Hans Ehlert / Armin Wagner (Hgg.): Genosse General ! Die Militärelite der DDR in biografischen Skizzen (= Militärgeschichte der DDR; Bd. 7), Berlin: Ch. Links Verlag 2003, 632 S., 19 s/w-Abb., ISBN 978-3-86153-312-2, EUR 29,90
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Sowohl Beobachtern als auch ihren Bewohnern erschien die DDR lange Zeit als homogenes Gebilde. Staat und Partei waren miteinander verflochten, Konflikte innerhalb der herrschenden Elite wurden seit dem Ende der Fünfzigerjahre nicht mehr offen ausgetragen. Die historische Forschung hat dieses Bild inzwischen korrigiert, nicht zuletzt durch eine Reihe biografischer Studien zu Politbüromitgliedern, Wissenschaftlern, Künstlern und Stasi-Generalen. Die Herausgeber des Bandes "Genosse General!", Hans Ehlert, Leiter des Forschungsbereiches "Militärgeschichte der DDR" am Militärgeschichtlichen Forschungsamt Potsdam, und Armin Wagner, Dozent an der Offizierschule des Heeres in Dresden, schließen eine weitere Lücke. Mit den 19 biografischen Skizzen hochrangiger DDR-Militärs korrigieren sie das Bild vom uniformen Uniformträger. Porträtiert werden Rudolf Bamler (Rüdiger Wenzke), Bernhard Bechler (Torsten Diedrich), Arno von Lenski (Rüdiger Wenzke), Vincenz Müller (Torsten Diedrich), Heinz Bernhard Zorn (Daniel Niemetz), Friedrich Dickel (Andreas Herbst), Rudolf Dölling (Daniel Giese), Heinz Hoffmann (Paul Heider), Willi Stoph (Ulrich Mählert), Waldemar Verner (Frank Hagemann), Kurt Wagner (Matthias Rogg), Wilhelm Ehm (Walter Jablonsky), Theodor Hoffmann (Hans Ehlert), Heinz Keßler (Matthias Uhl), Erich Peter (Dietmar Schultke), Fritz Peter (Clemens Heitmann), Wolfgang Reinhold (Jürgen Willisch), Horst Stechbarth (Klaus Froh) und Fritz Streletz (Armin Wagner). Tabellarische Übersichten, Organigramme und eine Chronologie zur Militärgeschichte der SBZ / DDR runden den Band ab.
Obwohl einige der Skizzierten selbst Autobiografien vorlegten oder Fernsehfilme über sie gezeigt wurden, bietet der Band durchweg Neues. Für alle Studien wurden die in deutschen Archiven verfügbaren Unterlagen herangezogen, Personalakten ebenso wie Spitzelberichte aus den Akten des Ministeriums für Staatssicherheit. Die Forschungsergebnisse werden nüchtern präsentiert, die Mehrzahl der Beiträge zeichnet sich durch eine präzise und flüssig lesbare Sprache aus. Die Distanz mag dabei nicht immer leicht gefallen sein, da sich in der Auswahl auch ausgesprochen widerwärtige Figuren finden. Bernhard Bechler etwa, dessen Weg von der Wehrmacht in das Nationalkomitee Freies Deutschland und von da in die Streitkräfte der DDR führte, war als Innenminister in Brandenburg für zahlreiche Verbrechen verantwortlich. Als Stellvertreter des KVP-Stabschefs bespitzelte er nicht nur seinen Vorgesetzen Vincenz Müller. Von seiner Ehefrau trennte sich Bechler, als diese verhaftet und zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Wider besseres Wissen ließ er sie später für tot erklären.
Anderen Lebensläufen wird man hingegen mit einem gewissen Respekt begegnen können. Kurt Wagner, Chef eines Militärbezirkes und später "Chef für Ausbildung" in der NVA, verkörperte den Typus des kommunistischen "Widerstandskämpfers", dem es tatsächlich um den Aufbau eines anderen, "fortschrittlichen" Deutschland ging. Deutlich macht der Band jedoch auch, dass die meisten der porträtierten DDR-Generale in die Kategorie des ideologisch motivierten Klassenkämpfers einzuordnen sind. Die Verteidigungsminister Heinz Hoffmann und Heinz Keßler waren ebenso "politische Generale" wie der Chef der Grenztruppen Erich Peter oder der Chef des NVA-Hauptstabes und Sekretär des Verteidigungsrates Fritz Streletz. Kennzeichnend für diese Offiziere war mehr als nur bloße Loyalität gegenüber dem SED-Regime. Fast alle hatten die marxistisch-leninistische Ideologie verinnerlicht, viele spitzelten über Jahre für das Ministerium für Staatssicherheit und sahen in der Sowjetunion das anzustrebende Gesellschaftsmodell verwirklicht. Diese Überzeugungen paarten sich oft mit persönlichem Ehrgeiz und einer zynischen Verachtung für die Menschen, die sie kommandierten. Die NVA-Generale trugen damit zweifellos zum Aufbau und Funktionieren des repressiven SED-Regimes bei. Als Parteisoldaten stellten sie sich einem Unrechtsregime zur Verfügung, praktizierten und verbreiteten "Kadavergehorsam".
Der in dem Band verfolgte biografische Ansatz erweist sich jedoch nicht nur als Ergänzung der konventionellen Institutionen- und Verlaufsgeschichte. Die Autoren liefern wertvolle Beiträge zur Debatte um die individuellen Handlungsspielräume von Angehörigen der Herrschaftseliten in diktatorischen Regimes. Die Generale der NVA trugen Verantwortung, sie waren nicht nur Befehlsempfänger, wie es die Angeklagten in den Prozessen wegen der Opfer an der innerdeutschen Grenze glauben machen wollten. Sie fühlten sich in ihrer aktiven Zeit durchaus nicht als Gefangene der weltpolitischen Konstellationen. Es ist das Verdienst der Autoren und Herausgeber, diese Tatsache anhand der Lebensläufe von Angehörigen der DDR-Militärelite deutlich herausgearbeitet zu haben.
Henrik Eberle