Elmar Wadle: Geistiges Eigentum. Bausteine zur Rechtsgeschichte, Weinheim: VCH Verlagsgesellschaft 1996, VIII + 601 S., ISBN 978-3-527-28788-8
Buch im KVK suchen
Elmar Wadle: Geistiges Eigentum. Bausteine zur Rechtsgeschichte, München: C.H.Beck 2003, VIII + 421 S., ISBN 978-3-406-49802-2, EUR 79,00
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Sven Korzilius: "Asoziale" und "Parasiten" im Recht der SBZ/DDR. Randgruppen im Sozialismus zwischen Repression und Ausgrenzung, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2005
Diethelm Klippel (Hg.): Naturrecht und Staat. Politische Funktionen des europäischen Naturrechts (17. - 19. Jahrhundert), München: Oldenbourg 2006
Dieter Baldauf: Die Folter. Eine deutsche Rechtsgeschichte, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2004
Andrea Griesebner / Martin Scheutz / Herwig Weigl (Hgg.): Justiz und Gerechtigkeit. Historische Beiträge (16.-19. Jahrhundert). In Kooperation mit dem Institut für die Erforschung der Frühen Neuzeit, Wien, Innsbruck: StudienVerlag 2002
Albrecht Cordes (Hg.): Juristische Argumentation - Argumente der Juristen, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2006
Eine Besprechung zweier Bände zum "Geistigen Eigentum" in einem speziell für den historisch interessierten Leser konzipierten Rezensionsjournal mag zunächst überraschen. Denn es handelt sich beim "Geistigen Eigentum" um einen Begriff der Rechtswissenschaft, der dort zum einen für die Bereiche des gewerblichen Rechtsschutzes, also etwa des Patent- oder Markenrechts, und zum anderen für das Urheberrecht verwendet wird. Beide Bände behandeln aber nicht das geltende Recht, sondern enthalten insgesamt 43 Beiträge zu bedeutenden Entwicklungsschritten in der Geschichte des Geistigen Eigentums in Deutschland zwischen dem 18. und dem 20. Jahrhundert.
Begreift man die Rechtsgeschichte auch als Teildisziplin der Geschichtswissenschaft, dann mag das eine Rezension rechtfertigen. Es erklärt aber noch nicht die Bedeutung der Forschungen Wadles für den Historiker, die keineswegs unerheblich ist. Denn der Schutz und die rechtliche Ausgestaltung des Geistigen Eigentums im 19. Jahrhundert, vor allem in dessen letztem Drittel, übernahm eine Schlüsselfunktion für die Industrialisierungs- und Unternehmensorganisation. Die Geschichte des Geistigen Eigentums spielt insoweit eine bedeutende Rolle für die Wirtschaftsgeschichte des 19. Jahrhunderts.
Die Geschichte des Geistigen Eigentums kann somit als Teil einer Wirtschaftsrechtsgeschichte angesehen werden. Beide haben in der Rechtsgeschichte - wie auch in der Geschichtswissenschaft - eher eine Randposition inne, die bislang nur selten in der gängigen rechtshistorischen Studienliteratur auftaucht. Da es bislang an einer umfassenden Geschichte des Geistigen Eigentums fehlt, ist die vorliegende zweibändige Aufsatzsammlung von Wadle bereits ein Fortschritt. Die Bücher vermitteln ein eindrucksvolles Bild vom reichhaltigen Œuvre Elmar Wadles, der in den letzten Jahrzehnten neben Diethelm Klippel, Barbara Dölemeyer oder Martin Vogel einen herausragenden Beitrag zur Geschichte des Geistigen Eigentums geleistet hat.
Der Schutz des Geistigen Eigentums hat in Deutschland eine lange Tradition. Wadle untersucht in seinen Beiträgen vor allem die Entwicklung des Geistigen Eigentums im 19. Jahrhundert. Er arbeitet die Zusammenhänge mit der wirtschaftlichen und sozio-kulturellen Entwicklung heraus. Und hier zeigen sich deutliche Wechselwirkungen zwischen den unterschiedlichen Industrialisierungsphasen des 19. Jahrhunderts als Teil der ökonomischen Entwicklung einerseits und der Anerkennung eines Rechtsschutzes geistig-gewerblicher Leistungen wie etwa Erfindungen, Gebrauchsmustern oder Marken andererseits. Hervorzuheben ist, dass Wadle bei der Entwicklung von Gesetzgebung und Rechtsprechung nicht stehen bleibt, sondern gleichzeitig - ganz im Sinne einer "integralen Rechtsgeschichte" (Diethelm Klippel) - auch auf die Wechselwirkungen mit dem wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Kontext abstellt. Zu Beginn des ersten Bandes arbeitet er dazu dezidiert die Zusammenhänge zwischen der ökonomischen Entwicklung und den veränderten rechtlichen Rahmenbedingungen heraus (75-94). Zwei Beispiele mögen das verdeutlichen: Zum einen förderte die Einführung eines Markenschutzgesetzes 1874 sowie dessen Ablösung durch das Warenzeichengesetz von 1894 die Ausbildung von Markenartikeln, die wiederum erhebliche Auswirkungen für Konsum und Handel hatten. Die rechtlichen Rahmenbedingungen begünstigten zweifellos die Hersteller als Markeninhaber, was sich auch darin ausdrückt, dass die Praxis am Ende des 19. Jahrhunderts die Eintragung von Vorrats- und Defensivzeichen zuließ, die den Schutz der Marke auch gegenüber verwandten Zeichen oder konkurrenzfähigen Markenvariationen verstärkten. Zum anderen zeigen sich deutliche Impulswirkungen zu Gunsten der Industrie und der Unternehmensorganisation im Bereich der technischen Schutzrechte, also vor allem bei den Erfindungspatenten. Patente gehörten nicht erst im 19. Jahrhundert zum Startkapital der Industrie; ganze Produktionszweige verdanken ihre Existenz bestimmten Erfindungen und waren im wachsenden Maße auf neue Erfindungen angewiesen. Ist der Erfinder Teil eines Unternehmens, dann ergeben sich daraus nicht nur Probleme für die Entwicklung eines Arbeitnehmererfinderrechts (83-88). Vielmehr zeigen sich Auswirkungen auf die wirtschaftliche Verfassung insgesamt. Nicht erst Wadle ist die Erkenntnis zu verdanken, dass der spätestens seit circa 1880 einsetzende Konzentrationsprozess innerhalb der deutschen Wirtschaft nur dann gelingen konnte, wenn es zu Kooperationen und Absprachen über die Nutzung und Verwertung technischer Erfindungen innerhalb bestimmter Branchen kam.
Leider werden die Auswirkungen der Patentrechtslehre, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts enorme Fortschritte verbuchen konnte, auf die industrielle Unternehmenspolitik nur teilweise deutlich. Darunter fällt unter anderem die Entwicklung des Lizenzvertragsrechts, das von Wadle nur am Rande untersucht wird. Seit den 1880er-Jahren etablierten sich beispielsweise in Deutschland die chemische und die elektrotechnische Industrie als neue, vom Patentschutz erheblich profitierende Wirtschaftszweige. Zweifellos konnten hier Lizenzzwang und Lizenzvertrag unterstützend wirken, da sie Großunternehmen die Möglichkeit boten, an Erfindungen kleinerer Firmen zu partizipieren und Letztere nicht selten vom Markt zu verdrängen. Derartige Kartellierungstendenzen lassen sich beispielsweise in der chemischen Industrie sowie in der Kohlen-, Eisen- und Stahlindustrie am Ende des 19. Jahrhunderts beobachten. Dass Wadle auf diese Entwicklung wie auf die Geschichte des Patentrechts insgesamt nur am Rande eingeht, ist vor allem darauf zurückzuführen, dass der inhaltliche Schwerpunkt der Bände in der Entwicklung des Urheber- und Markenrechts liegt.
Trotz der geschilderten Defizite im Bereich des Patentrechts liefert Wadle jedoch zahlreiche Bausteine, die für die Wirtschafts- und Sozialgeschichte des 19. Jahrhunderts von Bedeutung sind. Das gilt zunächst einmal für das Markenrecht. Die im ersten Band dazu abgedruckten Beiträge tragen dieser Tatsache Rechnung, indem sie die wichtigsten Entwicklungslinien (371-385) beziehungsweise den entscheidenden Schritt des ersten Reichsgesetzes von 1874 beschreiben (387-399). Die dort gefundenen Erkenntnisse werden durch weitere Darstellungen zu spezifischen Einzelfragen ergänzt. Beispielsweise richtet Wadle das Augenmerk einerseits auf spezielle Verhältnisse oder Begriffe, zum Beispiel das Aufkommen der so genannten Gemeinschaftsmarke, andererseits wendet er sich dem engen Zusammenspiel zwischen den ökonomischen Bedingungen des Markenwesens und dem Markenschutz zu. Im zweiten Band werden diese Erkenntnisse durch eine Untersuchung zum Rechtsschutz von Markenartikeln bis ins 20. Jahrhundert erweitert (337-363).
Der Markenschutz ist in seiner Bedeutung für die Wirtschafts- und Rechtsgeschichte aber nur vollständig zu erfassen, wenn man stets die Wechselbeziehungen zum Wettbewerbsrecht im Auge behält, insbesondere den Schutz vor unlauterem Wettbewerb. Auch aus der Rechtsgeschichte des unlauteren Wettbewerbs lassen sich Rückschlüsse auf die wirtschaftspolitischen und ordnungsrechtlichen Rahmenbedingungen und Vorstellungen des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts anstellen. Wadle widmet sich diesem Thema mit zwei Beiträgen. Zum einen zeigt er die Widersprüche des rheinisch-französischen Deliktsrechts zur Judikatur des Reichsgerichts im Bereich des unlauteren Wettbewerbs auf (Bd. 2, 365-380). Bislang kaum erforscht sind zum anderen die Wechselbeziehungen von Markenrecht und dem Recht des unlauteren Wettbewerbs, denen er in seiner Untersuchung des ersten Reichsgesetzes zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs von 1896 nachgeht (Bd. 2, 381-388).
Auf den ersten Blick kaum mit wirtschaftlichen, sondern eher mit kulturellen Fragen verbindet man die Entwicklung des Urheberrechts im 19. Jahrhundert. Diese Vermutung ist jedoch nur bedingt richtig. Die kommerzielle Verwertung des Urheberrechts erfuhr gerade durch die fortschreitende technische Entwicklung im 19. Jahrhundert eine zunehmende Bedeutung. Im Urheberrecht geht es um den rechtlichen Schutz jener geistigen Güter, die durch Schöpfertätigkeit hervorgebracht werden, also zum Beispiel wissenschaftliche, literarische oder künstlerische Werke. Die Reproduktion dieser Werke blieb am Ende des 19. Jahrhunderts nicht auf den Buchdruck beschränkt, vielmehr kamen durch die technische Entwicklung weitere Verwertungsmöglichkeiten hinzu, etwa die Fotografie oder die Kinematografie, ganz zu schweigen von den Errungenschaften des 20. Jahrhunderts, etwa des Rundfunks oder des Fernsehens (dazu Bd. 1, 63-74). Damit steigt aber auch der Wert urheberrechtlicher Werke, sofern sie in den verschiedenen Vervielfältigungs- und Verbreitungsformen kommerziell genutzt werden können.
Das Urheberrecht musste auf diese Entwicklung reagieren. Wadle richtet den Blick dazu auf wesentliche Entwicklungsschritte innerhalb des 19. Jahrhunderts. Nach einer Forschungsübersicht über die Geschichte des Urheber- und Verlagsrechts (Bd. 1, 99-118) greift er zunächst auf die Privilegienzeit um 1800 zurück, und zwar nicht nur im Fall des Nachdruckprivilegs literarischer Werke (Bd. 1, 145-166; Bd. 2, 101-116 oder 165-184), sondern auch für musikalische Kompositionen (Bd. 2, 185-206) oder Werke der bildenden Kunst (Bd. 2, 295-306). Anschließend geht Wadle auf zentrale Punkte der Urheberrechtsgeschichte des Vormärz ein, an denen er die Schwierigkeiten und Widersprüche des Schutzes urheberrechtlich geschützter Werke unter einer im Aufschwung befindlichen Historischen Rechtsschule und profitorientierter Verlegerinteressen herausarbeitet. Dazu gehören etwa die Entwicklung des preußischen Urheberrechtsgesetzes von 1837 (Bd. 1, 167-222) oder die Bemühungen um einen einheitlichen Urheberrechtsschutz im Deutschen Bund (Bd. 2, 221-239 oder 257-276), die erst durch die Bundesbeschlüsse von 1835/1837 gegen Nachdruck (Bd. 1, 223-265) einen Teilerfolg erzielen konnten.
Den Herausforderungen an das Urheberrecht durch die technischen Entwicklungen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts widmet sich Wadle in weiteren Einzelbeiträgen, die zentrale Entwicklungslinien in das Blickfeld rücken, zum Beispiel die Entwicklung des Frankfurter Entwurfs eines Urheberrechtsgesetzes für den Deutschen Bund von 1864, der später als Vorlage für das erste reichseinheitliche Urheberrechtsgesetz zum Schutz von Werken der Literatur von 1870 herangezogen wurde (Bd. 1, 309-326). Die Lücken dieser Gesetzgebung wurden erst 1876 durch die "Gesetze zum Schutz von Werken der bildenden Künste und der Fotografie" geschlossen (dazu Bd. 1, 327-341). Am Beispiel der Fotografie arbeitet Wadle eine Herausforderung des Urheberrechts im 19. Jahrhundert heraus, nämlich den Schutz nicht nur der Abbildung, sondern auch der Abgebildeten (Bd. 1, 343-366).
Wadle liefert in beiden Bänden nicht nur hilfreiche "Bausteine zur Rechtsgeschichte", sondern auch für die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte des 19. Jahrhunderts. Da es bislang an einer umfassenden Monografie zur Geschichte des Geistigen Eigentums fehlt, kann der Wert dieser Bausteine nicht hoch genug eingeschätzt werden. Der rechts-, wirtschafts- und sozialhistorisch interessierte Leser erhält einen Überblick über die Entwicklung des Urheber- und Markenschutzes im 19. Jahrhundert. Die angesprochenen Defizite im Patentrecht fallen schon deshalb nicht ins Gewicht, weil es sich bei den vorliegenden Bänden um eine Sammlung von Beiträgen Elmar Wadles der letzten drei Jahrzehnte handelt. Eine Aufsatzsammlung kann aber schon von Natur aus keine vollständige Gesamtdarstellung enthalten. Eine reichhaltige Fundgrube für den Wirtschaftsrechtshistoriker stellen die Bände jedoch allemal dar.
Louis Pahlow