Hilmar Dreßler: "Nach Analogien zu denken ist nicht zu schelten". Studien zu Farbe und Ton in Goethes naturwissenschaftlichem Denken - nebst eigenen Paralipomena, Jena: Glaux 2005, 167 S., ISBN 978-3-931743-85-7, EUR 22,00
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Der Musikpädagoge und Goetheforscher versammelt in diesem Band Arbeiten zur Farbe-Ton-Beziehung bei Goethe und kleinere Texte vermischten Inhalts, die in diesem Zusammenhang nicht besprochen werden können.
In vier größeren Arbeiten legt der Autor Goethes Gedanken zum Zusammenhang von Farben und Tönen dar. Die Darstellung dieser Ideen beleuchtet nicht nur wesentliche Züge von Goethes Denken, sondern von dem seiner Epoche überhaupt. In der Suche nach Ganzheit, nach dem einen Prinzip, aus dem sich die verschiedensten Erscheinungen der Natur und der Kunst ableiten lassen, sind sich erkenntnistheoretisch so gegensätzliche Denker wie Novalis und Goethe verwandt - eine Beziehung, der Dreßler einen eigenen Aufsatz widmet (Goethes Studien zum Verhältnis "Farbe-Ton" mit vergleichendem Blick auf Novalis, 47-63). Allein schon wegen dieser dichten Darstellung des Themengebiets sind diese Aufsätze lesenswert.
Problematisch erscheint mir Dreßlers Darstellung aber dort, wo er versucht, Goethes Analogien von Ton und Farbe anhand von späteren naturwissenschaftlichen Erkenntnissen zu rechtfertigen. In "Goethes Ansätze für eine Analogie von Farbe und Ton und deren Bestätigung aus heutiger Sicht" (7-18) - dem grundlegenden Text der Aufsatzsammlung - wird zunächst Goethes Annahme vorgestellt, Farbe und Ton ließen "sich auf eine höhere Formel beziehen [...], aus einer höhern Formel beide, jedoch jedes für sich, [sich] ableiten." (7) Goethe konkretisiert die Beziehung, wenn er die Tongeschlechter Dur und Moll mit den Farben der "Plusseite (Lichtfarben, aktiv)" und der "Minusseite (Schattenfarben, passiv)" vergleicht. Dreßler verweist dann auf die Erkenntnisse des späteren 19. Jahrhunderts (Maxwell, Hertz), wonach Licht- und Tonwellen nur Abschnitte aus dem Kontinuum des elektromagnetischen Spektrums sind. Hierin sieht Dreßler offenbar den übergreifenden Zusammenhang zwischen Farben und Tönen, den Goethe noch nicht kennen konnte. Die Konsequenz aus diesem Ansatz ist, die Verhältnisse der Schwingungszahlen von Spektralfarben mit denen der C-Dur-Tonleiter zu vergleichen: Sie erscheinen in Dreßlers Zusammenstellung annähernd gleich. Im Gegensatz zu der gängigen Ansicht, diese Übereinstimmung sei zufällig, postuliert Dreßler: "Nur muß in konsequenter Verfolgung der goetheschen Analogieansätze [...] die Zufälligkeit dieser Übereinstimmung eben verneint werden und einer zwingenden Notwendigkeit den Platz räumen." (15) Aus einem deutlichen Gefühl, dass ihm wohl viele seiner Leser nicht folgen werden, führt Dreßler im Folgenden fünf Argumente gegen seine These an, die er zu entkräften versucht.
Aber aus der Tatsache, dass es sich bei Farben und Tönen gleichermaßen um elektromagnetische Wellen handelt, kann nicht gefolgert werden, dass zwischen Ton- wie Farbwellenarten ähnliche gesetzmäßige Zusammenhänge walten müssten - denn für die Wahrnehmung ist dieser Zusammenhang unwesentlich, rufen doch die Wellen dieser sehr unterschiedlichen Längenbereiche auch sehr unterschiedliche Sinneseindrücke hervor. Unter dem Aspekt der Wahrnehmung bedeuten die Wellenbereiche nicht einfach nur Dinge gleicher Qualität und lediglich unterschiedlicher Quantität, sondern sie wirken qualitativ vollkommen unterschiedlich. Daraus ergeben sich etwa in der Farbskala Eigenheiten, für die sich beim besten Willen keine Analogien unter den Tönen finden lassen - wie etwa die von Rot nach Gelb ansteigende, nach Violett abfallende Eigenhelligkeitskurve oder die "Purpurlücke" im Spektrum.
Schließlich müssen in diesem Zusammenhang die Werte überprüft werden, die Dreßler als Wellenlängen der sieben Spektralfarben - und damit als Berechnungsgrundlage für die Schwingungszahlen - angibt: Diese sind keineswegs so unverrückbar, wie des Autors Tabelle suggeriert (15), sondern variieren. Tatsächlich zeigt das Spektrum Farbbereiche, deren Abgrenzung untereinander schwierig, weil subjektiv bleibt, und Bandbreiten, innerhalb derer die Unterscheidung einzelner Farbtöne schwer fällt. Jörg Jewanski hat in seiner grundlegenden Arbeit zur Farbe-Ton-Beziehung die Differenzen dargestellt, die sich hierbei in maßgeblichen farbtheoretischen Arbeiten des 20. Jahrhunderts ergeben [1]: So bewegen sich die Grenzen des als "Rot" definierten Wellenbereiches zwischen 620 und 650 nm als Beginn, zwischen 700 und 780 nm als Ende - während Dreßler mit 750 nm an den äußersten Rand rücken muss, damit seine Rechnung aufgeht. Die Bereiche, die einzelne Farben im Spektrum einnehmen, sind zudem unterschiedlich groß - Rot etwa nimmt einen derart großen Anteil ein, dass beim Aneinanderlegen von Farb- und Tonskala mehrere Töne in dessen Bereich fielen.
Somit lässt es der gegenwärtige Erkenntnisstand nicht zu, der synästhetischen Lieblingsidee eines originären, objektiven Zusammenhangs von Ton- und Farbverhältnissen zu folgen. Allerdings: Die suggestive Vorstellung einer Verbindung mit der Klangwelt ist in der bildenden Kunst nicht anders als in der Dichtkunst immer wieder fruchtbar gewesen - im Sinne eines produktiven theoretischen Irrtums, oder auch völlig unbekümmert darum, ob es sich um einen tatsächlich objektivierbaren Zusammenhang handelt. Quasi-musikalische Strukturen in Bildern und Filmen lassen sich ebenso wenig wie impressionistische Klangmalereien per se verwerfen, weil sie naturwissenschaftlich nicht zu begründen sind - im Gegenteil gestattet der Import gattungsfremder Gestaltungsprinzipien häufig die Befreiung von zu eng gewordenen Konventionen. Angesichts der Tatsache, dass auf diese Weise offenbar mitunter widersprüchliche, jedoch überzeugende Kunstwerke zustande gekommen sind, erscheint die Suche nach physikalischen Begründungen überflüssig. Wohl besteht ein Zusammenhang im Psychischen, im offenbar starken Bedürfnis nach Analogien - nicht aber in vermeintlichen Analogien in der Natur.
Für das Verstehen von Kunstwerken ist die Untersuchung der Farbe-Ton-Beziehungen demzufolge oft nützlich, unter welchem Aspekt auch die folgenden Aufsätze des Sammelbandes gelesen werden können. Zunächst eine Darstellung der "Farbe-Ton-Analogien im Historischen Teil von Goethes Farbenlehre" (19-32), die vor allem referiert und auf einen historischen Kommentar ganz verzichtet. Sehr weit gehende und interessante Versuche bleiben so unerwähnt, weil deren Autoren nur durch den Filter von Goethes Urteil wahrgenommen wurden. Stellvertretend sei hier Johann Leonhard Hoffmann (1740-1816) genannt, der seine Farbharmonielehre zwar sehr unmittelbar auf die Musiktheorie stützt, dabei aber als Maler praxisorientiert bleibt und mit seinen Erkenntnissen über die Kontraste seiner Zeit weit vorauseilt [2], wovon Dreßler nichts mitteilt. Der folgende Aufsatz (33-46) über die "Klangfiguren" beziehungsweise "Farbfiguren" der Physiker Ernst Chladni (1756-1824) und Thomas Johann Seebeck (1770-1831) behandelt eine weitere Analogie Goethes, der beide Forscher und ihre Entdeckungen kannte. Es drängt den Autor wiederum, diese Analogie mithilfe moderner Wissenschaft zu erhärten, freilich ohne den Argumenten des ersten Textes neue hinzuzufügen. Ein unvermittelt angehängter kunsthistorischer Exkurs versucht, Bildstrukturen klassizistischer und romantischer Gemälde mit musikalischen Strukturen der Zeit in Verbindung zu setzen - die kurzatmigen, summarischen Bildanalysen enden leider häufig in Gemeinplätzen ("Vordringen in tiefste Seelenbereiche", "der Glanz der äußeren Erscheinung tritt hier zu Gunsten einer tiefen Verinnerlichung zurück" - 41f.). So problematisch ein solcher Versuch immer bleibt - er müsste sich auf ein subtileres Instrumentarium stützen, als es hier auf die bildende Kunst angewendet wird.
Im Zusammenhang dieses Journals ist schließlich ein Aufsatz zum Verhältnis von Kunst und Wissenschaft interessant, von Dreßler am Beispiel des vielseitigen Chemikers Wilhelm Ostwald (1853-1932) dargestellt (81-97). Dankenswerterweise folgt der Autor nicht dem immer noch geläufigen Verdammungsurteil, welches Teile der zeitgenössischen Künstlerschaft und Kunstgeschichte über Ostwalds Arbeiten zur Farbenlehre gefällt hatten - Dreßler versucht im Gegenteil, Ostwalds szientistischer Ästhetik kritisch gerecht zu werden und seine wissenschaftlichen Untersuchungen der künstlerischen Mittel (Farben, Töne) als Beitrag zur Annäherung von Kunst und Wissenschaft zu verstehen. Irritierend sind freilich Sätze wie dieser: "Goethe und Beethoven [...] schöpften dank ihrer genialen Veranlagung aus sich selbst und bedurften keiner wissenschaftlichen Nachhilfe." (88f.) Der zweite Teil des Satzes ist akzeptabel, insofern damit gönnerhafte "Nachhilfeversuche" gemeint sein sollten, wie sie auch Ostwald gelegentlich unterliefen. Aber die Mittel der Kunst haben sich mit den Wissenschaften entwickelt, und die Kunst jeder Epoche reflektiert - wie vermittelt auch immer - deren jeweiligen Stand. Auch das "Genie" fußt auf der Arbeit seiner Vorgänger aus Kunst und Wissenschaft - was heißt also "aus sich selbst"?
Wie überhaupt die meisten Arbeiten des Sammelbandes entweder immanent argumentieren, also innerhalb der Auffassungen der Goethezeit, oder neuere Begriffe verwenden, denen bereits seit der Benjamin-Rezeption der Sinn abhanden gekommen ist: "das reine Künstlertum" (85), "Ausschaltung des Seelenhaft-Organischen" (86), "dem Genie innewohnende Gesetzmäßigkeit" (90).
Nichtsdestotrotz ist das Buch lesenswert - und sei es, weil es zur kritischen Lektüre und damit zur Reflexion der Farbe-Ton-Beziehung animiert.
Anmerkungen:
[1] Jörg Jewanski: Ist C = Rot? Eine Kultur- und Wissenschaftsgeschichte zum Problem der wechselseitigen Beziehung zwischen Ton und Farbe. Von Aristoteles bis Goethe, Berlin 1999, 554ff.
[2] Andreas Schwarz: Die Lehren von der Farbenharmonie. Eine Enzyklopädie zur Geschichte und Theorie der Farbenharmonielehren, Göttingen / Zürich 1999, 102-112, 319-324.
Albrecht Pohlmann