Folker Reichert / Alexander Rosenstock (Hgg.): Die Welt des Frater Felix Fabri (= Veröffentlichungen der Stadtbibliothek Ulm; Bd. 25), Weißenhorn: Anton H. Konrad 2018, X + 286 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-87437-583-2, EUR 39,80
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Folker Reichert / Eike Wolgast (Hgg.): Karl Hampe. Kriegstagebuch 1914-1919, München: Oldenbourg 2004
Folker Reichert: Gelehrtes Leben. Karl Hampe, das Mittelalter und die Geschichte der Deutschen, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2009
Folker Reichert: Asien und Europa im Mittelalter. Studien zur Geschichte des Reisens, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2014
Der Dominikaner Felix Fabri (1437/38-1502) wirkte als Prediger, Reformer und Lesemeister im Ulmer Dominikanerkonvent und unternahm mehrere Reisen und Pilgerfahrten. Eine Vielzahl von Schriften - Reiseberichte, topographisch-historiographische, aber auch geistlich-didaktische Texte - hat er hinterlassen. Die wissenschaftliche Tagung, deren Referate die Grundlage für den vorliegenden Band bilden, zielte darauf "Leben und Leistungen Felix Fabris zu diskutieren und der interessierten Öffentlichkeit den Stand der Forschung" zu vermitteln (Vorwort). Sie fand 2016 im Rahmen der Jubiläumsfeierlichkeiten zum 500jährigen Bestehen der Stadtbibliothek Ulm statt, wo heute mehrere Autographe Fabris aufbewahrt werden. Die Digitalisierung des zweibändigen Evagatorium, Fabris für die Ordensbrüder verfasster Bericht über seine Jerusalemreisen, sollte zudem weiterführende Forschungen anregen.[1]
Die Ausrichtung der Tagung auf ein breites, interessiertes Publikum spiegelt sich auch in der Gestaltung des Bandes wider. Das Layout ist großzügig und die vielen Abbildungen von sehr guter Qualität. Sie wecken schon beim ersten Durchblättern das Interesse, bei genauerer Lektüre zeigt sich zudem, dass das Bildmaterial nicht nur der Illustration dient, sondern auch näher erläutert und in die Argumentationen der einzelnen Beiträge eingebunden wird. Der Band bietet im Anhang eine Liste der Handschriften und Editionen, die über die Einträge im Handschriftencensus hinausgeht. Ein übergreifendes Literaturverzeichnis gibt es nicht, aber Personen-, Orts- und Sachregister.
Die Zusammenstellung der Beiträge zeigt, dass das thematisch breite Werk Fabris der Forschung eine Fülle an Anknüpfungspunkten bietet. Neben Artikeln zu einzelnen Schriften Fabris (Britta-Juliane Kruse, Wittwenbuch; Folker Reichert, Descriptio Theutonie et Suevie) werden u. a. Fabris Verbindungen zur Observanzbewegung und den Ulmer Buchdruckern, seine Lehr- und Seelsorgetätigkeit, seine Raum- und Weltkonzepte, Reiseerfahrungen und Kulturkontakte in den Blick genommen.
Dem Anspruch, Forschungsdiskussion und öffentliches Interesse zusammenzubringen, kann der Band nicht immer gerecht werden. So orientiert sich der Beitrag von Gudrun Litz über "Felix Fabris Ulm" zwar stark an den Interessen eines lokalen und nicht-akademischen Publikums (sehr schön: der anhand der ältesten bekannten Vogelschau Ulms illustrierte Stadtrundgang nach Fabris Tractatus de civitate Ulmensis, S. 14, Abb. 4). Die neuere Forschung zu Ursprungskonstruktionen würde sich allerdings kaum mit einem Abgleich der historiographischen Darstellung der Gründung Ulms mit der historischen 'Realität' begnügen, sondern deren textliche Gestaltungsstrategien fokussieren.
Einige Beiträge sind zudem nur lose mit der Person Felix Fabri verbunden (z. B. Harald Drös, "Gräber und Grabmäler aus Fabris Zeit"). Wenn Bernd Breitenbruch die Produktion der Reformerschriften der Observanzbewegung in Ulm nachzeichnet und dabei in überzeugender Weise das Augenmerk auf Paratexte und Layout legt, wirken einige der Bezüge auf Fabris Beteiligung daran jedoch konstruiert und bleiben letztendlich spekulativ (z. B. 110).
Lesenswert ist Kathryne Beebes Beitrag zu "Fabri und die Klosterreform des 15. Jahrhunderts", der in die dominikanische Observanzbewegung einführt, Fabris Engagement aufzeigt und nicht zuletzt thematisiert, wie adressat*innenorientiert Fabris verschiedene Pilgerberichte aufgebaut sind: Ein besonders interessantes Beispiel ist der Text Die Sionpilger, mit dessen Hilfe Konventual*innen auf eine virtuelle Pilgerreise ins Heilige Land aufbrechen konnten.
Ingrid Baumgärtner präsentiert, wie Felix Fabri gelehrtes, enzyklopädisches und kartographisches Wissen in seinen Reiseberichten zusammen mit den eigenen Reiseerfahrungen verarbeitete. Dabei wird Fabris Werk gleichzeitig in die karthographischen und kosmologischen Diskussionen der Zeit eingeordnet. Leser*innen erhalten einen profunden Einblick in spätmittelalterliche Erderfassung und -beschreibung. Ein besonders beeindruckendes Beispiel ist die vier Quadratmeter große Mappa mundi des Kamaldulensers Fra Mauro, die Fabri in Venedig bewunderte, und die neuestes geographisches Erfahrungswissen portugiesischer Seefahrer mit den klassischen Angaben des griechischen Kartographen Claudius Ptolemäus kombiniert (181, Abb. 2). Baumgärtner zieht Mauros kommentierte Karte vergleichend heran, um Fabris Umgang mit der Gestalt und Anordnung der Erde und des Kosmos herauszuarbeiten. Sie zeigt, wie Fabris mentale Raumvorstellungen mittels gelehrter Argumentationen nicht nur Jerusalem, sondern auch der Heimatstadt Ulm eine Position zuwiesen.
Stefan Schröder untersucht Fabris Werk auf Formen und Funktionen von Fremdheitskonstruktionen. Er führt zunächst in die Forschung zu mittelalterlichen interkulturellen Kontakten ein und zeigt konkret an Fabris Beispiel, wie scheinbar unmittelbare Zeugnisse fremder Länder und Menschen heute zu verstehen sind. Dabei wird deutlich, wie begrenzt die Kontakte zwischen den auf ihre eigene Frömmigkeitserfahrung fokussierten Pilgern und den Fremden waren. Entscheidend ist, wie die Erfahrungen beim Verfassen eines Berichts umgeformt wurden. Dabei spielten Textkonventionen ebenso eine Rolle wie die Kommunikationssituation und das anvisierte Publikum. Das Evagatorium ist zudem ein Selbstzeugnis "mit dem das 'schreibende ich' eine bestimmte Sicht auf das 'reisende ich' kreiert" (226).
Die beiden Beiträge von Folker Reichert zeigen, wie das Reisen ins Heilige Land in die Heimat zurückwirken konnte: Maximin II. von Rappoltstein, kurzzeitig ein Reisegefährte Fabris, richtete eine Wallfahrt im Kloster Dusenbach ein; mit Heiligem Grab, Ölberg und Via Dolorosa quasi ein Klein-Jerusalem im Elsass. Fabri selbst wollte das Evagatorium - die eigene Heimkehr nachzeichnend - mit einer Beschreibung Deutschlands und Schwabens und schließlich Ulms abschließen. Weil die Texte aber allesamt zu lang gerieten, entstanden schließlich voneinander unabhängige Handschriften. Der Autograph der Descriptio Theutonie et Suevie liegt heute ebenfalls in der Stadtbibliothek Ulm. Reichert widmet ihm eine ausführliche Untersuchung und stellt die These auf, dass die Descriptio aus ihrem Entstehungszusammenhang heraus und eben nicht als frühe schwäbische Landekunde verstanden werden muss: "Es ist der Bericht eines Heimkehrers, der sich und seine Leser seiner Heimat vergewissert." (261).
Gerade den hier hervorgehobenen Beiträgen gelingt die Vermittlung zwischen aktuellen Forschungspositionen und den Erwartungshorizonten eines breiten, auch nicht-akademischen Publikums sehr gut. Andere Beiträge hätten von einem gründlichen Lektorat profitiert. Zum Teil stören sperrige Formulierungen den Lesefluss doch sehr ("Fand dieses Verhalten extravertiert und ergänzt von auffälliger (aufreizender) Kleidung statt [...]." 159).
Eine synthetisierender Beitrag, der die neuesten Ergebnisse zu Felix Fabris Leben und Werk auf den Punkt gebracht und vor allem Perspektiven für die künftige Forschung aufgezeigt hätte, wäre wünschenswert gewesen, gerade bei einem Band, der sich an eine interessierte Öffentlichkeit richtet. Hier wurde eine Gelegenheit verschenkt, bei dieser Öffentlichkeit für das Potential einer (zumal aus öffentlichen Geldern finanzierten) Erschließung und Erforschung von ebenso lokal wie überregional bedeutenden Kulturgütern wie den Schriften Felix Fabris zu werben. So bleibt es bei einer additiven Sammlung von Spezialstudien, der es jedoch nicht zuletzt wegen der ausgezeichneten Illustrierung trotzdem gelingen sollte, neues Interesse am Ulmer Fabri zu wecken.
Anmerkung:
[1] Trotz dieser Zielsetzung ist das Digitalisat leider nicht online verfügbar, sondern muss als DVD von der Stadtbibliothek Ulm erworben werden.
Pia Eckhart