Olaf Zumhagen: Religiöse Konflikte und kommunale Entwicklung. Mailand, Cremona, Piacenza und Florenz zur Zeit der Pataria (= Städteforschung. Veröffentlichungen des Instituts für vergleichende Städtegeschichte in Münster. Reihe A: Darstellungen; Bd. 58), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2002, 259 S., ISBN 978-3-412-08301-4, EUR 39,90
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Die vorliegende Untersuchung stellt die überarbeitete Fassung der im Herbst 1996 in Münster eingereichten, von Hagen Keller betreuten Dissertation Olaf Zumhagens dar. Ihr zentrales Anliegen ist es, den Zusammenhang zwischen der religös-sozialen Bewegung der Pataria und der kommunalen Verfasstheit der lombardischen Städte an ausgewählten Beispielen näher zu analysieren. Gegenstand sind somit nicht der Ursprung und die Ursachen der Pataria, sondern ihre Wechselwirkung mit der städtischen Entwicklung in der Lombardei.
Vorangestellt ist ein allgemeines Kapitel über die Rahmenbedingungen (8-25), in welche die Pataria eingebettet war, die Entwicklung des Reformpapsttums, die Auseinandersetzungen zwischen 'regnum' und 'sacerdotium' sowie die Stellung der lombardischen Bischöfe, wobei die Situation in Mailand besonders fokussiert wird. Zumhagen weist völlig zu recht darauf hin, dass trotz der Einbettung der von ihm thematisierten Entwicklung in diesen allgemeinen Rahmen, die "kollektive Religiosität des 11. Jahrhunderts", zumal in Oberitalien (18 f.), von den Vorstellungen der römischen Reformer zu trennen ist und nicht in eins gesetzt werden darf.
Im Folgenden werden sechs Städte näher beleuchtet, in denen Patarener wirkten - im Fall von Florenz die Vallombrosaner -, Mailand, Alba, Brescia, Cremona, Piacenza und Florenz. Positiv hervorzuheben ist dabei das Bemühen Zumhagens, jedem Kapitel eine Erörterung der Quellen voranzustellen, die den Leser auf rasche Weise über den Quellenwert und die Problematik der meist tendenziösen Schriften informiert, die er für seine Untersuchung heranzieht. Umso erstaunlicher ist es, dass Zumhagen Benzo von Alba immer noch in der 1854 erschienenen und von Karl Pertz besorgten Ausgabe zitiert und nicht die Ausgabe von Hans Seyffert aus dem Jahr 1996 benutzt. [1]
Das Hauptaugenmerk bei der Behandlung der fünf Städte liegt quantitativ und qualitativ - nicht zuletzt aufgrund der reichen Quellenlage - auf Mailand. Den größten Teil der Darstellung widmet Zumhagen hier der Schilderung des Verlaufs der Pataria unter Ariald (39-57) und später unter Erlembald (57-75). Diesen detailreichen Kapiteln folgt die Analyse der Wechselwirkung von Pataria und städtischer Entwicklung. Zumhagen gelingt es hier durch intensive eigenständige Auseinandersetzung mit den Quellen die Funktionsweise der Agitation herauszuarbeiten. Gerade am Mailänder Beispiel vermag er eindrücklich die Bedeutung der Volksversammlung als dem zentralen Instrument der Patarener bei der Durchsetzung ihrer Ideen zu belegen. Die Patarener schufen hier jedoch kein neues Kommunikationsmittel, sondern benutzten vorhandene Strukturen: "Das Mittel der Volksversammlung wurde von einer schon lang eingeübten durch das Wirken der Patarener zu einer breit beanspruchten Praxis" (82). Die Volksversammlung erwies sich zumal durch ihre gehäufte Einberufung immer stärker als der zentrale Ort der politischen Entscheidungsfindung für die städtische Gemeinschaft (84f.), die zugleich auch die "ambrosianische Kultgemeinschaft" (92) war. Die Weiterentwicklung kommunalen Bewusstseins und kommunaler Strategien der Konfliktbewältigung in Wechselwirkung mit religiösen Konflikten, die den Frieden der Stadt bedrohten, zeigt Zumhagen an diesem Beispiel deutlich auf. Die gesteigerte Bedeutung der Volksversammlung für die Stadt demonstriert Zumhagen am Konflikt um Erzbischof Grossolan, der 1102 nicht vom Kapitel, sondern von der Volksversammlung gewählt worden zu sein scheint (120). Grossolan musste bereits ein Jahr später die Stadt verlassen. Beide Male spielte die Volksversammlung eine zentrale Rolle, deren Entscheidungen für alle bindend waren, sodass die Intervention Papst Paschalis II. im Jahr 1105 "in Mailand souverän ignoriert" werden konnte (122).
Für die anderen Städte, die Zumhagen als mögliches Korrektiv dienen, um die an Mailand gewonnenen Aussagen auf eine allgemeinere Ebene heben zu können, ist die Quellenlage leider wesentlich schlechter. So sind genauere Aussagen über die Wechselwirkung von Pataria und städtischer Entwicklung in Brescia leider nicht möglich (141). Bemerkenswert erscheint aber die Beobachtung, dass dem Cadalus-Schisma für die späteren religiösen Spannungen in Oberitalien eine entscheidende Bedeutung zuzukommen scheint: "Denn es fällt auf, dass erkennbares patarenisches Wirken außerhalb Mailands nur für jene Bischofsstädte, Cremona, Piacenza, Brescia und Alba, überliefert wird, deren Bischöfe ausdrücklich Cadalus unterstützt hatten" (136). Leider wird dieser Gedanke von beträchtlicher Tragweite nicht weiter ausgeführt, und der Zusammenhang zwischen römischen Reformern und patarenischer Bewegung erfährt aus dieser Perspektive keine neue Erhellung.
Klarer als in Mailand scheinen dabei die Beziehungen zwischen Rom und Pataria in Cremona gewesen zu sein. Dort waren die patarenische Bewegung und die Stadtgemeinde wesentlich offener für den päpstlichen Einfluss. Gregor VII. unterstützte die Patarener auch hier mittels des päpstlichen Schutzes für Einrichtungen und Personen gegen die Bischöfe (155). Noch deutlicher tritt die Initiative dieses Papstes in Piacenza hervor (159-161). Doch hier hatte die Pataria nach dem Tod Erlembalds offenbar nicht mehr genügend Rückhalt, zudem ist Piacenza der Ort, an dem sich die Lombardischen Bischöfe trafen, um nach den Wormser Ereignissen vom Januar 1076 ihr weiteres Vorgehen gegenüber Gregor VII. zu erörtern. Auch das Nachspiel der Pataria in Piacenza, die Erhebung Bonizos von Sutri, hatte nach einer Auseinandersetzung zwischen 'populus' und 'milites' mit einer 'concordia' von 1090 ihr Ende gefunden (164-167). Das Beispiel von Piacenza ist als Korrektiv für generalisierende Aussagen auch insofern von Bedeutung, als hier nach 1090 keine städtische Gruppierung am Stadtregiment partizipieren konnte, die vorher ausgeschlossen war. Hier blieb eine katalytische Wirkung der Pataria auf die kommunale Entwicklung aus (175). Die Auswahl speziell der Städte Cremona und Piacenza hat sich bei der vorliegenden Studie insofern als glücklich erwiesen, da diese Beispiele einer zu rasch verallgemeinernden Aussage entgegenstehen.
Eine "Vergleichbarkeit der Konflikte in Mailand und Florenz" kann Zumhagen allein in den 1060er-Jahren feststellen (182). Doch noch viel stärker als in Mailand vermag er in Florenz die städtische Gemeinde als handelndes Subjekt zu fassen (200f.), wozu er hauptsächlich das Schreiben der Florentiner an Alexander II. heranzieht, in dem die Vertreibung des Bischofs Petrus Mezzabarba gerechtfertigt wird (195-198).
Zusammenfassend kommt Zumhagen zu dem Schluss (203-206), dass die Pataria als Katalysator für die städtische Entwicklung wirkte. Dies sei zu nicht unerheblichem Teil dadurch zu erklären, dass die Patarener sich gezielt an die gesamte Gemeinde der Stadt wandten, um diese für ihre Sache zu vereinnahmen, der "öffentliche Disput erscheint in den Quellen als das zentrale Instrument" (203). Dieses Vorgehen sorgte "ungewollt für eine qualitative Aufwertung der Versammlung" (204). Insofern interpretiert Zumhagen das Scheitern der Pataria auch als das Scheitern ihrer Anführer gegenüber den Geistern, die sie riefen: "Denn es war nur eine Frage der Zeit, bis das gewaltsame 'öffentliche' Handeln der Patarener und bald auch ihrer Gegner die 'Repräsentativorgane' der städtischen Gemeinschaft dazu zwang, selbständig einzugreifen" (205).
Insgesamt ist die Studie ein guter Einstieg für die Beschäftigung mit dem Phänomen der Pataria. Die detailreiche Untersuchung vermittelt dem Leser durch den reichlichen Nachweis von Quellen und Literatur einen sehr guten Überblick über die deutsche und italienische Forschungslage zu diesem Thema. Die eigenen Ergebnisse bleiben hinter dieser in ihrem Umfang beachtlichen Leistung jedoch zurück.
Anmerkung:
[1] Benzo von Alba: Ad Heinricum imperatorem libri VII, hg. und übersetzt von Hans Seyffert (= MGH SS rer. Germ. 65), Hannover 1996.
Jochen Johrendt