Susanne Wegmann: Auf dem Weg zum Himmel. Das Fegefeuer in der deutschen Kunst des Mittelalters, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2003, XII + 364 S., 16 Farb-, 105 s/w-Abb., ISBN 978-3-412-11102-1, EUR 39,90
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Es dürfte wohl kaum einen imaginären Ort geben, der für die Geschichte der sakralen Kunst wichtiger ist als das Fegefeuer, denn über Jahrhunderte wurden Kirchenbauten, deren Ausstattungen und anderes mehr in Auftrag gegeben, damit durch diese "guten Werke" dem Stifter und seinen Angehörigen der Aufenthalt im Fegefeuer verkürzt werde. Sakrale Kunst verdankt sich in einer Vielzahl von Fällen wesentlich dem Gedanken der Jenseitsfürsorge und steht daher in engstem Zusammenhang mit Seelenmessen, dem Gebet für die Verstorbenen und so weiter.
Angesichts der theologischen Bedeutung des Fegefeuers verwundert es nicht, dass es sich auch in der Ikonographie der bildenden Kunst widerspiegelt. Eine umfassende Abhandlung zu diesem Thema hat es dennoch bisher nicht gegeben; das Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte verzeichnet unter dem Stichwort "Fegfeuer" (Band 7, Spalte 1000) bisher nur den Hinweis "siehe Purgatorium". Es ist daher sehr zu begrüßen, dass Susanne Wegmann dem Fegefeuer eine sorgfältige und äußerst materialreiche Studie gewidmet hat. An den Ergebnissen dieser Arbeit wird in Zukunft niemand, der sich mit diesem Gebiet beschäftigt, vorübergehen können.
Am Beginn der Arbeit, die sich durch einen sehr stringenten Aufbau auszeichnet, steht ein kurzer Forschungsüberblick (1 - 4). Die Verfasserin setzt sich hier unter anderem mit Jacques Le Goff auseinander, der 1981 eine zwar erfolgreiche, inhaltlich aber nicht sehr überzeugende Studie zur "Geburt des Fegefeuers" vorgelegt hatte. Seine zu enge Sicht, die nur auf den Terminus "purgatorium" fixiert ist, die gemeinte Sache aber unter anderen Begriffen nicht erkennen möchte, wird von ihr überzeugend kritisiert. Da bei den meisten Lesern kaum Kenntnisse der jenseitigen Topografie vorausgesetzt werden können, schildert Wegmann neben den theologischen Grundlagen auch die wichtigsten entsprechenden Fragen, vor allem gibt sie einen kurzen Überblick über die Geschichte des Fegefeuers (6 - 31). Sie erwähnt hier die Vorformen in frühchristlicher und frühmittelalterlicher Zeit und referiert ansonsten hauptsächlich Thomas von Aquin und die päpstlichen Entscheidungen des Mittelalters. Hinzu kommen einige Verweise auf die reiche Visionsliteratur sowie auf Predigten und Erbauungsliteratur. Man merkt deutlich, wie gut sich die Verfasserin in dieses ihr sicher nicht von Anfang an vertraute Terrain eingearbeitet hat.
Nach diesen einleitenden Seiten widmet sich Wegmann in einem dritten Kapitel der Ikonographie des Fegefeuers und ihrer Herleitung (33 - 76). Zurecht pragmatisch behandelt sie das Problem der ersten Darstellungen des Fegefeuers. "So wie sich in den literarischen Quellen kein bestimmter Zeitpunkt für die Geburt der Fegefeuerlehre festsetzen lässt, so ist es nicht möglich, einen exakten Beginn für die bildliche Darstellung des Fegefeuers zu geben" (33). Zweifelsfrei interpretiert sie eine Miniatur aus dem Gebetbuch Philipps des Schönen (circa 1296, Paris, Bib. Nat. Cod. lat. 1023, fol. 474r) als Darstellung des Fegefeuers. Man sieht in dieser zweigeteilten Initiale rechts einen Priester am Altar, während links zwei Engel zwei Seelen aus dem Fegefeuer herausziehen. Die Ikonographie des Fegefeuers ist hier bereits ausgebildet, und auch die enge Verbindung zum Messopfer, die die gesamte Geschichte der Fegefeuerdarstellung bestimmt, ist hier exemplarisch zu erkennen. In weiteren Abschnitten (35 - 42) untersucht die Verfasserin unter anderem die Illustrationen zu den Schriften der Hildegard von Bingen sowie einige Visionsillustrationen, denen sie völlig zu Recht eine Sonderstellung innerhalb der Fegefeuerikonographie zuweist. Es bestätigt sich auch in diesem Fall, dass es nicht leicht ist, einen engen Konnex zwischen theologischer und geistlicher Literatur auf der einen und sakraler Ikonographie auf der anderen Seite herzustellen. Die Schriften jener mittelalterlicher Autorinnen und Autoren, die immer noch gern Mystikerinnen und Mystiker genannt werden, sind zwar gelegentlich illustriert worden, auf den Hauptstrang der ikonographischen Entwicklung hatten sie aber höchstens einen marginalen Einfluss. Es folgt ein Überblick über die weitere Entwicklung bis zum Beginn der Reformation (42 - 73). Die Verfasserin untersucht dabei die einzelnen Bildelemente wie etwa die Darstellung der Seelen sowie deren Strafen und Tröstungen. Die Stärken der Arbeit treten bereits in diesen Abschnitten klar hervor: Quellennähe - es werden sogar ungedruckte Texte herangezogen - und genaue Beobachtung.
In einem vierten sehr umfangreichen Kapitel behandelt Wegmann "Die ikonographischen Zusammenhänge der Fegefeuerdarstellungen" (77 - 169). Hier geht es im weitesten Sinne um Jenseitsvorsorge und Fürsorge für die Armen Seelen, also um die Seelenmessen und zum Beispiel auch um den Rosenkranz. Die wesentliche Verbindung der Fegefeuerdarstellung mit dem Thema des Messopfers wird auf diesen Seiten eindrucksvoll deutlich. Auf Grund dieser Beziehung kam es auch zur Darstellung des Fegefeuers im Zusammenhang mit der Gregorsmesse. Die Verfasserin versucht dabei natürlich nicht, so komplexe Themen wie Gregorsmesse und Rosenkranzbild umfassend zu behandeln, sie stellt jeweils nur den Bezug zum Fegefeuer her, das sich an dieser Stelle nochmals als ein zentrales Bildthema des Mittelalters erweist. Auch in diesem Abschnitt wird man die Nähe zu den Quellen hervorheben müssen. Wegmann hat sich dabei immer die gar nicht selbstverständliche Mühe gemacht, wirklich in den jeweiligen Zusammenhang passende Texte heranzuziehen.
Im fünften Kapitel (171 - 204) werden die funktionalen Zusammenhänge behandelt: Altarretabel, Epitaphien, Buchillustrationen und Einblattdrucke. Wiederum bestätigt sich der Bezug zur erlösenden Kraft der Eucharistie. Das sechste Kapitel widmet sich anhand einiger Fallbeispiele dem Thema "Memoria und Seelgerät" (205 - 220). Besonders interessant ist dabei die Untersuchung der zahlreichen Stiftungen des Georg Truchsess von Wetzhausen, der als letzter Abt des Klosters Auhausen versuchte, seine persönliche Jenseitsfürsorge und auch das Gedächtnis der Klosterstifter durch die Wirren von Reformation und Bauernkrieg zu retten.
Am Ende des ersten Hauptteils der Arbeit steht ein Resümee, in dem die Autorin ihre Ergebnisse kurz zusammenfasst. Ihre vorurteilslose Sicht auf das Fegefeuer wird hier offenkundig, wenn sie etwa gegen manche bekannte These, wie man sie etwa bei Aaron Gurjewitsch findet (223), stichhaltige Quellen anführt.
Den zweiten großen Teil der Arbeit bildet ein sehr umfangreicher Katalog (225 - 321), in dem die einzelnen Werke nach ikonographischen Gesichtspunkten aufgeführt sind. Die Verfasserin hält sich dabei immer an ein überzeugendes Schema; den Hauptteil jeder Katalognummer bildet eine präzise Beschreibung. Dankenswerterweise werden auch die jeweiligen Beischriften exakt wiedergegeben. Hinzu kommen jeweils Literaturangaben und eine kurze Darlegung wichtiger Forschungsergebnisse und -probleme. Ein großer Teil der erwähnten Werke erscheint in einem umfangreichen Abbildungsteil, dessen Qualität durchaus ansprechend ist. Man ahnt die Mühen und auch die Kosten, die mit der Beschaffung der Bildvorlagen verbunden waren. Es folgen Quellen- und Literaturverzeichnis sowie ein Register.
Das Fazit dieser Arbeit fällt in jeder Hinsicht positiv aus. Wegmann hat sich den Bild- und Textquellen mit großer Sorgfalt gewidmet und dabei darauf verzichtet, in sie mehr hineinzulesen, als man ihnen wirklich entnehmen kann. Kleinigkeiten (zum Beispiel Weltopfer 9; Subdiakon statt Diakon und Patene statt Hostie 264; Tuch statt Korporale 266) dürfen völlig vernachlässigt werden.
Gerade das Fegefeuer hätte durchaus Anlass zu allerhand aufgeregten Überinterpretationen geboten. Nichts davon findet man in der vorliegenden Studie; stattdessen nimmt die Autorin ihr Thema in einer wissenschaftlichen Weise ernst, wie man es nur selten erlebt.
Christian Hecht