Peter Niederhäuser (Hg.): Alter Adel - neuer Adel? Zürcher Adel zwischen Spätmittelalter und Früher Neuzeit (= Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich; Bd. 70), Zürich: Chronos Verlag 2003, 232 S., 47 Abb., ISBN 978-3-0340-0576-0, CHF 39,90
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Der vorliegende Sammelband ist der Frage gewidmet, wie sich der Adel im Einflussbereich der Stadt Zürich im Laufe des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit politisch, sozial und kulturell behaupten konnte. Gegen die ältere Historiografie betonen die meisten Beiträge, dass der Adel seit dem 15. Jahrhundert in Folge der Verdrängung der Habsburger nicht vollständig als politisch-soziale und kulturelle Kraft aus diesem Raum ausgeschieden ist. Im Gegenteil schafften es einige Familien, durch entsprechende Anpassungsleistungen ihre Stellung zwar nicht vollständig zu behaupten, aber doch nicht gänzlich verdrängt zu werden.
In der Einleitung betont Peter Niederhäuser, dass der landsässige Ritteradel seine politischen Einflussmöglichkeiten zwar weitgehend verloren und "als Gerichtsherr ein mehr oder minder bescheidenes Dasein" gefristet habe, dass aber die adligen Normen der Zürcher Oberschicht als Leitbilder dienten, mit denen diese ihre politisch-soziale und kulturelle Vorrangstellung zu behaupten versuchte. Von dieser nicht allzu neuen Einsicht in die Strukturen des bürgerlichen Ancien Régime in den europäischen Stadtrepubliken gehen die vorliegenden Aufsätze aus. Hierin eine radikale Neuinterpretation zu sehen, wie es in vielen Beiträgen anklingt, kann sich nur auf die ältere ortsgeschichtliche Literatur beziehen.
Der Sammelband setzt sich aus Überblicksartikeln und sehr knappen Beiträgen zusammen und ist in drei Bereiche gegliedert: "Strukturen und Schicksale", "Kultur und Herrschaft" sowie "Stadt und Adel".
Erwin Eugster fragt in dem Bereich "Strukturen und Schicksale" nach der Position des "Adels zwischen Habsburg, Zürich und dem Reich". Zwar wurde der Adel auf dem Land weitgehend entmachtet, aber zumindest die Normen der Adelskultur bestimmten auch die neue Zürcher Oberschicht, die auf dem Land adlig lebte. Insofern waren die Grenzen zwischen dem alten Landadel und dem patrizischen Stadtadel fließend. Grundsätzlich handelte es sich beim Adel auch in der Eidgenossenschaft um eine sozial sehr heterogene Gruppe, die einen bestimmten Lebensstil pflegte. Nur eine Spitzengruppe ritteradliger Geschlechter konnte im Rahmen der habsburgischen Herrschaft aufsteigen. Als die Habsburger verdrängt wurden, orientierten sich die Bevorrechtigten an Zürich. Der Adel zeigte sich in seinen Dienstbeziehungen außerordentlich flexibel. Im 15. Jahrhundert schließlich zogen sich die Habsburger endgültig aus dem Gebiet südlich des Rheins zurück. Dadurch wurde der Expansion Zürichs in den ländlichen Raum hinein Platz gegeben. Das Patriziat wurde adliger und strebte nach dem Rittertitel. Peter Niederhäuser bezeichnet die städtischen Eliten als ein "Verwaltungspatriziat", das die Positionen des Adels übernahm. In gewisser Weise ersetzte eine Adelsgruppe eine andere.
Martina Wehrli-Johns thematisiert die Rechtsbeziehungen zwischen dem Klosters Töss und den Habsburgern. Vogtei, Schirm und Schutz bildeten die wichtigsten Instrumente der habsburgischen Herrschaftsintensivierung gegenüber dem Kloster. Abgedruckt sind die Freiheitsartikel des Klosters aus der Zeit kurz vor 1412. Hermann Romer betrachtet ganz knapp die Geschäftspraktiken der als Kriegsunternehmer auftretenden Adligen im späten Mittelalter. Die Stadtobrigkeiten versuchten, dem wilden Reislaufen zu begegnen, sodass die adligen Militärunternehmer immer unbedeutender wurden. Peter Ziegler gibt einen kursorischen Überblick über den Aufbau und die Geschichte des Johanniterordens und seiner drei Kommenden im Gebiet des heutigen Kantons Zürich. Bis 1549 fanden die Ordenskommenden im untersuchten Gebiet durch die Reformation ihr Ende.
Peter Niederhäuser identifiziert die Gerichtsherrschaften als den eigentlichen Rückhalt adliger Herrschaft auf dem Land. In einem lang andauernden Prozess wurde der Adel durch das Patriziat aus seinen Schlüsselpositionen in der Stadt und ihrem Landgebiet verdrängt. Dieser Befund wird durch die Beiträge von Katrin Hürlimann über die Gerichtsherrschaft Breitenlandeburg-Turbenthal und Ernst Baumeler über die Herren von Bonstetten etwas relativiert. Sie zeigen, dass es auch Ausnahmen in diesem Verdrängungswettbewerb gab. Sie geben Beispiele für adlige Herrschaften, die sich behaupten konnten: die Herren von Breitlandenberg bis in das 18. Jahrhundert. Die Herren von Bonstetten wurden ratsfähig und gaben ihren Landsitz im 16. Jahrhundert auf, gingen also den umgekehrten Weg vom Land in die Stadt. Das Geschlecht starb 1606 aus.
Martin Leonhard und Peter Niederhäuser charakterisieren die Gestaltungsmöglichkeiten adliger Witwen und konstatieren einen überraschenden Freiraum gegenüber der eigenen Verwandtschaft insbesondere bei der Verwendung ihres Vermögens.
Zu Beginn des zweiten Themenkomplexes "Kultur und Herrschaft" thematisiert Erwin Eugster adliges Selbstverständnis im Spiegel der Memorialleistungen am Beispiel der Hohenklingen im Kloster St. Georg in Stein am Rhein. Die Geschlechter inszenierten sich in ihren Grablegen als Memorialgemeinschaften. Verdrängt wurde der Adel dagegen aus der städtischen Memorialgemeinschaft, wie Rudolf Gamper am Beispiel der älteren Zürcher Chroniken nachweist. Die adligen Familien verfielen gleichsam einer damnatio memoriae, indem sie in den Chroniken keine Erwähnung fanden. Nur bei der Darstellung des Alten Zürichkrieges der 1440er-Jahre wurde über die von Geburt Bevorrechtigten berichtet. Der Adel stand für die Chronisten seit dem 16. Jahrhundert auf der gegnerische Seite und wurde entsprechend dargestellt. Die drei Beiträge von Christian Renfer, Dölf Wild und Karl Grunder beschreiben die adlige und patrizische Wohnkultur. Das Bauen diente dem Adel als standesgemäße Selbstdarstellung. In Zürich fand dies vor allem über Türme statt, die vom Adel gebaut und dann vom Patriziat übernommen wurden. Sinnfällig zeigt sich hierin der Wechsel der Führungsschicht.
Der dritte Abschnitt des Sammelbandes ist dem Thema "Stadt und Adel" gewidmet. Zu Beginn berichtet Martin Illi über den "Alten und neuen Adel in der Zürcher Constaffel". Nach der so genannten "Zunftrevolution" von 1336 bildeten der Stadtadel und die reichen nichtadligen Bürger die Constaffel, während die Handwerker und Handeltreibenden den dreizehn Zünften zugewiesen wurden. Die Zusammensetzung der Constaffel änderte sich im späten Mittelalter massiv. Am Ende des 15. Jahrhunderts gehörte ihr keine Familie mehr an, die noch 1350 in den Quellen genannt worden war. Im Lauf der Frühen Neuzeit schloss sich die adlige Gesellschaft sozial immer mehr ab. Stefan Frey fragt nach einem "Neuen Stadtadel im 15. Jahrhundert". Die im 15. Jahrhundert in Erscheinung tretende Führungsschicht war erst gegen Ende des 14. Jahrhunderts zu Macht und Reichtum gekommen. Auf Kosten des Stadtadels hatte sie die älteren Geschlechter aus den Führungspositionen in der Stadt verdrängt. Die ihr angehörenden Familien zeigten ein ausgeprägtes Streben nach adligen Lebensformen und Selbstdarstellung. Auch wenn die führenden Familien ausgetauscht wurden, blieb doch die adlige Lebensweise für die Eliten bestimmend.
Claudia Kajatin widmet sich den Adels- und Wappenbriefen. Wappen zu führen und sich vom König bestätigen zu lassen galt vielen Bürgern in den Schweizer Städten als erstrebenswert. Diese Haltung zeigt deutlich die Ausstrahlungskraft des adligen Normenkosmos. Die Wappenbriefe dienten der Zürcher Oberschicht im späten Mittelalter zur Absicherung ihrer Positionen. Die Vielzahl der Verleihungen führte allerdings zu einer Verwässerung dieses Distinktionsmerkmals, sodass die Führungsschicht seit dem späten 15. Jahrhundert mehr und mehr den Erhalt von Adelsbriefen anstrebte. Sie erhoben die Empfänger und ihre Nachkommen in den "'stand des adels', wodurch sie kraft der Urkunde dem Reichsadel angegliedert wurden" (208). Allerdings wurden solche Adelsbriefe von den Kaisern recht selten vergeben, sodass innerhalb der städtischen Oberschicht seit dem 16. Jahrhundert den Wappenbriefen der Charakter von Adelsbriefen zugewiesen wurde. Etwas zugespitzt formuliert, machten sich die Zürcher ihren Adel selbst.
Zum Abschluss gibt Ulrich Pfister einen zusammenfassenden Überblick über die "Politischen Eliten im frühneuzeitlichen Zürich". Die Stadtobrigkeit zeichnete sich durch ein Honoratiorenregiment aus, das heißt die politischen Tätigkeiten wurden ehrenamtlich wahrgenommen, sodass ein entsprechendes Vermögen zu ihrer Ausübung notwendig war. Spätestens im 17. Jahrhundert schlossen sich die Herrschaftskreise nach Außen immer mehr ab. Damit einher ging die zunehmende politische Marginalisierung der Handwerker. Grundlage der politischen Macht war der Reichtum, der von den führenden Verlagsherren in politische Macht umgesetzt wurde. Diese sich aus dem Kaufmannsmilieu rekrutierende beziehungsweise auf arbeitsfreies Renteneinkommen stützende Honoratiorenelite konkurrierte mit einer älteren, adligen Beschäftigungen nachgehenden Elite, die sich insbesondere im Umkreis der Constaffel organisierte. Die politischen Einflussmöglichkeiten dieser Gruppe waren allerdings sehr eingeschränkt. Sie wirkte vor allem über die kulturelle Prägekraft ihrer adligen Lebensführung.
Ein Verzeichnis der Autorinnen und Autoren schließt das schön gestaltete, reich bebilderte Buch ab. In den allgemeinen Aussagen bestätigen die Beiträge die Ergebnisse moderner Adelsforschung. Für die Zürcher Adelsgeschichte stellt das Buch ein grundlegendes Werk dar.
Thomas Fuchs