Folker Reichert / Eike Wolgast (Hgg.): Karl Hampe. Kriegstagebuch 1914-1919 (= Deutsche Geschichtsquellen des 19. und 20. Jahrhunderts; Bd. 63), München: Oldenbourg 2004, 1020 S., ISBN 978-3-486-56756-4, EUR 118,00
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Eike Wolgast (Hg.): Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts. Zweiundzwanzigster Band: Nordrhein-Westfalen II. Das Erzstift Köln. Die Grafschaften Wittgenstein, Moers, Bentheim-Tecklenburg und Rietberg. Die Städte Münster, Soest und Neuenrade. Die Grafschaft Lippe (Nachtrag), Tübingen: Mohr Siebeck 2017
"So ist denn heute wirklich der Weltkrieg entbrannt! An der Grenze das erste Geplänkel zwischen Russen und Deutschen, das aus der Mobilmachung den Krieg gemacht hat." Mit diesen Sätzen beginnt der Heidelberger Mediävist und Geschichtsprofessor Karl Hampe (1869-1936) am 2. August 1914 (97) - einen Tag nach der deutschen Kriegserklärung an Russland - sein fortan täglich geführtes privates Tagebuch, dessen Eintragungen bis zum 29. Juni 1919 - dem Tag nach der Unterzeichnung des Versailler Vertrags - reichen. Aus dem "Kriegstagebuch", wie Hampe seine Aufzeichnungen zu Beginn des Weltkriegs ausdrücklich bezeichnet, wird schließlich ein "Kriegs- und Revolutionstagebuch". Den täglichen Eintragungen schließen sich wöchentliche Rückblicke und ein resümierender Sammeleintrag vom 14. März 1920 an. Der Text endet mit der Schilderung des Kapp-Lüttwitz-Putsches, den der Heidelberger Ordinarius mit seiner Familie in Frankfurt am Main erlebte.
Hampes "Kriegstagebuch" ist weder eine literarische Schilderung noch ein geschichtsphilosophischer Traktat des "Großen Krieges". Der Historiker und Zeitzeuge vermerkt die politischen und militärischen Ereignisse ebenso wie die alltäglichen Begebenheiten der Kriegsjahre ohne jeden stilistischen Anspruch; er formuliert mit geradezu buchhalterischer Nüchternheit und er spart dabei nicht mit polemischen, gelegentlich sogar sarkastischen Kommentaren. Hampe sieht sich als pflichtbewusster Chronist einer - wie die Herausgeber treffend anmerken - zunächst "großen", sodann dramatischen und schließlich tragischen Zeit. Doch sein Augenmerk gilt nicht nur Krieg und Politik, sondern ebenso dem Umgang mit Kollegen und Studenten, dem Familienleben und der Kindererziehung, den Versorgungsengpässen sowie der kulturellen Betätigung unter den Bedingungen eines auch in der Heimat stets präsenten Krieges. Auf diese Weise erhalten wir ein höchst authentisches und zugleich sehr anschauliches Bild vom bildungsbürgerlichen und akademischen Alltag in Deutschland in der Zeit des Ersten Weltkriegs.
Karl Hampes Engagement an der Heimatfront des Weltkrieges war vielfältig: er betätigte sich zeitweise als Krankenträger in einer lokalen Sanitätskolonne und übernahm Unterrichtsstunden an einem Heidelberger Gymnasium, um die eingezogenen Lehrer zu ersetzen. Der politisch "national" und zugleich liberal-konservativ eingestellte Hochschullehrer zeichnete sämtliche neun Kriegsanleihen und war ein eifriger Schreiber von patriotischen Texten und Leserbriefen, die er an verschiedene deutsche Tageszeitungen sandte. Bemerkenswert und zugleich symptomatisch für das bildungsbürgerliche beziehungsweise professorale Wirken im Ersten Weltkrieg war daneben seine stete Fürsorge für die an der Front stehenden Studenten, die er mit aufmunternden Briefen (samt den obligatorischen Sonderdrucken) versorgte. Auch für deren akademisches Fortkommen (etwa durch die Abhaltung von "Kriegsnotexamina" und -semester) setzten sich Hampe - und mit ihm zahlreiche seiner Heidelberger Kollegen - mit Nachdrücklichkeit ein.
Besondere Aufmerksamkeit widmet der Tagebuchschreiber dem familiären Alltag im Krieg. Im Hause Hampe dominierte zwar die klassische Rollenverteilung der Geschlechter, doch nahm der Hausherr großen, mitunter geradezu rührenden Anteil an Familienleben und Kindererziehung. Zugleich achtete Hampe auch hierbei stets auf die rechte patriotische Gesinnung. Spiele und Geschenke spiegelten nicht selten die kriegerische Zeitstimmung wider und zu Weihnachten führten seine Kinder regelmäßig eigens von Hampe verfasste Kasperle-Theaterstücke auf - mit mehr oder minder aktuellen politischen Anspielungen auf die Gegner des Deutschen Reiches, wobei 1915 als innerer Feind der sozialdemokratische Kriegsgegner Karl Liebknecht vorgestellt wurde. Trotz der zwangsläufigen Einschränkungen und Entbehrungen bemühten sich die Hampes, die am damaligen Stadtrand Heidelbergs ein durchaus repräsentatives Wohnhaus (zeitweise sogar mit Dienstpersonal) besaßen, weiterhin ihren selbst auferlegten gesellschaftlichen Verpflichtungen nachzukommen. Gleichwohl blieb die Familie keineswegs von Not der späteren Kriegsjahre verschont und Hampe berichtet - zweifellos mit einer gewissen solidarischen Genugtuung -, dass auch er sich an (illegalen) Hamsterfahrten aufs Land beteiligt habe und seine Familie nun mit allerlei "Ersatz" den Kriegsmängeln und Versorgungskrisen trotzte.
Sein politisch wie publizistisch wirkungsvollstes Betätigungsfeld indes fand Hampe mit seinen Beiträgen über die "belgische Frage", mit der sich der renommierte Mittelalterforscher seit Beginn des Krieges befasste. Die Abfassung des "heiklen Artikels" über Belgien in dem von dem Bonner Nationalökonomen Hermann Schumacher besorgten und von den Historikern Otto Hintze, Friedrich Meinecke und Hermann Oncken co-edierten Sammelwerk "Deutschland und der Weltkrieg" betrachtete Hampe geradezu als seine patriotische Pflicht. Auf der Basis intensiver Recherchen und Aktenstudien und nach Besuchen des Generalgouvernements und Gesprächen mit den deutschen Akteuren in Brüssel entwickelte er seine Konzeption einer "teilweisen Annexion" Belgiens (etwa durch Abtrennung der Provinz Lüttich) und befürwortete fortan eine enge Zusammenarbeit mit der zahlenmäßig geringen und politisch einflusslosen flämischen Kollaborationsbewegung (unter anderem durch die Schaffung eines "Schutzstaates" mit "vlämisch-germanischer" Mehrheit), die er auf Vorträgen sowie in zahlreichen Artikeln propagierte. Für das brutale Vorgehen der deutschen Truppen beim völkerrechtswidrigen Einmarsch 1914 und die repressiven Seiten des Besatzungsregimes in Belgien fand Hampe immer wieder entschuldigende Worte. Nur allmählich, unter dem Eindruck neuer Erkenntnisse über die entstellende Einseitigkeit des deutschen Weißbuchs in der Frage der belgischen Neutralität bei Kriegsausbruch und angesichts der mangelnden Unterstützung, die eine Trennung von Wallonen und Flamen in der belgischen Bevölkerung fand, begann er seine Ansichten zur "Flamenpolitik" zu ändern. Doch erst 1925 gestand Hampe ein, dass nicht er, sondern sein Heidelberger Kollege Max Weber mit seinem Eintreten für eine "uneingeschränkte Wiederherstellung Belgiens nach dem Kriege" seinerzeit richtig gelegen hatte. Zu diesem Zeitpunkt hatte Hampe allerdings bereits seine Konversion von einem "Herzensmonarchisten" zu einem "Vernunftrepublikaner" vollzogen - ein Schritt, der ihm wie vielen seiner Professorenkollegen äußerst schwer fiel.
Hampes Verhältnis zu Max Weber, dem unbestrittenen intellektuellen Kopf der Heidelberger Gelehrtenszene, war, wie das "Kriegstagebuch" offenbart, nicht frei von Spannungen. Beide teilten zunächst die im deutschen Bildungsbürgertum weit verbreitete nationale Aufbruchsstimmung von 1914 und auch in ihrer Beurteilung der deutschen annexionistischen Zielvorstellungen lagen sie in der ersten Zeit des Krieges nicht einmal sehr weit voneinander. Hingegen missfiel ihm Max Webers zunehmend kritischere Sicht der deutschen Reichspolitik im Inneren ("maßlose, lähmende Schwarzseherei") sowie dessen entschiedenes Eintreten für eine "rückhaltlose Parlamentarisierung der Reichsverfassung" (Wolfgang J. Mommsen), die Hampe als "einigermaßen gemeingefährlich" empfand. Ähnlich abfällig äußerte er sich wiederholt über seine Heidelberger Kollegen Ernst Troeltsch, Hermann Oncken und Eberhard Gothein, die von ihm entweder als zu links stehend erachtet oder wegen ihrer Kritik an der Kriegführung der Reichsleitung als unverbesserliche "Pessimisten" - eine seiner abwertenden Lieblingsvokabeln - geziehen wurden. Im Gegensatz zu ihnen blieb Hampe stets ein vorbehaltloser Verfechter des unbeschränkten U-Bootkrieges, nicht zuletzt weil er darin "ein gutes Abschreckungsmittel für alle Neutralen" erblickte und zugleich eine Chance, den Krieg entscheidend zu verkürzen. Mit geradezu naivem Optimismus bejubelte er im "Kriegstagebuch" auch relativ unbedeutende Schlachtensiege der deutschen Truppen und vermeinte des Öfteren einen Wendepunkt des Krieges zu Gunsten des Deutschen Reiches zu erkennen. Seine zunehmenden Zweifel an der Führungsfähigkeit des Kaisers kompensierte Hampe zunächst mit einer schwärmerischen Begeisterung für den "Sieger von Tannenberg", die ihn mitunter gar zur theologischen Formelsprache greifen ließ: "Die Hoffnung auf Hindenburg lässt nicht zu schanden werden" (154). Wie stark der Hindenburg-Mythos inzwischen von ihm Besitz ergriffen hatte, unterstreicht sein im Oktober 1917 festgehaltener Wunsch, der von ihm als weithin unfähig erachtete Reichskanzler Michaelis möge alsbald durch einen "Staatsmann à la Hindenburg" ersetzt werden.
Die "große Niederlage" (Hampe) und die Novemberrevolution im Reich ("Pöbelherrschaft") trafen ihn, wie viele Angehörige des deutschen Bürgertums, mit großer Vehemenz, wenngleich nicht ganz unvorbereitet. "Der elendeste [sic!] Tag meines Lebens!" fasste Hampe am 10. November 1918 seine entsetzte Stimmung zusammen. Gleichwohl teilte er nicht die (auch von führenden Sozialdemokraten vertretene) Ansicht, dass das Deutsche Heer "im Felde unbesiegt" gewesen sei. Für Hampe war die Revolution die logische Folge der militärischen Niederlage, nicht umgekehrt. Immerhin schien er nun bereit, manche seiner bisherigen politischen Ansichten zumindest zu überdenken, und mit seiner (vermutlich durch Max Weber beeinflussten) Option für die liberale Deutsche Demokratische Partei zugleich auch gewisse Konsequenzen zu ziehen.
Allerdings führte das nicht dazu, dass Hampe nun seine im Weltkrieg an den Tag gelegte "nationale" Gesinnung grundsätzlich infrage stellte. Im Gegenteil: Für den Heidelberger Mediävisten wie für die meisten deutschen Historiker blieben die politischen Erfahrungen und vor allem der "Interpretationsrahmen" (Christoph Cornelißen) des Ersten Weltkriegs weiterhin prägend. Hierzu gehören sowohl sein nach wie vor ausgeprägtes Misstrauen über die Funktionsweise der parlamentarischen Demokratie als auch sein Eintreten für ein vornehmlich außenpolitisch (das heißt durch die gravierenden Bestimmungen des Versailler Vertrags) motiviertes "vaterländisches Gemeinwohl". Leidenschaftlich beklagt Hampe bereits im Dezember 1918 den vermeintlichen Mangel an überzeugenden Politikern: "Ein Bismarck fehlte" (803). Immerhin richten sich seine Kritik nun gleichermaßen gegen die Radikalen auf der Linken wie der Rechten des politischen Spektrums, und sein zwar bürgerlich gezähmter aber gleichwohl stets präsenter Anti-Judaismus der Kriegsjahre macht einer gewissen Empathie für die Situation der nunmehr auch in Heidelberg offen diskriminierten Juden Platz: "Versuch eines Demonstrationszuges mit judenhetzerischen Plakaten [...] Schade, dass ehrliche vaterländische Gesinnung zu so unpolitischen, schädlichen Mitteln greift" (913).
Karl Hampes Tagebuch ist ein außerordentliches Dokument des bürgerlichen Kriegsalltags und der Erfahrungen und Reflexionen eines deutschen Hochschullehrers von 1914 bis 1919. Dank einer überaus kenntnisreichen Einführung sowie der vorbildlichen Kommentare und Annotationen der beiden Herausgeber stellt dieses mustergültig edierte Tagebuch eine ebenso aussagekräftige wie aufschlussreiche Geschichtsquelle des Ersten Weltkriegs dar.
Gerhard Hirschfeld