Christa Paschert-Engelke (Hg.): Zwischen Himmel und Erde. Weibliche Lebensentwürfe und Lebenswelten in Westfalen vom Mittelalter bis in die Gegenwart (= Forum Regionalgeschichte; 10), Münster: Ardey-Verlag 2003, 91 S., ISBN 978-3-87023-082-1, EUR 9,90
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Der Himmel spannte sich in Westfalen über eine an weiblichen religiösen Lebensgemeinschaften reiche Landschaft, wie sich aus den acht Beiträgen dieses Sammelbandes ergibt. Seit dem 8./9. Jahrhundert entwickelte sich in Klöstern, Stiften und anderen Einrichtungen ein breites Spektrum an Religiosität. Zwar bedeuteten Reformation und Säkularisation auch hier Zäsuren, gleichzeitig zeigte der religiöse Kosmos Westfalens eine beachtliche Wandlungsfähigkeit.
Religiöse Lebenswelten und Lebensweisen haben früh die Aufmerksamkeit der Frauengeschichte auf sich gezogen. Besonders die Beginen wurden dabei fast schon zum Mythos stilisiert und zu bürgerlichen Dissidentinnen verklärt, die ein heute noch (oder wieder) ansprechendes alternatives Lebensmodell entwickelten. Nicht von ungefähr fragt folglich schon Gisela Muschiol in ihrem einführenden Beitrag zu den mittelalterlichen Frauenklöstern, ob eher der Wunsch nach Versorgung oder mehr nach Verwirklichung einer eigenen Frauenfrömmigkeit für die Hinwendung zu religiösen Lebensformen maßgeblich war. Wie ein roter Faden ziehen sich diese beiden Thesen im Folgenden durch den Band, aus denen für Gisela Muschiol (15) allerdings das Unverständnis der Gegenwart spricht, religiöse Lebensentwürfe aus der jeweiligen Zeit und ihrem spezifischen Verständnis von Individualität zu verstehen.
Welche Vorzüge das Leben in einem freiweltlichen Damenstift in nachreformatorischer Zeit für hochadelige Frauen hatte, beleuchtet im zweiten Beitrag Ute Küppers-Braun an drei Biografien. Angesichts der begrenzten Wahl zwischen Ehe, Kloster oder Stift hätten durchaus "viele Frauen von Stand ein Leben im Stift, wo sie ihre eigene Herrin, 'sa propre maitresse', sein konnten, einer Ehe mit allen Vor- und Nachteilen vorgezogen" (22). Nicht vorzugsweise materielle Vorteile, sondern die Aussicht auf den eigenständigen "caracteur" - mit anderen Worten: den anerkannten Status als unverheiratete Frau - machten das Leben als Stiftsdame attraktiv, zumal damit die verantwortungsvolle Aufgabe verbunden war, am Netzwerk der adligen Häuser mitzuknüpfen. Wie sehr es Annette von Droste-Hülshoff bedauerte, durch die Säkularisation um die Möglichkeit gebracht worden zu sein, diesen Lebensweg einzuschlagen, betont Christa Paschert-Engelke. Wie sehr die Existenzform des Stiftsfräuleins die Dichterin faszinierte, klingt im anschließenden Auszug aus einem Roman des Droste-Vertrauten Levin Schücking unverkennbar an.
Mit dem Boom katholischer Frauenkongregationen um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert erschlossen sich religiös orientierten Frauen nochmals neue Handlungsfelder im Erziehungs- und Bildungswesen sowie bei der Krankenpflege. Welche Perspektiven auf eine eigenständige Existenzsicherung sich daraus für "Arbeiterinnen des Herrn" (Reilinde Meiwes) ergaben, verdeutlicht Christa Paschert-Engelkes Porträt der ersten Schulleiterin in Ahlen, Schwester Maria Seraphia (1873-1956).
Einen Ausblick oder eher noch Einblick in unser zeitgenössisches Klosterleben eröffnet abschließend Schwester Mirjam Ellinger. Die im Kloster Vinnenberg lebende Benediktinerin überdenkt mögliche Gründe für die mangelnde Attraktivität des Klosterlebens und zeigt mögliche Wege aus der Krise auf.
Während in den bislang skizzierten Beiträgen religiös geprägte weibliche Lebensentwürfe im Mittelpunkt stehen, kreisen die chronologisch eingeordneten Beiträge von Edeltraud Klueting über eine Freckenhorster Äbtissin des 18. Jahrhunderts und von Barbara Stambolis über die "katholische Dichterin" Luise Hensel (1718-1876) stärker um Rezeptionsfragen. Clara Francisca von Westerholts Selbstinszenierung als Äbtissin wird mit ihrer umstrittenen Wahrnehmung als Bauherrin des kostspieligen Freckenhorster Abteineubaus kontrastiert. Luise Hensels "Ringen um einen eigenen und eigenständigen, auch spirituellen Lebensentwurf" (5) und ihre Teilnahme "an nahezu allen Entwicklungen des Katholizismus im Umbruch, die auf Frauen nachweislich stärkere Wirkungen hatten als auf ihre männlichen Zeitgenossen" (79), wurde in der Erinnerung vorzugsweise auf das Klischee vorbildlicher weiblicher Frömmigkeit reduziert.
Diese letzten Inhaltsskizzen schlagen den Bogen zum eigentlichen Anliegen dieses Sammelbandes. Nicht primär die Präsentation neuer Forschungsergebnisse steht dabei im Vordergrund des Bemühens, sondern der Transfer wissenschaftlicher Erkenntnis in die Gesellschaft hinein. Zu Salongesprächen über die Frauen- und Geschlechtergeschichte animierende Vorträge waren deshalb zumeist das Ausgangsmaterial für die vorliegenden Beiträge. Seit einigen Jahren verfolgt die Herausgeberin als Mitarbeiterin in der Regionalstelle Frau & Beruf im Kreis Warendorf nämlich das Ziel, auf regionaler Ebene zur weiblichen Erinnerungskultur beizutragen. Zwar knüpft ihr Konzept bewusst an die Salontradition des 18. und 19. Jahrhunderts an und will "bildende Geselligkeit und gesellig-vergnügliche Bildung in der intimen Atmosphäre halböffentlicher Räume" ermöglichen. Zugleich führt es jedoch weiter, denn "an die Stelle tagesaktueller Ereignisse und Befindlichkeiten tritt der Blick durch die Zeiten" (1). Dieser vielversprechende Ansatz schlägt sich naturgemäß in der Publikationsform allenfalls mittelbar nieder, weil der erklärtermaßen beabsichtigte Dialog darin ausgeklammert bleibt. Gespannt sein darf man, ob und - wenn ja - wie sich die Inhalte solcher Salongespräche auf kollektive Erinnerungsmuster auswirken werden.
Sybille Oßwald-Bargende