Kurt Andermann / Peter Johanek (Hgg.): Zwischen Nicht-Adel und Adel (= Vorträge und Forschungen; Bd. 53), Ostfildern: Thorbecke 2001, 462 S., 4 Abb., ISBN 978-3-7995-6653-7, EUR 57,00
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Der Aufstieg vom Nicht-Adel zum Adel, vom einfachen Knecht zum ritterlichen Edelmann, lässt sich schwerlich an einem einzelnen Indikator ablesen. Es genüge eben nicht, einem Raben eine Haube aufzusetzen, um einen Jagdfalken aus ihm zu machen, so zitiert Karl-Heinz Spieß ein entsprechendes Verdikt des 15. Jahrhunderts. Sein Beitrag eröffnet den von Kurt Andermann und Peter Johanek herausgegebenen Band "Zwischen Nicht-Adel und Adel", der den Ertrag der Herbsttagung des Konstanzer Arbeitskreises für mittelalterliche Geschichte des Jahres 1998 präsentiert. Gemäß der Zielsetzung der Herausgeber unternimmt Spieß dabei einen Vorstoß in "die Grauzone von Adel und Nichtadel" (2), um damit ein Phänomen auszuleuchten, das sich dem Zugriff der Sozialgeschichtsforschung ebenso wie den kategorisierenden Blicken der Rechtshistoriker bislang weitgehend entzogen hatte: den spätmittelalterlichen "Adel in statu nascendi". Die Ergebnisse seiner aspektreichen Studie erweisen sich in vielerlei Hinsicht als wegweisend. Im Zentrum steht die Erkenntnis, dass erst ein ganzes Bündel von Kriterien über die rechtliche und soziale Akzeptanz des adeligen Status entschied. Die formaljuristische Nobilitierung durch Wappen- oder Adelsbrief sei dabei keinesfalls das allein ausschlaggebende Moment, sie dürfe "allenfalls als Eintrittskarte in die Welt des Adels betrachtet werden, nicht jedoch als Mitgliedskarte".
Anknüpfend an ein Traktat des Ulmer Dominikaners Felix Fabri sowie ein fürstliches Gutachten des Jahres 1505 nennt Spieß den Besitz von Adelsgut und Herrschaftsrechten, die Lehnsfähigkeit und das Recht der Wappenführung als maßgebliche Adelsattribute. Gleichfalls hervorgehoben werden das Konnubium und der gleichgestellte Umgang mit anderen Adeligen, die Teilhabe an adeligen Geselligkeitsformen, insbesondere an Turnieren, die bereits Felix Faber als 'Siebe des Adels' bezeichnete. Die Vielfalt möglicher Nobilitätskriterien korrespondiert mit einer sozial und rechtlich stark differenzierten Binnenstruktur des niederen Adels. Aufstiegsambitionen orientierten sich demzufolge an der Erreichbarkeit der selbstgesteckten Ziele und mussten keinesfalls immer auf den Erwerb aller standesbildenden Attribute ausgerichtet sein. Vielmehr mahnt Spieß hier zu einer regional differenzierenden Sichtweise, die zudem die jeweilige soziale Ausgangsposition zu berücksichtigen habe. Thematisiert werden die Aufstiegschancen aus den Reihen der nichtadeligen Soldknechte, der landesherrlichen Funktionsträgerschaft sowie der städtischen Oberschicht. Insbesondere die allmähliche, über mehrere Generationen hinweg betriebene Diffusion in den Adel bot für diese Personenkreise reelle Aussicht auf Erfolg. Die soziale Mobilität der bäuerlichen Oberschicht wird von Spieß hingegen vergleichsweise gering veranschlagt.
Gerade Letztere regte jedoch die Fantasie zeitgenössischer Autoren ungemein an, wie Volker Honemann anhand der volkssprachlichen Dichtung belegt. Die Thematik bäuerlichen Aufstiegs in den Adel wurde in verschiedenen literarischen Genera aufgegriffen und in unterschiedlicher Weise konnotiert. Der Beitrag weist in einem literaturgeschichtlichen Querschnitt sowohl dezidiert ablehnende Positionen nach, greift mit dem Ritterspiegel des Eisenacher Stadtschreibers Konrad Rothe jedoch auch das positive Leitbild des Tugendadels auf. Hier wird das idealtypische Szenario eines mehrere Generationen andauernden Aufstiegs vom unfreien Ackerknecht zum Ritter beziehungsweise Reichsfürsten und Kaiser konstruiert. Zur Klärung der Frage, ob sich demgegenüber ein Beispiel für die Ritterwerdung wohlhabender Bauern tatsächlich "in der Realität nicht finden läßt" (41), bedarf es allerdings weiterer Untersuchungen. Gerade für einen solchen kritischen Abgleich literatischer Imaginationen mit sozialen Wirklichkeiten bietet der Band zahlreiche Anknüpfungspunkte.
Für die Räume Kursachsen, Tirol und Westfalen ist hierzu auf die ebenso detail- wie kenntnisreichen Studien von Joachim Schneider, Gustav Pfeifer und Mark Mersiowsky zu verweisen. Mit den Ehrbarmannen der wettinischen Territorien widmet sich Schneider einem Personenkreis am unteren Rand der adeligen Sphäre. Trotz ihrer Verpflichtung zum Ritterdienst verfügte diese Statusgruppe nur über eine bescheidene Vermögensgrundlage, bestehend vornehmlich aus Eigenwirtschaft und geringem grundherrlichen Zins. Ihr sozioökonomischer Status rückte sie daher sehr nah an die bäuerliche Oberschicht heran.
Hingegen verblieben die ebenfalls zum Waffendienst zu Pferd verpflichteten Schildhofbesitzer im Vorderpasseier auf der anderen Seite der sozialen Distinktionslinie. Zwar weisen ihre gerichtlichen und steuerlichen Sonderrechte ebenso wie ihr Wirken im landesherrlichen Verwaltungsdienst unverkennbar über ihr bäuerliches Umfeld hinaus. Dennoch genügte dieses Substrat adelsähnlicher Qualitäten weder für ein Konnubium mit dem regionalen Niederadel noch für die Ausbildung eines adeligen Geschlechterbewusstseins. Besser bestellt war es um zwei Aufsteiger im städtischen Kontext Bozens, deren Werdegang Pfeifer exemplarisch beleuchtet: Materieller Wohlstand in Verbindung mit Krediten an den Landesherrn sowie der Übernahme administrativer Ämter und Herrschaftspositionen machte sich hier bezahlt.
Eine analoge Chancenverteilung lassen die Ausführungen Mersiowskys zur Region Westfalen erkennen. Die Schulten des Münsterlandes waren trotz ihrer prachtvollen Hofanlagen, abhängiger Kotten, dem vereinzelt fassbaren Konnubium mit Niederadel und Bürgern sowie ihren richterlichen Funktionen innerhalb der Dorfgemeinde noch lange keine Adeligen. Sie blieben Bauern, sofern ihnen nicht die Kirche oder eine Abwanderung in die Städte neue Karrierewege eröffneten. Die zahlreichen Detailansichten des Beitrags zu einem kohärenten Gesamtbild zusammenzufügen, bedarf nach eigenem Bekunden des Autors allerdings weiterer Forschungsanstrengungen. Umso berechtigter erscheint daher der abschließende Appell Mersiowskys, bei künftigen Analysen sozialer Mobilitätsprozesse sei die "Suche nach Normen" im Sinne rechtshistorisch-systematisierender Zugriffsweisen verstärkt um eine Berücksichtigung sozialer Zeichensysteme zu ergänzen (285).
Gerade diese Forderung hat sich Christine Reinle von Anfang an zu Eigen gemacht. In ihrem Beitrag zum bayerischen Niederadel des Spätmittelalters rückt sie die Frage der gesellschaftlichen Akzeptanz ins Zentrum ihrer Überlegungen. Indem sie auf die breite Diffusionszone am unteren Rand des Niederadels aufmerksam macht, vollzieht sie zugleich eine Abkehr von einem allzu statischen Adelsverständnis. Die rechtliche Qualität des Besitzes sei zur Klassifizierung dieses Personenkreises ebenso wenig geeignet wie der Verweis auf Herkunft und ererbten Status: "Signifikante Unterscheidungsmerkmale werden stattdessen gerade anhand 'weicherer' sozialer Kriterien gewonnen worden sein: Lebensform und Habitus, zugestandene Handlungsspielräume und gesellschaftliche Statuszuschreibung spielten dabei die entscheidende Rolle" (126). Insbesondere ein Mangel an ökonomischen Ressourcen habe den Statuserhalt in der sozialen Praxis erschwert, exzeptioneller Reichtum in Verbindung mit dem Erwerb von Grundbesitz und landesherrlichen Ämtern hingegen den sozialen Mobilitätsprozess befördert. Einem allzu rasanten Aufstieg stand freilich der Anspruch auf Verankerung des Adels in der Tradition entgegen. Erfolgversprechender sei daher eine schrittweise Integration im Laufe mehrerer Generationen gewesen.
Die Hemmnisse sozialen Aufstiegs beleuchtet Heinrich Schmidt am Beispiel Frieslands. Hier beanspruchte eine Gruppe lokaler Honoratioren zunehmend herrschaftliche Rechte über ihre bäuerlichen 'undersaten'. Gegen die fortschreitende soziale Hierarchisierung stand jedoch eine im kollektiven Bewusstsein verankerte Freiheitsideologie, die sich 1418/19 in einem bäuerlichen Aufstand entlud. Hatte dabei insbesondere die Errichtung burgähnlicher Anwesen ein Stein des Anstoßes gebildet, so mussten ambitionierte Familien fortan auf dieses Mittel der Selbstdarstellung verzichten. Die zeitweilige Preisgabe ritterlicher Repräsentationsformen markierte jedoch keineswegs den Endpunkt der sozialen Dynamik. Vielfach trug künftig ein gütliches Arrangement mit der Landgemeinde zur Sicherung adelsgleicher Rangposition bei.
Einen sehr viel freizügigeren Umgang mit sozialer Mobilität zeigt der Ausblick auf den polnischen Adel, der im 16. Jahrhundert immerhin acht bis zehn Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachte. Als verfassungsrechtliches Kuriosum weist Norbert Kersken dabei auf das Rechtsinstitut der Adelsrüge hin, das begüterten Bauern und Bürgern auf dem Klageweg eine Einfallspforte in den Adel eröffnete. Die Aufstiegschancen des ländlichen Kleinadels blieben jedoch weitgehend auf den Bereich von Hofdienst und Kanzlei beschränkt.
Rudolf Holbach weist darüber hinaus auf die geistliche Laufbahn als alternativen Karriereweg nichtadeliger Aufsteiger hin. Dabei zeigt sich eine zunehmend erfolgreiche Konkurrenz bildungs- und leistungsbezogener Mobilitätskriterien mit den restriktiven Zugangsbedingungen der um ständische Exklusivität bemühten Konvente und Kapitel. Die Aussichten, mithilfe der Kirche eine Standeserhöhung zu realisieren, beurteilt Holbach dennoch skeptisch: "Insgesamt flankierten geistliche Würden wohl eher einen sozialen Aufstieg als daß sie ihn initiierten". Mithin mochte eine gehobene Position innerhalb der kirchlichen Hierarchie die Akzeptanz einer Familie auch in der Welt festigen.
Die Fülle adeliger Statusattribute dokumentiert abschließen noch einmal Kurt Andermann. Sein Beitrag zum Aufrücken zünftischer Bürger ins Patriziat zeigt erneut, wie wenig ökonomischer Erfolg allein den Weg in die exklusiven Kreise der Stadtgesellschaft ebnen konnte. Selbst dort, wo adeliges Konnubium, königliche Protektion und Ausübung qualifizierter Ratsämter das Sozialprestige erhöhten, scheiterten Aufstiegsambitionen doch nicht selten am Widerstand etablierter Führungszirkel: "Vielmehr brauchte der Werdegang, der ins Patriziat führen sollte, Muße, um die Patina der Tradition anzusetzen", so resümiert Andermann und weist zugleich auf Versuche hin, kompromittierende Karrierevoraussetzungen zu verschleiern.
Rüdiger Fuchs kann in diesem Zusammenhang deutlich machen, dass die Selbststilisierung ambitionierter Familien selbst vor dem dinglichen Substrat adeliger Statusrepräsentation keinen Halt machte. Der übersteigerte Drang, herkunftsbedingte Defizite durch Nachbesserung und Verfälschung der Memoria zu tilgen, manifestierte sich in bizarrer Weise in der Fälschung von Grabsteinen und Epitaphien.
In der Tat hätte eine stärkere Einbeziehung sachkundlicher Zeugnisse die Ergebnisse manch anderer Beiträge noch zu schärfen vermocht. Zu Recht weist daher Gerhard Fouquet in seinem Schlussresümee auf das weithin unerschlossene Erkenntnispotenzial dieser "'Realien' der sozialen Reihung" (431) hin. Gerade in Fragen der sozialen Außenwirkung jedoch setzt der Band neue Akzente gegenüber der älteren Adelsforschung. Indem er den Fokus weg von den rechtlichen Kategorien hin zur Frage der gesellschaftlichen Akzeptanz verschiebt, vermag er zahlreiche neue Aspekte in die Diskussion um soziale Mobilitätsprozesse einzubringen. Als methodisch anregend erweist sich dabei die Suche nach den Bedingungen einer erfolgreichen Transformation wirtschaftlicher Ressourcen in adeliges Sozialprestige. Bildete materieller Reichtum, so der Grundtenor der meisten Beiträge, die entscheidende Ausgangsbasis des Aufstieges, so machte Geld alleine noch keinen Adeligen. Vielmehr bedurfte der Eintritt in den Adel zusätzlicher Investitionen, einzubringen durch zeitintensive Akkumulation und Vererbung in materieller und inkorporierter Form. Kurzfristige Mobilitätserfolge waren hingegen nur unter ungleich höheren Aufwendungen zu realisieren, die Transmissionskosten stiegen insbesondere mit der Notwendigkeit der Verschleierung des Kapitaltausches. Wo adelige Tradition fehlte, musste sie über Gütererwerb, Heiratsallianzen und Fürstendienst erst erworben und nötigenfalls durch historische Fiktionen untermauert werden. Hierzu gehörte etwa die rechtsförmige Bescheinigung, "niemals ein Handwerk oder Kleinhandelstätigkeit ausgeübt oder einen Leibherrn gehabt" zu haben (4). Mit dem Verweis auf die Macht der Tradition als dem maßgeblichen Katalysator sozialer Dynamik hat der Band ein wesentliches Grundmerkmal der ständischen Gesellschaft nicht nur präzise erfasst, sondern auch durch zahlreiche Einzelbefunde veranschaulicht.
Jan Keupp