Gudrun Bischoff: Das De Mayerne-Manuskript. Die Rezepte der Werkstoffe, Maltechniken und Gemälderestaurierung (= Institut für Museumskunde an der Staatlichen Akademie der Bilden Künste Stuttgart. Weisse Reihe; Bd. 20), München: Anton Siegl 2004, 327 S., ISBN 978-3-935643-10-8, EUR 29,80
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Théodore Turquet de Mayerne (1573-1655), von 1611 bis 1649 Leibarzt des englischen Königs, stellte eine umfangreiche Sammlung von kunsttechnischen Rezepten und Anweisungen zusammen, die er aus der Lektüre älterer Traktate und Werkstattbücher, aber auch aus zahlreichen Ateliergesprächen mit den Künstlern im Umkreis des Hofes gewonnen hatte - unter anderem Rubens, van Dyck, Mytens und van Somer, weshalb das so genannte de Mayerne-Manuskript auch als wichtigste Quelle der flämischen und niederländischen Maltechnik des 17. Jahrhunderts gilt.
Dieses Manuskript, überwiegend in Französisch abgefasst und im British Museum unter der Bezeichnung "Sloane 2052" aufbewahrt, war zuerst von Ernst Berger vollständig transkribiert und 1901 nebst Übersetzung in seinen "Quellen für Maltechnik während der Renaissance und deren Folgezeit (Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Maltechnik; 4)" herausgegeben worden. Edition und Übersetzung sind im deutschen Sprachraum heute noch gültig und liegen in einem fotomechanischen Nachdruck von 1988 vor, der allerdings auf Grund der Verkleinerung schlecht lesbar ist.
Die Verfasserin hat denn auch die Berger'sche Übersetzung zur Grundlage ihrer Edition gemacht, allerdings mit dem Ziel, die unübersichtliche bisherige Textgestalt durch eine systematischen Neugliederung zu ersetzen, um die Rezeptsammlung "besonders für Restauratoren und Kunsthistoriker leichter nutzbar zu machen" (12).
Die Rezepte sind nunmehr in drei Teilen angeordnet: Werkstoffe, Maltechniken und Konservierung/Restaurierung. Tatsächlich gewinnt der Text dadurch jenen transparenten Handbuch-Charakter, der ihm im Original fehlt, womit der Hauptzweck der Neuedition erreicht ist.
Die Aufspaltung des ursprünglichen Textes bringt aber nicht nur Vorteile mit sich: Zwar lässt sich jedes Rezept durch seine Seitenzahl und Nummer im Manuskript sowie die Seitenzahl in Bergers Edition in den Gesamtzusammenhang einordnen - aber Rezeptgruppen, die im Manuskript unter einer Nummer firmieren, werden nun getrennt und auf verschiedenen Seiten abgedruckt, wodurch ihre Reihenfolge unkenntlich wird (etwa Nummer 328: 74 und 222, oder Nummer 7: 145 und 159); zusammenhängende Konvolute, die nach Bergers Zeugnis von de Mayerne hintereinander abgeschrieben wurden, lassen sich nicht mehr rekonstruieren (etwa Nummer 1-19), und wenn vom fetten Öl, das in der Sonne "wie oben angegeben" gebleicht wurde, die Rede ist (Nummer 326: 197), so fehlt in der neuen Ordnung die angegebene Stelle. De Mayernes Textanordnung ist zwar häufig zufällig, dennoch enthält sie zusätzliche, etwa chronologische Informationen, die jetzt verloren gehen. Hier wäre also eine Konkordanz angebracht gewesen, die den Zusammenhang des Manuskripts wiederherstellt. Auf Grund des Gesagten bleibt es nötig, entgegen der Empfehlung Bischoffs (11), Bergers Edition neben der neuen zu Rate zu ziehen.
In zweiundzwanzig Fällen gelingt es der Autorin, auf Unstimmigkeiten von Bergers Übersetzung hinzuweisen beziehungsweise diese zu korrigieren. Andere Passagen werden in Fußnoten erläutert und mit anderen Quellen verglichen. Hierzu zieht sie die einschlägige Fachliteratur sowie die fremdsprachigen Editionen des Manuskripts (van de Graaf 1958, Faidutti/Versini 1965, Rinaldi 1995) hinzu. Zahlreiche maltechnische Forschungen der letzten Jahrzehnte, die sich teilweise auch ausführlich mit den Angaben de Mayernes befassen, werden nicht berücksichtigt. Dies möglicherweise mit Bedacht, weil eine Auswertung aller Aspekte wohl tatsächlich nur im Zuge einer Neuübersetzung, die sich auf das Original im British Museum stützen müsste, sinnvoll erscheint. Eine solche Neuedition, die den Forschungsstand berücksichtigen und den Spagat zwischen umfassender Texttreue und Übersichtlichkeit bewältigen müsste, steht nach wie vor aus und war ihm Rahmen der Diplomarbeit der Autorin, die dem vorliegenden Buch zu Grunde liegt, nicht zu leisten.
Ein Glossar heute teilweise ungebräuchlicher Begriffe, Personen- und Literaturverzeichnis sowie ein ausführliches Sachregister beschließen den Band - ein Apparat, wie er ähnlich bereits von Berger, aber auch van de Graaf zur Verfügung gestellt wurde.
Abschließend sei auf Folgendes hingewiesen: Ernst Berger hat seine Übersetzung später teilweise neu diskutiert und in einigen Fällen korrigiert - und zwar im 11. Jahrgang (1914/15) der von ihm herausgegebenen "Münchner kunsttechnischen Blätter". Damit wären auch einige Stellen in Bischoffs Edition aufzuhellen gewesen: So Rezept 11 (220), wo Berger statt "helles Venetianisches Terpentinöl" nun "helles Terpentinöl [und venetianisches Terpentin]" übersetzt, indem er darauf verweist, dass man das bloße Terpentinöl nicht im Wasserbad schmelzen müsse, weshalb offenbar eine Mischung des als "Venetianer Terpentin" bezeichneten Balsams und des Lösemittels Terpentinöl gemeint gewesen sei. Durch einen Abschreibirrtum sei de Mayerne diese Unterscheidung verloren gegangen. Berger führt im Folgenden zahlreiche Beispiele aus dem Manuskript an, in denen Harze und Balsame in flüchtigen Ölen gelöst werden - offenbar eine gebräuchliche Firniszubereitung jener Zeit. Damit fällt allerdings auch neues Licht auf Rezept 106 (163), wo ein befremdliches Gemisch dreier Lösungsmittel (Terpentin-, Lavendelöl und Petroleum) ohne nichtflüchtige Bestandteile als Firnis "für kleine Ölgemälde" empfohlen wird: mit gleichem Recht ließe sich nun vermuten, de Mayerne habe auch hier das Terpentin selbst vergessen - oder als selbstverständlichen Bestandteil vorausgesetzt, zumal Rezept 101 (195) genau diese Zusammensetzung angibt. - Auch hinsichtlich der von Bischoff konstatierten Inkonsequenz, "Charabé" beziehungsweise "Carabé" mit Kopal zu identifizieren, es aber meist mit Bernstein zu übersetzen, korrigierte sich Berger später zu Gunsten des Kopals (wenngleich mit Fragezeichen) - schwerwiegend genug, da Kopallacke im Allgemeinen erst für das 18. Jahrhundert in der Malerei quellenschriftlich nachweisbar sind. - Schließlich bietet van de Graaf im Kommentar seiner Edition eine Lösung für das Übersetzungsproblem, das Bischoff anlässlich der bei de Mayerne unsicheren Begriffe "Zinnweiß" und "Wismutweiß" erörtert (23f.): im 17. Jahrhundert sind Verwechslungen von Wismut mit anderen Metallen mehrfach nachweisbar, weshalb der Text de Mayernes eigene Unsicherheit (oder die seiner Gewährsleute) spiegeln könnte.
Diese Einwände schmälern allerdings nicht das Verdienst der Autorin, eine Version der Quellenschrift hergestellt zu haben, die tatsächlich ein leicht zu handhabendes Hilfsmittel für alle diejenigen darstellt, die sich rasch der maltechnischen Angaben versichern wollen und auf textkritische Feinheiten verzichten können.
Albrecht Pohlmann