Sean Eedy: Four-Color Communism. Comic Books and Contested Power in the German Democratic Republic, New York / Oxford: Berghahn Books 2021, XI + 218 S., 14 s/w-Abb., ISBN 978-1-80073-000-7, GBP 135,00
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Im Laufe der letzten zwei Jahrzehnte hat sich die Comicforschung in der Germanistik etabliert und ist zu einem allgemein anerkannten Studienfach geworden. Comics finden vor allem in Form grafischer Romane (graphic novels) in interdisziplinären Kommunikationskanälen und Netzwerken Aufmerksamkeit, von H-Germanistik. Netzwerk für literaturwissenschaftlichen Wissenstransfer bis hin zur German Studies Association. Das führt zu einer wachsenden Zahl von wissenschaftlichen Veröffentlichungen und Konferenzen. Deutschsprachige Comics werden als Lehrmittel in der Germanistik international eingesetzt und sind eine willkommene Bereicherung für den Sprachunterricht. Sie gelten als authentisch und zugänglich und spielen zunehmend eine Rolle in der Auseinandersetzung mit der ostdeutschen Erfahrung. Doch dies gilt für heutige Comics, nicht für die aus der DDR-Zeit selbst. Das Buch des kanadischen Historikers Sean Eedy kann hier Abhilfe schaffen und eine Lücke schließen. Es wird zwar keine erschöpfende Geschichte der DDR-Comics präsentiert - und dieser Anspruch wird auch nicht erhoben -, doch es macht ostdeutsche Comics zugänglicher und bringt sie in die internationale Comicforschung ein.
Für seine Untersuchung der DDR-Comics als "Schnittstelle zwischen den verschiedenen Institutionen und Organen der Staatsmacht und der Entwicklung und dem Alltag ihrer kindlichen Leserschaft" hat Eedy Archivbestände der Pionierorganisation, der FDJ sowie des Verlages Junge Welt im Bundesarchiv (Berlin) ausgewertet. Beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU) hat er Unterlagen zur Anwerbung von IM-Kandidaten eingesehen, jedoch ohne hier zu neuen Erkenntnissen zu kommen. Das Primärmaterial hat er wesentlich über die Webseite www.DDR-Comics.de (Guido Weißhahn) bezogen.
Nach Eedy boten die DDR-Comics Räume, in denen das SED-Regime und die Kinder zusammenkamen. Die Comics definierten, was unter "Kindheit" zu verstehen war und was dies für die Vorstellungen von Zugehörigkeit innerhalb des Staates selbst bedeutete (2). Somit stellten Comics in der DDR eine Schnittstelle zwischen den verschiedenen Ebenen der Staatsmacht und dem Alltag der kindlichen Leserschaft der Comics dar. Sie boten einen Ort der Interaktion und Verhandlung zwischen Kindern und dem Regime. Comics hätten den Kindern die Möglichkeit geboten, auf unterhaltsame Weise mit der Jugendorganisation FDJ und dem SED-Regime in Kontakt zu treten und ihr politisches Bewusstsein zu stärken. Auf diese Weise hätten Comics den Dialog zwischen Jugendlichen und dem Staat zur Aufrechterhaltung der Parteidiktatur ermöglicht und gefördert. Wie alle anderen Formen der Populärkultur standen auch Comics in der DDR unter strenger staatlicher Kontrolle. Sie wurden als Erweiterung des Bildungssystems des Regimes eingesetzt und vermittelten die offizielle Ideologie, um die "sozialistische Persönlichkeit" junger Menschen zu entwickeln und Begeisterung für den Staatssozialismus zu wecken. Die ostdeutschen Kinder, die diese Comics eifrig lasen, hätten jedoch eigene Interpretationen vorgenommen und eigene Wünsche auf sie projiziert. "Four-Color Communism" zeichnet die Geschichte der DDR-Comics aus beiden Perspektiven nach und zeigt, wie die wahrgenommenen Freiheiten und die damit geweckten Erwartungen letztendlich die Bemühungen des Regimes, die Leser für sich zu gewinnen, einschränkten.
Nach einer Einführung beleuchtet Eedy in fünf Kapiteln die Rolle beziehungsweise den Ort der "DDR-Comics" im Rahmen der DDR-Politik. Er stützt sich auf grundlegende Forschungen zur DDR-Kulturgeschichte (etwa von Mary Fulbrook, Thomas Lindenberger und Alf Lüdtke) und bietet eine nützliche Analyse der Methoden des ostdeutschen Staates zur Steuerung beziehungsweise Durchherrschung von Populärkultur und Freizeit. Seine Argumente ordnet er stets in breitere theoretische und historische Kontexte ein. Dabei waren Überinterpretationen wohl nicht zu vermeiden. Produktion und Verbreitung von Comics in der DDR unterschieden sich qualitativ und quantitativ von den hier öfter angeführten Verhältnissen in den USA, sodass sich Vergleiche nur schwer anstellen lassen. So ist zu bedenken, dass sich die DDR-Comicgeschichte über Jahrzehnte im Grunde um zwei Personen drehte: Johannes Hegenbarth, der relativ unabhängig "sein" Mosaik verantwortete, und Wolfgang Altenburger, langjähriger Chefredakteur von Atze und Mosaik, Begründer der Theorie der sozialistischen Bildgeschichte sowie Hauptverfasser der meisten Comics außerhalb des Mosaik.
Verallgemeinerungen, Überinterpretationen und Fehleinschätzungen sind auf fehlende Kenntnis nicht nur der inzwischen sehr umfangreichen Fan-Literatur zurückzuführen, denn auch das Gros der einschlägigen akademischen Forschung scheint dem Autor nicht bekannt gewesen zu sein: angefangen bei der Greifswalder Dissertation von Petra Kock, über die quellengesättigten Artikel im Jahrbuch "Deutsche Comicforschung" bis zu den Standardwerken zum Mosaik von Hannes Hegen beziehungsweise deren Schöpfer Johannes Hegenbarth. [1] Doch für ein nichtdeutschsprachiges Publikum, besonders für Wissenschaftler, die sich mit der DDR befassen und mit Comics nicht vertraut sind, wird das Buch dennoch eine Lücke schließen. Der Band verfügt über Begriffserklärungen, ein umfangreiches Personen- und Sachregister sowie über ein Quellen- und Literaturverzeichnis.
Anmerkung:
[1] Vgl. Kock, Petra: Das Mosaik von Hannes Hegen. Entstehung und Charakteristika einer ostdeutschen Bildgeschichte, Berlin 1999; Deutsche Comicforschung 1 (2005) bis 20 (2024); Lehmstedt, Mark: Die geheime Geschichte der Digedags. Die Publikations- und Zensurgeschichte des "Mosaik" von Hannes Hegen, Leipzig 2010; Lindner, Bernd: Die drei Leben des Zeichners Johannes Hegenbarth, Nürnberg 2015.
Michael F. Scholz