Nicola Tranfaglia: Vent'anni con Berlusconi (1993-2013). L'estinzione della sinistra, 2. Auflage, Mailand: Garzanti Libri 2009, 311 S., ISBN 978-88-11-60089-3, EUR 16,50
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Aram Mattioli: "Viva Mussolini!". Die Aufwertung des Faschismus im Italien Berlusconis, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2010
Paul Ginsborg: Berlusconi. Politisches Modell der Zukunft oder italienischer Sonderweg? Aus dem Englischen von Friederike Hausmann, Berlin: Wagenbach 2005
Paul Ginsborg: Italien retten, Berlin: Wagenbach 2011
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Claretta Petacci: Mussolini segreto. Diari 1932-1938, Mailand: Rizzoli 2009
Nein, es handelt sich im Titel des Buches nicht um einen Druckfehler. Nicola Tranfaglia, der in Turin lehrende Historiker, meint es ernst, wenn er sich als Futurologe betätigt und über eine Zeitspanne schreibt, die teilweise noch ganz im Dunkel der Zukunft liegt. An sich ist es nur zu begrüßen, wenn sich auch Historiker zu Gegenwartsfragen äußern und ihre Kompetenz einbringen, um im unübersichtlichen Hin und Her unserer Zeit für Orientierung zu sorgen. Der Einwand, dass dafür keine Quellen zur Verfügung stünden, kann dabei in vielen Fällen getrost ignoriert werden. Die zeithistorische Forschung kann auf die Presse zurückgreifen, auf gedruckte öffentliche Äußerungen der Protagonisten, auf Memoiren und sonstiges Schrifttum meist amtlicher Provenienz und muss deshalb an der Nahtstelle von Vergangenheit und Gegenwart nicht kapitulieren. Was hier bereits jetzt, also lange vor Ablauf der 30-Jahres-Sperrfrist für amtliche Dokumente, möglich ist, zeigte sich im September 2009 auf einer Tagung in Trient, die dem Thema "Berlusconi an der Macht. Die Politik der italienischen Mitte-Rechts-Regierungen in vergleichender Perspektive" gewidmet war und zu ebenso fundierten wie nüchternen Ergebnissen führte. [1]
Tranfaglia hingegen wischt das bewährte Motto "Sine ira et studio" souverän beiseite. Er weiß auch ohne umfassende Recherche, was Sache ist, und begnügt sich deshalb mit einer sparsamen Auswertung der Presse. Mehr Material zieht er für seine Arbeit nicht heran; selbst die neuere Literatur nimmt er nur selektiv zur Kenntnis. Die gleiche, fast herrische Selbstgenügsamkeit zeigt sich bei der Urteilsfindung und Thesenbildung - hier lässt Tranfaglia, nach langer Odyssee am linken Rand einsam und offensichtlich bitter geworden, seinen politischen Vorurteilen freien Lauf. Diese beziehen sich, versteht sich, nicht nur auf Berlusconi und seine Regierung, die in Tranfaglias Augen auf dem besten Weg sind, der Demokratie in Italien den Garaus zu machen. "Wenn man mich fragt", so der Autor, "ob wir bereits in einem autoritären Regime leben, das sich zwar vom Faschismus unterscheidet, aber deshalb nicht weniger besorgniserregend ist, so sage ich, dass Berlusconis Regierung ein solches Regime in hohem Maße schon errichtet hat." (22)
Nicht weniger pauschal und grob fällt die Kritik an der politischen Linken aus, die nur aus Versagern zu bestehen scheint. Sie habe die Augen vor den Umwälzungen in Staat und Gesellschaft verschlossen, die Gefährlichkeit der Berlusconi, Fini und Bossi verkannt und sei in ideologischer Verbohrtheit nur mit sich selbst und ihren politischen Nichtigkeiten beschäftigt. Romano Prodi, Achille Occhetto, Massimo D'Alema und Walter Veltroni - niemand besteht die Prüfung, die der scharfe Richter Tranfaglia verordnet hat.
Der wissenschaftliche Erkenntnisgewinn, den der Leser aus Tranfaglias neuem Buch ziehen kann, tendiert gegen Null, sieht man einmal davon ab, dass man hier einen der prominentesten Historiker Italiens als allseits zürnenden homo politicus besichtigen kann und dabei seine blauen Wunder an Einseitigkeit erlebt. Noch enttäuschender, nein ärgerlicher ist, dass Tranfaglia sich nicht scheut, dem Publikum alten Wein in neuen Schläuchen vorzusetzen. Konkret heißt das: Das neue Buch ist im Kern identisch mit einem alten aus dem Jahr 2003, das unter dem Titel "La transizione italiana. Storia di un decennio" erschienen ist. [2] Neu ist im Grunde nur der letzte Teil, der die zweite Amtszeit Prodis (2006-2008) und Berlusconis Comeback 2008 behandelt, wobei der Autor aber über weite Strecken kaum mehr als eine Art dürrer Chronik mit steilen Thesen bietet.
Man muss kein Futurologe sein, um zu wissen, was uns in einigen Jahren blüht: Eine neue Auflage unter einem neuen Titel, die sich dann - anything goes - vermutlich schon auf 2023 oder 2033 bezieht.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Gian Enrico Rusconi / Thomas Schlemmer / Hans Woller (Hg.): Berlusconi an der Macht. Die Politik der italienischen Mitte-Rechts-Regierungen in vergleichender Perspektive, München 2010.
[2] Vgl. Thomas Schlemmer: Rezension von: Nicola Tranfaglia: La transizione italiana. Storia di un decennio, Mailand: Garzanti Libri 2003, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 3 [15.03.2004], URL: http://www.sehepunkte.de/2004/03/5424.html.
Hans Woller