Laura Resenberg: Zinnober - zurück zu den Quellen, München: Anton Siegl 2005, 115 S., ISBN 978-3-935643-30-6, EUR 19,80
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Die Autorin weist in der Einleitung darauf hin, dass einige wenige grundlegende kunsttechnologische Arbeiten zum Künstlerpigment Zinnober bis heute Geltung beanspruchen können und deshalb immer wieder zitiert werden.
Das Neue ihrer Arbeit besteht darin, eine wesentlich breitere Quellenbasis ausgewertet zu haben, als dies alle bisherigen Autoren getan haben. Dazu gehören Werke über "Bergbau, Mineralogie, Chemie und Manufakturwesen", die Auskunft über den natürlichen Zinnober (Bergzinnober) und seine Fundorte geben, ebenso wie über die verschiedenen Herstellungsverfahren des künstlichen Zinnobers. Aus Handelsbüchern, Messekatalogen und Reiseberichten lassen sich Handel und Transportwege rekonstruieren. Hierzu wird reichhaltiges historisches Kartenmaterial hinzugezogen. Verkaufsmodalitäten und Preise erschließen sich über Warenlexika und Apothekentaxen. Mit letzteren hat das Münchener Doerner-Institut seit einigen Jahren eine bisher unbeachtete Quellengattung erschlossen, die im so genannten "Münchner Taxenprojekt", an dem die Autorin mitgewirkt hat, systematisch ausgewertet wird. Vorangestellt ist dem Text denn auch eine weitere Arbeit aus diesem Projekt: "Zinnober im Spiegel von Apothekenlisten" von Andreas Burmester, Ursula Haller und Christoph Krekel (7 ff.) - Aus all diesen Quellen wird erstmals der Weg des Zinnobers von seinem Ursprung bis zum Künstler rekonstruiert. Die maltechnische Verwendung des Pigments schließlich wird anhand der kunsttechnologischen Literatur gezeigt.
Die Autorin hat ihr Thema klug nach mehreren Seiten eingegrenzt, sodass der kritische Leser kaum etwas vermissen könnte. Obere zeitliche Grenze ihrer Nachforschungen ist das Ende des 19. Jahrhunderts, die industriellen Verfahren der Zinnoberproduktion im 20. Jahrhundert werden nicht berücksichtigt. Ausdrücklich ausgeklammert bleiben auch das immer wieder beobachtete Phänomen der Zinnoberschwärzung, seine Erforschung und Behebung sowie die Verwendung des Zinnobers außerhalb der Malerei. Die alchemistischen Implikationen des Themas, wie sie etwa von Ganzenmüller (1956), in jüngerer Zeit von Elkins (1999) dargestellt wurden, liegen zwar ebenfalls außerhalb der vorliegenden Studie, werden jedoch anhand alchimistisch geprägter Herstellungsrezepte gestreift (besonders 51 f.). Schließlich konnte im Rahmen der Untersuchung - es handelt sich um eine Diplomarbeit an der TU München - "nur eine begrenzte Menge an historischen Schriften ausgewertet werden" (17), die im Wesentlichen aus dem deutschen Sprachraum stammen. Dessen ungeachtet ist die Materialbasis imponierend breit und mehr als ausreichend für den Zweck der Arbeit. Vergleichsweise wenig beachtet wurden die naturwissenschaftlichen Periodika, Handbücher und Lexika, die seit dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts in wachsender Zahl erscheinen - hier hätten sich weitere Quellen vor allem zur Zinnoberherstellung finden lassen.
Auf allgemeine Erläuterungen zu Entstehung und Abbau des natürlichen, des "Bergzinnobers", folgt ein umfangreiches Kapitel über "Zinnobervorkommen und Quecksilberbergwerke in Europa" (26 ff.), welches außer einem bedeutenden Fundort in Spanien nur Lagerstätten "innerhalb der Grenzen des Deutschen Reiches des 16. Jahrhunderts und des Habsburger Reiches des 18. Jahrhunderts" (27) aufführt. Das anschließende Kapitel über synthetischen Zinnober (45 ff.) beginnt die Autorin mit der Feststellung: "Die synthetisch hergestellten Zinnobersorten hatten einen weit größeren Anteil als Künstlerpigment im Handel, als bisher angenommen." Hauptgrund war der hohe Preis des natürlichen Zinnobers sowie der große Aufwand, der für seine Aufbereitung nötig war. Die Leuchtkraft des synthetischen Zinnobers war dennoch größer. Auch dessen Herstellung war auf die Zinnober- und Quecksilberbergwerke als Rohstoffquellen angewiesen, so bestanden etwa die einfachsten Verfahren in einer Sublimation natürlich vorkommenden Quecksilbersulfids, wodurch dieses in seine rote Modifikation umgesetzt wurde. In äußerst instruktiver Weise bringt die Autorin die große Vielfalt der Herstellungsmethoden in eine überschaubare Ordnung.
Sehr ausführlich widmet sich der folgende längere Abschnitt (78 ff.) der Geschichte der Zinnoberproduktion in Idria im heutigen Slowenien, wo sich "die größten und ergiebigsten Zinnobervorkommen Mitteleuropas" befanden. Anhand ausführlicher Beschreibungen und zahlreicher Abbildungen gelingt hier eine anschauliche Darstellung der Zinnoberfabrikation, wie sie in Idria bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts üblich war. Der "Handel mit Zinnober" (87 ff.) beleuchtet schließlich den kunsthistorisch ergiebigen Aspekt des Themas: Wie gelangten welche Produkte zu den Künstlern? Die detaillierte Rekonstruktion von Transportwegen führt über Orte, wo der Zinnober gehandelt worden sein könnte, zu bekannten Umschlagplätzen wie Venedig, wo der Zinnober aus Idria über das Handelshaus der Deutschen (Fondaco dei Tedeschi) vertrieben wurde. Über "Märkte und Messen" (91 f.) gelangte das Pigment an die Händler, unter anderem auch an Apotheker, von denen die Maler bis in das 19. Jahrhundert hinein einen Teil ihrer Materialien bezogen. Der Abschnitt "Historische Einzelhändler von Zinnober" (93) untersucht diese besondere Rolle der Apotheker, neben denen allerdings auch "Materialisten" und "Specereyhändler" Farbmittel im Angebot hatten. "Völlig auf Malmaterialien spezialisierte Händler lassen sich zwar vereinzelt seit mindestens 1503 nachweisen, jedoch lediglich in Städten, die für Künstler und die Kunst Bedeutung hatten, wie Venedig." Im 17. Jahrhundert finden sich spezialisierte Farbengroßhändler, etwa in Amsterdam, aber noch lange werden Pigmente über die genannten Händlergruppen an Künstler verkauft.
Die abschließende Behandlung der maltechnischen Verwendung des Zinnobers (94 ff.) ist vergleichsweise knapp ausgefallen. Auch hier erfährt der Leser interessante Details zur Aufbereitung des Pigments zur Malfarbe durch die Künstler selbst, die bewusste Weglassung der gesamten Problematik der Zinnoberschwärzung führt allerdings dazu, dass wichtige maltechnische Hinweise, wie sie sich in den Malerhandbüchern bis zu Bouvier und den Autoren des frühen 20. Jahrhunderts finden lassen, vollständig fehlen.
Die vorliegende Arbeit führt eine Menge neuer Quellen an, nennt bisher unbeachtet gebliebene Fund- und Produktionsstätten und bietet Erhellendes zu Handelsrouten und Vertrieb des von der Antike bis ins frühe 19. Jahrhundert wichtigsten Rotpigments in der Malerei. Dies allein ist schon Verdienst genug. Mit der Auswertung von Quellentypen, die in diesem Zusammenhang bisher nicht oder wenig beachtet wurden, zeigt die Arbeit überdies neue Wege der materialtopografischen Forschung auf, die für alle kunsthistorischen Untersuchungen, die technische Details berücksichtigen, von wachsender Bedeutung ist.
Albrecht Pohlmann