Cindy McCreery: The Satirical Gaze. Prints of Women in Late Eighteenth-Century England (= Oxford Historical Monographs), Oxford: Oxford University Press 2004, XVIII + 281 S., 87 illus., ISBN 978-0-19-926756-9, EUR 50,00
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In Zeiten des "Caroline-Urteils" ist es reizvoll, sich mit einem Bildmedium, das als Vorform der illustrierten Blätter gelten kann und das mit einer bürgerlichen Öffentlichkeit florierte und sie gleichzeitig mitformierte, zu befassen. Begünstigt durch eine ungewöhnliche Pressefreiheit und ein klatsch- und bildsüchtiges Publikum in der Metropole London, ist die Blütezeit der englischen satirischen Druckgrafik in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts zu situieren. Alle relevanten gesellschaftspolitischen Ereignisse sind hier mit einer Schärfe, die an Bösartigkeit, aber auch an Witz und gelegentlich Weitsicht nichts zu wünschen übrig lässt, kommentiert.
In einem Umfeld, das einerseits durch die Zeitgenossenschaft der Französischen Revolution, die Bluestockings und die Schriften von Mary Wollstonecraft mit den Forderungen nach Bildung, kultureller Teilhabe und politischer Gleichheit der Frauen konfrontiert war und in dem andererseits von Rousseau inspirierte neue Weiblichkeitsideologien geprägt wurden, sind deren visuelle Repräsentationen gerade auch jenseits der Hochkunst von signifikanter Bedeutung. Umso erstaunlicher, dass erst jetzt diesem Thema eine eigene Studie mit gender-spezifischem Erkenntnisinteresse gewidmet wurde.
McCreerys Untersuchung, die aus einer historischen Dissertation an der Universität Oxford hervorgegangen ist, überzeugt zunächst durch eine übersichtliche Gliederung: Einleitenden Überlegungen zum historischen Kontext, zur Situation der Frauen in England Ende des 18. Jahrhunderts und zur Forschungslage schließt sich ein ebenfalls einführendes Kapitel zum Londoner Kunstmarkt, zur Verbreitung und Rezeption der satirischen Druckgrafik an. Die folgenden Abschnitte sind thematisch nach bis heute gängigen weiblichen Rollenmustern geordnet. McCreery beginnt mit den Darstellungen explizit "öffentlicher" Frauen, den Prostituierten und Marktverkäuferinnen (Kapitel 2). Im 3. Kapitel folgen die gesellschaftlich höher situierten, ebenfalls "spektakulären" Frauen, berühmte Schauspielerinnen und skandalumwitterte Kurtisanen, die den Gesprächsstoff der Stadt bildeten.
Emanzipationsgeschichtlich von besonderem Interesse sind die Repräsentationen von "Women in Male Roles": Schriftstellerinnen, Wissenschaftlerinnen, Künstlerinnen und sich in die Politik einmischende Frauen (Kapitel 4). Ehe und Ehebruch, begangen von Aristokratinnen, werden thematisiert in Kapitel 5, kontrastiert mit dem Muster der guten, "Patriotic Wives", während das folgende Kapitel die weitläufigen Debatten um eine Neubestimmung der Mutterschaft unter den beiden Polen von "Fashionable Mammas and Natural Mothers" aufgreift (Kapitel 6). Das letzte Kapitel ist der Alterskategorie der Frauen über 35 (!) gewidmet und behandelt die Stereotypen "Old Maids, Merry Widows, Cosy Wives". Nicht berücksichtigt werden konnten die Darstellungen von religiösen, kriminellen und nicht-englischen Frauen (10), wodurch etwa die von den postcolonial studies ausgehenden Fragen zur Konstruktion weißer hegemonialer Identitäten und ihrer gender-spezifischen Prämissen ausgeklammert bleiben mussten.
Jeder Abschnitt wird leserinnen- und leserfreundlich mit einer eigenen Zusammenfassung abgeschlossen, wie auch überhaupt die klare Sprache und stringente Argumentation, die vergleichsweise gute Ausstattung mit Abbildungen, die reichlich Quellenmaterial und Sekundärliteratur bereitstellende Bibliografie und ein durchdachter Index das Buch auch für ein Nichtfachpublikum oder als einführende Lektüre im Proseminar geeignet machen.
Der Autorin gelingt es, in sinnvoll ausgewählten, detaillierten Einzelanalysen und deren tagespolitischer und historischer Kontextualisierung einige wichtige Tendenzen der gender politics im 18. Jahrhundert plastisch werden zu lassen. Sie wird ihrem umfangreichen Material - von circa 5000 im British Museum in London aufbewahrten Drucken aus der Epoche zwischen 1760 und 1800 sind mehr als 2000 Blätter für ihre Fragestellung relevant - gerecht, indem sie die Balance zwischen Mikro- und Makro-Historie einzuhalten weiß. Dabei konnte sie auf die grundlegenden Vorarbeiten in den Bestandskatalogen des British Museums der satirischen Druckgrafik von Mary D. George zurückgreifen [1] sowie auf neuere Monografien über einzelne Künstler und häufig karikierte Personen wie etwa Sarah Siddons. Die spezifische Leistung des Buches besteht darin, eine sehr gute Übersicht über ein komplexes Thema bereitgestellt zu haben. McCreery liest die Darstellungen nicht als bloße Quellen für das "wirkliche" Leben, sondern reflektiert stattdessen das Interesse des Publikums an einzelnen Themenfeldern. Mit dem Fokus auf der öffentlichen Repräsentanz von weiblichen Subjekten des 18. Jahrhunderts liefert sie einen wertvollen Beitrag zur Diskussion um die historische Genese der "getrennten Sphären" von Mann und Frau.
Aus einer kunst- und kulturwissenschaftlichen Perspektive und ausgehend von neueren gendertheoretischen Positionen möchte ich im Folgenden einige Einwände beziehungsweise Ergänzungen formulieren.
Das visuelle Medium der Bildsatire / Karikatur ist zu wenig aus bildwissenschaftlicher und auch witz- und lachtheoretischer Sicht problematisiert. Grundlegende Arbeiten werden nicht einmal erwähnt, dabei hätten forschungsgeschichtlich die "Sittengeschichten" eines Eduard Fuchs, die psychoanalytischen Untersuchungen von Sigmund Freud, mit Ernst Kris und Ernst Gombrich Ansätze der Warburg-Schule oder auch Michail Bachtins Reflexionen zu Karneval und Lachkultur mit Gewinn herangezogen werden können. Auch die zeitgleichen Bemühungen des frommen Schweizers Lavater um eine wissenschaftliche Methode der Physiognomik - mit der die Karikatur ja viel gemeinsam hat, geht es doch um identitätsherstellende Bildverfahren in einem Zeitalter der Aufwertung des Empirischen und Visuellen - sind nicht berücksichtigt. Antifeministische Bildsatiren wären in ihrer ideologischen Ambivalenz für eine diskursanalytische Betrachtungsweise geradezu prädestiniert: Mit ihnen ließen sich die vielfältigen, auch und gerade visuellen Strategien zur Formierung des modernen Subjektes untersuchen. An diesen Debatten - Michel Foucault, Judith Butler und andere zu den Wirkungsweisen moderner "Bio-Macht", der Genese der bürgerlichen Familienideologie, dichotomer Geschlechtercharaktere und Körperbilder sowie normativer Heterosexualität - ist die Autorin leider wenig interessiert. Die Existenz relativ männerunabhängiger und / oder "lesbisch" lebender Frauen wird zum Beispiel gerade einmal, die Bildhauerin Anne Damer betreffend, und hier auch nur als Gerücht, erwähnt (122). Hier hätten zahlreiche Beiträge aus den "gay and lesbian" beziehungsweise den "queer studies" zum 18. Jahrhundert Aufschlüsse geben können.
Die offensichtliche Nähe vieler Darstellungen zur Pornografie wird nur kurz angesprochen (76 f.), wie auch überhaupt eine begriffliche Abgrenzung zu Genre-Darstellungen ohne erkennbar satirische Absichten nützlich gewesen wäre. Die Wechselwirkung der Spottblätter mit Werken der "Hochkunst", die in den Jahresausstellungen der Royal Academy ausgestellt und sogleich in Reproduktionsstichen lukrativ vermarktet wurden, und die persiflierende Inanspruchnahme von Motiven der klassischen Mythologie, Allegorien und Embleme sind zwar benannt, wären aber sicher noch detaillierter zu verfolgen. Signifikant ist etwa die häufige Verwendung der Jakobinermütze vor 1789, die nicht nur den politisch Radikalen, sondern auch Vertreterinnen einer weiblichen Emanzipation, zusammen mit "Liberty"-Parolen in Spruchbändern, als Attribut beigegeben wird. Das oftmals raffinierte Text-Bild-Verhältnis wäre wohl eine eigene Untersuchung wert.
Die schlichte Kategorie "Frau" erweist sich nach Lektüre der Ausführungen und Sichtung der Karikaturen wieder einmal als wenig aussagekräftig. Zu konstatieren ist ja vor allem eine klassenspezifische Differenzierung: Neben durchaus auch sympathisierenden, gegen Ende des Jahrhunderts aber vor allem moralisierenden visuellen Stereotypen von Unterschichtsfrauen waren in erster Linie prominente Angehörige der Aristokratie als wiedererkennbare und / oder mit Namen oder Namenskürzeln versehene Individuen bildwürdig, deren - moralisch bedenkliches - Verhalten die bürgerliche Öffentlichkeit sowohl brüskierte als auch glänzend unterhielt. Damit trugen die Karikaturen entscheidend zur Durchsetzung von Ideologien bei, die eine naturgegebene weibliche "Tugend" und komplementär dazu eine von ihr zu zivilisierende männliche "Triebhaftigkeit" festschreiben sollten. Dass es bei all dem herzlich wenig um eine "eigene", selbstbestimmte Sexualität der Frauen ging, sondern indirekt über sie Angriffe auf den politischen Gegner lanciert werden konnten, belegt die Tatsache, dass sie ohnehin zumeist nur im Zusammenhang ihrer Beziehungen zu prominenten Männern darstellungswürdig waren. Interessant wäre es daher auch gewesen herauszufinden, was - bewusst oder unbewusst - dem satirisch-männlichen Blick entging.
Der in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhundert nicht nur in England beliebte maskuline Kleidungsstil etlicher Damen, wie er nicht nur in Karikaturen, sondern auch in repräsentativen Porträts zu sehen gegeben wird, ist sicher mehr als ein Ausdruck von "humour and titillation for male viewers" (253) und wäre sowohl vor dem Hintergrund von Theorien des performativen Charakters der Geschlechteridentitäten als ein Anzeichen für gender trouble-Phänomene im 18. Jahrhundert zu werten sowie in einer longue durée-Perspektive in den Kontext frühneuzeitlicher Ikonografien der "Verkehrten Welt" und des "Kampfes um die Hosen" zu situieren.
Auch und gerade in der Bildsatire wird die soziale Sprengkraft der Erfolgsgeschichten von intelligenten und ehrgeizigen Frauen der unteren und mittleren Schichten wie etwa Kitty Fischer oder Emma Hamilton deutlich, die durchaus aktiv an ihrer auch von renommierten Künstlern umgesetzten Selbstinszenierung arbeiteten. Ausgehend von einer solchen - weiblichen? - Bildpolitik, die heute mit den theoretischen Konzepten von Maskerade und Mimesis zu debattieren wäre, stellt sich die Frage, inwiefern Karikaturen auch zur Steigerung der Popularität beitragen konnten. Leider kann McCreery bis auf wenige Ausnahmen keine Selbstaussagen der Betroffenen präsentieren, die Empörung oder auch Einverständnis signalisiert hätten.
All diese Überlegungen sollten nicht nur aufzeigen, wie schwierig in der Praxis immer noch eine tatsächlich interdisziplinäre Aufarbeitung eines klar umrissenen Themas ist, sondern auch, dass die Lektüre McCreerys summa summarum ausgesprochen anregend für viele weitere Fragestellungen ist. Schließlich kann man und frau sich auch, sozusagen zweimal um die Ecke gelacht, über die komischen und grotesken Begleiterscheinungen der Herausbildung bitterernster bürgerlicher Geschlechterideologien und bis heute dominanter "family values" amüsieren - und dies möglicherweise zusammen mit den "gewitzteren" Zeitgenossinnen und -genossen des 18. Jahrhunderts.
Anmerkung:
[1] Mary Dorothee George: Catalogue of Political and Personal Satires Preserved in the Department of Prints and Drawings in the British Museum (1935-42), Bde. V-XI. Eine neuere Gesamtdarstellung liegt vor mit Diana Donald: The Art of Caricature. Satirical Prints in the Reign of George III., New Haven 1996.
Annegret Friedrich