Hans-Markus von Kaenel / Maria R.-Alföldi / Ulrike Peter u.a. (Hgg.): Geldgeschichte vs. Numismatik. Theodor Mommsen und die antike Münze (= Griechisches Münzwerk), Berlin: Akademie Verlag 2004, XIV + 316 S., 49 Abb., ISBN 978-3-05-004042-4, EUR 64,80
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Die Besprechung von Tagungs- oder Kongressakten bereitet stets einige Schwierigkeiten, insbesondere, wenn der Umfang der Besprechung begrenzt ist. Die vorliegenden Kongressakten bilden jedoch eine Ausnahme und erleichtern eine Besprechung. Den Organisatoren, Teilnehmern und Herausgebern ist es nämlich nicht nur gelungen, die im Mai 2003 gehaltenen Vorträge bereits nach einem Jahr vorzulegen, sondern zudem in außergewöhnlicher Weise darauf zu achten, dass sich die verschiedenen Beiträge zu einem runden Bild ergänzen, ohne sich allzu sehr zu überschneiden. Das ist umso bewundernswerter, als zu dem Kongress reine "Fachnumismatiker", reine Althistoriker und einige numismatisch tätige Althistoriker zusammen gekommen sind. Jeder von ihnen bewegt sich mit seinem Beitrag mehr oder weniger deutlich in dem im Titel und in der Einleitung von Hans-Markus von Kaenel (1-4) thematisierten Spannungsverhältnis zwischen der eher antiquarisch orientierten Numismatik, die in erster Linie darauf abzielt, die Münzen zu sammeln, zu beschreiben, zu lokalisieren und zu datieren, und der von Mommsen favorisierten Geldgeschichte, die mit weiterführenden Fragestellungen die Münzen als historische Quelle nutzt.
Mommsens Leistungen als Wissenschaftsorganisator und insbesondere als Initiator des Corpus nummorum beziehungsweise Griechischen Münzwerkes behandeln Stefan Rebenich (5-20), Hans-Markus von Kaenel (21-35), Ulrike Peter (37-54) und Bernd Kluge (57-71) in ihren Beiträgen und setzen dabei jeweils unterschiedliche Schwerpunkte. Rebenich untersucht zunächst die Rolle Mommsens innerhalb der Wissenschaftspolitik der Zeit, von Kaenel und Peter richten ihr Augenmerk auf das Corpus nummorum, die daran beteiligten Personen mit ihren unterschiedlichen Lebenssituationen und die Querelen zwischen den Mitarbeitern über die anzuwendenden Methoden (besonders Hugo Gäbler contra Max L. Strack). Peter weist zudem auf die Schwierigkeiten hin, die dazu führten, dass einzelne Teilbände nicht erschienen, obwohl zum Teil weitgediehene Vorarbeiten vorlagen (zum Beispiel Apollonia in Thrakien, Nachträge zu Band I). Nach einem kurzen Epilog von Maria R.-Alföldi auf das Griechische Münzwerk (55-56) beschäftigt sich Kluge ausführlich mit der bereits von Rebenich angesprochenen Konkurrenz zwischen dem von Mommsen angestrebten Corpus nummorum und der damals von Alfred von Sallet geplanten Publikation der Bestände des Berliner Münzkabinetts - diesmal aus der Sicht des Museums. Die Spannungen zwischen Mommsen und von Sallet sind seines Erachtens dafür verantwortlich, dass Berlin den "angestrebten Part einer ersten Geige im internationalen Konzert der Numismatik nie spielen" (63) konnte. Dieses negative Bild gewinnt weiter an Schärfe durch einen Vergleich mit der erfolgreichen Zusammenarbeit zwischen dem Berliner Münzkabinett und anderen Editionsprojekten der Zeit.
Nach einem Überblick über die britische Numismatik des späten 18. und 19. Jahrhundert von Andrew Burnett (73-90) wendet sich Bernhard Weisser (91-108) dem Thema Mommsen und die antike Münze von einer anderen Seite zu, indem er vor allem die Italienreise Mommsens und seine dort geknüpften Kontakte zu Julius Friedländer behandelt, von dem er wesentliche Impulse für seine numismatischen Forschungen erhielt.
Helmut Schubert (109-129) beschäftigt sich mit dem numismatischen Hauptwerk Mommsens, der "Geschichte des Römischen Münzwesens" (GRM) aus dem Jahr 1860, dessen Inhalt er allerdings relativ unkritisch präsentiert. Einzelnen Aspekten der GRM sowie weiterer numismatischer Forschungen Mommsens widmen sich anschließend eine Reihe von Beiträgen: Michael Crawford (131-138) plädiert für die Echtheit eines singulären, von Mommsen behandelten und mehrfach für falsch erklärten "oskischen" Gold-Staters. Hartmut Leppin (139-147) streicht die Wirkung der nüchternen Behandlung griechischer Münzen durch Mommsen auf das neuhumanistisch geprägte Griechenlandbild heraus. Giovanni Gorini (193-205) konfrontiert die Überlegungen Mommsens zu den vorrömischen Münzen Norditaliens mit neueren Forschungsergebnissen, und Frank Berger (207-214) hebt hervor, dass die aufgrund der Münzfunde von Mommsen vermutete Lokalisierung der Varusschlacht bei Kalkriese nun bestätigt sei.
Wilhelm Hollstein (173-191) betont die Bedeutung Mommsens in Bezug auf die Rekonstruktion der Datierung der republikanischen Münzprägung, weil Mommsen erstmals die noch heute maßgeblichen Methoden und Kriterien formulierte. Hier betätigte sich Mommsen am intensivsten auf dem eigentlichen Gebiet der Numismatik. Die von Mommsen geleistete numismatische Kärrnerarbeit war aber nicht Selbstzweck, sondern diente dazu, eine Grundlage für weiterführende Überlegungen zu schaffen. Hollstein geht nicht zuletzt daher am Ende seines Beitrages auf einige der von Mommsen unter historischen Gesichtspunkten ausgewerteten Münzen näher ein. Auch Hartwin Brandt (149-155) betont den über die reine Numismatik hinausgehenden Blickwinkel Mommsens in Bezug auf die kaiserzeitlichen und spätantiken Münzen, der vor allem geld-, wirtschaftsgeschichtliche und staatsrechtliche Fragen betraf. Der in den Beiträgen von Hollstein und Brandt hervorgehobene geldgeschichtliche Ansatz Mommsens wird von Hans-Christoph Noeske (277-294) nochmals aufgegriffen und mit der von Holger Komnick (265-275) untersuchten Rolle der Metrologie bei Mommsen kombiniert. Noeske gelingt es nicht nur, Mommsen im Kontext seiner Zeit zu verorten, sondern auch mit Hinweis auf sechs neue Arbeiten die Bedeutung des von Mommsen vertretenen Ansatzes deutlich zu machen. In gewisser Weise bietet Noeske damit eine Zusammenfassung und einen Ausblick. Dieser Ausblick wird ergänzt durch die Überlegungen von William Metcalf (285-302), die gleichsam zu den Beiträgen vom Anfang des Bandes zurückführen. Metcalf fragt sich nämlich, auf welchen numismatischen und geldgeschichtlichen Feldern sich Mommsen heute tummeln würde, und betont dabei neben "Roman Provincial Coinage" die nicht zuletzt aufgrund leerer öffentlicher Mittel zunehmende Bedeutung des Münzhandels, mit dem der Wissenschaftsorganisator Mommsen heute vielleicht eng zusammenarbeiten würde.
Im Gegensatz zu den genannten Beiträgen, die relativ Mommsen-freundlich gehalten sind, üben Johannes Nollé (237-246) und Reinhard Wolters (247-263) zum Teil fundamentale Kritik. Nollé bemängelt, dass Mommsen in Bezug auf die städtischen Prägungen nicht nur falsche Vorstellungen von den rechtlichen Verhältnissen hatte, sondern auch deren Typenvielfalt und Wert für die Lokalgeschichte völlig unterschätzt habe, was letztlich auch zu den falschen Vorstellungen von dem für das Corpus nummorum notwendigen Arbeitsaufwand geführt habe. Wolters befasst sich mit einem der zentralen Aspekte des Kolloquiumsthemas, der Dyarchiethese Mommsens. Nach einem knappen Überblick über die einschlägigen Überlegungen zu der Frage, ob aus dem Vorkommen des SC auf nahezu allen Ausprägungen der Kaiserzeit mit Mommsen auf eine Aufteilung der Zuständigkeiten für die Münzprägung zwischen Kaiser und Senat geschlossen werden könne, wendet er sich der Frage der Finanzverwaltung, insbesondere dem Verhältnis aerarium-fiscus, zu und betont, dass die von Augustus in Lyon eröffnete Münzstätte durch sein imperium gedeckt gewesen sei und nicht auf eine Teilung von Zuständigkeiten hinweise. Dass die mit der Dyarchiethese verbundenen Fragen noch nicht abschließend geklärt sind, zeigt der Überblick Wolters' über anstehende Fragen (260-262).
Ein wenig aus dem Rahmen fallen die Beiträge von Wilfried Nippel (215-228), der sich mit der problematischen Methodik in Mommsens "Römischem Staatsrecht" befasst, und Klaus Bringmann (157-171), der Mommsens "Römische Geschichte" in ihrem historischen Kontext verortet, auch wenn zumindest das "Römische Staatsrecht" durch den Beitrag von Maria R.-Alföldi zur Verwendung von Münzen und Geld im "Staatsrecht" sowie im "Strafrecht" (229-236) an das eigentliche Thema, nämlich Mommsen und die antike Münze, angegliedert wird.
Die meisten Beiträge beleuchten die Frage, welche Rolle antike Münzen in den Forschungen und wissenschaftsorganisatorischen Bemühungen Mommsens zukam, erfrischend vielfältig. Insbesondere die unterschiedliche Beurteilung Mommsens in Bezug auf das Corpus nummorum durch von Kaenel und Kluge lässt Mommsen als eine Persönlichkeit mit Visionen und vielen Kanten zu Tage treten. Auch die von unterschiedlicher Seite betonten wegweisenden Ansätze und Überlegungen der GRM, die durch zum Teil fundamentale Kritik ergänzt werden, deuten in diese Richtung. Umso bedauerlicher ist es, dass neben dem GRM andere numismatische Studien nur relativ kurz oder überhaupt nicht behandelt wurden. Insbesondere eine stärkere Berücksichtigung des 1850 erschienenen Werkes "Über das römische Münzwesen" wäre wünschenswert gewesen. Aber auch so sind die vorliegenden Tagungsakten ein interessanter und wichtiger Beitrag zum Verständnis Mommsens und seiner Zeit.
Peter Franz Mittag