Wolf D. Gruner: Der Deutsche Bund 1815-1866 (= C.H. Beck Wissen; 2495), München: C.H.Beck 2012, 128 S., 2 Kt., ISBN 978-3-406-58795-5, EUR 8,95
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Jürgen Angelow: Der Deutsche Bund, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2003
Thomas Michael Schneider: Heeresergänzung und Sozialordnung. Dienstpflichtige, Einsteher und Freiwillige in Württemberg zur Zeit des Deutschen Bundes, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2002
Jürgen Müller (Bearb.): Der Deutsche Bund in der nationalen Herausforderung 1859-1862, München: Oldenbourg 2012
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Kirsten O. Frieling: Sehen und gesehen werden. Kleidung an Fürstenhöfen an der Schwelle vom Mittelalter zur Neuzeit (ca. 1450-1530), Ostfildern: Thorbecke 2013
Michael Sontheimer: "Natürlich kann geschossen werden". Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion, München: DVA 2010
Der Deutsche Bund hatte in der Wahrnehmung der Zeitgenossen und für lange Zeit in der Geschichtswissenschaft einen gleichermaßen schweren Stand. Gerne und auch im vorliegenden Band zitiert wird in diesem Zusammenhang das Lamento Bismarcks, dem es als Delegierten in der Bundesversammlung "grässlich langweilig" (3) gewesen sei, oder das vernichtende Verdikt Ernst Moritz Arndts, dem das föderative Staatsgefüge als ein "schwächlicher Kümmerling und Kränkling und Krüppel"[1] erschien. Dieses Bild wurde dann von der borussischen Nationalhistoriografie dankend aufgegriffen und bis ins ausgehende 20. Jahrhundert kolportiert, wenn sogar noch Thomas Nipperdey entgegen der damals bereits veränderten Forschungslage bemerkte, der Bund sei aus der Retrospektive gesehen "vielleicht ein Unglück für die deutsche Geschichte"[2] gewesen.
Wolf D. Gruner stellt sich in seiner konzisen, in der Beck'schen Reihe "Wissen" erschienenen Darstellung diesem älteren, auf das Telos des Nationalstaats zulaufenden Deutungsschema dezidiert entgegen, wenn er die Funktionalität des Bundes nicht entlang der preußisch-nationalen Elle misst, sondern eine "aus europäischem Blickwinkel geschriebene Geschichte des Deutschen Bundes" (12) ins Auge fasst. Gruner formuliert in seinen anschaulich geschriebenen Einstiegsüberlegungen (7-12) dabei das durchaus ambitionierte Ziel, "zu seiner besseren und ausgewogeneren historischen Einordnung in die deutsche und europäische Geschichte des 19. Jahrhunderts beizutragen." (12) Diese Perspektivierung entspricht der ebenfalls europäischen Ausrichtung früherer Publikationen des Autors, der sich 1979 mit einer Arbeit zum Thema Großbritannien, der Deutsche Bund und die Struktur des europäischen Friedens im frühen 19. Jahrhundert habilitierte und seither zahlreiche weitere Veröffentlichungen zum Deutschen Bund vorgelegt hat. [3]
Das Buch folgt einer zwar konventionellen, bei diesem Buchformat aber auch zweckdienlichen Gliederung nach ereignisgeschichtlichem Ablauf. Im Anschluss an das einleitende Kapitel, das vor allem Bismarck lange das Wort überlässt, folgen Abschnitte über die Gründung des Deutschen Bundes (13-28), seine Mitgliedsstaaten in der Restaurationszeit (29-48), die Rolle der Zollvereine (49-54) als "Sonderbund innerhalb des Deutschen Bundes" (52), die Zeit zwischen Hambacher Fest und Rheinkrise (54-62), die Märzrevolution (62-77), die Periode bis zum "Bruderkrieg" (77-96) und schließlich das "Ende der mitteleuropäischen Föderativordnung" (96-108). Ein abschließendes Kapitel (108-115) verortet den Deutschen Bund in der historischen und aktuellen Forschungslandschaft.
Wer den roten Faden des Buches sucht, wird schnell fündig; ausgehend von der anfänglich geäußerten Prämisse, dass "Deutscher Bund und deutsche Nation [...] durchaus zueinanderfinden [hätten] können" (11) und der mehrfach betonten Kontingenz seiner Entwicklungsgeschichte (11,12,28,107) diskutiert Gruner immer wieder ausführlich die zahlreichen Reformansätze des Bundes. Die Gründe für das Nichtzustandekommen etwa eines Bundesgerichts, einer weiteren Reform der 1821/22 verabschiedeten Bundeskriegsverfassung (ein Beispiel für die bundesstaatlichen Elemente des Bundes) oder eines erweiterten Bundeszollvereins formuliert Gruner dabei in nahezu übereinstimmendem Wortlaut: Scheiterte die Reform der BKV "am Antagonismus der Großmächte und [...] [dem] unzureichenden Einigungswillen des 'Dritten Deutschland'" (48), so stellte sich der Formierung eines bundesweiten Zollvereins aus österreichischer Sicht "der Antagonismus mit Preußen und [...] [der] Egoismus der deutschen Einzelstaaten" (53) entgegen. Insofern demonstriert Gruner durchgängig den zwar stetig vorhandenen Reformwillen, muss aber im selben Atemzug wiederholt auf den einzelstaatlichen Partikularismus der deutschen Mittelstaaten und den Dualismus der Großmächte hinweisen (vgl. 62, 92). Auf diese Weise spricht der Verfasser mit Blick auf die Vereinbarkeit von Reform auf Bundesebene und einzelstaatlicher Souveränität mit Jürgen Müller von einem "an die Quadratur des Kreises grenzenden Versuch" (93). Etwas verwunderlich ist dabei allenfalls, dass Gruner diesen Befund bereits unmittelbar zu Beginn der Monografie (11) vorweg nimmt; zumal die "Schuldfrage" im achten Kapitel nochmals ausführlich zur Sprache kommt.
Gruner versucht sich explizit vom pejorativen Standpunkt vieler Zeitgenossen zu distanzieren und den Wert des Bundes an seinem ursprünglichen "doppelten Gründungsauftrag" (9) als Zentral- und "Friedensstaat von Europa" (24) zu messen. An mehr als einer Stelle erfolgt dabei der Rekurs auf A.L.H. Heeren (24-25,108), einem der Wenigen, der sich bereits unmittelbar nach 1815 für eine "gesamteuropäische Sichtweise" (108) aussprach. Der gescheiterten Reformansätze zum Trotz hebt Gruner daher auch mit Nachdruck die "vollbrachten Arbeiten" (107) des Bundes hervor: Die Ausarbeitung eines Deutschen Handelsgesetzbuches, die Vereinheitlichung von Straf- und Zivilrecht, sowie die Angleichung von Maßen und Gewichten in den Deutschen Bundesstaaten. Mit Blick auf die friedenserhaltende Funktion verweist Gruner auf den Krimkrieg, dessen lokale Begrenzung der Bund zu bewahren half. Überhaupt legt der Autor großen Wert auf die Einsicht, dass der Deutsche Bund alles andere als eine dysfunktionale Föderativordnung, sondern eine zu Unrecht marginalisierte "Form deutscher Staatlichkeit" (115) verkörpert. Das sehr wohl vorhandene Ausbaupotenzial des Deutschen Bundes wird dabei nicht nur im Fließtext unterstrichen, sondern zusätzlich in einer Grafik zur Verfassungsordnung (128) - in der eben auch nur mögliche Entwicklungen wie das Bundesgericht inkorporiert sind - plastisch dargestellt.
Nicht zu übersehen ist aber auch die Sympathie des Autors für sein Forschungssujet, wenn Gruner etwa im (entsprechend nostalgisch betitelten) Abschnitt zum "Ende der mitteleuropäischen Föderativordnung" (96) infolge des deutschen Krieges 1866 in einem geradezu resignativen Gestus zum Schluss kommt: "Die Macht hatte über das Bundesrecht gesiegt." (97) In dieser Sichtweise erscheint denn Preußen konsequenterweise auch als "Rechtsbrecher", wobei Bismarck, indem er anstelle des österreichischen Konzepts einer bundesstaatlichen Delegiertenversammlung ein Nationalparlament anberaumte, "gewissermaßen einen Sprengsatz am Gebäude des Deutschen Bundes" (96) anbrachte. Dies bedeutet nun keineswegs, dass Gruner Preußen gegenüber Österreich oder den deutschen Mittelstaaten als Hauptschuldigen brandmarkt - hier nimmt der Autor eine vermittelnde Position ein. Dennoch steht die durchaus drastische Wortwahl im Zeichen der von ihm postulierten "längst überfälligen Föderalisierung der deutschen Geschichte" (9) und der damit verbundenen Überzeugung, dass dieses föderative System eine echte Alternative zum preußisch-deutschen Einheitsstaat geboten hätte.
Obwohl weder der Autor, noch der Verlag das Buch als Einführungsdarstellung präsentieren, erfüllt Wolf D. Gruners knappe Monografie in den Augen des Rezensenten alle wichtigen Kriterien einer solchen: Auf eine unterhaltsame, anekdotische Einleitung folgt der chronologisch gegliederte Hauptteil, in dem auch wichtige Forschungsbefunde, etwa das Nebeneinander von staatenbündischen und bundesstaatlichen Elementen des Bundes (24), nicht aus dem Blick geraten. Gegenüber der umfassenderen - und freilich weiterhin maßgeblichen - Monografie Jürgen Müllers [4] verfügt Gruners Bändchen auch über zwei Karten (1,129) und versäumt es ebenso wenig, auf zentrale Problemfelder, wie die divergierenden Auslegungen des Artikel XIII der Bundesakte, sorgfältig einzugehen [5]. Weil auch ein Abriss der wichtigsten Forschungstendenzen nicht fehlt, ist das Bändchen vor allem für Studierende ohne Einschränkung als Einstiegslektüre zu empfehlen. Glaubte Heinrich von Treitschke also seinerzeit noch, für den Deutschen Bund habe "niemals ein deutsches Herz höher geschlagen"[6], so ist ihm spätestens im Jahr 2012 zu widersprechen; das Büchlein von Wolf D. Gruner ist der Beweis.
Anmerkungen:
[1] Zitiert nach: Lothar Gall: Der deutsche Bund als Institution und Epoche der deutschen Geschichte, in: Dieter Albrecht / Karl Otmar Freiherr von Aretin / Winfried Schulze (Hgg.): Europa im Umbruch 1750-1850, München 1995, 257-266, hier: 257.
[2] Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1800-1866: Bürgerwelt und starker Staat, München 1983, 97.
[3] Nicht weniger als 13 Titel sind im Literaturverzeichnis aufgeführt.
[4] Jürgen Müller: Der Deutsche Bund 1815-1866, München 2006. Dazu die Bewertung von Wolfgang Piereth: Rezension von: Jürgen Müller: Der Deutsche Bund 1815-1866, München: Oldenbourg 2006, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 11 [15.11.2006], URL: http://www.sehepunkte.de/2006/11/11636.html (Letzter Abruf: 19.12.2012).
[5] Hierin liegt ein deutlicher Vorzug der Monografie Gruners gegenüber der Jürgen Angelows aus dem Jahr 2006. Siehe hierzu die Besprechung von Wolfgang Piereth: Rezension von: Jürgen Angelow: Der Deutsche Bund, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2003, in: sehepunkte 3 (2003), Nr. 9 [15.09.2003], URL: http://www.sehepunkte.de/2003/09/3100.html (Letzter Abruf: 19.12.2012).
[6] Heinrich von Treitschke: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert, Leipzig 1927, Band 1, 691.
Marc Bauer