David Ganz: Barocke Bilderbauten. Erzählung, Illusion und Institution in römischen Kirchen 1580-1700 (= Studien zur internationalen Architektur- und Kunstgeschichte; Bd. 14), Petersberg: Michael Imhof Verlag 2003, 456 S., 80 Farb-, 270 s/w-Abb., ISBN 978-3-935590-53-2, EUR 99,00
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Der Autor hat eine umfangreiche, sorgfältig redigierte und reich bebilderte Arbeit vorgelegt, und es ist schwer, sich nicht sogleich von ihrer äußeren Präsentation beeindrucken zu lassen. Um es vorwegzunehmen: Es handelt sich um ein in vieler Hinsicht schönes Buch. Die thematische Untergliederung in vier große Kapitel zeigt den weitgesteckten Rahmen an. Ganz will sich nicht nur den mehrteiligen Bildprogrammen römischer Kirchen zwischen 1580-1700 widmen, sondern auch deren Rivalen oder Herausforderern, den privaten Bildräumen und der barocken Tafelmalerei. Abschließend werden bevorzugt verwendete Bildgegenstände und Erzählstoffe untersucht und, wie durchgehend in diesem Projekt, an Einzelbeispielen detailliert abgeklopft.
So viel Stoff lässt nach dem methodischen Rahmen fragen. Ganz findet ihn in einer semiotischen Fragestellung, das heißt in der Untersuchung bildinterner und bildübergreifender Strukturprinzipien, die ein plurales Bildensemble zum "Sprechen" und "Erzählen" bringen. Daher leitet sich dann auch im Folgenden der Begriff der "barocken Bilderbauten" ab, mit dem Ganz ein "komplexes Zusammenspiel von Fiktions- und Aktionssphären" (10) bezeichnen will, in dem ästhetische und tektonische Elemente der Bilderbauten ein narratives Kommunikationssystem errichten. Seine Methode fußt auf rezeptionsästhetischen Analysen, die "den Bildern die Fähigkeit einräumen, eigene Erzählungen über ihre Gegenstände vorzutragen". In diesem Sinne will Ganz "davon ausgehen, dass Bilder ihre Themen mit genuin 'ikonischen' Mitteln umerzählen und ihnen so eine eigene Form aufprägen". (15)
Mit dieser Prämisse hat er sich dann auch der Falle einer allzu strukturalistisch oder identifikatorisch angelegten Methodik entzogen. Sein Ansatz versucht, formale und ikonographische Elemente ebenso zu verbinden wie zu differenzieren. Denn um eine Abrechnung mit diversen kunstwissenschaftlichen Blockbildungen geht es durchaus in diesem Buch. Ist es zum einen die altbekannte Dichotomie von Form und Inhalt, die Ganz von Grund auf zu überwinden versucht, so ist es im weiteren vor allem die traditionelle Auffassung von der Vorrangstellung des autonomen Tafelbildes, der er mit seinen Überlegungen entgegentritt: Die Bildprogramme barocker römischer Kirchen lassen sich nicht unter der monofokalen Perspektive einzelbildlicher Analysen subsumieren.
Mit einem Blickwinkel, der Bildfelder auch in Ensembles oft als durchweg geschlossene Einheiten betrachtet, wurde die wichtige Schleusenfunktion der Rahmung vernachlässigt. Durch sie wird der Bildverkehr ebenso aktiviert wie reguliert, in Umlauf gebracht wie gestoppt und gelenkt. Semiotisch betrachtet, weist sie einzelnen Bildfeldern bestimmte "Sprechrollen" zu. Wir hören an dieser Stelle deutlich die Stimme des Bildnarratologen Wolfgang Kemp heraus, dessen Analysen mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Bildprogramme mit Ganz' Anliegen übereingehen. Sicherlich bleibt hier die Frage, ob die Fiktionalität der Rollenverteilungen und Sprechabsichten den Erlebnisraum "Bilderbau" nicht zu sehr abstrahiert. Ganz spricht selbst sehr richtig von fiktiven Positionen der Bildproduktion und -rezeption, wenn er den Betrachter und den Auftraggeber ins Spiel bringt. Es geht ihm also weit mehr um generelle Strukturmodelle der Bildbetrachtung als um die eigentliche Rezeption des römischen Publikums und die damit verbundene historische Einbettung - das kann an manchen Stellen defizitär ausgelegt werden. Ebenso wird das Erlebnispotenzial des individuellen Betrachters vernachlässigt. Es sollte dem Autor jedoch nicht lange angelastet werden, weil seine Untersuchung durch die Beispielvielfalt rasch an Materialität anderer Art gewinnt. Letztendlich bleibt jedoch ein logischer Bruch zwischen dem zuweilen zitierten barocken Quellenmaterial und dem streng strukturalen, überzeitlichen Gerüst seiner Bildanalysen.
Einen ersten Höhepunkt findet die Arbeit zweifellos zu Beginn des zweiten Kapitels, das sich der "Repräsentation institutioneller Macht und den Geltungsansprüchen barocker Bilderbauten" widmet. Hier ist der Autor ganz in seinem Element, wenn er die Entwicklung und Verlagerung der Bildausstattung römischer Kirchen um und nach 1580 verfolgt - mit erfrischender Verve und glänzend herausgearbeiteten Ergebnissen. Sie seien an dieser Stelle kurz zusammengefasst: Die Bildverteilung in römischen Kirchen war vor 1580 durch ein starkes Gefälle zwischen Haupt- und Nebenraum und damit auch zwischen privaten Stiftern und institutioneller Ordnung gekennzeichnet. Genau dieses Gefälle beginnt sich zu nivellieren oder umzuschichten, als die Bilder nun auch Einzug in die weiße Kernzone der Vierung, des Lang- und Querhauses halten. Ganz zeichnet den Prozess plastisch nach und begründet ihn durch "ein neues institutionelles Bewusstsein der kirchlichen Amtsträger: ein Bewusstsein von den Möglichkeiten, die Rolle der kirchlichen Institutionen durch heilsgeschichtliche Bilderzählungen neu zu profilieren und herauszuarbeiten" (100). Dadurch wird deutlich, was Bilder vermehrt zu leisten haben: nämlich zwischen kirchlichen Geltungsansprüchen und Autorisierungsprozessen der nachtridentinischen Zeit zu migrieren und sich auch noch unter größten Anspannungen zu bewähren. Resistente Bildgruppen, so könnte eine Schlussfolgerung sein, bilden den Nukleus neuer Formationen - ein morphologischer Prozess konfessioneller Machtpolitik, der in den visuellen Reichtum barocker Kirchenausstattung mündet.
Den dritten Teil seiner Arbeit hat Ganz mit dem Titel "Gemalte Bilderlehren. Die Bilderbauten im Dialog mit neuen und alten Bildern" umschrieben. Wichtiger Bestandteil ist hier die Analyse der zeitgenössischen "provokativen" Tableaukunst, die, dem Autor zufolge, wesentlich zu einer Neuformulierung barocker Kirchenausstattung geführt hat. Ganz bezieht sich hier ausdrücklich auf die von Stoichita und anderen hervorgehobene Paradigmatisierung der neuzeitlichen Tafelmalerei und zeigt diesen Prozess unter anderem am Beispiel des Hochaltarbildes der Chiesa Nuova auf, für das Rubens den Auftrag erhalten hatte. Die Rückgabe des Werkes an den Maler zeugt dem Autor zufolge von einer "Disziplinierung der künstlerischen Eigenständigkeit" (181), wie sie für die barocken Bilderbauten symptomatisch werden sollte. Später wird er noch einmal, hinsichtlich der kritischen Rolle religiöser Kultbilder in der kirchlichen Institutionalisierungspolitik, auf dieses Beispiel zurückkommen, sodass sich Teile der Arbeit glücklich verbinden. Freilich, ein Einblick in die eigentlichen konfessionellen Streitpunkte wird nur am Rand gewährt, wenn Ganz die Einwände protestantischer Bildkritiker argumentativ einfließen und barocke Bildbefürworter allzu lakonisch darauf antworten lässt. Dafür besticht ein zusätzliches Kapitel, "das Erbe der Antichità Cristiane" betreffend, durch seine überschwänglich dargelegten Ausführungen. Es zeigt, wie Ganz erneut als Narratologe zum besten Einsatz kommt, und die angeführten Beispiele machen das dichte Korrespondenzsystem zwischen barocken und mittelalterlichen Bildprogrammen ebenso anschaulich, wie auch die Differenzen präzise aufgezeigt werden.
Im letzten Kapitel seiner umfangreichen Analyse widmet sich der Autor den "thematischen Präferenzen, der Auswahl und Transformation der Erzählstoffe" römischer Barockensembles. Die Hagiographie steht hier an erster Stelle, und sie wird nicht nur mit der Bindung des Gotteshauses an einen Titulus begründet. Vielmehr ist es die konfliktreiche Auseinandersetzung mit der protestantischen Ablehnung des Heiligenkultes, die für die katholische Kirche identitätsstiftend wirken konnte. Ziel ist es dabei, die hagiographische Erzählung zu stabilisieren, sie sowohl zum historischen wie überzeitlichen Ereignis zu machen. Dem Autor zufolge wird jedoch bald schon ein genereller Paradigmenwechsel spürbar: die zentralperspektivische Illusionskraft löst den narrativen Verkehr zwischen Bild und Betrachter auf: "Statt auf die Logik der narrativen Figur" setzt man jetzt mehr und mehr "auf die Logik der perspektivischen Evidenz" (292) - das ist eine These, die sich diskutieren ließe. Noch wird die Spannung produktiv nutzbar gemacht, doch die Tendenz macht sich breit, "den Verkehr zwischen den beiden Sphären auf einen Verkehr zwischen Bildern zu reduzieren" (292).
Ganz' Arbeit endet mit einem Exkurs über die "Macht der Symbole", der er ein eigenes Unterkapitel eingerichtet hat, sowie jenem bereits erwähnten Abschnitt über die kritische Adaption religiöser Kultbilder. Hier werden also Brücken zurück geschlagen, und noch einmal erweist sich der Autor als aufmerksamer Betrachter. Überhaupt lassen sich die gelegentlichen Redundanzen seines Buches durch dieses genaue, äußerst interessierte Hinsehen erklären. Die gezeigte Bildervielfalt ist reich, die Beispiele werden aufwändig besprochen. Mehr noch bestechen die intelligente Linienführung seiner Argumentation, die sprachliche Kompetenz und Aufmerksamkeit seiner Beobachtungen.
Karin Leonhard