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Falk Eisermann: Verzeichnis der typographischen Einblattdrucke des 15. Jahrhunderts im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. VE 15, Wiesbaden: Reichert Verlag 2004
Stephan Wagner: Der politische Kodex. Die Kodifikationsarbeiten auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts in Österreich 1780-1818, Berlin: Duncker & Humblot 2004
Ana Lucia Sabadell da Silva: Tormenta juris permissione. Folter und Strafverfahren auf der iberischen Halbinsel - dargestellt am Beispiel Kastilliens und Kataloniens (16.-18. Jahrhundert), Berlin: Duncker & Humblot 2002
Peter Blickle: Von der Leibeigenschaft zu den Menschenrechten. Eine Geschichte der Freiheit in Deutschland, München: C.H.Beck 2003
Heinrich Richard Schmidt: Worber Geschichte, Bern: Stämpfli 2005
Peter Blickle: Der Bauernjörg. Feldherr im Bauernkrieg. Georg Truchsess von Waldburg 1488-1531, München: C.H.Beck 2015
Die vorliegenden Publikationen zur "guten Policey", das heißt zur guten Ordnung des Gemeinwesens, eint auf den ersten Blick nicht nur der gemeinsame und sich in der Frühneuzeitforschung einer zunehmenden Beliebtheit erfreuende Themenkomplex, sondern auch das verdienstvolle Anliegen, die lange wenig beachtete Quellengruppe der Policeyordnungen und -mandate, die eben diese "gute Policey" herstellen und bewahren sollten, mittels Verzeichnissen und Editionen der Wissenschaft zur Verfügung zu stellen und damit Auswertungen und weitere Forschungen zu ermöglichen und anzuleiten. Bei allen Gemeinsamkeiten unterscheidet sie aber die jeweilige Vorgehensweise: Es handelt sich (I.) einerseits um einen Repertorienband, der in aller Kürze die gesamte Policeygesetzgebung einer Reichsstadt verzeichnet, (II.) andererseits um zwei Editionsbände, beinhaltend mehr als 56 Policeyordnungen unterschiedlichster Obrigkeiten, die grob territorial durch deren Zugehörigkeit zu einem Reichskreis umschrieben werden, sowie (III.) um einen Forschungsband, der um die exemplarische Edition der Landesordnung eines kleinen süddeutschen Fürststifts eine Reihe von diese Gesetzgebung näher erläuternden Artikeln setzt, darüber hinaus diese Konzeption noch mit regionalen Fallstudien und weiter ausholenden grundsätzlichen Beiträgen mehr als ergänzt.
I. Beginnen wir mit dem Repertorienband: Das am Frankfurter Max-Planck-Institut für Europäische Rechtsgeschichte beheimatete und von Karl Härter und Michael Stolleis geleitete Projekt eines "Repertoriums der Policeyordnungen der Frühen Neuzeit" hat die Wiederentdeckung der "guten Policey" als normativer Leitkategorie der Frühen Neuzeit in den 90er-Jahren wesentlich gefördert. Das Projekt diente ursprünglich der Erschließung und Erforschung frühneuzeitlicher Policeygesetze ausgewählter Territorien des Alten Reiches und angrenzender Länder. Nach vier Bänden, die dem Reich sowie einigen Reichsterritorien [1] gewidmet waren, werden mit dem vorliegenden fünften Band der Reihe erstmals die Policeynormen einer Reichsstadt erschlossen. Das Max-Planck-Institut konnte in Zusammenarbeit mit verschiedenen Archiven ehemaliger Reichsstädte und mit Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft ein Verbundprojekt starten, welches parallel zum ursprünglichen Projekt die Policeygesetzgebung ausgewählter Reichsstädte (Aachen, Augsburg, Dortmund, Frankfurt am Main, Goslar, Kempten, Köln, Lübeck, Mühlhausen, Nördlingen, Nürnberg, Ravensburg, Regensburg, Rothenburg ob der Tauber, Rottweil, Schweinfurt, Speyer, Straßburg, Überlingen, Ulm, Wetzlar, Worms) erschließen soll.
Der jetzt vorliegende Band enthält nun auf 761 Druckseiten Angaben zu insgesamt 5057 Policeygesetzen der Reichsstadt Frankfurt am Main für die Zeit von 1329 bis 1806. Die zeitliche Verteilung der Normen beweist die stetig zunehmende Verrechtlichung des Lebens in der Reichsstadt, wobei vor allem das 18. Jahrhundert den steilsten Anstieg zu verzeichnen hat: 1329-1399: 179 (3,5%); 1400-1499: 642 (12,7%); 1500-1599: 829 (16,4%); 1600-1699: 998 (19,7%); 1700-1799: 2176 (43,0%); 1800-1806: 233 (4,6%).
Ein umfangreiches Sachregister der Materien und Regelungsgegenstände erleichtert den weiteren Zugang zu den aufgenommenen Normen. Die Bearbeiter und Herausgeber des Bandes, Henrik Halbleib und Inke Worgitzki, haben dem Repertorium einen kurzen Abriss der Stadtgeschichte vorangestellt, wobei besonders auf die Rahmenbedingungen der Gesetzgebung eingegangen wurde. Die Überlieferung beruht vor allem auf Archivbeständen; für das 18. Jahrhundert gibt es zudem gedruckte Quellen mit Johann Conradin Beyerbachs elfbändiger "Sammlung der Verordnungen der Reichsstadt Frankfurt" (1797-1799), dem "Frankfurter Rats- und Stadt-Calender" (1734 ff.), der Auszüge der wichtigsten Gesetze enthielt, sowie den "Wöchentlichen Frankfurter Frag- und Anzeigungs-Nachrichten" (1722-1806), welche dem Typus der Intelligenzblätter zuzurechnen sind und auch zur Veröffentlichung städtischer Normen dienten. Mit dem Band ist ein Grundstein zur weiteren Erforschung der Frankfurter Wirtschafts-, Sozial-, Kultur- und Rechtsgeschichte gelegt, auf dem aufbauend und von diesem angeregt hoffentlich bald weitere Studien zu den darin aufgezeigten Regelungsmaterien folgen werden. Noch nie war die Gesetzgebung einer Reichsstadt so überschaubar. Dem weiteren Fortgang des Repertorienprojekts kann jedenfalls mit Spannung entgegengesehen werden.
II. Nun zu den genannten Editionsbänden: Innerhalb kurzer Zeit hat Wolfgang Wüst seinem 2001 erschienenen Erstlingsband zur "Policey im Schwäbischen Reichskreis" einen zweiten mit 871 Seiten zur Policeygesetzgebung im Fränkischen Reichskreis und einen dritten mit 880 Seiten erneut voluminösen Band zum Bayerischen Reichskreis und zur Oberpfalz folgen lassen. 31 Policeyordnungen werden im Band zum Fränkischen Reichskreis ediert, systematisch gegliedert in Städte, geistliche und weltliche Staaten sowie den Fränkischen Reichskreis selbst. Unter den städtischen Quellen befinden sich Policeyordnungen der Reichsstädte Nürnberg, Rothenburg, Schweinfurt, Dinkelsbühl sowie der landsässigen Städte Erlangen (Markgrafschaft Brandenburg-Bayreuth), Ochsenfurt, Eibelstadt (beide Domkapitel Würzburg), Giebelstadt (Freiherr von Zobel). Zu den geistlichen Staaten werden Ordnungen aus dem reichsständischen Bereich der Hochstifte Würzburg, Bamberg, Eichstätt sowie des Domkapitels Würzburg geboten, zudem zwei Normtexte nicht reichsständischer Klöster (Kloster Münsterschwarzach, Clarissenstift St. Clara / Bamberg). Die weltlichen Staaten sind vertreten mit den Reichsständen Markgrafschaft Brandenburg-Ansbach, Markgrafschaft Brandenburg-Bayreuth, Herzogtum Sachsen-Coburg sowie einigen Vertretern der Reichsritterschaft (Freiherr von Thüngen, Grafen von Egloffstein, Grafen von Schönborn, Marschalken von Ostheim). Am Schluss wird noch die Policeyordnung des Fränkischen Reichskreises von 1572 abgedruckt. Band III bringt abschließend 25 Policeyordnungen aus dem Bereich des Bayerischen Reichskreises und der Oberpfalz zum Abdruck. Die Gliederung folgt Märkten und Städten (Reichsstadt Regensburg, München, Donauwörth, Trostberg), geistlichen und weltlichen Staaten (Erzbistum Salzburg, Hochstift Passau, Fürstprobstei Berchtesgaden, Regensburger Stifte und Klöster; Bayern, Oberpfalz, Pfalz-Neuburg, nachgesessene Herrschaft Hohenaschau) sowie dem Alten Reich (Regensburger Reichstagsordnungen). Wieso die "Salzburger Stadt- und Policeyordnung von 1524" (III: Nr. 6), die allein für die Stadt Salzburg galt, unter den Gliederungspunkt "Geistliche Staaten" und nicht unter "Märkte und Städte" gereiht wurde, wie etwa die Dienstbotenordnung der Residenzstadt München (III: Nr. 3), die ja auch nicht unter die weltlichen Staaten eingeordnet wurde, ist nicht ersichtlich.
Die "Historische Einleitung" (II: 17-95; III: 15-117) Wüsts entspricht in vielem derjenigen des ersten Bandes. Der damalige Text wurde teilweise erneut wortgetreu wiedergegeben [2], stellenweise geringfügig - in Band III umfänglicher - umformuliert und die in den Text verwobenen Quellenbeispiele aus dem ehedem Schwäbischen durch jene des nunmehr Fränkischen beziehungsweise Bayerischen Reichskreises ersetzt.
Die Beschreibung der Überlieferungssituation (II: 97-117; III: 119-131) ist im Vergleich zum ersten Band ein wenig umfänglicher ausgefallen, allerdings wird sie wiederum nur an wenigen ausgewählten Beispielen dargestellt, sodass die Einordnung mancher edierter Norm in den territorialen Gesamtzusammenhang nicht immer einsichtig ist. So vermisst man in Band II nähere gesetzgebungsgeschichtliche Angaben zur Reichskreispoliceyordnung von 1572, immerhin der einzigen Policeyordnung, die ein Reichskreis erlassen hat. Andere Kreise, wie etwa nachgewiesenermaßen der Niedersächsische, scheiterten an einer derartigen umfangreichen Kreisgesetzgebung. Auch der Einfluss der Reichskreispoliceyordnung auf die Policeynormen der Kreisstände bleibt im Dunkel, allein für Nürnberg wird mehrmals ein Verweis genannt. Skurrilerweise finden sich aber just zu Nürnberg nun mehrere divergierende Angaben: Das Inhaltsverzeichnis und der Überlieferungsteil verweisen auf eine "Vernewte policeyordnung" Nürnbergs von 1572 (II: 6, 115 f.), im Einleitungstext erfolgt dann ein Verweis auf die Nürnberger Ordnung von 1552 (!?), was schließlich noch auf die Spitze getrieben wird durch die Zeitangabe der "Vernewten policeyordnung" im Titel der Edition selbst mit "1672" (II: 125!). Zum Glück für die Benutzer kann die Verwirrung durch einen Blick auf das beigegebene Titelblatt der Policeyordnung (II: 126) mit recte "1552" aufgelöst werden. Da hat der Tippfehlerteufel wohl massenhaft zugeschlagen. Nur ein ergänzendes Detail vielleicht hinsichtlich der erwähnten Markgrafschaften Ansbach und Kulmbach-Bayreuth: Wüst erwähnt die brandenburgischen Gesetzessammlungen des 18. Jahrhunderts, so etwa das Corpus Constitutionum Brandenburgico-Culmbacensium (CCBC, 1746-1748) sowie das sich auf alle Landesteile Brandenburgs beziehende Novum Corpus Constitutionum Prussico-Brandenburgensium Praecipue Marchicarum (NCC, 1753-1822) (ab 1792 auch für Ansbach und Kulmbach-Bayreuth relevant), den Nachfolger des (hier nicht genannten) Corpus Constitutionum Marchicarum (CCM, 1737-1755). Alle drei Sammlungen sind nun im Internet in digitalisierter Form abrufbar. [3]
Zu Band III vielleicht ein näherer Blick auf das Gebotene zu Salzburg: Ediert werden die "Salzburger Stadt- und Policeyordnung von 1524" (Nr. 6, 191-235) und eine "Empörungsordnung von 1526" (Nr. 7, 235-244); dass beide Ordnungen bereits zuvor ediert worden waren, soll jetzt nicht weiter stören. Bei der Schilderung der Überlieferungssituation des Erzstifts Salzburgs auf gerade einmal 2 Seiten (III: 128-130) verwundert ein wenig die dabei herangezogene Literatur. Dass man etwa nicht die große achtbändige und tausende Seiten umfassende monumentale "Geschichte Salzburgs" [4] beziehungsweise die über 800 Seiten starke "Geschichte der Stadt Salzburg" [5], auch nicht den exzellenten Ausstellungskatalog zu "700 Jahre Stadtrecht" [6] oder den relevantesten Aufsatz zur Salzburger frühneuzeitlichen Legislative von Peter Putzer [7] heranzieht beziehungsweise zumindest erwähnt - die alle beide übrigens eine Fülle von wertvollem Material bieten -, sondern stattdessen allein Friederike Zaisbergers schmale und bloß überblicksartige "Geschichte Salzburgs" (387 Seiten), ist zu bedauern. Das Hochstift Passau trifft es noch schlechter. Mangels einer Schilderung der Überlieferungssituation fehlt wohl auch ein Hinweis auf den einzig relevanten Artikel von Kobler zur abgedruckten Passauer Gerichtsordnung von 1536 (III: Nr. 8). [8]
Die Editionsprinzipien (II: 119-121; III: 133-135) wurden gegenüber dem ersten Band überarbeitet und neu formuliert, dennoch fehlt - wie zuvor - ein genaueres Eingehen auf Spezifika der Edierung von Drucken. Wo dies geschah - beispielsweise hinsichtlich diakritischer Zeichen: "Bei gedruckten Quellen wurde übergeschriebenes 'e' zur Kennzeichnung der Umlaute, soweit nicht anderes vermerkt, durch hochgestelltes 'e' wiedergegeben" (II: 119; III: 134) - findet man allerdings immer noch edierte Quellen gedruckter Provenienz, wo gerade diese spezielle Regel nicht angewendet wurde und auch nichts anderes vermerkt wurde (!), zum Beispiel in Band II bei Nr. 1 (Nürnberg 1572), Nr. 2 (Rothenburg 1685), Nr. 31 (Fränkischer Reichskreis 1572), in Band III bei Nr. 2 (Regensburg 1689), Nr. 19 (Oberpfalz 1534), Nr. 20 (Oberpfalz 1568), Nr. 24 (Reichstagsordnung 1641) und Nr. 25 (Reichstagsordnung 1663). Auch lassen Sätze der Richtlinien wie der, dass "die Unterscheidung zwischen 'i' und 'j', 'u' und 'v' [...] mit wenigen Ausnahmen der Schreibweise des Originals" entspricht, den kritischen Leser ratlos zurück (II: 119; III: 133 f.). Dann realisiert man: Die "wenigen Ausnahmen" sind zumindest fallweise durch Fußnoten kenntlich gemacht, so etwa in Band II in Nr. 20 (Brandenburg-Ansbach 1549) und Nr. 21 (Brandenburg-Ansbach 1566), nicht aber anderswo. Es geht aber noch weiter: "Manche sehr geläufige Abkürzungen ("etc.") [...] blieben als solche erhalten" (II: 120; III: 134), so die Richtlinien. Zumindest beim Titel der Ordnung von 1542 (III/Nr. 14: Bayern 1542) wird das originale "Anno etc. xxxxii" transkribiert mit "Anno 1542"; "etc." gehörte wohl nicht zu den erhaltungswürdigen Abkürzungen und dass lateinische mit arabischen Ziffern dargestellt werden, ist aus den Richtlinien auch nicht ersichtlich. Unterzieht man sich der Mühe, probeweise diejenigen Teile der Edition, die durch beigegebene Abbildungen (zumeist nur das Titelblatt der Ordnungen) überprüfbar sind, zu testen, dann fallen zahlreiche Fehler auf. Sie weisen wiederum auf einige Inkonsequenzen - um nicht zu sagen: Beliebigkeiten - in der Anwendung der eigenen Editionsrichtlinien hin. Dazu kommen noch wirklich erstaunliche Fehllesungen, wie die Transkription von "ambtleuten" anstatt richtigerweise "haubtleuten" (III: 396), "christlichen [...] fursten" anstatt "geistlichen [...] fursten" (III: 397) aber auch - sehr phantasievoll einmal andersrum - "Geistliche policey ordnung" statt "Christliche policey ordnung" (III: 654). [9]
Aber nicht nur die Edition selbst, auch das erstmals in Band III abgedruckte Sachregister - die ersten beiden Bände enthielten keines - lassen Zweifel aufkommen, lautet doch dort die Vorbemerkung: "Das Sachregister (hier Bände I, II) wird bei Fortsetzung der Editionsreihe mit Band III weitergeführt werden" (III: 835). Und tatsächlich: es handelt sich bloß um ein Band I und II kumulierendes Sachregister! Band III fehlt, er soll ja gemäß der Vorbemerkung noch erscheinen.
Editionstechnik sollte keine beliebige Größe darstellen; sorgfältige Editionen kosten sicherlich viel Zeit und Mühe, bleiben dann aber auch für längere Zeit "gültig". Zugegeben, wer am Inhalt der Ordnungen interessiert ist, den wird es weniger stören, wie die edierten Texte aufbereitet wurden, wollte man aber mit den edierten Texten beispielsweise sprachwissenschaftliche Untersuchungen anstellen, wäre dringendst vor der Benutzung der vorliegenden Edition zu warnen. Mein zum ersten Band schon geäußerter Vorwurf des sorglosen Umgangs mit Editionsstandards muss daher leider auch für die Folgebände voll aufrecht erhalten bleiben. Schade! Denn das Projekt an sich ist äußerst verdienstvoll, und das Ziel der Edition, die Präsentation einer Vielzahl bislang meist unbekannter Policeyordnungen aus den genannten Gebieten im Volltext, kann man eigentlich nur begrüßen.
III. Last but not least zum Forschungsband "Gute Policey als Politik im 16. Jahrhundert": Er fasst die Ergebnisse eines in Bern bei Peter Blickle beheimateten, exzellent ausgerichteten Forschungsprojektes zusammen, welches vom Schweizer Nationalfonds gefördert wurde. Der pragmatische Titel verweist auf die etymologische Herleitung des Begriffes aus der aristotelischen "Politeia". "Policey" ist eben formal betrachtet "Politik" und materiell besehen "inhaltlich gemeinwohlorientierte Gesetzgebung mit einer entsprechenden Verwaltung" (VII). Die Besonderheit dieser Politik besteht in der Schaffung von Ordnung durch "gute Policey". Strukturell betrachtet weist sie der Ablösung der mittelalterlichen Herrschaft durch einen sich entwickelnden Gesetzgebungsstaat den Weg. Nach Blickle ist dieser Transformationsprozess von "'Herrschaft' in 'Staat'" vor allem im 16. Jahrhundert anzusetzen und zeigt sich äußerlich vor allem in der normativen Formung eines "öffentlichen Raumes". Territorial wurde der Korridor von Augsburg nach Zürich in den Blick genommen. Die oberdeutsche Landschaft, Gebiete des heutigen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz beinhaltend, bot mit ihrem bunten Herrschaftsmix eine ideale Voraussetzung für vergleichende Studien, umfasste sie doch "weltliche und geistliche Herrschaften, städtische und ländliche Gebiete, katholische, lutherische und reformierte Territorien, fürstliche und republikanisch verfasste Räume" (IX). Nach einem einleitenden Forschungsüberblick von Andreas Hieber (1-24) gliedert sich der Band in drei Abschnitte.
Teil 1 ("Die Landesordnung des Fürststifts Kempten. Edition, Kommentar und Einordnung") enthält eine mustergültige Edition der in neun Handschriften überlieferten Landesordnung des Fürststifts Kempten von 1591 von Peter Kissling, dem Mitherausgeber, gefolgt von einer Reihe von kürzeren Beiträgen, die den sachlichen Inhalt der Landesordnung in Beziehung zur Kemptischen Gesetzgebung setzen (Nora Mathys, Monica di Mattia, Andrea Schüpbach, Daniel Schönmann, Andreas Hieber). Darauf folgend vergleicht Peter Kissling gekonnt das Policeyrecht der Reichsstadt und des Fürststifts Kempten im 16. Jahrhundert. Abschließend skizziert Lucas Marco Gisi den "komplexen Interaktionsprozeß und Rezeptionsprozeß", der zwischen den Policeynormen des Fürststifts Kempten und den reichspoliceylichen Bestimmungen bestand. Deutlich wird, dass die Reichspolicey nicht bloß eingleisig auf die Landespolicey einwirkte, sondern ein sehr viel differenzierteres "wechselseitiges Legitimationsverhältnis" (298) existierte. Blickles einleitendes Diktum, dass es "bislang für kein Territorium des deutschen Reiches im 16. Jahrhundert eine derart akribische Rekonstruktion der Norminhalte von 'Policey', wie sie hier für das Fürststift Kempten vorgelegt wird" (X f.), gegeben habe, kann nur nachdrücklich bestätigt werden.
Der mit "Die Ordnung des öffentlichen Raums durch Policeyen. Regionale und lokale Fallbeispiele" betitelte zweite Teil führt aus Kempten hinaus und erweitert die Quellengrundlage anhand von ausgesuchten Fallbeispielen aus Rettenberg (Philipp Dubach: Policey im Konflikt. Gesetzgebung und Widerstand im hochstiftisch-augsburgischen Pflegamt Rettenberg), Ochsenhaussen (Laurenz Müller: Die Klosterherrschaft Ochsenhausen. Rechtliche Garantien als Grundlage für obrigkeitliche Politik), Glarus und Appenzell (Philipp Dubach: Policey auf dem Lande. Ordnungskonzepte in den Republiken Glarus und Appenzell; Adrian Bürki: Die Wirtschaftspolicey des Landes Glarus im 16. Jahrhundert und Zürich (Arman Weidemann: "Von menschlicher und göttlicher Gerechtigkeit". Zürcher Policeymandate im Spiegel zwinglischer Sozialethik), mit ihren je unterschiedlichen Zugängen. Ohne auf sie im Einzelnen hier eingehen zu können, darf aber doch vermerkt werden, dass alle Studien breite archivalische Basis sowie hohes methodisches und theoretisches Niveau auszeichnet!
Der dritte Teil dreht sich abschließend um "Normative Aspekte der guten Policey". Blaise Kropfs beachtenswerter Beitrag "Der Begriff aus der politischen Theorie - das Konzept aus der administrativen Praxis. Zum Entstehen der police im frühneuzeitlichen Frankreich" scheint das ursprüngliche Untersuchungsfeld Oberschwaben zu sprengen. Doch geht er genau der oft gestellten Frage nach der Herkunft des Begriffs nach, der im spätmittelalterlichen Frankreich wahrscheinlich erstmals durch eine Aristoteles-Übersetzung des Nicolas Oresme auftauchte und dann wohl über Burgund Mitte des 15. Jahrhunderts in den deutschen Raum einsickerte und sich auch bald in Oberschwaben nachweisen lässt. Er beschreibt erstmals und sehr stichhaltig die Entstehung der Police(y) aus der städtischen Praxis Frankreichs, die als normative Reaktion auf zeitgenössische Krisenphänomene gedeutet werden kann und später auch vom normativ erstarkenden Monarchen und dessen Zentralverwaltung übernommen wird. Insofern bietet er die lang vermisste Verbindungslinie zu den verborgenen Wurzeln des Politikkonzepts. In dem Beitrag "Policey der Nachhaltigkeit. Die Policey entdeckt die knappen Ressourcen" beschreibt Peter Kissling anhand Vorarlberger Quellen die Regelungen bezüglich Allmend- und Holznutzung, welche - wenn auch mit unterschiedlichen Zielrichtungen - sowohl obrigkeitlich (Schutz vor Verschwendung) wie genossenschaftlich (Schutz vor Schaden) bestimmt waren. Nachhaltigkeit ist nach Kissling dabei ein "ebenso konservierendes wie planerisches und Planung ermöglichendes Konzept", welches geeignet ist, "die Beschreibung der Policeyordnungen in starren Oppositionen wie konservativ oder zukunftsgerichtet aufzubrechen" (547). Eines der leitmotivisch vorkommenden Elemente stellt auch die umfassende Legitimierung der Policey durch den Verweis auf das "Gemeinwohl" beziehungsweise den "gemeinen Nutzen" dar. Peter Blickle geht dieser Figur in seinem Aufsatz "Beschwerden und Polizeien. Die Legitimation des modernen Staates durch Verfahren und Normen" nach und zeichnet in gewohnt markanter Weise die durch die Policey ausgelösten Strukturveränderungen nach. Was als gemeiner Nutzen angesehen wurde, konnte durchaus zwischen Obrigkeit und den Bürgern / Bauern strittig sein. Die Definitionshoheit behielt letztendlich der Staat, doch wurden die in den Suppliken und Gravamina der Untertanen und Stände vorgebrachten Missstände durch Policeynormen behandelt. "Der Gemeinnutz hatte [...] modernisierend gewirkt und das große Projekt der Staatsbildung aus dem Gesetz, gekleidet in den Begriff der Polizei, verwirklicht, ohne die politischen Eliten, die Fürsten, in ihrer Position ernsthaft zu schwächen. Indem mit den Forderungen der Untertanen auch deren Legitimitätsmuster in der Figur des Gemeinen Nutzens übernommen wurde, konnte die Obrigkeit als eine solche erscheinen, die integrierend tätig geworden war" (567 f.).
Hans Maier, der 1966 mit seinem verdienstvollen politikwissenschaftlichen Werk über "Die ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre" das Feld der Policey und Policeywissenschaft als einer der ersten im deutschen Sprachraum beackerte, beschließt mit seinem resümierenden, die Forschungsgeschichte streifenden Überlegungen zur "Polizei als politische[r] Theorie zu Beginn der Frühneuzeit" den Band. Er plädiert - wie es auch Blickle vorgeschlagen hat - letztendlich dafür, den quellennahen Begriff der "Policey" die Verstaatlichungsprozesse der Frühen Neuzeit erklären zu lassen.
Gesamt betrachtet vereinigt der Sammelband eine ungeheure Fülle an individueller, aber auch gemeinschaftlicher Forschungsleistung, die das frühneuzeitliche Oberdeutschland zu einem der am besten erforschten Gebiete auf der Landkarte der Policey macht. An den gehaltvollen Ergebnissen dieses Bandes kann die Policeyforschung in Zukunft nicht vorbeigehen.
Anmerkungen:
[1] In den sehepunkten ist etwa Band 4 rezensiert worden: Peter Oestmann: Rezension von: Achim Landwehr / Thomas Simon (Hg.): Repertorium der Policeyordnungen der Frühen Neuzeit. Band 4: Baden und Württemberg, Frankfurt a.M.: Klostermann 2001, in: sehepunkte 2 (2002), Nr. 9 [15.09.2002], URL: http://www.sehepunkte.de/2002/09/3573.html
[2] Siehe die bereits zum ersten Band geäußerten Kritikpunkte: Josef Pauser: Rezension von: Wolfgang Wüst: Die "gute" Policey im Reichskreis. Zur frühmodernen Normensetzung in den Kernregionen des Alten Reiches. Bd. I: Der Schwäbische Reichskreis, Berlin: Akademie 2001, in: sehepunkte 2 (2002), Nr. 7/8 [15.07.2002], URL: http://www.sehepunkte.de/2002/07/2186.html
[3] CCBC = http://www.kirchenbuch-virtuell.de (Kulmbach); CCM und NCC = http://altedrucke.staatsbibliothek-berlin.de/Rechtsquellen
[4] Heinz Dopsch / Hans Spatzenegger (Hg.): Geschichte Salzburgs - Stadt und Land, 2 Bde. in 8 Tln., Salzburg 1981-1991 (mit Neuaufl. einzelner Bde.).
[5] Heinz Dopsch / Robert Hoffmann: Geschichte der Stadt Salzburg, Salzburg 1996.
[6] Rainer Wilflinger / Peter M. Lipburger (Red.): Vom Stadtrecht zur Bürgerbeteiligung. Ausstellungskatalog 700 Jahre Stadtrecht, Salzburg 1987.
[7] Peter Putzer: Zur Legislative der frühen Neuzeit im Erzstift Salzburg, in: Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Salzburg (Hg.): Aus Österreichs Rechtsleben in Geschichte und Gegenwart. Festschrift für Ernst C. Hellbling zum 80. Geburtstag, Berlin 1981, 707 ff.
[8] Michael Kobler: Bemerkungen zur Passauer Gerichtsordnung von 1536, in: Ostbairische Grenzmarken 28 (1986), 79-91.
[9] Band II: Bei Nr. 1 (Nürnberg 1572 / Abb. 1 und 2) sind auf 16 überprüfbaren Editionszeilen über 30 Transkriptionsfehler zu vermerken. Die meisten Fehler betreffen gerade die angesprochenen u/v-, i/j-Normalisierungen sowie die nicht angezeigten diakritischen Zeichen. Eine Fußnote hätte hier das Abgehen von den eigenen Kriterien anzeigen müssen! Aber es findet sich auch einmal "kurz" statt richtig "kurtz". Nr. 2 (Rothenburg 1685 / Abb. 3): des / deß; Nr. 16 (Hochstift Würzburg 1664 / Abb. 7): Worms / Wormbs; heiligen / h[eiligen]. Der Titel von Nr. 18 (Hochstift Bamberg 1686 / Abb. 8) mutet zudem durch eine Verdopplung eigenartig verfremdet an: "Die refomirte Policey-Ordnung deß Hochwürdigsten fürsten und herrens, h[errn] Marquard Sebastian, bischoffens zu Bamberg, des Heiligen Römischen Reichs fürsten etc. reformirte policey-ordnung". Diese müsste richtigerweise lauten: "Deß Hochwürdigsten fürsten und herrens, h[errn] Marquard Sebastian, bischoffens zu Bamberg, des Heiligen Römischen Reichs fürsten etc. reformirte policey-ordnung". Bei Nr. 20 (Brandenburg-Ansbach 1549 / Abb. 9a) erkennt man auch nur anhand der Abbildungen 9a und 9b, dass hier eine Handschrift und nicht der vorhandene Druck ediert wurde, trotzdem wieder ein kleiner Fehler innerhalb weniger Worte Text: Brandenburg / Branndenburg. Nr. 21 (Brandenburg-Ansbach 1566 / Abb. 10) nennt im Titel der Edition ein "Tegerndorff", das richtigerweise als "Jegerndorff" aufzulösen gewesen wäre! Die Edition von Nr. 25 (Sachsen-Coburg 1652 / Abb. 12) verkürzt den Titel des Landesfürsten um den "Herrn zu Ravenstein", zudem müsste es "Friederich" statt "Friedrich" und "provisional-verordnung" statt "Provisionalverordnung" lauten, zumindest bei Anwendung der eigenen Editionsrichtlinien. - Band III: Nr. 2 nennt im Titel einen "Johann0 [!] Georg Hofmann"? (Regensburg 1689 / Abb. 4). In Nr. 9 muss es statt "Soll ein gemainem marckht" richtigerweise lauten: "Solle in gemainem markcht" (Berchtesgaden 1618 / Abb. 5). Nr. 13: "pfalntzg[ra]fen" statt richtig "phalntzg[ra]fen"; "ambtleuten" statt "haubtleuten"; "christlichen" statt "geistlichen", "heer" statt "here" (Bayern 1533 / Abb. 6). Nr. 14: "neüerclaerung" statt "neü erclaerung", "leutterung" statt "leütterung", "aufgangner" statt "ausgangner" (Bayern 1542). Im Eingangsabsatz von Nr. 19 fehlt gleich eine ganze Zeile ("Lantsessen / Burgermaistern / Raeten / Burgern /") aus der Aufzählung der Adressaten (Oberpfalz 1534 / Abb.19). Nr. 20: "Römischen" statt "Roemischen", "in" statt "Jn"; im ersten Artikel (615) sind überhaupt so viele Fehler, dass sie an dieser Stelle nicht angeführt werden (Oberpfalz 1568 / Abb. 11). Nr. 21: "Geistliche policey ordnung" statt "Christlicher policey ordnung" (Pfalz-Neuburg / Abb. 12). Nr. 24: "allergnädigsten" statt "allergnaedigsten" (Reichstagsordnung 1641 / Abb. 14). Nr. 25: "höchstansehentlichen" statt "hoechstansehentlichen" (Reichstagsordnung 1663 / Abb. 15).
Josef Pauser