Christiane Lauterbach: Gärten der Musen und Grazien. Mensch und Natur im niederländischen Humanistengarten 1522-1655 (= Kunstwissenschaftliche Studien; Bd. 111), München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2004, 327 S., 34 Abb., ISBN 978-3-422-06406-5, EUR 51,00
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Lauterbach geht es nicht in erster Linie um reale Gärten, sondern um die Sicht auf Gärten, um das Verständnis der Zeitgenossen und insbesondere der niederländischen Humanisten von Gärten. Die Untersuchung ist in zwei Teile untergliedert: einen umfangreichen, die Quellen analysierenden ersten Abschnitt und einen relativ kurzen auswertenden zweiten. Im ersten wird der Humanistengarten in neostoischer Perspektive vorgestellt, im zweiten die Naturauffassung in diesen Gärten dargelegt.
Die Autorin beginnt mit den Schriften des Erasmus von Rotterdam und fährt fort mit Justus Lipsius und seiner Schrift "De Constantia". Auf Lipisus aufbauend, werden der Garten als Lehrort neostoischer Ethik und die Aneignung des humanistischen Gartenideals durch breite Schichten der Bevölkerung untersucht. Für einen Musengarten kommt es nach Lauterbach nicht auf die äußere Erscheinung des Gartens an, sondern auf die innere Haltung ihres Besitzers. Lauterbach zitiert reichlich aus ihren Quellen und gibt bei längeren Auszügen immer eine Übersetzung. Diese ist nicht immer wortgetreu, sondern erfasst vielmehr den Sinn, was der Verständlichkeit des Buches sehr zugute kommt.
Nach Lauterbach wurde das Gartenstudium als Lehre der Ethik verstanden. Nicht die GartenKUNST stand im Vordergrund, sondern die GartenETHIK, der rechte Gebrauch von Gärten. So seien auch Nutz- und Ziergarten nur bedingt unterschieden worden. Immer sei der Garten ein Rückzugsort von der lauten Welt. Er habe im 16. Jahrhundert das Kloster als Ruheort abgelöst (Erasmus): Der Garten wurde zum Ort der Studien und der Selbsterkenntnis. So sei der Rückzug nicht mit bloßem Müßiggang gleichgesetzt worden. Nach Lipsius förderte der Garten die Schaffenskraft, die in gleichem Maße in den Städten nie erreicht würde. Der Garten sei für die Ruhe geschaffen, nicht aber für die Trägheit. Lipsius habe der tätigen Muße die maßvolle Lust zur Seite gestellt, die sich von Eitelkeit unterscheide wie die Ruhe von der Trägheit. Lebensfreude und Stoa schlossen sich künftig nicht aus. Die Lust wurde als naturgemäß erkannt, Gefühle und Affekte als Bestandteil des Menschen. Die Natur- und Affektbeherrschung ging mit Naturgenuss und Lebenslust Hand in Hand. Maßhalten im Genuss war gefordert, nicht aber Entsagung.
Lauterbach führt aus, wie sich an der Wende zum 17. Jahrhundert die Republik konsolidiert und der Neostoizismus zugleich eine breitere Wirkung entfaltet habe. Als Alltagsethos sei er bis zur Jahrhundertmitte gültig geblieben, auch wenn sich der Gedanke des Musengartens dem Uneingeweihten immer weniger erschlossen habe. Es wird offenbar, dass das Bedürfnis nach moralischer Legitimation eines Lustgartens in den nördlichen Niederlanden noch im 17. Jahrhundert stark war. Dichtwerke zum Lob des Landlebens und der Gartennutzung waren weit verbreitet wie etwa das "hofdicht", eine volkssprachliche Literaturgattung des 17. Jahrhunderts mit idealisierenden Bildern auf realer Grundlage. Es gab hier keine geschlossenen neostoischen Lehrgebäude mehr, sondern Umsetzungen neostoischer Lehrsätze auf eine ganz bestimme Lebenssituation: zeitweiliges oder seltener dauerhaftes Gartenleben. In den von Lauterbach vorgestellten Werken verbindet sich meist die Beschreibung der idealen Lebensform mit einer ganz konkreten Person, deren Lebensweise exemplarisch gelobt wird. Die Realität der Gartenbeschreibungen ist dabei nur bedingt überprüfbar. Oft wurden verschiedene Aspekte zu einem idealen Bild zusammengefügt.
Was sagen diese Schriften für den Kunsthistoriker über die Gärten jener Zeit aus, wie wird die neostoische Schule für das Verständnis von Gärten durch die Autorin fruchtbar gemacht? In zweiten Teil der Arbeit wird schnell klar, dass Lauterbach den Schlüssel zum Verständnis jener Zeit bereithält.
Im niederländischen Humanistengarten stehe die Veredelung der Natur im Vordergrund, nicht ihre Beherrschung. Der Mensch habe sich damit in den Dienst von Gottes Schöpfung gestellt, sei aber nicht ihr Regent geworden. So werde im Garten die göttliche Naturordnung offenbart, nicht aber ein menschlicher Machtanspruch. Der Mensch habe die Natur optimiert, sie aber nicht zerstört. Dem entsprach, nach Lauterbach, auch das Konzept der Präsentation der Natur im Garten: Er repräsentiert die Naturlandschaft und manifestiert auch, wenn er nach mathematischen Grundsätzen gestaltet wurde, seinen Einklang mit der Natur. So unterscheide er sich vom Barockgarten französischer Prägung. Der Mensch des Barock sei nicht mehr der Diener der Natur gewesen, der sie veredelt habe, sondern ihr Beherrscher. Er habe ihr gänzlich fremd gegenübergestanden. Ebenso unterscheidet sich nach Lauterbach die Lust an der Natur im Humanistengarten von der am späteren Landschafsgarten. Die Lust sei keine emotionale Reaktion, sondern rational beherrschte gewesen. Das "Leben gemäß der Natur" der niederländischen Humanisten sei ein vernunftbetontes Leben gewesen und habe sich dementsprechend von Rousseaus Forderung "Zurück zur Natur" unterschieden.
Kernthema ist immer wieder das Problem der moralischen Doppeldeutigkeit von Lustgärten: Wollust und Studium, vernünftige Lust und vernunftlose Lust. Hier stellt Lauterbach klar, dass die Lust der Natur für gut befunden wurde. Im niederländischen Humanistengarten hätten sich Affektbeherrschung und weltzugewandte Lust versöhnt. Und daher stand eben nicht die Unterwerfung der Natur, sondern die Vertiefung in die Ordnung der Natur und die Aneignung ihrer Gesetze im Mittelpunkt. Stoa und christliche Lehre gingen dabei eine enge Verbindung ein. Wer die Schönheit der vernünftigen Schöpfung bewunderte, verstand die zyklischen Abläufe der Natur als Manifestation des vernünftigen Schöpfergottes. In der äußeren Ordnung des Gartens stellte sich die innere Ordnung der Natur dar. In den Niederlanden stand das Lesen im Buch der Natur gleichwertig neben dem Lesen der Bibel. Bibel und Natur seien beide als göttliche Bücher verstanden worden. Bereits seit Augustinus sei die Natur ein Medium der Gotteserkenntnis gewesen. Im Gegensatz zur Bibel habe man das Buch der Natur aber als einfach zu lesen und unverdorben erachtet. Diese Sicht sei vor allem bei den Reformierten zu finden gewesen. Das Lesen im Buch der Natur war nämlich ohne kirchliche Heilsvermittlung möglich, ein Vorgehen, das im katholischen südlichen Teil der Niederland nicht möglich war.
So konnte das Landleben als lustvoll, ruhig und gottgefällig verstanden werden. Seelenruhe und Gotterkenntnis standen nach Lauterbach im Vordergrund. Wichtigster Aspekt für den Nutzen eines Gartens war jedoch die Seelenruhe. Die Gärten wurden als Ort der Selbstreflexion und der Gott zugewandten Betrachtung der Natur verstanden. Die additive Dispositon der Gärten und ihre Abgrenzung nach außen habe die nötige Kontemplation gefördert. Zugleich war das Gartenbild ein Symbol für das Gemeinwesen, aber auch für die Seelenlage des Einzelnen. Die Eliten der Republik machten sich das Ethos vom einfachen Land- und Gartenleben schnell zu Eigen. In einer Zeit, als der Zivilisationsprozess die urbane Bevölkerung der Niederlande zu einer immer umfassenderen Affektbeherrschung und zu einer bewussten Positionierung zur Natur zwang, wurden die Topoi ungekaufter Speisen und einfachen Lebensstils zu einem Tugendmodell, das aber nicht, wie die Autorin richtig erkennt, auf Gärten von Herrschern angewendet werden kann, da die Muße dort nicht in dem Maße möglich ist, wie sie für die Humanistengärten formuliert wurde. Ein Herrscher durfte, wollte er nicht verantwortungslos sein, in keinem Moment Politik, Macht und Krieg verachten. Der Herrscher kann nicht "homo privatus" sein.
Lauterbach erschließt mit ihrer Arbeit nicht nur die Auffassung der Zeitgenossen, sondern auch die Sichtweise der Zeit. Somit haben wir es mit einem Meilenstein der Gartengeschichte zu tun. Folgewerke für andere Regionen sind sehr zu wünschen.
Heiko Laß