Dokumente schon anderweitig publiziert worden; das mögen Beckmesser kritisieren - für eine konzise Einarbeitung und Forschung ist es nur zweckdienlich.
In seiner instruktiven und anregenden Einleitung skizziert Zerback den inhaltlichen Rahmen des Bandes und markiert mögliche Forschungsfelder. Er plädiert meines Erachtens zu Recht für eine differenzierte Betrachtung der Aktivitäten des Bundes in jenen Jahren, die sich nicht auf die wenn auch übermächtige Repressionspolitik beschränkte. Die "in Permanenz gespielte Begleitmusik" (XII) bildeten Reformpläne, auch alternative Überlegungen zur Unterdrückungspolitik und ein in dieser Form neues Kalkulieren mit der politischen Öffentlichkeit. Umgekehrt muss nach Zerback auch die Haltung der Liberalen zum Bund neu bedacht werden, die mehrheitlich zwar die Bundespolitik, aber noch nicht die Bundesstruktur bekämpften - eine zutreffende Beobachtung, die man in der Tat bis in die Frühphase der Märzrevolution immer wieder bestätigt finden kann. Dass die scharfe Repressionspolitik des Bundes gleich auf mehreren Ebenen den geradezu paradox anmutenden Effekt hatte, die eigentlich bekämpfte nationale Einheit zu fördern, wird zu Recht - wenn auch nicht neu - hervorgehoben (XXXVII).
Bedenkenswert für die weitere Forschung ist auch Zerbacks Hinweis auf das anhaltende Ringen zwischen dem eigentlichen Machtzentrum des Bundes in Wien und den einzelstaatlichen Bürokratien, die gerade im deutschen Süden eifersüchtig ihre Souveränitätsrechte zu bewahren suchten. Hier liefert der Band gerade in den Abschnitten zur Entwicklung der einzelnen Repressionsmaßnahmen wertvolles Material. Überzogen scheint es mir allerdings, dieses zwischenstaatliche Ringen als ein "demokratisches Korrektiv" innerhalb des Bundes zu bezeichnen (XX). Für mehr als zweifelhaft halte ich auch, dass die "mittelstaatliche Verfassungsrealität [...] im Verbund mit der staatenbündischen Struktur eine Kryptokonstitutionalisierung des Bundes [besorgte]" (XIX); die von Zerback edierten Quellen und auch seine weiteren Ausführungen in der Einleitung sprechen in dieser Hinsicht eine andere Sprache.
Summa summarum: Ein anregend eingeleiteter, kenntnisreich und sorgfältig edierter Band, der wie die bisher in der Reihe erschienenen Lieferungen der Forschung zum Deutschen Bund sehr gute Dienste tun wird. Debatten über die Schlüssigkeit der inhaltlichen Editionsprinzipien werden die Reihe wohl bis zu ihrem Ende begleiten.
Anmerkung:
[1] Bereits erschienen sind Eckhardt Treichel (Bearb.): Die Entstehung des Deutschen Bundes 1813-1815 (= Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes, Abteilung I; Bd. 1 in 2 Teilen), München 2000; Jürgen Müller (Bearb.): Die Dresdener Konferenz und die Wiederherstellung des Deutschen Bundes 1850/51 (= Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes, Abteilung III; Bd. 1), München 1996; ders. (Bearb.): Der Deutsche Bund zwischen Reaktion und Reform 1851-1858 (= Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes, Abteilung III; Bd. 2), München 1998.
Wolfgang Piereth