Walter E. Kaegi: Heraclius. Emperor of Byzantium, Cambridge: Cambridge University Press 2003, XII + 359 S., ISBN 978-0-521-81459-1, GBP 50,00
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Der byzantinische Kaiser Herakleios (610-641) hat seit je her die Gemüter fasziniert - auch außerhalb der Geschichtswissenschaften. [1] Kaum eine Herrschergestalt hat die byzantinische Geschichte im 7. Jahrhundert mehr geprägt als dieser Kaiser. In der älteren Literatur galt Herakleios vor allem als großer Reformer, der das Reich an die Erfordernisse eines 'anbrechenden Mittelalters' angepasst habe. [2] Eine solche Sichtweise ist in den letzten Jahren allerdings zunehmend infrage gestellt worden (dazu Kaegi, 10 f.). [3] Kaegi ist in seiner Herakleios-Biografie denn auch sehr vorsichtig, wenn es darum geht, Herakleios besondere Reformen zuzuweisen (siehe etwa 236 zur Themenordnung). Stattdessen entwirft er das Bild eines rastlosen, sich auf permanenten Kriegszügen verzehrenden Herrschers, dessen Leben von tragischen Schicksalsschlägen gezeichnet war (4, 18).
Das 7./8. Jahrhundert gilt als das 'Dunkle Zeitalter' der byzantinischen Geschichte: Das Reich befand sich fast ständig in der Defensive, wurde durch Kriege und innere Unruhen erschüttert. Dass Byzanz diese Phase überhaupt überstanden hat, ist nur schwer zu erklären, zumal dem modernen Historiker nur eine geringe Anzahl disparater und schwer zu interpretierender Quellen zur Verfügung steht.
So spannend und verdienstvoll es ist, unter derartigen Umständen eine Herakleios-Biografie in Angriff zu nehmen - es ist ein Wagnis, und dessen ist sich Kaegi, der seit Jahrzehnten als einer der besten Kenner der Materie gelten kann, auch bewusst (4). Erlaubt die spärliche Quellenlage (die Kaegi auf den Seiten 7 ff. kurz skizziert) überhaupt einen biografischen Zugriff? - Sie erlaubt es dann, wenn die Reduktion einer komplexen Persönlichkeit auf wenige Aspekte als Biografie verstanden wird: Für Kaegi ist Herakleios vor allem ein tüchtiger Feldherr mit unverkennbaren Ermüdungserscheinungen in seinen späten Jahren - und ein tragischer Held. Insofern steht im Zentrum seiner Biografie der Krieg führende und von wiederholten Schicksalsschlägen gezeichnete Kaiser, dessen Weg der Autor in neun Kapiteln verfolgt.
Im ersten Kapitel (19-57) geht es um die frühen Jahre des um 575 geborenen zukünftigen Kaisers, der von seinem gleichnamigen Vater in Kriegführung und Diplomatie der Perser eingewiesen wurde (24) und - als dieser um 600 zum Exarchen von Karthago bestellt wurde - in Africa wichtige Erfahrungen sammeln konnte (34 f.). Africa bildete denn auch die Basis für seine Usurpation gegen Phokas (37 ff.).
Den ersten Regierungsjahren des neuen Kaisers ist das zweite Kapitel gewidmet (58-99), in dem Kaegi zeigt, wie Herakleios auf verschiedenen Politikfeldern einen bemerkenswerten Aktionismus entfaltete. Wichtige Stützen seiner Herrschaft waren der Patriarch Sergios und der Holy Man Theodoros von Sykeon (60, 73, 105). Die Beseitigung unzuverlässiger Heerführer (70 f.) sollte die Macht des ehemaligen Usurpators sichern, die Selbstdarstellung als frommer, gerechter Kaiser seine Legitimität demonstrieren (62 ff.). Katastrophal entwickelte sich jedoch die Lage im Osten, wo die Perser enorme Gebietsgewinne erzielen konnten (65 ff.). Insbesondere die Eroberung der heiligen Stadt Jerusalem 614 entsetzte die Zeitgenossen und hinterließ tiefen Eindruck (78 f.). Friedensbemühungen beim Perserkönig Chosroes II. scheiterten (85). Eine um 615 in Umlauf gebrachte Silbermünze mit der Legende "Deus adiuta Romanis" ("Gott, hilf den Römern!") drückt die vorherrschende Stimmung beredt aus (90). Auch Ägypten war nicht sicher vor den Persern; Alexandreia fiel 619 (91), gleichzeitig wurde die Lage auch im Donau- und Balkanraum zunehmend instabil (95).
Im dritten Kapitel (100-121) zeichnet Kaegi die 2. Phase des Perserkrieges ab 622 nach, in der Herakleios vorsichtig in die Offensive ging und erste Erfolge verzeichnete.
Im Zentrum des vierten Kapitels (122-155) steht die Belagerung Konstantinopels durch Perser und Awaren 626 während der Abwesenheit des Krieg führenden Kaisers, deren Scheitern die Byzantiner vor allem auf die tatkräftige Mithilfe der Gottesmutter zurückführten (132 ff., besonders 136 f.). Kaegi zufolge stellte dies den Höhepunkt des Perserkrieges dar (141), bei dem Herakleios zwar ein hohes Risiko eingegangen, am Ende aber erfolgreich war und nunmehr auch die religiöse Dimension dieses Sieges für sich nutzen konnte (138, 189). Es gelang ihm nun zunehmend, die Perser in die Defensive zu drängen, vor allem durch den Abschluss einer Allianz mit den Kök-Türken (145) und dem bei Chosroes in Ungnade gefallenen sassanidischen Heerführer Šahrbarâz, der über eine ansehnliche Armee verfügte und nun wohlwollende Neutralität zusicherte (148-155) - Kaegi sieht in diesen Ereignissen die 3. Phase des Krieges.
Die 4. Phase 627/28 wird im fünften Kapitel behandelt (156-191). Sie ist gekennzeichnet durch das Vordringen des Herakleios ins persische Kernland und fand ihren Höhepunkt im Sieg der Byzantiner in der Schlacht bei Ninive am 12. Dezember 627, der zu Auflösungserscheinungen in der persischen Führung führte. Chosroes II. verlor die Nerven und wurde Opfer eines Aufstandes (174). Die Perser machten sich daraufhin an die Räumung der ehemals byzantinischen Territorien (185).
Die Jahre zwischen dem Ende des Perserkrieges und dem Beginn der Angriffe der Araber (628-633) bilden den Gegenstand des sechsten Kapitels (192-228). In dieser Zeit standen die Neuorganisation der zurückgewonnenen Gebiete (210) sowie die stark religiös überfrachteten Feierlichkeiten anlässlich des überwältigen Sieges über die Perser im Zentrum (etwa 200, 206). Herakleios nutzte die Translationes von Reliquien nach Konstantinopel sowie die Wiederaufrichtung des Heiligen Kreuzes in Jerusalem geschickt zur Selbstinszenierung als frommer, von Gott begünstigter Kaiser sowie zur Etablierung seiner Dynastie (206) in der öffentlichen Wahrnehmung. Der Kaiser befand sich nun auf dem Höhepunkt seiner Macht (194, 212). Trotz allem schenkte er dem Balkanraum weiterhin zu geringe Aufmerksamkeit (226).
Das siebte Kapitel (229-264) widmet sich dem beginnenden Arabersturm. Erste arabische Überfälle, bei denen noch nicht klar ist, ob es sich bereits um Muslime handelte, hatten schon 632 für erhebliche Unruhen gesorgt (218). Der konzentrierte Angriff erfolgte seit 634, und rasch zeigte sich, dass die byzantinische Verteidigung hilflos war "against what appeared at first simply to be many Arabs" (230). In der Schlacht am Yarmuk wurden die byzantinischen Streitkräfte 636 vernichtet; von nun an galt es nur noch zu halten, was noch zu halten war (253). Eine Verschwörung gegen Herakleios, in die auch Mitglieder seiner Familie verwickelt waren, wurde 637 aufgedeckt (260); gleichzeitig verschlechterte sich auch auf dem Balkan die Situation maßgeblich. Palästina und Syrien fielen an die Araber, Ende 639 begann die Invasion Ägyptens. Von den ebenfalls bedrohten Persern war keine Hilfe zu erwarten - das Sassanidenreich versank in innerem Chaos.
Das achte Kapitel (265-299) zeichnet das Bild eines einsamen, hilflosen und depressiven Kaisers, der angesichts der katastrophalen militärischen Situation, einer verheerenden finanziellen Lage, persönlicher Missgeschicke und schwerer Krankheit nur noch halbherzig auf die Herausforderungen reagierte.
Eine abschließende Übersicht (300-323) fasst die in Kaegis Augen wichtigsten Eigenschaften und Leistungen Herakleios' noch einmal zusammen.
Die Konzentration der Darstellung auf die Kriege mag durch die Quellenlage vorgegeben gewesen sein, aber diese Aspekte der Herrschaft des Herakleios werden von Kaegi auch bereitwillig aufgegriffen. Der Verfasser zeichnet den Kaiser als eine Persönlichkeit, die seit frühester Jugend an das Kriegshandwerk gewöhnt gewesen ist und bis zuletzt im Feld gestanden hat. Daneben treten andere Aspekte zurück: Kaegi sagt nur wenig über die generelle Situation des Byzantinischen Reiches im 7. Jahrhundert. [4] Aspekte, die nicht unmittelbar die Biografie seines Helden berühren oder sich aus dieser heraus erklären lassen, bleiben zumeist ausgeblendet oder werden nur am Rande behandelt. So findet man nur wenige Bemerkungen zur religiösen Durchdringung des gesamten öffentlichen Lebens in Byzanz in jener Phase, zur Heiligen- und Reliquienverehrung und so weiter (etwa 105, 189, 196 ff., 215). Dass vor allem auch religiöse Konflikte eine zentrale Rolle im 7. Jahrhundert gespielt haben, wird als bekannt vorausgesetzt, die Konfliktlinien im Einzelnen werden nicht erläutert; die erfolglosen Einigungsversuche des Kaisers werden nur kurz und punktuell angesprochen, zentrale Begriffe wie 'Monenergetismus' und 'Monotheletismus' nicht erklärt (vergleiche 209, 214, 270, 280, 300, 305) - dies wirft die Frage auf, an welches Publikum sich das Buch eigentlich richtet.
Die Konzentration der Darstellung auf biografische Aspekte geht mitunter auf Kosten übergreifender und allgemeinerer Fragestellungen und Deutungen. So wird zum Beispiel in der Frage nach den Gründen für die so raschen Erfolge der Araber lediglich aus der Perspektive des Herakleios argumentiert, während strukturelle Probleme kaum berücksichtigt werden: Kaegi hebt vor allem das fortgeschrittene Alter des Kaisers wiederholt als Ursache für die militärischen Katastrophen seiner späten Jahre hervor, ferner eine daraus resultierende Müdigkeit und Starrheit (254). An anderer Stelle wird darüber spekuliert, ob ein jüngerer Herrscher den erforderlichen Kraftakt möglicherweise hätte bewältigen können. Immerhin wird in diesem Kontext kurz auf die erschöpften Ressourcen des Reiches verwiesen (278). Eingehende Diskussionen der Faktoren, die zum Verlust der südöstlichen Provinzen dieses Reiches an die Araber geführt haben (religiöse Unzufriedenheit, zu hohe Steuerbelastung, Menschenmangel aufgrund der vorangegangenen Naturkatastrophen, Seuchen und Kriege und anderes), erfolgen aber nicht.
Kaegis Herakleios ist ein kluger Taktiker im Krieg, ein Heerführer, der die Entscheidung weniger in offenen Feldschlachten suchte als vielmehr in kluger Diplomatie und Spionage. Die anfänglichen Verluste größerer Gebiete an die Perser und ihre erst späte Rückeroberung erklärt der Verfasser unter anderem damit, dass der Kaiser erst in Ruhe die geläufigen Handbücher über persische Kriegführung habe studieren müssen, um einen erfolgreichen Gegenschlag organisieren zu können (etwa 308). Und so findet sich denn auch eine Erklärung dafür, dass gegen die vordringenden Araber keine Erfolge zu erringen waren: Über ihre Taktik gab es noch keine Handbücher - an solchen Erklärungen offenbaren sich allerdings die Grenzen des biografischen Ansatzes, der auch übergreifende strukturelle Entwicklungen aus der Vita eines einzelnen Herrschers herzuleiten versucht.
Für Kaegi bleibt Herakleios eine tragische Gestalt: Der Verfasser zählt am Beginn seiner abschließenden Beurteilung dieses Kaisers dreizehn "major crises during the course of his life" auf, darunter auch persönliche wie den frühen Tod seiner ersten Frau Fabia / Eudokia 612 (300 f.). Schlimmer noch als diese Schicksalsschläge war allerdings der Zustand des Reiches, das der stets bemühte, aber letztlich doch wohl erfolglose Herrscher hinterließ. Kaegi zufolge war, als Herakleios starb, keineswegs bereits alles verloren; vielmehr habe sich die Situation sogar besser dargestellt als in den Jahren 619-629 (314). Faktum aber ist, dass die unmittelbaren Nachfolger des Herakleios an eine Rückeroberung der an die Araber verloren gegangenen Gebiete kaum denken konnten.
Kaegis Herakleios-Biografie, das Resultat eines virtuosen Umgangs mit dem disparaten Material und der Forschungsliteratur, ist in erster Linie ein Buch vom Kriege, sein Held ist "not a philosopher, but a man of action" (210). Ich stelle dies nicht abwertend fest angesichts der prominenten Rolle, die Kriege in der byzantinischen Geschichte des 7. Jahrhunderts gespielt haben. Eine andere Frage ist freilich, ob man mit dieser Schwerpunktsetzung der Persönlichkeit des Herakleios gerecht wird, ja ob man dies angesichts der schlechten Quellenlage überhaupt jemals wird können.
Anmerkungen:
[1] Verwiesen sei etwa auf das berühmte populärwissenschaftlich-romanhafte Buch von Frank Thiess: Die griechischen Kaiser. Die Geburt Europas, Augsburg 1992.
[2] So etwa das Urteil von Georgije Ostrogorsky: Geschichte des byzantinischen Staates, München 1940, der in Herakleios den "größte[n] Herrscher der byzantinischen Geschichte" sieht (54); relativierend siehe denselben in der 3. Auflage (München 1963, 77), wo nur noch von einem "der größten Herrscher der byzantinischen Geschichte" gesprochen wird. Eine weitaus kritischere Sichtweise dieses Kaisers findet sich jetzt bei Ralph-Johannes Lilie: Byzanz. Das zweite Rom, Berlin 2003, 80-95.
[3] Vor allem seit dem Erscheinen des einflussreichen Handbuchs von G. Ostrogorsky (s. Anm. 2) galt Herakleios zumeist als 'Schöpfer' der Themenordnung; dies ist mittlerweile aber vollständig widerlegt worden, vgl. etwa kurz Peter Schreiner: Byzanz, München, 2. Auflage 1994, 123 f. Die Summe der neueren Forschungen zu Herakleios und seiner Zeit zieht jetzt der Sammelband von Gerrit J. Reinink (Hg.): The Reign of Heraclius (610-641). Crisis and Confrontation, Leuven 2002. Kaegi konnte die Beiträge dieses Bandes nach Fertigstellung seines Manuskriptes offenbar nicht mehr einarbeiten.
[4] Einen in diesem Sinne umfassenden Überblick gibt John F. Haldon: Byzantium in the Seventh Century. The Transformation of a Culture, Cambridge 1990.
Mischa Meier