Michael Uhl: Mythos Spanien. Das Erbe der Internationalen Brigaden in der DDR, Bonn: J.H.W. Dietz Nachf. 2004, 556 S., ISBN 978-3-8012-5031-7, EUR 29,80
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Der Putsch der Militärs in Spanisch-Marokko gegen die Regierung in Madrid am 17. Juli 1936 erfolgte als Reaktion auf den Sieg der Linken in den Parlamentswahlen im Februar desselben Jahres. Noch im Juli entschieden sich Hitler und Mussolini, die Putschisten zu unterstützen. Die Hilferufe der legalen spanischen Regierung blieben bei den demokratischen Staaten dagegen ungehört und ein internationales Waffenembargo geriet zur Farce. Im September entschloss sich das Exekutivkomitee der Komintern (EKKI), der Spanischen Republik zu helfen. Freiwillige wurden weltweit rekrutiert. Sie schlossen sich in den Internationalen Brigaden zusammen. Der 22. Oktober 1936 gilt als ihr offizielles Gründungsdatum.
Die Tübinger Dissertation von Michael Uhl setzt sich mit einem Aspekt des "Mythos Spanien" auseinander, mit dem Erbe der Internationalen Brigaden in der DDR. Seine These lautet, dass in keinem anderen Staat Erfahrungen und Mythos des Spanischen Bürgerkriegs so kultiviert wurden wie in der DDR. Dabei habe das Erbe der Internationalen Brigaden für die Konstruktion einer antifaschistischen Legitimation in der SBZ/DDR ein beinahe unerschöpfliches Reservoir gebildet (13).
Im ersten Teil der Studie wird nach einer kurzen Einführung in den Spanischen Bürgerkrieg die Geschichte der Internationalen Brigaden von ihrer Gründung im Herbst 1936 bis zu ihrem letzten Einsatz Anfang 1939 analysiert. Untersucht werden Herkunft und Zusammensetzung der Interbrigadisten sowie ihre Rolle, Funktion und Selbstperzeption im Bürgerkrieg. Der zweite Teil konzentriert sich auf die Rolle ehemaliger Spanienkämpfer sowie das Erbe der Internationalen Brigaden in der SBZ/DDR. Der Untersuchungszeitraum umfasst die Jahre von 1936 bis 1989 und greift teilweise darüber hinaus. Neben biografischen, gruppen- und geschlechtsspezifischen Aspekten werden der rechtliche Status der Spanienkämpfer in der DDR, ihre Organisationen sowie ihr Verhältnis zur SED-Führung analysiert. Breiten Raum nimmt die Mythenbildung in der DDR ein. Dazu werden die DDR-Historiographie sowie die Traditionspflege in verschiedenen Bereichen untersucht.
Uhl kennt den Forschungsstand und die Quellenlage gut. Sein Verdienst ist es, deutsche Quellen (neben den umfangreichen Beständen von KPD/SED und MfS auch die Materialsammlung der Arbeitsgruppe ehemaliger Spanienkämpfer der DDR, die in den 1990er-Jahren in das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands nach Wien gegeben worden ist) mit russischen und spanischen zu vereinen. Erstmals kann er verlässliche Angaben über die Anzahl der Freiwilligen, ihre Herkunft sowie über den Anteil der Gefallenen und Verwundeten sowie über die inneren Strukturen der Brigaden präsentieren. Zu den Desideraten zählen aber weiter die konkreten Arbeitsmethoden der Geheimpolizei SIM und die Rolle des NKWD. Uhl bestätigt die Gesamtzahl von 35.000 Freiwilligen und deren hohe Verluste zwischen 15 und 30 Prozent. Die Zahl der deutschen Freiwilligen setzt er mit ungefähr 2.800 deutlich niedriger als bisher üblich an. Dies führt er auf den irrig verwandten Begriff "deutsche Sprachgruppe" zurück, mit dem neben Deutschen auch Österreicher, Schweizer, Holländer und Skandinavier erfasst worden seien.
Nach Uhl war der "im statistischen Sinne durchschnittliche deutsche Interbrigadist [...] theoretisch zwischen 26 und 30 Jahre alt und ledig, stammte aus dem Arbeitermilieu einer Großstadt, gehörte der KPD an und hatte vor 1936 in der Emigration im europäischen Ausland gelebt" (61). Doch Uhl interessiert sich nicht nur für die Masse, sondern auch für die prominenteren Spanienkämpfer. Allerdings bleiben die Auswahlprinzipien für die von ihm herausgegriffenen Lebensläufe unklar. Ob Erich Mielke als "prominentester Spanienkämpfer" zu gelten hat, ist fraglich. Dies trifft eher auf den nicht in diesen Kreis aufgenommenen Richard Stahlmann zu, dem sowohl Hemingway als auch Stefan Heym ihre Reverenz erwiesen haben. Auch findet Willi Rom keine Erwähnung; Rom wurde in Spanien vom sowjetischen Geheimdienst rekrutiert und zählt zu den berühmten Weltkriegsspionen ("Funker der Roten Kapelle"). Seit den 70er-Jahren war er in der DDR-Öffentlichkeit präsent und durfte seine Erinnerungen an die Kämpfe an der Jaramafront in der Presse veröffentlichen.
Sehr lebendig schildert Uhl das wechselvolle Schicksal der ehemaligen Kämpfer in der DDR, wobei er deren aktive Rolle im "Überwachungsapparat" ausdrücklich hervorhebt. Dies gilt dann umso mehr für ihr Zusammenspiel mit der staatlich gelenkten Geschichtspolitik bei der Konstruktion des Mythos um die Internationalen Brigaden. Hier handelt es sich um den stärksten Teil der Dissertation, der auch analytisch angelegt ist. Der Leser erfährt interessante Einzelheiten über die Memoirenliteratur und das wahre Schicksal der "Heldengestalten" Hans Beimler und Artur Becker. So war Beimler nie Politkommissar, sondern "nur" KPD-Beauftragter, dessen Lebenswandel - mehrere Ehen und eine antistalinistisch-trotzkistische Geliebte - von der DDR-Historiographie geglättet wurde. Im Unterschied zu Beimler begann der Personenkult um Becker erst lange nach dem Bürgerkrieg.
Die politische Propaganda der DDR instrumentalisierte das spanische Beispiel hemmungslos. Parallelen wurden zum Korea-Krieg und besonders zum Vietnam-Krieg gezogen. Zu Recht verweist Uhl in diesem Zusammenhang auf die gegensätzlichen Kontinuitätslinien in der Politik der beiden deutschen Staaten, wobei er sich sowohl auf den personellen Bereich (Interbrigaden - Legion Condor) als auch auf die Außenpolitik bezieht und hier besonders die guten Beziehungen der Bundesrepublik zum Franco-Regime betont.
Uhl bietet in seiner materialreichen, mit leichter Hand geschriebenen Dissertation einen hervorragenden Überblick über das Thema, zeigt dabei aber Schwächen in der analytischen Schärfe. Eingeschlichen haben sich auch eine Reihe von kleineren Unstimmigkeiten und Fehlern. So wird der Spanienkämpfer Eberhard Schmidt, Komponist und DDR-Nationalpreisträger, wiederholt mit dem Attribut "Schriftsteller" versehen (253, 339). Karl Mewis, wohl kaum ein "blasser 'Apparatschik' (!)" (323), war nicht in erster Ehe mit Dahlems Schwester, sondern in zweiter mit Dahlems Tochter verheiratet (137). Der Leiter der Zentralen Kontrollkommission Fritz Lange (1898-1981) war nie in Spanien, dafür aber sein Namensvetter (1900-1985), der aber kein Denunziant war (329).
Die Aussagekraft der im Anhang abgedruckten Übersichten über ehemalige Spanienkämpfer in der SED-Führungsspitze, Truppenteile und Einrichtungen der NVA, die Ehrennamen von Spanienkämpfern trugen, die Jahrgangsverteilung der Spanienkämpfer der DDR sowie zwei Karten zum Kriegsverlauf ist begrenzt. Die Arbeit enthält ein umfangreiches Quellen- und Literatur- sowie ein Abkürzungsverzeichnis. Auf ein Register muss der Leser dieses umfänglichen Buches leider verzichten.
Michael F. Scholz