Walter E. Kaegi: Muslim Expansion and Byzantine Collapse in North Africa, Cambridge: Cambridge University Press 2010, XX + 345 S., 10 s/w- Abb., 10 Kt., ISBN 978-0-521-19677-2, GBP 60,00
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Der Übergang vom byzantinischen zum arabischen Nordafrika ist aufgrund der fragmentarischen Überlieferung für die historische Forschung seit jeher ein schwieriges Terrain. Auf dieses begibt sich nun Walter Kaegi, der als Spezialist für das 7. Jahrhundert und byzantinische Militärgeschichte einschlägig ausgewiesen ist. [1] Seine Studie versteht Kaegi als "attempt to reexamine materials in the light of new discoveries about seventh-century Byzantium and about Byzantine relations with Arabs and Muslims in the seventh century, and with respect to changing interpretations of broader conditions in the Late Antique world of the seventh century" (10).
Kaegi nimmt einen recht langen Anlauf. Im ersten Kapitel ("Challenges of the subject and the sources", 1-15) steckt er die räumliche und zeitliche Dimension seines Themas ab. Besonders nützlich ist die kommentierte Zeittafel (11-15). Danach (Kap. 2 "Historiographical hurdles", 16-40) skizziert er Forschungsgeschichte und Quellenlage. In Kapitel 3 ("Fragmented geographical and logistical realities", 41-68) beschreibt Kaegi sehr ausführlich die heterogene naturräumliche Gliederung ("micro regions") Nordafrikas (48-64), von der die Byzantiner aber nur fragmentarische Vorstellungen gehabt hätten, wodurch die Entwicklung effektiver Verteidigungskonzepte verhindert worden sei (67f.). In Kapitel 4 geht es um die Religionspolitik der Kaiser Herakleios und Constans II ("Christian contexts in seventh-century North Africa", 69-91). Kaegis Hypothese ist, dass "religious acrimony and discord" unter den nordafrikanischen Christen die Abwehr arabischer Angriffe behindert hätten (91). In Kapitel 5 ("The military heritage of Heraclius on the eve of Muslim military operations", 92-115) verortet Kaegi Nordafrika in der byzantinischen Militäradministration. Die Verteidigung sei auf den Schutz von "key towns and communications" ausgerichtet gewesen (107), eine "coherent defensive line on land" habe nicht existiert (111).
Mit dem "Shock of Sbeitla" (Kap. 6, 116-144) begann die arabische Eroberung Nordafrikas. In der Nähe des heutigen Sbeitla (des antiken Sufetula) erlitt der Exarch Gregorios im Jahr 647 eine vernichtende Niederlage gegen ein aus Tripolitanien vorstoßendes arabisches Heer. Kaegi trägt überzeugende militärisch-strategische Überlegungen vor. Den Verlauf der Schlacht versucht er mit Hilfe der Passage über die so genannte "Afrikanische Ausbildung" im "Strategikon des Maurikios" zu erhellen (135-140). Da aber die historiographischen Quellen keine hinreichenden Informationen über den Schlachtverlauf bieten, bleiben diese Überlegungen hypothetisch. Nach der Niederlage von Sbeitla brach die byzantinische Administration vorübergehend zusammen. Wegen anhaltender arabischer "raids" leisteten lokale Provinzialeliten in Eigeninitiative Tributzahlungen (143).
Zwar gelang es Konstantinopel, die Lage zwischenzeitlich zu stabilisieren (Kap.7 "Options for offensives and resistance", 145-165), letztendlich sei diese Konsolidierung aber gescheitert: "the Byzantines failed to tap the local manpower and technical ability and financial resources" (154).
Sehr ausführlich behandelt Kaegi die Herrschaft Constans II (Kap. 8 "The riddle of Constans II", 166-199), die er als "decisive turning point for the collapse of Byzantium in North Africa" sieht (194). Kaegi zufolge nahm Nordafrika in Constans' Westpolitik eine zentrale Rolle ein (175). Nach erneuten arabischen Angriffen Ende der 660er Jahre zeichneten sich unter den provinzialen Eliten Tendenzen ab, auf lokaler Ebene von Konstantinopel unabhängig Politik zu machen. Aus der arabischen Überlieferung erschließt Kaegi "willing cooperations" mit arabischen Machthabern und die aufkommende Bereitschaft, eine arabische Herrschaft zu akzeptieren (192).
Im neunten Kapitel ("Muslim interests, calculations, and leadership", 200-219) ordnet Kaegi die nordafrikanischen Ereignisse in den Gesamtrahmen der arabischen Expansion ein. Vor allem der anhaltende militärische Druck auf Kleinasien "paralyzed the Byzantine governement's ability to do much in defense of extremely exposed positions in North Africa" (212).
Das weitere arabische Vordringen löste Widerstand seitens der indigenen, von Byzanz unabhängigen Mauren ("autochthonous tribal groupings", 223f.) aus, der den arabischen Machthabern größere Schwierigkeiten bereitete als die Konfrontation mit den Byzantinern (Kap. 10 "The shift to tribal resistance 669-95", 220-246). Das Zentrum dieses Widerstandes, der nur in arabischen Quellen fassbar ist, lokalisiert Kaegi im südlichen Numidien, im Aurèsgebirge. Das Kapitel hätte durch die Berücksichtigung aktueller Forschungen zu Wechselwirkungen zwischen nomadischen und sesshaften Kulturen noch mehr inhaltliche Profilschärfe gewinnen können. [2]
Die Konflikte mit den Mauren dauerten auch nach der Eroberung Karthagos (695/696), die das Ende des byzantinischen Nordafrika markiert, an (Kap. 11 "The fall of Carthage and its aftermath 695-711", 247-265). Kaegi vermutet eine im Laufe der Zeit erfolgte Annäherung zwischen arabischen Militärführern und maurischen Eliten (253).
Im Schlusskapitel (12 "The failures of two cities of Constantine", 266-300) sucht Kaegi nach Gründen für den "Byzantine collapse" in Nordafrika. Konstantinopel hätte anders als in Kleinasien nie eine adäquate Verteidigungsstrategie entwickelt und auch nicht die nötigen Ressourcen für eine wirkungsvolle Abwehr besessen (299). Weder sei es gelungen, eine gemeinsame Interessensbasis mit den nordafrikanischen Provinzialen zu schaffen (294), noch das militärische Potential der maurischen Stämme zu gewinnen (281). Religiöse Differenzen hätten der Kräftebündelung entgegengewirkt (271). Dagegen verlieh der Islam der arabischen Seite "new cohesiveness" (270) und die arabischen Erfolge hätten eine "winning dynamic" in Gang gesetzt (280). Letzteres aber ist angesichts des sich über gut ein halbes Jahrhundert hinziehenden Eroberungsprozesses problematisch.
Walter Kaegi hat zweifelsohne ein Buch verfasst, von dem die Forschung zum spätbyzantinischen und frühislamischen Nordafrika profitieren wird. Wie man es im Detail bewertet, hängt letztlich von den Erwartungen ab, mit denen man an die Lektüre geht. Die von Kaegi zu Beginn formulierte Zielsetzung kann den Eindruck erwecken, eine Studie zu Transformationsprozessen zwischen Spätantike und Mittelalter vor sich zu haben. Auf Fragen der Kontinuität oder Diskontinuität zwischen byzantinischem und arabischem Nordafrika, die in der jüngeren Forschung kontrovers diskutiert wurden [3], geht Kaegi nur beiläufig ein (sehr knapp zu Karthago, 249). Den "Byzantine collapse" versteht Kaegi als politisch-militärischen Prozess und in der gründlichen Aufarbeitung dieser politischen Geschichte liegt die Stärke seines mit aussagekräftigen Karten ausgestatteten Buchs. Durch die intensive Auswertung der komplexen, viele Probleme aufwerfenden Quellen - ganz besonders der arabischen Überlieferung - kann Kaegi neue Akzente setzen. Darüber hinaus steuert er durch seine ausgezeichnete Kenntnis des 7. Jahrhunderts wertvolle vergleichende Beobachtungen bei. Zuweilen leidet das Buch aber an seinem Detailreichtum, da Kaegi manchen für sein Thema nicht unbedingt wichtigen Aspekt aufgreift, und an den nicht gerade seltenen Wiederholungen, die sich mitunter innerhalb nur weniger Absätze eines Kapitels finden.
Trotz der kritischen Anmerkungen: die gründliche und überaus kenntnisreiche Analyse der politischen und militärischen Prozesse am Übergang vom byzantinischen zum arabischen Nordafrika macht Kaegis Buch zu einem wichtigen und lesenswerten - nicht nur mit Blick auf Nordafrika sondern auch generell auf die arabische Expansion im 7. Jahrhundert.
Anmerkungen:
[1] Zu nennen sind vor allem: Kaegi, Walter: Byzantium and the Early Islamic Conquests, Cambridge 1992 und Ders.: Heraclius. Emperor of Byzantium, Cambridge 2003.
[2] Dass Kaegi auf S. 128 den Exarchen Gregorios, den proconsul Africae Gordianus, der 238 zum Gegenkaiser gegen Maximinus Thrax ausgerufen wurde, und den inschriftlich belegten maurischen Anführer Masties (AE 1996, 1796) als "series of local potentates" nebeneinander stellt, halte ich für problematisch, da es sich um drei sehr verschiedene Typen von Machtinhabern handelt. Dass Masties sich zudem selbst zum "king of Numidians and Romans" proklamierte, geht aus der Inschrift nicht hervor. Anhand der Literatur, auf die Kaegi verweist, vermute ich, dass er sich bei dieser Interpretation auf Masuna, der in einer Inschrift aus Altava als rex gent(ium) Maur(orum) et Romanor(um) bezeichnet wird, bezieht (CIL VIII 9835 = IdAltava 194).
[3] Chris Wickham: Framing the Early Middle Ages. Europe and the Mediterranean, 400 - 800, Oxford 2005, 635-644 vertritt den Standpunkt, dass der archäologische Befund zumindest in einigen nordafrikanischen Städten auf Besiedlungskontinuitäten hinweise. Wie Wickham im Vergleich von Sbeitla / Sufetula und Karthago zeigt, ist aber mit lokal recht unterschiedlichen Dynamiken zu rechnen. Roskams, Steve: Urban Transition in North Africa. Roman and Medieval Towns of the Maghreb, in: Christie, N. / Loseby, S. T. (Hg.): Towns in Transition. Urban Evolution in Late Antiquity and the Early Middle Ages, Aldershot 1996, 158-183, hier 166f. betont für Chercel, Sétif und Karthago den Abbruch der urbanen Besiedlung.
Die Frage nach dem Fortbestehen des Christentums in Nordafrika nach der arabischen Eroberung klammert Kaegi bewusst aus. Auch hier zeichnen sich teils lange Kontinuitäten ab, die arabische Eroberung stellt hier nicht unbedingt eine Zäsur dar; s. Handley, Mark A.: Disputing the End of African Christianity, in: Merrills (Hg.) Vandals, Romans and Berbers. New perspectives on late antique North Africa, Aldershot 2004, 291-310.
Daniel Syrbe