Angela De Benedictis / Karl-Heinz Lingens (Hgg.): Wissen, Gewissen und Wissenschaft im Widerstandsrecht (16.-18. Jh.). Sapere, coscienza e scienza nel diritto di resistenza (XVI-XVIII sec.) (= Studien zur europäischen Rechtsgeschichte; Bd. 165), Frankfurt/M.: Vittorio Klostermann 2003, VII + 376 S., ISBN 978-3-465-03280-9, EUR 58,00
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Susanne C. Pils / Jan P. Niederkorn (Hgg.): Ein zweigeteilter Ort? Hof und Stadt in der Frühen Neuzeit, Innsbruck: StudienVerlag 2005
Claudia Opitz (Hg.): Höfische Gesellschaft und Zivilisationsprozeß. Nobert Elias' Werk in kulturwissenschaftlicher Perspektive, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2004
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Untersuchungen zum Widerstandsrecht haben seit einigen Jahren wieder zunehmend Konjunktur. Nicht alle Arbeiten treten allerdings gleich mit dem Anspruch auf, damit einen rechtsgeschichtlichen Beitrag "in der aktuellen Diskussion um die Souveränitäts- und Legitimationskrise des Staates" zu leisten, wie das Vorwort dieses Sammelbandes verkündet (VII). In den Beiträgen selbst steht nicht der heutige Staat im Mittelpunkt, sondern die Debatte um das Widerstandsrecht in der Frühen Neuzeit. Dabei kann man den im Titel genannten Zeitrahmen auf das 16. und 17. Jahrhundert einschränken; nur der erste Beitrag von Magnus Ryan untersucht den Zusammenhang von Widerstandsrecht und Lehnswesen im Mittelalter. Das 18. Jahrhundert hingegen kommt in keinem der Beiträge vor.
Hat sich die Theorie eines Widerstandsrechts des Volkes gegen einen als unrechtmäßig empfundenen Herrscher aus dem Lehnsrecht entwickelt, wie die ältere Mediävistik bisweilen annahm? War das Lehensverhältnis - also die Beziehung zwischen Lehnsherr und Vasall - gar eine Art Testfall für das spätere Verhältnis zwischen Herrscher und Untertan? Magnus Ryan macht anhand eines kursorischen Streifzuges durch die Libri Feudorum sowie durch die Kanonistik deutlich, dass ein solcher Zusammenhang nicht zu erkennen ist. So war die Frage eines möglichen Widerstandes des Vasallen gegen den Lehnsherrn keineswegs eindeutig geregelt. Zwar wurde die Ausübung der lehnsherrlichen Gewalt Bedingungen unterworfen. Sollten diese Bedingungen jedoch verletzt werden, konnte der Vasall keineswegs sofort zur Selbsthilfe greifen. Vielmehr hatte er sich, so die überwiegende Meinung der zeitgenössischen Juristen, an höhere Autoritäten zu wenden, um die eigenen Ansprüche geltend zu machen: an den Lehnsherrn des Lehnsherrn beispielsweise, also zum Beispiel den Kaiser, oder aber an ein Lehnsgericht. Nur manche Juristen gestatteten darüber hinaus Selbsthilfe als Ultima Ratio, doch ausschließlich für Vasallen, nicht jedoch für Untertanen allgemein. Als Ursprungsort des Widerstandsrechtes scheidet das Lehnsrecht, so Ryan, demnach aus.
Die frühneuzeitliche Debatte um das Widerstandsrecht drehte sich folglich um andere Belange: Zum einen ging es um die konfessionelle Dimension des Phänomens, das heißt um die Verteidigung des wahren Glaubens gegen als illegitim verstandene Eingriffe der weltlichen Herrschaft. Zum anderen stand die Frage im Mittelpunkt, wem das Recht auf Widerstand jeweils zukomme und welche Argumente hierfür als Begründung jeweils ins Feld geführt wurden. Die Bandbreite der Positionen wird in mehreren Beiträgen entfaltet. Mathias Schmoeckel stellt mit Michel de Montaigne und Pierre Charron zwei Zeitgenossen des französischen Bürgerkrieges vor, die beide aufgrund ihres Skeptizismus ein Widerstandrecht zugunsten eines religiösen Wahrheitsanspruches ablehnten. Auch die Tyrannei, so Charron, sei dem Bürgerkrieg vorzuziehen. Luisa Simonutti stellt die Position von Pierre Bayle vor, der hundert Jahre nach Montaigne eine ähnlich ablehnende Haltung zum Widerstandsrecht einnahm, obwohl er als Rekonvertit zum Kalvinismus nach der Aufhebung des Edikts von Nantes ins holländische Exil flüchten musste. Sein Plädoyer führte er dennoch nicht für ein Widerstandsrecht seiner Glaubensbrüder, sondern stattdessen für weitgehende religiöse Toleranz.
Bei Christoph Strohm stehen hingegen Autoren im Mittelpunkt, die als so genannte "Monarchomachen" auf einem Widerstandsrecht auch niederer Magistrate gegen die Obrigkeit bestanden. Strohm widmet sich insbesondere dem Theologen Lambert Daneau sowie Johannes Althusius. Leider verkürzt er die Argumentation der so genannten Monarchomachen zu sehr auf deren juristische Argumentation und erklärt alles andere, zum Beispiel deren Biblizismus, zum Beiwerk (154; 171). Auch befremden modernistische Interpretationen hegelianischer Prägung: Haben calvinistische Begründungen des Widerstandsrechts "dem Gewaltenteilungsprinzip vorgearbeitet" (173)? Und hat die konfessionelle Spaltung wirklich "eine Juridifizierung des öffentlichen Diskurses und damit eine Säkularisierung zur Lösung der eskalierenden Konfessionskonflikte erforderlich" gemacht (173)? Beide Äußerungen zeugen von einem eher unhistorischen Ansatz, die "Geschichtsmächtigkeit" (173) von Ideen zu proklamieren, statt sie adäquat in den historischen Kontext einzubetten und aus der Zeit zu erklären.
Wie sich politische Theoriebildung indes aus der Kommunikationssituation der Zeit heraus erklären lässt, kann man bei Merio Scattola beobachten. Scattola gelingt es zu zeigen, wie sich die Kontroverse zwischen Althusius und Arnisaeus unter Berücksichtigung der Schriften des anderen schrittweise entwickelte und sich beide Autoren im Zuge dieser Kontroverse um eine immer vollständigere Entfaltung ihres eigenen Lehrgebäudes bemühten. Dabei verneint Scattola ausdrücklich, dass man einen der beiden Autoren bereits mit modernen Kategorien des politischen Denkens - Volkssouveränität oder souveräne Herrschaft - in Verbindung bringen könne.
Nach den meisten Beiträgen scheint die Debatte um das Widerstandsrecht vor allem von juristischen Argumenten und Erwägungen geprägt gewesen zu sein. Weniger Aufmerksamkeit finden hingegen theologische Erwägungen; auch Verweise auf die Bibel als Argumentation für oder gegen das Widerstandsrecht werden eher beiläufig notiert. Der Beitrag von Valerio Marchetti hat zwar den Bezug auf die Bibel als Argument zum Thema, kann diese Lücke jedoch nicht füllen: Zunächst werden oft zitierte Bibelstellen vorgestellt, anschließend folgen Aussagen verschiedener Autoren (von Thomas Müntzer bis Christian Thomasius) zum Ungehorsam gegen die Obrigkeit. Leider bleibt sowohl die Auswahl der Autoren als auch der Zusammenhang zu den angeführten Bibelstellen völlig im Dunkeln.
Dass zur Begründung von Gegenwehr auch andere als rein juristische Argumente ins Feld geführt werden, zeigt der Beitrag von Robert von Friedeburg. Anhand der Auseinandersetzung der niederhessischen Ritterschaft mit den Landgrafen von Hessen-Kassel im Anschluss an den Dreißigjährigen Krieg zeigt er auf überzeugende Weise, wie die Ritterschaft den Begriff "Patria" und Landespatriotismus für ihre eigenen Zielsetzungen als Argument heranzog, um davon ausgehend dem Willen der Landgrafen entgegenzutreten: Landeswohl und Fürstenwille traten hierbei auseinander. Von Friedeburg hebt in der Argumentation der Ritterschaft insbesondere die Flexibilität und die kenntnisreiche Adaption zeitgenössischer Theoretiker des ius publicum hervor. Stützte sich der Anspruch, das Landeswohl zu vertreten, zunächst auf Ciceros Lehre der "cives patriam amantes" und den Lehrsatz "salus populi suprema lex esto", der gleichsam den Ausnahmezustand begründete, so rückten bald darauf an die Stelle antiker Klassiker zeitgenössische Juristen. Von Friedeburg zeichnet mit seinem Beitrag ein facettenreiches Bild vom ständischen Anspruch auf Mitsprache in der Landgrafschaft Hessen-Kassel und stellt damit zugleich ein überaus interessantes Editionsprojekt vor. [1] Nur zweierlei bleibt zu kritisieren: So steht Georg Adolf Carocs "Begründete Deduction von Landständen" nicht, wie behauptet, im Zusammenhang mit dem Mecklenburgischen Ständekonflikt, sondern entstand als Beitrag im Kampf der Ritterschaft von Schwedisch-Pommern um die Restitution der ständischen Verfassung. Und von Friedeburgs Begriffsbildung "Trialog" (298) sollte man sofort in das Reich der Unwörter verbannen: Da Dialoge nichts damit zu tun haben, dass nur zwei an ihnen teilhaben könnten, sollte man bei einer Auseinandersetzung zwischen drei und mehr Parteien auch künftig von einem Dialog, also einer Wechselrede, sprechen.
Die Stärken dieses Bandes liegen vor allem bei der Interpretation von Autoren, die bereits seit längerem die wissenschaftliche Debatte über das Widerstandsrecht bestimmen. Insbesondere der Beitrag von Scattola über Althusius und Arnisaeus ist hier hervorzuheben. Dabei steht die theoretische Debatte über das Widerstandsrecht im Vordergrund. Wie die theoretische Diskussion in die Argumentation politischer Akteure Eingang gefunden hat und deren politisches Handeln beeinflussen konnte, wird nur bei von Friedeburg näher untersucht. Das Wechselverhältnis von Diskurs und politischer Praxis dürfte für die weitere Debatte des Widerstandsrechts indes von besonderer Bedeutung sein. Ebenso bleibt eine offene Frage, welche Argumente zur Legitimation einer Gegenwehr gegen die Obrigkeit - jenseits rein juristischer Begründungen - ins Feld geführt wurden. Eine Antwort auf diese Fragen lässt sich von einem Sammelband allein kaum verlangen. Doch gilt auch: Das letzte Wort zum Widerstandsrecht ist noch nicht gesprochen.
Anmerkung:
[1] Die Edition der Auseinandersetzung zwischen den niederhessischen Ständen mit der Landgräfin Amelie Elisabeth und dem Landgraf Wilhelm VI. von Hessen-Kassel ist ein Teilprojekt des Sonderforschungsbereichs 584 "Das Politische als Kommunikationsraum" an der Fakultät für Geschichtswissenschaft der Universität Bielefeld.
Andreas Pečar