Paul Ginsborg: Berlusconi. Ambizioni patrimoniali in una democrazia mediatica, Torino: Giulio Einaudi Editore 2003, X + 92 S., ISBN 978-88-06-16672-4, EUR 9,00
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Wer ist Silvio Berlusconi? Ein skrupelloser Medienzar, ein Komödiant mit einem merkwürdigen Sinn für Humor, ein Steuersünder und Bilanzfälscher, ein unkalkulierbarer Politiker zwischen billigem Populismus und kaltem Neoliberalismus oder gar die hassenswerte Reinkarnation Benito Mussolinis, wie zuweilen - frei nach Primo Levis Diktum, jede Zeit bringe ihren eigenen Faschismus hervor - gemutmaßt worden ist? Paul Ginsborg, ein ausgewiesener Kenner der Geschichte Italiens nach dem Zweiten Weltkrieg, der an der Universität Florenz europäische Zeitgeschichte lehrt, hat es sich zur Aufgabe gemacht, das vielgestaltige Phänomen Berlusconi zu erklären und dabei zugleich eine Antwort auf die Frage zu finden, wohin Italien in diesen ersten Jahren des 21. Jahrhunderts treibt. Dabei macht er gleich zu Beginn deutlich, dass er den Aufstieg Berlusconis zwar für bemerkenswert, aber nicht für singulär hält. Schließlich zeige das Beispiel von Rupert Murdoch in Australien, Bernard Tapie in Frankreich oder Michael Bloomberg in den USA, wie anfällig moderne Demokratien gegen Männer seien, die neben einem großen Vermögen und einem gewissen Charisma auch Massenmedien für ihre Ziele mobilisieren könnten.
Ginsborg hat seine Ausführungen in das luftige Gewand eines Essays gekleidet und erweist sich als Freund klarer Aussagen und thesenhafter Zuspitzungen. Dass er kein Anhänger des "Cavaliere" ist, wie Berlusconi in Italien oft genannt wird, erfährt der Leser bereits aus der Widmung. Ginsborg hat sein Bändchen nämlich dem "Laboratorio per la democrazia di Firenze" zugeeignet, einer ebenso kreativen wie aufmüpfigen Gruppierung von hartnäckigen Berlusconi-Gegnern, zu deren Gründungsmitgliedern der Autor zählt.
Ausgangspunkt ist der Wahlsieg der von Berlusconi geführten Parteienkoalition "Casa delle libertà" (Haus der Freiheiten) im Mai 2001, den Ginsborg zu erklären versucht, indem er sich kurz mit den institutionellen und strukturellen Gegebenheiten italienischer Politik auseinandersetzt. Letztlich führt er diesen Wahlsieg auf drei Faktoren zurück: Erstens lernte Berlusconi aus den Fehlern seiner unrühmlichen ersten Amtszeit als Regierungschef zwischen Mai und Dezember 1994 und arbeitete systematisch an seinem Comeback. Zweitens legte der reichste Mann Italiens, dessen Vermögen 2001 auf zehn Milliarden Dollar geschätzt wurde, den italienischen Wählerinnen und Wählern in einer beispiellosen, virtuos inszenierten Wahlkampagne ein zwar nicht widerspruchsfreies, aber eingängiges und verheißungsvolles Programm vor, das verbreitete Ängste vor Kriminalität und Überfremdung ebenso aufnahm wie die Sehnsucht nach mehr Wohlstand und einem besseren Leben, das der Kandidat zu verkörpern schien. Das auf einem negativen Freiheitsbegriff fußende, neoliberale Credo Berlusconis stieß offensichtlich vor allem in den - nicht kleinen - Teilen der italienischen Gesellschaft auf ein positives Echo, die den Staat als dysfunktional, ja als potenziell verdächtige oder sogar feindlich gesinnte Organisation wahrnahmen. Drittens hatte es Berlusconi und sein "Haus der Freiheiten" mit einer politischen Linken zu tun, der es in fünf Regierungsjahren nicht gelungen war, die Menschen zu erreichen, eine glaubwürdige Vision zu entwickeln und die Machtfrage in den eigenen Reihen zu klären. Das heterogene Bündnis der Mitte-Links-Parteien rieb sich im Gegenteil in ständigen internen Querelen auf, und ihr größter Erfolg, Italiens Aufnahme in die Euro-Zone, wurde durch eine Politik der Haushaltskonsolidierung erkauft, die gerade an der eigenen Basis unpopulär war.
Anders als Teile der italienischen Linken, denen Ginsborg vorwirft, sie hätten Berlusconi unterschätzt, nimmt er das politische Projekt des "Cavaliere" ernst. Dieses Projekt besteht für ihn in der Durchsetzung eines medial vermittelten, auf Charisma und Reichtum beruhenden persönlichen Regiments zur Verwirklichung von Zielen, die vielleicht auch dem Gemeinwohl, sicher und in erster Linie aber den Interessen des Politiker-Unternehmers Berlusconi und denjenigen seines Clans dienen. Dass dadurch die demokratische Substanz der italienischen Gesellschaft in Mitleidenschaft gezogen, ja ausgehöhlt wird, liegt für Ginsborg auf der Hand. Italien, so sagt er, sei unter der Regierung des fußballbegeisterten Berlusconi in kaum zwei Jahren in die zweite Liga der Demokratien abgestiegen. Italien sei, mit anderen Worten, nur noch eine formale, aber keine liberale Demokratie mehr. Die Bürger seien vor dem Gesetz nicht mehr gleich, ja die regierende Mehrheit agiere offen im Sinne des Regierungschefs und seiner Entourage, die Unabhängigkeit der Justiz werde immer stärker beschnitten, und von Freiheit, demokratischer Kontrolle oder Pluralismus im Medienbereich könne in Italien schon gar keine Rede sein, da Berlusconi nicht nur über sein Medienimperium mit drei landesweiten Fernsehprogrammen gebiete, sondern über die Regierung indirekt auch die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten kontrolliere.
Hoffnungen auf eine rasche Wende zum Besseren macht sich Ginsborg nicht. Er erkennt zwar an, dass sich zumindest progressive Teile von Justiz und Verwaltung der Politik des Regierungschefs in den Weg gestellt haben, betont aber gleichzeitig, dass alles in allem aus dem Staatsapparat heraus wenig mehr als eine Art passiver Widerstand zu erwarten sei. Die parlamentarische Opposition hat er aufgrund ihrer inneren Schwäche offensichtlich abgeschrieben. Tatsächlich ist es den Parteien der Linken und der linken Mitte nicht gelungen, die Regierung wirklich in die Bredouille zu bringen, obwohl deren Politik aufgrund zahlreicher stecken gebliebener Reformprojekte, Spannungen in der Koalition und der schlechten Wirtschaftslage alles andere als erfolgreich ist. Einen Silberstreif sieht Ginsborg lediglich in den unabhängigen Gruppierungen von Verteidigern der Demokratie, Vorkämpfern für Menschen- und Bürgerrechte sowie Globalisierungsgegnern, die vor allem im Jahr 2002 durch eine Reihe spektakulärer Massenveranstaltungen auf sich aufmerksam gemacht haben und den Autor - selbst Aktivist - hoffen lassen, dass die demokratische Bürgergesellschaft in Italien trotz allem noch nicht am Ende ist.
Thomas Schlemmer