Hannah Arendt / Uwe Johnson: Der Briefwechsel. Hrsg. von Eberhard Fahlke und Thomas Wild, Frankfurt/M.: Suhrkamp Verlag 2004, 342 S., ISBN 978-3-518-41595-5, EUR 18,90
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Dass die Philosophin und Schriftstellerin Hannah Arendt den Historikern viel zu sagen hat, muss nicht umständlich erklärt werden; ihre Hauptwerke sprechen für sich. Anders liegt der Fall bei Uwe Johnson. Vom Autor der "Jahrestage" ist immer noch zu wenig bekannt, dass er unter den deutschen Schriftstellern nach 1945 derjenige ist, der den Historikern am nächsten steht - nach der Wahl seiner Themen, der Art seiner Recherchen und der unaufgeregten Präsentation der Fakten und Einsichten - und in mancher Hinsicht sogar als einer der ihren gelten müsste, wenn er nur nicht so gut schreiben könnte.
Hannah Arendt und der fast dreißig Jahre jüngere geniale Schriftsteller lernten sich 1965 in New York kennen, wo Johnson zusammen mit Günter Grass im Goethe-Haus eine Doppellesung bestritt. Danach riss der Kontakt bis zu Hannah Arendts Tod 1975 nicht mehr ab: 1966 wohnten beide fast Block an Block am Riverside Drive, bei späteren Besuchen in New York beherbergte Hannah Arendt den finanziell stets klammen Johnson sogar bei sich. Wie intensiv der Austausch zeitweise war und wie viel Johnson der Philosophin zu verdanken hatte, bekannte er selbst: "Ich bekomme Seminare in Philosophiegeschichte, zeitgenössischer Politik, Zeitgeschichte, je nach Wunsch."
Beste Voraussetzungen also für einen Briefwechsel großer Intellektueller, in dem sich der Geist der Epoche mit seinen Kühnheiten, Ambivalenzen und verbrecherischen Torheiten widerspiegelt? Nein, Arendt und Johnson machten mündlich ab, was sie sich zu sagen hatten. Der Briefwechsel beschränkt sich auf Privates, Geschäftliches und die intensive Beteuerung des Wunsches, einander hoffentlich bald wieder zu begegnen und den Faden wieder aufzunehmen zu können, den man vor allem in Zeiten enger Nachbarschaft gesponnen hatte.
Nur gelegentlich blitzt in den ungewöhnlich zarten und originellen Briefen etwas von der Intensität jener Gespräche in New York auf, die - so scheint es - nicht immer ganz spannungsfrei waren und es angesichts der ganz unterschiedlichen Erfahrungen und Prägungen der beiden Protagonisten auch nicht sein konnten. Am Rande des Zerwürfnisses bewegten sie sich, als Johnson die Idee hatte, Hannah Arendt zuerst unter ihrem richtigen Namen in die "Jahrestage" einzubauen, dann diese Idee angesichts heftigen Protestes fallen ließ und Hannah Arendt schließlich als Gräfin Seydlitz auftreten ließ: "Bitte schön, zur Gräfin machen Sie mich nicht! Bis Sie so was dürfen, müssen Sie noch viele reizende Briefe schreiben", flehte Hannah Arendt, um dann sarkastisch hinzuzufügen: "Scheint es Ihnen nicht aufgefallen zu sein, dass ich jüdisch bin."
Hannah Arendt war es wohl auch, die Johnson - ausweislich der "Jahrestage" - ins Stammbuch schrieb: "Eine jüdische Frage gibt es für Euch nicht mehr. Die habt ihr für Euch erledigt. Nunmehr ist dies unsere Frage, eine nichts als jüdische." Den Freund vermochte sie damit nicht zu überzeugen. Für Gesine Cresspahl, die Hauptperson der "Jahrestage", und dann für ihn selbst, so Johnson fast programmatisch, werde es auch "weiterhin eine jüdische Frage deutscher Art" geben, denn die Deutschen würden noch auf Jahrzehnte hin von den anderen Völkern angesehen werden "auf ihre Distanz zum versuchten Genozid an den Juden".
Hans Woller