Rezension über:

K. J. P. Lowe: Nuns' Chronicles and Convent Culture in Renaissance and Counter-Reformation Italy, Cambridge: Cambridge University Press 2003, XVI + 437 S., 42 Abb., ISBN 978-0-521-62191-5, GBP 60,00
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Rezension von:
Xenia von Tippelskirch
Maison des sciences de l'homme, Paris
Redaktionelle Betreuung:
Michael Kaiser
Empfohlene Zitierweise:
Xenia von Tippelskirch: Rezension von: K. J. P. Lowe: Nuns' Chronicles and Convent Culture in Renaissance and Counter-Reformation Italy, Cambridge: Cambridge University Press 2003, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 7/8 [15.07.2004], URL: https://www.sehepunkte.de
/2004/07/5031.html


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K. J. P. Lowe: Nuns' Chronicles and Convent Culture in Renaissance and Counter-Reformation Italy

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Kate Lowe hat nach 14-jähriger Recherche und einer Reihe von Artikeln, die sie zum Thema veröffentlicht hat, nun eine umfassend informierende Monografie zum frühneuzeitlichen italienischen Nonnenkloster vorgelegt. Dabei hat sie einen sehr interessanten Zugang gewählt: Anhand von einer äußerst detaillierten Analyse von drei Klosterchroniken, die im 16. Jahrhundert und zu Beginn des 17. Jahrhunderts verfasst wurden, ermöglicht sie den Blick auf die Alltagswelt in drei Klöstern der Städte Rom, Florenz und Venedig. Es handelt sich hierbei um die Chronik des venezianischen Klosters Santa Maria della Vergine (genannt "Le Vergini"), die 1523 von einer oder mehreren Kanonissinnen anonym verfasst beziehungsweise kompiliert wurde, um die von Giustina Niccolini 1598 verfasste Chronik des Benediktinerinnenklosters Santa Maria Annunziata ("Le Murate") in Florenz sowie um die Chronik des römischen Klarissenklosters Santi Cosma e Damiano ("San Cosimato"), die von Orsola Formicini um 1607 verfasst wurde.

Die Chroniken geben die behandelten Themen vor, ohne dass sich Lowe ausschließlich auf dieses Quellenmaterial beschränken würde. Sehr klar strukturiert vorgehend, wertet sie die Chroniken schrittweise aus: Zunächst fragt sie nach den Handschriften und dem, was über die Autorinnen in Erfahrung zu bringen ist, um dann breit den historischen und kulturellen Kontext zu behandeln, in dem diese Schriften entstehen konnten - und den sie spiegeln. Sie rollt auf, inwieweit aus den Chroniken eine spezifische Lebensauffassung der Klostergemeinschaft hervorgeht, inwiefern diese Texte der Selbstdarstellung dienten und welcher Stellenwert der Geschichtsschreibung zugewiesen wurde. Sie nimmt im Text auch Bezug auf die zeitgenössische normative (im Allgemeinen männliche) Sicht auf die Klosterwelt, stellt jedoch den Gesichtspunkt der Chronistinnen in den Vordergrund, geht es ihr doch vor allem um das spezifische Selbst- und Geschichtsbild der Nonnen.

Lowe sucht nach Spuren weiblichen kulturellen Schaffens und verortet im Abfassen der Chronik (also im Bereich der sonst bis ins 19. Jahrhundert zumeist männlichen Autoren vorbehaltenen Geschichtsschreibung), in Kunstauftraggeberschaft und in der Aneignung von zeremoniellen Traditionen, über die in den Chroniken berichtet wird, intellektuell kreative Errungenschaften. Die Beschränkung auf die Realität von lediglich drei Klöstern erlaubt ihr, sehr präzise Auskunft zu geben, dabei führt sie den Vergleich zwischen den drei Klöstern stets sehr konsequent durch. Sie zeigt sehr sorgfältig Unterschiede auf (nach der Methode der "connected differences") und wägt jeweils deren Gründe ab. Obwohl es sich um drei für den jeweiligen städtischen Kontext in gleicher Weise sehr bedeutende Klöster handelt, repräsentieren die drei Chroniken verschiedene Orden (Augustinerinnen, Benediktinerinnen, Klarissen), und sie sind in drei unterschiedlichen Städten zu unterschiedlichen historischen Momenten verfasst worden (die Zeit vor und nach dem Tridentinum). Die Konsequenz, mit der Lowe den Vergleich durchführt, mutet an mancher Stelle geradezu mechanisch an, doch erlaubt sie ihr, auch auf Lücken in der Berichterstattung aufmerksam zu machen. Dies wird ohne Zweifel zukünftigen Studien zugute kommen, die die italienische Situation mit anderen Kontexten vergleichen möchten. Der Hauptunterschied zwischen dem venezianischen und den anderen beiden Klöstern rührt von der Einführung strenger Klausur seit dem Trienter Konzil her, doch kann Lowe zeigen, dass eine Reihe weiterer Faktoren den Klosteralltag prägten.

Die Frauen- und Geschlechtergeschichte hat in den letzten beiden Jahrzehnten eine Beschäftigung mit dem Nonnenkloster jenseits aller konfessionellen Polemik möglich gemacht und eine Reihe interessanter Studien angeregt. Vor Lowe hat bereits Silvia Evangelisti [1] auf das historiografische Schaffen von italienischen Nonnen aufmerksam gemacht; Lowe geht jedoch in ihrer Ausführlichkeit über Evangelistis Veröffentlichungen hinaus. Akribisch genau analysiert Lowe die Handschriften formal und inhaltlich, berücksichtigt erschöpfend neuere und ältere Sekundärliteratur (unter anderem erläutert sie sehr einleuchtend die Gründe, die dazu geführt haben, dass im 19. Jahrhundert den von Nonnen verfassten Handschriften kaum Aufmerksamkeit geschenkt wurde). Auch wenn der Schwerpunkt dieser Untersuchung eindeutig auf den drei Klöstern Le Murate, Le Vergini und San Cosimato liegt, bezieht Lowe Erkenntnisse und Forschungen zu anderen Klöstern in Italien und Europa mit ein (ohne allerdings die Nürnberger Äbtissin Caritas Pirkheimer zu erwähnen). Stets werden die Aussagen der Chroniken mit anderen Quellenfunden verglichen. Auf diese Weise rekonstruiert sie sehr lebendig die Klostergeschichte bis zur Abfassung der jeweiligen Chronik, bietet jedoch auch jede Menge Ausblicke auf spätere Ereignisse.

Lowe arbeitet so heraus, wie die Chronistinnen über die Gründungen ihrer Klöster berichten: Insbesondere weist sie auf die außergewöhnliche Darstellung der Gründung von Le Vergini hin, die eine in anderen Quellen nicht nachweisbare weibliche Genealogie behauptet (Gründerin war angeblich die Tochter Barbarossas, Giulia). Rekonstruieren lassen sich - nach den Chroniken - klosterinterne Angelegenheiten und Beziehungen nach außen (zu Familien, Nachbarn, Laien, kirchlichen und politischen Autoritätsfiguren) und der jeweilige religiöse und kirchengeschichtliche Hintergrund, außergewöhnliche und bedrohliche Ereignisse, wie Brände, Überschwemmungen, Pest, Hungersnöte und Kriegswirren, ebenso wie Besuche, Besichtigungen (Lowe spricht von 'Tourismus', 146), Kleiderordnungen, Zeremonien und die soziale Herkunft der Klostermitglieder. Berichtet wird auch über von der Norm abweichendes Verhalten, behinderte und 'besessene' Nonnen, über Visionen, Teufelsaustreibungen und Sexualvergehen sowie über Laien, die sich gezwungenermaßen oder auch freiwillig ins Kloster zurückzogen. Erwähnung finden des Weiteren Regeln, Reformversuche und die politische Bedeutung des Konvents im lokalen Kontext.

Eine besondere Rolle kommt dem Thema Tradition etwa in der venezianischen Chronik zu, da diese zum Zeitpunkt einer vom venezianischen Patriarchen gewaltsam durchgesetzten Reform verfasst wurde. Keineswegs ausgespart bleiben Kontakte zu Männern (Priestern, Laien und Familienmitgliedern). Interne Hierarchien kommen zur Sprache, das Vorgehen bei Äbtissinnenwahlen und die Beteiligung der Familien, Geschenke und Akte der Patronage. Lowe führt auch an, was von den Chronistinnen nicht genannt wird, obwohl es sicher im Klosteralltag eine Rolle gespielt hat, wie Theateraufführungen. Sie versucht ebenso, die Räumlichkeiten zu rekonstruieren - ohne dabei deren Funktion zu vergessen, so im Fall des Skriptoriums von Le Murate. Das genaue Studium der Chroniken ermöglicht besondere Funde: hier kann Lowe die Kopistin eines berühmten Majuskriptes identifizieren (291).

Ein umfangreiches Kapitel ist dem Bereich des künstlerischen Schaffens - im Kloster und in dessen Auftrag - gewidmet. Während zahlreiche Gemälde und Skulpturen trotz der Klosterauflösungen durch Pietro Leopoldo (in der Toskana) und Napoleon erhalten geblieben sind, sind kunsthandwerkliche Gegenstände, wie Textilien und kleinere Objekte aus Silber, oft nur noch aus archivalischen Quellen zu rekonstruieren. Lowe weist auf ihre Bedeutung im Klosteralltag ebenso hin wie auf die Aufmerksamkeit, die einzelnen Bildnissen im Kloster geschenkt wurde: wundertätige Marienbilder, Darstellungen Christi, die - laut der römischen und florentinischen Chronik - sprechen oder auch in Schweiß ausbrechen konnten. Dank ihrer genauen Analyse erfahren die Leser eine Fülle von Details bis hin zur Tatsache, dass 1487 eine Giraffe durch Florenz geführt wurde (347), die dann auch auf einem Tafelbild für Le Murate festgehalten wurde. Lowe liefert nicht nur ausführliche Bild- und Objektbeschreibungen, die die 42 im Band enthaltenen Abbildungen ergänzen, und interpretiert unter Einbeziehung der relevanten kunsthistorischen Literatur die dargestellten Szenen, sondern untersucht mit einem sehr überzeugend historisch-anthropologischen Ansatz die Funktion und zeitgenössische Wahrnehmung der in den Klöstern vorhandenen Kunstgegenstände. Wichtig ist ihr dabei besonders aufzuzeigen, inwieweit auch (oder gerade) der segregierte Raum des Klosters Frauen Möglichkeiten zum Handeln bot.

Dank ihres gründlichen Quellenstudiums und der damit einhergehenden Quellenkritik, dank des steten Wechsels zwischen Mikro- und Makroperspektive und des konsequent durchgeführten Vergleichs, hat Lowe mit dieser sachkundigen Studie nicht nur die Geschichte von drei wichtigen italienischen Klöstern geschrieben, sondern ein gut lesbares, sehr viel weiter reichendes Werk zur Kultur- und Sozialgeschichte frühneuzeitlicher Frauengemeinschaften in Italien.


Anmerkung:

[1] Vergleiche unter anderem Silvia Evangelisti: Moral virtues and personal goods: the double representation of female monastic identity, in: Olwen Hufton (Hg.): Women in the Religious Life, Florenz 1996, 27-54.

Xenia von Tippelskirch