Jürgen Angelow: Der Deutsche Bund (= Geschichte kompakt), Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2003, IX + 171 S., ISBN 978-3-534-15152-3, EUR 14,90
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Lehrende und Studierende, die diesen Band in Katalogen oder Bücherregalen entdecken, werden wohl zunächst einmal beglückt aufatmen: Endlich eine kompakte Darstellung zum sperrigen und zugleich wichtigen Thema 'Deutscher Bund' - und dazu noch in einer Reihe, die sich nach den Worten ihrer Herausgeber (Martin Kintzinger, Uwe Puschner, Barbara Stollberg-Rilinger) eignet "für eine erste Begegnung mit dem Thema wie für eine Prüfungsvorbereitung [...], als Arbeitsgrundlage für Lehrende und Studierende ebenso wie als anregende Lektüre für historisch Interessierte" (IX). Allein: Ob das Glücksgefühl beim Lesen des Bändchens anhält, ist stark zu bezweifeln.
Zunächst einmal hat Jürgen Angelow keine Geschichte des Deutschen Bundes vorgelegt, sondern eher einen Abriss über - aus seiner Sicht - wichtige Entwicklungen der deutschen Geschichte zur Zeit des Deutschen Bundes. Das Buch ist entlang politikgeschichtlicher Chronologie in fünf Kapitel untergliedert: I. Reform und Restaurationszeit 1815-1830, II. Julirevolution, Vormärz und Krise 1830-1848, III. Zwischen Revolution, Union und 70-Millionen-Reich 1848-1853, IV. Europäische Konflikte und deutsche Entsolidarisierung 1853-1860, V. Nationale Frage, späte Reformversuche und Bundesbruch 1860-1866.
Einleitend stellt Angelow die drei Fixpunkte seiner Analyse vor: Die Beziehung zwischen Bund und Nationalbewegung, das Verhältnis zwischen partikularen und zentralisierenden Faktoren als Problem des deutschen Föderalismus sowie schließlich die Frage der europäischen Dimension ("Europatauglichkeit", 1) des Bundes. Tatsächlich aber gehen der Deutsche Bund als Kern der Darstellung und die damit verknüpften "Fixpunkte" über weite Strecken der Darstellung verloren. Erst im - sehr lesenswerten - Resümee werden diese Gedanken wieder aufgegriffen. In den einzelnen Abschnitten des Hauptteils geht es hingegen vor allem um die schon vielfach an anderen Stellen behandelte Innen- und Außenpolitik der deutschen Einzelstaaten, insbesondere die der Großmächte Preußen und Österreich. Der Deutsche Bund rückt dabei zwar zwangsläufig immer wieder ins Blickfeld, aber das macht aus diesem Buch noch lange keine Darstellung des Bundes.
Nicht immer sind die Binnengliederung und die Auswahl der behandelten Themen ganz schlüssig. So findet sich etwa die Gründung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins von Ferdinand Lassalle erstaunlicher Weise im Kapitel zu den Grundlinien der kulturellen Entwicklung Deutschlands (123), dafür sucht man vergeblich Hinweise auf die nachrevolutionäre Entwicklung der anderen deutschen Parteien. Das Kapitel zum Zollverein ist nicht schlüssig gegliedert, was zu Doppelungen und Brüchen führt (vor allem 65-67). Die Liebe des Verfassers gilt unverkennbar der Militärgeschichte. So erfährt man beispielsweise trotz des extrem knappen Raumes, dass der österreichische Flottenchef Admiral Wilhelm von Tegetthof bei der dalmatinischen Insel Lissa im Juli 1866 "das feindliche Feuer mit erstaunlicher Kaltblütigkeit unterlaufen und durch virtuoses Manövrieren seinen Schiffen den Rammstoß gesichert" hat (154). Daneben finden sich auch Ausflüge zu Bevölkerungsentwicklung, Industrialisierung, Banken und Verkehr (116-122) sowie zwei regelrechte Parforceritte durch die Geschichte der deutschen Hochkultur (30-34 und 122-128), die indes in erster Linie dem hektischen 'Name-dropping' dienen.
Weil Angelow zu vielen verschiedenen Problemfelder etwas sagen will (oder muss), aber nur gut 170 Seiten zur Verfügung hat, bleibt für das eigentliche Kernthema - den Deutschen Bund - immer wieder allzu wenig Raum. Drei Beispiele, die sich beliebig vermehren ließen: Der berühmte Artikel 13 der Bundesakte zur Einführung 'landständischer Verfassungen' wird - man glaubt es kaum - nur in einem Halbsatz (10) erwähnt. Wo, wenn nicht in einer Darstellung zur Geschichte des Deutschen Bundes ist der Platz, die mit dem Artikel verbundenen, weit reichenden Debatten, Probleme und Kontroversen wenigstens im Ansatz zu erläutern? Zu der mit den Karlsbader Beschlüssen etablierten Zensur, die doch immerhin das Signum des gesamten Vormärz war, gibt es auch nur einen einzigen Satz: "In Korrektur der im Artikel 18 der Bundesakte in Aussicht gestellten Pressefreiheit wurde nun eine vorbeugende Zensur für Zeitungen, Zeitschriften und alle Druckerzeugnisse unter 20 Bogen eingeführt." (38). Das ist, salopp gesagt, zum Sterben zu viel und zum Leben zu wenig: Leser mit Vorkenntnissen, die auf eine Prüfung hinlernen, brauchen eine substanzielle Einordnung; für die von den Herausgebern vorgesehene "erste Begegnung" mit dem Thema ist diese Information hingegen weitgehend unverständlich, weil viel zu knapp geraten. Und schließlich ein drittes Beispiel: Im Resümee erfährt der Leser, dass der Deutsche Bund von Zeitgenossen durchaus auch als entwicklungsfähig angesehen wurde (157); in der Darstellung finden sich indes nur die schon häufig traktierten, zum guten Teil taktisch motivierten Reformkonzepte im Vorfeld der Auflösung des Bundes. Wo, wenn nicht in einem Buch über den Deutschen Bund, ist der Platz, die entsprechenden Initiativen der Welcker, Schultz, Bassermann und Gagern zu erläutern und zu diskutieren?
Noch einige Bemerkungen zum Konzept der Reihe, dem sich wohl auch der Verfasser dieses Bandes nolens volens zu fügen hatte. In den Text eingebettet finden sich zahlreiche grafisch abgesetzte Quellenauszüge, Tabellen, Kurzbiographien, Zeittafeln und aus dem Haupttext ausgelagerte Erläuterungen. Diese Präsentationsform scheint im Moment gerade bei Einführungswerken ein Lieblingskind der Verlagslektoren zu sein. Aus meiner Sicht unterbricht sie den Lesefluss und damit auch die Aufnahmefähigkeit, aber darüber zu hadern ist wohl vergebliche Liebesmüh. Erstaunlich und ärgerlich ist allerdings, dass nicht eine einzige Landkarte in das Buch aufgenommen wurde, obgleich sich dies zumindest bei der Gründung des Bundes und bei der Etablierung des Zollvereins geradezu aufdrängt.
Ein in mehrfacher Hinsicht wirkliches Unding ist die Beleg- und Verweistechnik: Der Band ist ohne Anmerkungen und Fußnoten verfasst. Bei Zitaten aus der Forschung folgen in Klammern die Namen der Autoren ohne weitere Angaben. Was aber bringt dem Anfänger, was bringt dem Prüfling beispielsweise die dürftige Klammerangabe "Heinz Gollwitzer" (57), zumal sich zu allem Überfluss im Literaturverzeichnis weit und breit keine Arbeit Gollwitzers findet? Gleiches gilt für unter den Tabellen angebrachte Kurztitel: Was sich etwa hinter der mehrfach auftauchenden Angabe "Drobesch, Aspekte" (65f.) verbirgt, bleibt offen. Die Orientierung wird noch weiter erschwert, weil die - kurz kommentierte - Auswahlbibliografie (161-165) nicht den Kapiteln der Darstellung folgt, sondern nach anderen Gesichtspunkten gegliedert ist. Auch die Kriterien, nach denen die aufgeführten Titel ausgewählt wurden, sind mir nicht immer klar: Peter Burgs Habilitationsschrift zur deutschen Trias fehlt beispielsweise ebenso wie Hans-Werner Hahns Arbeiten zum Deutschen Zollverein, obgleich beide Themenfelder im Buch behandelt werden; an ihrer Stelle sind andere, weitaus weniger einschlägige Titel aufgeführt.
Besonders problematisch ist die Belegtechnik, wenn es um das Markieren von zentralen Forschungskontroversen geht, denn ihre Kenntnis ist unstreitig für Anfänger wie für Fortgeschrittene besonders wichtig. Man sollte meinen, dass angesichts des Reihenkonzepts auf diesen Aspekt besonderer Wert gelegt wird - das ist indes weit gefehlt: Entweder deutet der Verfasser Kontroversen vage an, ohne sie zu erläutern - etwa wenn er raunt, es sei "fraglich, ob Preußen überhaupt ein Konzept zur Reform des Deutschen Bundes besaß" (139) - oder er entscheidet sich dezidiert für eine Interpretation, ohne die existierenden Alternativen auch nur kenntlich zu machen, etwa wenn er zur Repressionspolitik der 1850er lapidar schreibt: "Die 'Reaktion' erwies sich somit als nicht sehr tief gehend" (102). Das kann man so sehen, vor allem, wenn man wie Angelow der reaktionären Bundespolitik nach 1849 nur einige wenige Zeilen widmet (104f.); man muss es aber nicht so sehen, und das sollte der Leser eines für Anfänger und Prüflinge zugeschnittenen Bandes auch erfahren.
Ein schwaches, weil unzuverlässiges Register beschließt den Band. Die Auswahl einer knappen Stichprobe mag genügen: Es fehlen beispielsweise die Angaben zu Johan Christian Clausen Dahl (erwähnt 33), Ludwig van Beethoven (erwähnt 33), Karl Follen (erwähnt 37), Joseph Haydn (erwähnt 71), Friedrich Ebert (erwähnt 71), Gustav von Struve (erwähnt 79), Friedrich Hecker (erwähnt 79, dort als Karl Hecker), Felice Orsini (erwähnt 111).
Fazit: Kein gutes Buch, kein überzeugendes Reihenkonzept.
Wolfgang Piereth