Hugues Daussy: Les Huguenots et le roi. Le combat politique de Philippe Duplessis Mornay (1572-1600) (= Travaux d'Humanisme et Renaissance; 364), Genève: Droz 2002, 696 S., ISBN 978-2-600-00667-5, EUR 135,40
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Philippe Duplessis-Mornay (1549-1623) gehört ohne Zweifel zu den wichtigsten Gestalten des französischen Protestantismus. Die einzige ernst zu nehmende Biografie zu ihm war bislang jene von Raoul Patry. [1] Nun erschließt Hugues Daussy das politische Denken und Handeln Mornays neu und umfassend für die Jahre 1572-1600.
Aus einer alten Adelsfamilie des Berry stammend, war Mornay als Zweitgeborener für einen Posten in der Kirche vorgesehen und erhielt eine entsprechend gute Ausbildung. Seine Mutter stand seit Anfang der 1550er-Jahre der Reformationsbewegung nahe und erklärte sich 1560 nach dem Tod ihres Mannes mitsamt ihren Kindern zur "vraie église" gehörig. Philippe bereiste in einer "tour d'Europe" Italien, Genf (Theologiestudium) und das Reich (Heidelberg: Rechtsstudium, Frankfurt, Köln, Sachsen, Böhmen, Wien, Innsbruck) sowie England und die Niederlande. 1572 kehrte er von dort nach Frankreich zurück und wurde offenbar unverzüglich von Coligny als "Spezialist" mit der Abfassung des bekannten "Discours au roy Charles IX" beauftragt, in dem Coligny dem König die Invasion der spanischen Niederlande empfahl: Nach der wohl verbreitetsten Auffassung in der Historiografie war es nicht zuletzt dieser Aggressionsplan gegen Spanien, der der Auslöser für den Anschlag auf Coligny und damit für die Bartholomäusnacht war. Mornay konnte sich während des Massakers in Paris verstecken, und ihm gelang die Flucht nach England. 1576 stieß Mornay zum neuen Anführer der Hugenotten, Henri de Navarre, und erfüllte von nun an Berater-Aufgaben: er unternahm diplomatische Missionen, verhandelte für Navarre und redigierte vor allem einen Großteil der Entscheidungsfindungs-Mémoires, der Botschafterinstruktionen und der hugenottischen Propaganda der 1580er-Jahre. 1578 verfasste er aber auch seinen ersten wichtigen theologischen Text, den vielfach neugedruckten "Traité de l'Eglise". 1578-1582 war er zugleich in den Diensten Wilhelms von Oranien beim Kampf für den "religionsvreden" in den Niederlanden. In diesen Jahren kristallisierte sich die Leitvorstellung in Mornays Denken heraus: Das Streben nach einer befriedeten konfessionellen Koexistenz, für die er mit Wilhelm kämpfte, war nur der erste Schritt, um die Sache des Evangeliums weiter zu einem vollständigen Sieg zu treiben. 1583 redigierte Mornay ein hochinteressantes mémoire über die "Moiens pour avancer le royaume de Dieu tant en France qu'en toute la Chrestienté et ailleurs": Man müsse alle Texte der reformierten Konfession in alle möglichen Sprachen übersetzen und verbreiten. Hierzu müssten junge Theologen nach Prag, Krakau, Konstantinopel, Alexandria und Kairo geschickt werden, damit sie alle denkbaren Sprachen erlernen und mit Armeniern, Ägyptern, Äthiopiern, Moskowitern, Slawen, auch mit den Indern kommunizieren könnten: tatsächlich eine expansive "stratégie mondiale" der reformierten Mission (207f.). Daussy geht dann einmal mehr das "Geheimnis" der Autorschaft der berühmtesten monarchomachischen Schrift, der "Vindiciae contra tyrannos" an (geschrieben 1575/1576, Erstdruck 1579). Wo zuletzt Béatrice Nicollier-De Weck Punkt für Punkt die Autorschaft Hubert Languets - nach Ansicht des Rezensenten definitiv - unwahrscheinlich gemacht hat, affirmiert nun Daussy, dass Mornay hingegen der Autor sein könne, ohne freilich ein ganz entscheidendes neues Argument liefern zu können (229-256).
Nach dem Tod von François d'Alençon 1584 rückte Henri de Navarre in die Position des Thronfolgers. Die Hugenotten und allen voran Mornay sahen hier die Gnade Gottes wirken. In Mornays Konzeptionen wäre der Schritt ganz Frankreichs ins reformierte Lager zugleich der erste Schritt des Gesamtsiegs: Es herrschte nach seiner Wahrnehmung um 1580 eine Patt-Situation in Europa, und in Frankreich entschied sich, wohin das Pendel endgültig ausschlagen würde: vollständiger Triumph der reformierten Sache oder Rückfall in dunkle Zeiten. Diese, teilweise theologico-kosmologischen Grundkonzepte wurden durch eine sehr handfeste Kommunikationspolitik untermauert: In einer "Liste des dépesches qu'il faut renouveler de temps en temps" noch von 1583 gab Mornay exakt die Frequenz an, mit der Navarre die Zentren und Peripherien des transnationalen reformierten Netzwerks stetig kontaktieren müsste (270 f.: Grafik). Im bekannten "Discours au roy Henry III, sur les moyens de diminuer l'Espaignol" von 1584 zeigte sich wieder Mornays erstaunlich globale Politikvision: Wie schon Ende der 1570er Jahre vertrat er ein großes europäisches Projekt, in der protestantische und katholische Potentaten um den französischen König herum eine antihabsburgische Liga bilden müssten, um die "balance" wiederherzustellen (das "contrepoids"-Denken auch 1587: 355). Hierzu sei auch eine Mittelmeer- und Ozean-Politik vonnöten: Den spanischen Transit bei Gibraltar und damit die Verbindung nach Indien müsse man unsicher machen; eine kleine Flotte sollte auch die Kommunikationswege der Spanier nach Amerika abschneiden und mit 4000 Mann den neuralgischen Punkt der spanischen Kolonieherrschaft (am heutigen Panama-Kanal) einnehmen (279-285). 1585-1589 leitete Mornay mit einer Vielzahl von Pamphleten die Antipropaganda gegen die immer schärfer werdenden ligistischen Angriffe. Daussy zeigt detailliert die rekurrenten Themen und die persuasiven Muster in der Propaganda Mornays auf (Tabellen 374, 382 f., 385, 388 f.) und gibt einige Hinweise zu den Diffusionswegen der Pamphlete (396-398).
Als Henri de Navarre nach der Ermordung von Henri III 1589 den Thron bestieg, war dies zunächst ein Moment großer Hoffnung für alle Hugenotten und so insbesondere auch für Mornay. Alsbald verlagerten sich nun aber die Gewichte am Hof. Mornay wurde zwar zum conseiller d'État ernannt wie einige andere hugenottische Vertraute, aber es war nun nicht mehr er allein, der gleichsam als Premier- oder Außenminister die große Politik leitete. Schon bald geriet er vielmehr in die Rolle des Vermittlers zwischen König und Hugenotten - und damit auch zwischen seinem Gewissen und den Kompromissen. Die 1593 erfolgte Konversion von Henri IV war für Mornay wohl ein echter Schock. Mornay blieb grundsätzlich dem König treu, entfernte sich aber doch immer öfter vom Hof. Es setzten die Verhandlungen ein, die 1594-1598 zum Edikt von Nantes führten, bei denen Mornay der kompromissbereiteste Unterhändler zwischen Krone und Hugenotten war. Kaum war das Edikt ratifiziert, publizierte Mornay zum ersten Mal seit knapp 20 Jahren wieder ein theologisches Werk, "De l'Institution, Usage et Doctrine du Sainct Sacrement de l'Eucharistie en l'Église Ancienne" (1598). Es ist ein hochgelehrter, aber auch stark polemischer Text, der insbesondere den Opfercharakter der Messe angreift. Die Publikation kam zu diesem hochsensiblen Zeitpunkt, da es dem König um die Aussöhnung mit dem Papst zu tun war, einem politischen Selbstmord gleich, wie Daussy richtig pointiert. In der conférence von Fontainebleau (1600), die formal der Diskussion der Thesen Mornays diente, wurde strategisch eine Niederlage Mornays gegen den Bischof Jacques David du Perron inszeniert. Der König opferte so letztlich öffentlich seinen ehemals getreuesten Gefährten auf dem Altar der Staatsräson. Mornay zog sich nun endgültig zurück in sein Gouvernement von Saumur, wo er von 1593-1599 die protestantische Akademie aufgebaut hatte.
Daussy hat in akribischer Quellenkritik die gedruckte Ausgabe der "Papiers" Mornays (1824-1825) mit den erhaltenen Resten des handschriftlichen Nachlasses (in der Bibliothek der Sorbonne) verglichen beziehungsweise sie um bislang nicht Ediertes (insbesondere aus der Bibliothèque municipale de Nantes) ergänzt. Er hat versucht, die erhaltene Korrespondenz, soweit wie aus der Ferne möglich, zu ermitteln. Entsprechende, wertvolle Übersichten sind auf der Homepage des Verlags ins Netz gestellt. [2]
Methodisch ist die Arbeit nicht anders als neopositivistisch einzustufen, mit allen Vor- und Nachteilen. Ohne Frage ist mit den langen, sorgfältig abwägenden Passagen zur Datierung und Zuschreibung der einzelnen Texte ein sicheres Fundament nicht nur für die Mornay-Forschung, sondern überhaupt für die Forschung zum französischen Protestantismus im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts geschaffen worden.
Trotz dieser Verdienste sind doch, auch wenn man nicht gleich pauschal diese eher traditionelle Geschichtsschreibung als überholt kritisiert, zwei Kritikpunkte anzubringen:
Daussy will keine Biografie schreiben, sondern eine Studie zum politischen Denken, Schreiben und Wirken Mornays. Große Partien seines Buches bestehen insofern aus der chronologisch gereihten Wiedergabe und Kontextualisierung der Schriften Mornays. Er bietet so einen wunderbaren Zugriff auf dessen "politische Sprache". Aber es fehlt doch an einem interpretativen Eindringen und dem Fragen nach den Quellen und den Referenzsemantiken, an Vergleichen mit anderen Autoren, wodurch für den Leser erst eine Tiefenschärfe des Verständnisses entstünde. Weder die Frage nach der Prägung durch Machiavellismus während der Studienzeit in Italien ("Discours au roy Charles IX" !) noch die nach der Bedeutung der Renaissancegeografie für die in den beeindruckenden "planetarischen" Strategien Mornays operationalisierten Raumwahrnehmungsschemata noch die nach den rhetorischen Mustern der Persuasion in den Propagandatexten sind auch nur gestellt. Kann man außerdem das theologische Denken Mornays, an den man immerhin in Genf als Ersatz für den kranken Théodore de Bèze in den 1580ern dachte, so weitgehend ausklammern?
Der zweite Kritikpunkt ist ein mehr forschungspraktischer: Von circa 530 Texten des Literaturverzeichnisses sind 79 englischsprachige, 10 italienische, 6 deutsche, 2 niederländische und 1 russischer Text aufgeführt. Trotz dieses Ansatzes zu Internationalität würde man sich hier eine noch größere Nähe zum Radius des Wahrnehmungshorizonts Mornays wünschen. Dass aus der reichen italienischen Literatur nach und außer De Caprariis, Vivanti und Turchetti nichts zur Kenntnis genommen ist, verwundert. Die Kenntnisnahme von deutschsprachiger Literatur beschränkt sich auf die Jahre 1846-1906! Demgegenüber wendet Daussy eine beachtliche Energie auf, um jeder einschlägigen ungedruckten französischen thèse und noch manchem mémoire de maîtrise hinterherzujagen. Man darf diesen mangelnden Dialog mit nicht französischer Geschichtsschreibung bei einer Arbeit, die immer wieder explizit das "internationale calvinistische Netzwerk" und auch die Kontakte Mornays in die Niederlande und an die protestantischen Höfe Deutschlands zum Thema macht (Schilling, Press, Mout, Menk, Gräf, Strohm, Beiderbeck ...!), ganz ohne Chauvinismus, sondern im Hinblick auf eine europäische Wissenschaftslandschaft des 21. Jahrhunderts, als sehr bedauerlich bezeichnen.
Trotz dieser Kritikpunkte ist Daussys Buch auch für den deutschen Historiker wichtig, weil es zentral für die außenpolitische Konzeption des transnationalen Calvinismus des 16. Jahrhunderts ist. Und auf die höchst präzisen Angaben Daussys zu Mornays Texten wird man zukünftig nicht verzichten können.
Anmerkungen:
[1] Raoul Patry: Philippe Du Plessis-Mornay. Un huguenot homme d'État (1549-1623), Paris 1933.
[2] Siehe hierzu <http://www.droz.org/cat_daussy/index.htm>.
Cornel Zwierlein